[DEBATTE] X/003 - Weiterbetrieb von Atomkraftwerken ermöglichen - Energieknappheit verhindern

  • Sehr geehrte Abgeordnete,


    der folgende Antrag steht für exakt 72 Stunden zur Debatte:


  • Herr Präsident,

    sehr geehrte Damen und Herren,


    die Europäische Union hat erst vor kurzer Zeit den Atomstrom zu einem sauberen und umweltfreundlichen Mittel der Energiegewinnung erklärt. Die Verbraucherpreise in Deutschland steigen durch die Inflation immer mehr ins Unermessliche und gleichzeitig ist unser Land darum bemüht, dass wir den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben. Wir müssen daher auf die Realitäten blicken und uns vor Augen führen, dass wir einen angemessenen Strompreis für die Bevölkerung nur mit Hilfe der Kernenergie vorantreiben können, wenn wir uns bis 2030 auch von der Kohleverstromung verabschieden wollen. Mein Vorschlag lautet daher, dass wir den französischen Weg beschreiten und uns die Energiepolitik des Staatspräsidenten Macron zum Vorbild machen. Der französische Weg kann auch der deutsche Weg zur bezahlbaren und umweltverträglichen Energiegewinnung werden.


    Vielen Dank.

  • Sehr geehrter Herr Präsident,

    Liebe Kolleg*innen,


    es ist gut und richtig, dass wir bereits sehr früh in dieser Legislaturperiode über Energiepolitik sprechen, die in den vergangenen Legislaturperioden stets stiefmütterlich behandelt worden ist. Die Energiewende in Deutschland ist in vollem Gange, sie ist aber noch zu schleppend und zu unkoordiniert. Deswegen ist es gut und richtig über den massiven Ausbau von Erneuerbaren Energien zu sprechen, denn nur wenn wir es schaffen, den Roll-Out hier mit Konsequenz zu vollziehen, können wir die Energiebedarfe unserer Bevölkerung und unserer Unternehmen maßgeblich sichern. Das FFD würde an dieser Stelle gerne wieder über Atomenergie sprechen und die Allianz-Fraktion dürfte in den Chor der Atomenergie-Renaissance einsteigen. Eine Bemerkung vorneweg muss erlaubt sein: Wer hier immer wieder mit Versorgungslücken und Engpässen argumentiert, wenn es um Erneuerbare Energien geht, sollte vielleicht mal damit anfangen, über innovative und moderne Lösungen diesbezüglich zu sprechen. Der sollte anfangen Windenergie massiv auszubauen und auch im Bereich Offshore Lösungen zu suchen. Wir sollten über moderne und attraktive Energiegewinnung durch die Erneuerbaren. Es sollten Solarpanels auf Neubauten angebracht werden, wir haben die Chance über eine proaktive Politik die Erneuerbaren auszubauen und den Roll-Out voranzutreiben. Das ist doch die Zukunft dieses Landes, liebe Kolleg*innen. Aber nein, wir sprechen hier andauernd immer über dieselben negativen Narrativen, die die Atomkraft-Fans hier Legislatur für Legislatur einbringen. Dieses Mal hat der Kollege Rache am 18. Januar 2022 nicht einmal für nötig gehalten, seinen alten Antrag dementsprechend an die Realität des 18. Januar 2022 anzupassen. Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen sind doch längst vom Netz, ist das solide parlamentarische Arbeit, Anträge durch Copy und Paste hier in das Parlament zu klatschen, ohne sich mal fünf Minuten die Mühe zu machen, das entsprechend anzupassen. Das ist doch peinlich. Lassen Sie Herrn von Wildungen die "imaginären Untergebenen" zur Sau machen, für die fehlende Aktualisierung oder stehen Sie selbst dazu. Völlig einerlei, das ist unprofessionell.


    Schauen wir uns den Antrag genauer an, sehen wir, dass die Pläne der EU-Kommission Investitionen in hochmoderne Atomkraftwerke bei gleichzeitigem Vorliegen eines Plans zum Umgang mit dem radioaktiven Müll als nachhaltig klassifiziert werden soll. Die EU hat da noch gar nichts erklärt, die EU-Kommission hat das lediglich so formuliert. Herrn Rache interessiert die EU im anderen derzeit debattierten Antrag übrigens mal so überhaupt gar nicht. Herr Wildungen hat angeführt, dass man sich da in nationale Entscheidungen nicht mehr hereinreden lassen möchte. Ja, was denn nun? Die Entscheidung der EU-Kommission kritisiere ich umfänglich. Mit dieser Kritik stehe ich auch nicht allein da, das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) hat beispielsweise ebenfalls Kritik an den Plänen geäußert. Atomenergie bleibt eine Hochrisikotechnologie. Atomenergie kann zu terroristischen und kriegerischen Zielen zweckentfremdet werden und Atomenergie ist auch nur solange sicher, solange es nicht zu Zwischenfällen kommt. Natürlich, kann man sich hier hinstellen und sagen: Ist ne sichere Angelegenheit. Das ist nur einfach gelogen. Fukushima und Tschernobyl sind uns allen noch im Gedächtnis eingebrannt. Wir haben uns bewusst entschieden, dass ist kein kalkulierbares Risiko, das wir dort eingehen können. Wenn es nämlich auch nur einmal zu einem nuklearen Zwischenfall in einem AKW in Frankreich oder Belgien oder Polen oder Tschechien käme, dann sind wir hier in Deutschland mit im Boot. Wie kann man das der Bevölkerung gegenüber erklären? Gar nicht, sage ich Ihnen. Das kann man nicht erklären. Das kann man auf Generationen nicht erklären. Kommt es zu einem GAU in West- und Mitteleuropa drohen Konsequenzen, die man gar nicht so recht abschätzen kann.


    Es gab da mal einen klugen liberalen Mann, Christian Lindner heißt er, der folgendes gesagt hat: "Eine Energiequelle, die nur etabliert werden kann, wenn der Staat in die Haftung geht, die zeigt schon marktwirtschaftlich an, dass es sich nicht um eine nachhaltig verantwortbare Energiequelle handeln kann." Die Sicherheitskomponente scheint einigen bekanntlich egal zu sein. Aber auch wirtschaftlich ist ein Wiederbetrieb der Atomenergie einfach nur Unsinn. Die Tatsache im Übrigen, dass die Haftung für Betreiber*innen in einigen Mitgliedstaaten stark limitiert ist. Die Haftungssummen reichen Expert*innen zufolge für schwere Zwischenfälle mit erheblichem Austritt von radioaktivem Material beileibe nicht aus. Wir müssen in erhebliche Staatshaftung gehen für den Weiterbetrieb von Atomenergie. Gerade diejenigen, die sich als liberal bezeichnen, sollte das doch zu denken geben. Neue Atomkraftwerke sind dazu noch unverschämt teuer und absolut unrentabel. Auf Solar- und Windenergie zu setzen ist günstiger, ist klimaschonender, ressourcenfreundlicher und sicherer. Anstatt, dass wir da mal ansetzen und überlegen, wie sich ein besserer Roll-Out gestalten lässt, greift man hier wieder tief in die ewigselbe Trickkiste. Wirtschaftlich sind neue Atomkraftwerke und der Weiterbetrieb eben jener auch Murks.


    Weiter im Text. Wie viel Endlager gibt es eigentlich bereits, für den ganzen radioaktiven Müll, den wir in der EU produzieren? Wie viele Endlager gibt es in Deutschland? Richtig, diese Frage möchte hier aus Prinzip niemand klären. Eigentlich müsste man jeder Anti-Windkraft-Bürger*innengruppe als Alternative zum neuen Windpark vorschlagen, dass man bei ihnen in der Nachbarschaft das Endlager für radioaktiven Müll einrichtet. Ich glaube, dann wären die Windräder schneller gebaut, als es ein deutsches Planungs- und Genehmigungsverfahren jemals nachempfinden könnte. Natürlich machen wir das so nicht. So gehört sich das ja auch nicht. Aber die Frage nach dem Endlager wird zu immensem gesellschaftlichen Spaltungspotenzial führen. Weil niemand ein Endlager in seiner Nähe haben möchte, weil dann nämlich plötzlich dieses abstraktere Risiko konkret wird und man sich plötzlich Gedanken macht. Der radioaktive Müll ist bereits da, wir müssen Endlager finden. Doch anstatt, dass wir sagen: Wir haben den ganzen Müll doch schon, wir müssen doch schon Lager suchen und dabei unpopuläre Entscheidungen und immensen Widerstand aus der betroffenen Bevölkerung in Kauf nehmen. Sagt man sich in diesem Antrag: Lieber noch mehr radioaktiven Müll produzieren. Die Probleme sind dadurch nicht weniger geworden und sie sind auch nicht weniger drängend. Das FFD beantwortet solche Frage auch überhaupt nicht mit seinem Antrag, darum geht es nicht, es geht um ideologischen Kampf gegen Erneuerbare Energien und auf irgend so eine verquere Art auch um Soziales. Dass man die exorbitant hohen Verbraucherpreise aktuell, vor allem durch die Stromsteuer und die EEG-Umlage wird steuern können und dass es um soziale Abfederung von Klimaschutz gehen muss, das ist glaube ich allen Beteiligten klar.


    Atomenergie sei ja so klimafreundlich, manche behaupten in ihrer Unkenntnis gar: Atomenergie sei klimaneutral. Das kann so natürlich auch nicht stehen bleiben. Atomenergie ist im Vergleich zur Braunkohle klimafreundlicher. Klimafreundlich ist da aber auch ein merkwürdiges Adjektiv. Vielleicht sollten wir dazu übergehen, zu sagen: Atomenergie ist etwas weniger klimaschädlich als Braunkohle. Atomenergie ist auch nicht klimaneutral. Uran muss angereichert und gewonnen werden - nicht klimaneutral; Atomkraftwerke müssen gebaut und betrieben werden - nicht klimaneutral und auch die Endlagerung wird nicht klimaneutral sein. Bei der Endlagerung muss man dazu noch ergänzend sagen, dass wir keine Ahnung haben, wie klimaschädlich eben jene sein wird. Dazu fehlen die empirischen Daten. Kein Wunder, wir haben ja bereits festgestellt: Endlagersuche ist nicht so super sexy. Will keiner machen, will keiner haben - wo keine Daten, da keine Sicherheit über die Klimabilanz. Also der große klimapolitische Wurf ist der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken ganz sicher auch nicht.


    Nicht klimaneutral, wenig bis gar nicht klimafreundlich, wirtschaftlicher Nonsens, kein Endlager in Sicht, Brücke ins Nirgendwo, sicherheitspolitische Risiken - man könnte hier noch über so viele weitere Aspekte sprechen, haben Sie der Finanzbranche zum Beispiel mal zugehört, die sich um den Ruf von Sustainable Finance sorgt? Es gibt viele Gesprächspartner*innen, denen man den Fans einer Atomkraft-Renaissance gerne mal empfehlen würde, vor allem weil der Widerstand gegen diese Entscheidung und diese Idee eben nicht nur aus und von Umweltverbänden, von Fridays for Future und der Anti-AKW-Bewegung stammt, sondern weil es einen breiten Konsens in Deutschland gibt.


    Liebe Kolleg*innen, bevor ich schließe, möchte ich gerne noch einmal kurz in die Vergangenheit blicken. Die Position meiner Partei, der SDP, zum Thema Atomenergie hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten nicht verändert. Das, was ich hier heute vorgetragen habe, ist weitestgehender Konsens in der Partei. Eine Renaissance der Atomkraft ist abzulehnen. Warum betone ich das hier noch mal? In den vergangenen Koalitionsverhandlungen hat der damalige SDP-Kanzlerkandidat meiner Partei Herbert Müller einen schwerwiegenden Fehler begangen. Herbert Müller, der und ich möchte das hier noch mal ganz klar betonen, bewiesen hat, dass er mit Demokratie und demokratisch legitimierter Macht auf undemokratische Weise umzugehen vermag, hat sich in denkwürdigen Koalitionsverhandlungen mit der Allianz auf eine Renaissance der Atomenergie verständigt. Im Nachhinein muss man sagen: Ein Glück, dass dieses inhaltliche Vorhaben, nicht umgesetzt werden konnte. Die Umstände, die dazu geführt haben, waren allerdings tragisch und haben meiner Partei schweren Schaden zugefügt. Es war falsch, dieses Vorhaben zu vereinbaren und es wäre falsch gewesen, dieses Vorhaben umzusetzen. Die Position der Allianz zu diesem Thema finde ich nicht überzeugend, das ändert im Übrigen nichts an der Fehlerhaftigkeit und an der Schuld, die Herbert Müller mit seinem eigensinnigen und egozentrischen Verhalten auf sich geladen hat. Ich möchte diese Bühne hier nur nutzen, um die Position meiner Partei zu diesem Thema noch einmal unmissverständlich klarzustellen. Ich denke, eine kohärente Linie schadet sowohl Befürworter*innen als auch Ablehner*innen dieser Position nicht.


    Der Antrag ist selbstverständlich abzulehnen.


    Vielen herzlichen Dank!

  • Sehr geehrter Herr Präsident,

    liebe Kolleginnen und Kollegen,


    vorab nur kurz die Anmerkung, dass über dieses wichtige Thema gesprochen werden muss und es einer noch nie dagewesenen Anstrengung bedarf, binnen weniger Jahre ausschließlich auf regenerierbare Energie zu setzen. Die CDSU ist klar gegen die Rückkehr zur Atomenergie. Wir müssen aber akzeptieren, dass andere (auch EU) Länder einen anderen Weg gehen. Wir laufen sonst in Gefahr andere zu bevormunden und unserem Idealismus geschuldet Konflikte aufkommen zu lassen.


    Ich sage nochmal: Wir sind gegen diesen Antrag. Ich sage aber auch, dass wir im unwahrscheinlich Fall des Scheiterns unserer Energiewende, alle Karten und Optionen umgehend auf den Tisch legen müssen und dazu zählt nun mal auch Atomenergie. Wir bleiben aber zuversichtlich und wollen den eingeschlagenen Weg weiter und bis zum Ende gehen. Sollte dieser Weg letztlich in eine Sackgasse führen, müssen wir schnell und problemlos den Weg wieder zurück finden und auch gehen.


    Vielen Dank!

  • Herr Präsident,

    sehr geehrter Herr Kohle,


    danke für die Erläuterung der CDSU-Position. Ich möchte jedoch einwenden, dass wir den über Jahre andauernden Rückbau der Kernenergiewerke nicht von heute auf morgen wieder umkehren können, sofern eine Energiewende aus ausschließlich Erneuerbaren scheitern sollte. Es gilt daher genau zu prüfen, welche Entscheidung nun die richtige für Deutschland ist.


    Vielen Dank.

  • Da möchte ich Ihnen auch gar nicht widersprechen. Ich bin mir auch ganz sicher, dass dieses Worst-Case-Szenario nicht eintreten wird. Aber um den Gedanken zu Ende zu spinnen noch der Zusatz, dass man nicht von heute auf morgen ohne Strom dastehen würde, da auch hier ein langer Prozess vorangehen würde und es sich langsam aber sicher abzeichnen würde, dass wir im Energie-Sektor auf das falsche Pferd gesetzt haben und dringend umrüsten müssen. Insofern die Versorgung bereits zu knapp ist, müsste für eine Übergangszeit halt teurer AKW-Strom aus Polen oder/und Frankreich bezogen werden als Back-up. Dazu wird es aber -wie bereits erwähnt- höchstens in einer Worst-Case-Theorie eines einfallsreichen MdB mit zu viel Fantasie kommen.

  • Herr abgeordneter Kohle,

    wir sollten allen Ernstes für teuer Geld und ohne Not, Strom aus dem Ausland kaufen?

    Wir haben deutsche Atomkraftwerke, welche laufen, Strom aus dem Ausland ja, aber nur im Kathastrophenfall und jener ist nicht gegeben!

    Es lebe Deutschland!

    Dr. Christian Theodor Felix Reichsgraf Schenk von Wildungen

    Vizepräsident des Deutschen Bundestages,

    Präsident des bayrischen Landtages a.D.

    Bundesminister für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt a.D.

    Staatssekretär im Staatsministerium der Finanzen und für Heimat des Freistaates Bayern a.D.

    Ministerpräsident des Freistaates Bayern a.D.


    "Wir werden Ambos ,wenn wir nichts tun um Hammer zu sein."

    Fürst Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen (1815-1898)

    7398-verdienstkreuz-ii-jpg0930e48da0.jpg

  • schüttelt bei Herrn Kohle seiner Rede den Kopf und fragt sich, ob Deutschland so energieunabhängig bleiben kann....

  • Ich stelle fest, dass ich in meinem Beitrag zwei Mal den Ausdruck "Worst-Case" verwendet habe. Und da hier einzelne Abgeordnete ein unwahrscheinliches Worst-Case-Szenario mit der Realität im hier und jetzt offensichtlich verwechseln, lässt die Vermutung aufkommen, dass es mit englischen Sprachkenntnissen und/oder üblichen Anglizismen noch ein wenig Spielraum nach oben gibt.

    Wobei man als MdB keine Fremdsprachennkentisse benötigt. Schließlich ist die Amtssprache Deutsch.