SONDERSITZUNG | Sondersitzung zu 30 Jahren Deutsche Einheit

  • Meine sehr verehrten Damen und Herren,

    Herr Bundespräsident,

    Herr Bundeskanzler,

    liebe Kolleginnen und Kollegen,


    "Heimweh nach früher hab ich keins

    Nach alten Kümmernissen

    Deutschland Deutschland ist wieder eins

    Nur ich bin noch zerrissen."


    Wir feiern den Tag der Deutschen Einheit – wie jedes Jahr. Und wir feiern ihn zu Recht, den 3. Oktober, den Tag, an dem Ost und West in Deutschland wieder eins wurden. Und doch ist in diesem Jahr etwas anders. Nicht nur Wolf Biermann, den ich zu Beginn zitiert habe, auch viele andere schauen mit Fragen, mit Sorgen, mit Verunsicherung auf die innere Einheit unseres Landes. Das ist die eine Seite des heutigen Tages. Sie ist deutlich zu spüren in diesem Jahr.


    "Tag der Deutschen Einheit?" werden Sie fragen: "Wieso eigentlich nur einmal im Jahr? Deutsche Einheit ist doch jeden Tag" – 365 Tage im Jahr und das seit 27 Jahren. Anders haben Sie es gar nicht kennen gelernt. Eine ganze, junge, lebensfrohe Generation ist es schon, die im wiedervereinten Deutschland geboren und zuhause ist. Wir, die Generation der Eltern und Großeltern, sind in der Pflicht, das an die neuen Generationen weiterzugeben, was vor nunmehr 30 Jahren errungen wurde: ein vereintes, freies und friedliches Deutschland. Ganz gleich, was uns heute bewegt – ob Freude oder Zerrissenheit, ob Enttäuschung oder Hoffnung –, das vereinte Deutschland, ein freies und demokratisches Deutschland, ein Deutschland, das nicht mit Angst, sondern mit Zuversicht in die Zukunft schauen kann – dieses Deutschland sind wir unseren Kindern schuldig.


    Liebe Anwesende,


    ja, deutsche Einheit ist jeden Tag. Das bedeutet: Wir feiern heute etwas Alltägliches – aber eben nichts Selbstverständliches. Denen, die nach der Einheit geboren wurden, die nicht wissen können, wie das war, denen rate ich: Fragen Sie die, die dabei waren. Fragen Sie unsere Gäste aus Osteuropa. Fragen Sie gerade jetzt auch die Menschen aus Polen oder Ungarn, deren Wille zur Freiheit und zur Demokratie den Ostblock ins Wanken brachte und der Mauer in Berlin die ersten Risse versetzte. Fragen Sie die Ostdeutschen, die diese Mauer zum Einsturz brachten – nicht durch Hass, nicht mit Gewalt, sondern durch friedlichen Protest und mit großem Mut. Fragen Sie die Staatsmänner – oder realistischer ist wohl – googeln Sie die Staatsmänner im Westen wie im Osten, die uns zugetraut haben, dass auch ein vereintes Deutschland ein friedliches Deutschland sein wird.


    Doch ich denke, der werte Herr Bundespräsident wird noch deutlich mehr auszuführen wissen. Ich für meinen Teil wünsche uns allen einen Tag zum Feiern, einen Tag, der weitere Jahre der Deutschen Einheit einleiten wird.


    Vielen Dank.



    Das Wort hat nun der Herr Bundespräsident.

    Richter am Obersten Gericht

    Bundeskanzler a.D.

    Administrator

  • Tritt an das Rednerpult.


    Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

    sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

    meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete,

    liebe Gäste,


    es ist mir eine besondere Freude und Ehre, heute am 30. Jahrestag des 3. Oktober 1990 als Bundespräsident eines vereinten Deutschlands zu Ihnen sprechen zu können. Zwar mag die Wiedervereinigung mittlerweile den meisten vor allem als historisches Ereignis gelten, dessen Auswirkungen heute selbstverständlich sind, zumal viele jüngere Mitbürgerinnen und Mitbürger die Zeit der Teilung selbst nicht erlebt haben – und doch ist die Vereinigung der damaligen beiden deutschen Staaten auch drei Jahrzehnte nach den Ereignissen von 1989 und 1990 als großes Glück zu würdigen.


    Vieles ist in den vergangenen 30 Jahren gelungen, während in anderen Bereichen noch immer Nachholbedarf besteht. Die „Mauer in den Köpfen“ wurde einst zum geflügelten Wort und zu einem Symbol der Schwierigkeiten, die das Zusammenwachsen von Ost und West mit sich brachte. Nicht alle Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern sind auf die ehemalige Teilung zurückzuführen – der Osten Deutschlands hat ebenso seine eigene Identität wie etwa der Norden und der Westen, die sich ihrerseits vom Süden unterscheiden. Umso entschlossener aber müssen Politik und Gesellschaft sein, verbliebene tatsächliche Ungleichheiten zu benennen und zielgerichtet aufzulösen, um das Wort „Einheit“ mit Leben zu füllen, das Verständnis füreinander zu stärken und das Vertrauen in den gemeinsamen Staat zu festigen.


    Gerade in der aktuellen Situation, in der die Auswirkungen politischer Entscheidungen im Alltag der Menschen so präsent sind wie lange nicht, zeigt sich eindrucksvoll die Bedeutung eines soliden Vertrauensverhältnisses zwischen Bürgern und Politik. Die Krise lehrt uns, wie wertvoll das Grundvertrauen der Bevölkerung in ihre gewählten Entscheidungsträger unabhängig vom sonstigen politischen Wettstreit ist. Zugleich ist dieses in die Politik gesetzte Vertrauen ein ständiger Auftrag, weiterhin verantwortungsvolle und nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen. Die Bewältigung der Pandemie und die vollständige Wiederherstellung aller zuvor gewohnten Freiheiten wird schlussendlich ein Erfolg des demokratisch verfassten geeinten Deutschlands sein.


    Eine nicht minder große Aufgabe für die gesamte Zivilgesellschaft ist zudem der Einsatz gegen Extremismus. In jüngster Zeit mehren sich die betrübenden Meldungen, die aufzeigen, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Werte unseres Grundgesetzes nicht selbstverständlich sind, sondern aktiv gewahrt werden müssen. Gemeinsam mit der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung muss es dem Staat, muss es der Politik in allen Landesteilen gelingen, die wehrhafte Demokratie sowie die Werte Toleranz, Freiheit und Frieden zu verteidigen.


    Meine sehr geehrten Damen und Herren,


    der heutige Tag soll für alle Deutschen ein Tag der Zuversicht sein. Wir können stolz sein auf unterschiedliche Lebensgeschichten, innere Vielfalt und das Ansehen unseres Landes in der modernen Welt – sowie auf alles, was seit 1990 gemeinsam erreicht worden ist. Die Geschichte der Wiedervereinigung ist nicht perfekt, die Erfolge sind nicht vollständig – sie geben Ansporn zu weiteren Anstrengungen. Und doch beweisen sie: Es ist zusammen, was zusammen gehört.


    Vielen Dank.

  • tritt an das Rednerpult


    Herr Bundestagspräsident,

    Herr Bundespräsident,

    verehrte Vertreter der Bundesländer,

    meine sehr verehrten Damen und Herren,

    verehrte Gäste,


    jahrzehntelang erlebte ich das geteilte Deutschland. Fünf Bundeskanzler und fünf Bundespräsidenten sahen ebenfalls Zeit ihres Amtes Deutschland in zwei Teilen. Erst der sechste Bundeskanzler Helmut Kohl und der sechste Bundespräsident Richard von Weizsäcker konnten das ganze Deutschland repräsentieren. 48 Jahre alt war ich bereits, als die Einheit gefestigt wurde. Dreißig weitere Jahre konnte ich nun in Einheit bereits erleben.

    Diese 30 Jahre waren politisch gesehen wohl die angenehme Seite der Geschichte der Bundesrepublik, konnten nun doch über 80 Millionen Menschen in Deutschland endlich das Glück der fehlenden Bedrohungen genießen. Konnten doch nun über 16 Millionen Menschen ebenfalls Freiheiten genießen. Die Einheit war wahrlich ein Tag der Freude, nicht nur für Deutschland, sondern vielmehr für ganz Europa. Die Einheit Deutschlands war der erste notwendige Schritt zur Integration Osteuropas in das Friedensprojekt Europäische Union.


    Die Hoffnungen, die die mutigen Bürgerinnen und Bürger in der damaligen DDR zur Zeit der Wende hatten, sehen wir auch heute noch. Erleben wir doch just in diesem Moment, in Hong Kong und in Belarus, und an vielen weiteren Orten in der Welt die Hoffnung der Menschen auf Freiheit und Demokratie. Wir, als Deutsche, sollten uns besonders für jene Freiheitsbewegungen einsetzen.

    Jene Freiheit und Demokratie, die damals erlangt wurde, ist jedoch alles an andere als selbstverständlich, nein, wir müssen sie stets schätzen und schützen. Denn noch immer erleben wir es, dass Menschen uns unsere Freiheiten, unsere Demokratie nehmen wollen. Unsere Aufgabe, als Demokraten, ist es, sie zu schützen und zu verteidigen. Unser Grundgesetz als Verfassung für alle Deutsche, als eines der besten Verfassungen unseres Erdballes muss bestens geschützt werden. Dies ist auch unser wichtigster Auftrag als Politiker dieses Landes.


    Die Einheit wurde besiegelt, vor dreißig Jahren, doch blieb die Teilung in unseren Köpfen. Wir teilen noch immer in Ost und West, in Ossis und Wessis. Vielmehr sollten wir uns aber endlich als ein Land sehen, leben wir doch bereits in wenigen Jahren länger in einer vereinten Bundesrepublik als in einer geteilten.

    Der Tag der Deutschen Einheit gehört vor allem jenen mutigen Freiheitskämpfer im Osten unseres Landes. Doch wir alle dürfen feiern. Wir feiern auch. Nun schon 30 Jahren feiern wir, Tag für Tag. Insbesonder feiern wir aber heute, am 03. Oktober. Dem Tag der Einheit, dem Tag des Wandels. Des Wandels für Deutschland und Europa. Auch ein Tag des Dankes. An die mutigen Bürgerinnen und Bürger des Osten unseres Landes. An viele Politiker, die durch ihre Arbeit zur damaligen Zeit die rechtliche Basis für die Einheit lieferten. Nicht nur Politiker Deutschlands, sondern weltweit. Ein Dank an die Siegermächte, die ihre Möglichkeiten der Macht in Deutschland abgaben, um unsere Einheit zu besiegeln.


    Freude, schöner Götterfunken. Ja, Freude. Freude über die Einheit, Freude über Frieden, Freiheit, Demokratie, Freude über Europa. Freude. Nicht nur heute, sondern Tag für Tag.


    Vielen Dank.

  • Erhebt sich und schreitet zum Rednerpult


    Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

    sehr geehrter Herr Bundespräsident,

    sehr geehrte Vertreter der Bundesländer,

    sehr geehrte Damen und Herren,


    am heutigen Tag feiern wir dreißig Jahre Wiedervereinigung. Seit dreißig Jahren haben Stasi und SED keinen Einfluss mehr. Die alte, letzte und morsche Diktatur der SED ist zusammen gebrochen. Heute können wir frei und ohne jede Angst vor Verfolgung leben. All das ist nur auf Grund des Engagements der Freiheit verlangenden Ostdeutschen Bevölkerung möglich gewesen. Sie hatten keine Angst mehr vor dem Unrechtsregime. Mit friedlichem Protest haben am Anfang wenige, dann immer mehr durch ihre Präsenz auf der Straße das Regime gestürzt. Ich ziehe meinen Hut vor den Teilnehmern der Proteste, denn sie hatten den Mut, das auszusprechen, was viele sich zwar auch im Geheimen gedacht haben, es aber aus Frucht vor der Staatssicherheit nicht auszusprechen getraut haben.


    So toll die Worte auch klingen, muss man doch auch bemerken, dass die Wiedervereinigung keine Wiedervereinigung war, sondern viel mehr ein Einverleiben der DDR war. Der DDR wurde einfach die westdeutsche Kultur und das politische System der BRD aufgedrückt. Man hätte zur Wiedervereinigung eine neue gesamtdeutsche Verfassung schreiben müssen, in der gut funktionierende Elemente aus dem Westen mit den gut funktionierenden Elementen aus dem Osten kombiniert hätten werden müssen. Aber den damals Regierenden ist kein Vorwurf zu machen, denn die DDR war pleite und das gesamtdeutsche Volk wollte eine schnelle Wiedervereinigung. Hätte man die Westmark nicht so schnell im Osten eingeführt, dann hätte eine große humanitäre Katastrophe die DDR Heim gesucht. Auch das gesamtdeutsche Volk übte einen enormen Druck auf die Politiker aus, da das gesamtdeutsche Volk auf Demonstrationen immer wieder die schnellst möglich Wiedervereinigung gefordert hat. Der Druck der Straße und eine drohende humanitäre Katastrophe sind für die schnelle Wiedervereinigung nach dem Fall der Berliner Mauer verantwortlich. In dieser kurzen Zeit wäre es unmöglich gewesen Debatten über eine neue gesamtdeutsche Verfassung zu führen.


    Auch heute nach dreißig Jahren sind Bundesrepublik und DDR formal zwar wiedervereinigt, aber nicht praktisch. Im Osten ist das durchschnittliche Gehalt immer noch kleiner als im Westen. Im Osten sind immer noch keine DAX-Konzerne niedergelassen. Die Arbeitslosenquote ist höher als im Westen. Es wird klar, dass die Wiedervereinigung immer noch nicht abgeschlossen ist. Es ist unsere Aufgabe diese Unterschiede zwischen Ost und West zu beseitigen und die Wiedervereinigung ab zu schließen.


    Nimmt auf seinem Sitz platz

  • Erhebt sich und tritt an das Rednerpult.


    Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

    sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

    sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

    meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete,

    liebe Gäste,


    nunmehr sind also 30 Jahre vergangen, nach dem unser Deutschland wiedervereinigt wurde.

    Leider muss ich dem Kollegen Fürst energisch widersprechen , von wegen Stasi und SED hätten keinerlei keinen Einfluss mehr. Deren Nachfolger sitzen auch hier in diesem hohen Haus nur nennen sie sich anders.

    Allerdings ihre kruden Ideen, von Sozialismus und Kommunismus haben diese Leute bis heuer nicht abgelegt.

    Es heißt also wachsam zu sein!

    Wir sind es unseren Kinder schuldig , ein freies unabhängiges und vor allem ein deutsches Deutschland zu übergeben.

    Ebenso widerspreche ich dem Kollegen Fürst in hierin. Natürlich wäre es möglich gewesen und vor allen vom GG vorgeschrieben, Debatten über eine neue gesamtdeutsche Verfassung zu führen und dieses auszuarbeiten. Die Verfassungen des Deutsches Kaiserreichs, der Weimarer Republik und das GG von 1948 hätten Pate gestanden..

    Trauen wir uns zu sagen Deutschland zu erst, Deutschland , Deutschland über alles und zwar in Einigkeit, Recht und Freiheit, so wie es 1848 Heinrich August Hoffmann von Fallersleben in unser Nationalhymne besang, das soll unser Credo sein.

    Eine friedliches Zusammenleben mit unseren Nachbar, Ja natürlich, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Ja wenn es sich jener Nachbar leisten kann, ein Moloch wie die EU , nein Danke.

    Machen aus unseren Deutschland, etwas was seit 2015 leider verloren ging, ein Liebens-und lebenswertes Deutschland.

    Hören wir endlich auf deutsche Geschichte zu verteufeln, nur weil zwei artverwandte Diktaturen sie missbrauchte!

    Achten wir mit allen was wir tun, nicht selbst , wenn auch gutgemeinten, Diktatur werden.

    Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch einen schönen Feiertag.


    Geht an seinen Platz und setzt sich wieder.

    Dr. Christian Theodor Felix Reichsgraf Schenk von Wildungen

    Vizepräsident des Deutschen Bundestages,

    Präsident des bayrischen Landtages a.D.

    Bundesminister für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt a.D.

    Staatssekretär im Staatsministerium der Finanzen und für Heimat des Freistaates Bayern a.D.

    Ministerpräsident des Freistaates Bayern a.D.


    "Wir werden Ambos ,wenn wir nichts tun um Hammer zu sein."

    Fürst Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen (1815-1898)

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  • tritt ans Rednerpult.


    Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,
    sehr geehrter Herr Bundespräsident,
    sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
    verehrte Mitglieder der Bundesregierung,
    verehrte Vertreter der Bundesländer,
    sehr geehrte Damen und Herren,
    liebe Kolleg*innen,


    ich freue mich, heute hier sprechen zu dürfen, 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung. 30 Jahre sind vergangen, seit, um es mit Willy Brandt zu sagen, zusammengewachsen ist, was zusammen gehört. Deutschland ist wieder eins geworden. Die Schrecken des Kalten Krieges und der SED-Diktatur sind überwunden worden. Aber nicht nur das: Die Wiedervereinigung hat den Grundbaustein für eine gesamteuropäische Einigung, für ein Europa der Freiheit, der Demokratie und des Friedens gelegt. Die Wiedervereinigung ist eine Zäsur in der deutschen und europäischen Geschichte, ein Ereignis, auf das wir in Deutschland stolz sein können.


    Nun will ich nicht um den heißen Brei drum herum reden: 30 Jahre deutsche Einheit sind nicht nur eine Glanzgeschichte. Eine gesamtdeutsche Verfassung, wie sie laut alter Fassung des Grundgesetzes erarbeitet werden sollte, blieb aus. Die DDR hat sich der BRD angeschlossen und ein voneinander Lernen auf Augenhöhe blieb aus. Noch immer gibt es Unterschiede zwischen West und Ost, beispielsweise im Bereich der Löhne, die nicht nur durch niedrigere Lebenshaltungskosten erklärt werden können. Landflucht trifft Bundesländer im Osten der Republik besonders hart. Hier bleibt für die Politik viel zu tun, aber ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam Lösungen finden werden.


    Obwohl noch viel zu tun ist, haben wir in den letzten 30 Jahren aber auch vieles Erreicht. Bürger*innen der DDR haben sich mit Montagsdemonstrationen und friedlicher Revolution der SED-Diktatur wiedersetzt und ein frei gewähltes Parlament und eine frei gewählte Regierung durchsetzen können. Das ist bis heute ein Hoffnungsschimmer für alle Menschen auf der Welt, die autoritäre Regime für Freiheit und Demokratie bekämpfen. Die beiden deutschen Regierungen haben bei den vier Allierten die deutsche Einigung durchgesetzt und den Einigungsvertrag unterzeichnet. Damit war der Weg für die Wiedervereinigung und das Ende des Kalten Krieges besiegelt. Ostdeutschland wurde in gesamtdeutscher Anstrengung in rasantem Tempo umgebaut und die Lebensqualität in Ostdeutschland hat sich Stück für Stück verbessert. Schließlich gibt es heute eine neue Generation, der auch ich angehöre, die in einem geeinten Deutschland aufgewachsen sind und für die die Unterscheidung in "Wessis" und "Ossis" so ziemlich an der Realität vorbeigeht.


    Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

    sehr geehrter Herr Bundespräsident,

    sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

    verehrte Mitglieder der Bundesregierung,

    verehrte Vertreter der Bundesländer,

    sehr geehrte Damen und Herren,

    liebe Kolleg*innen,


    wir haben mit der Wiedervereinigung sehr viel Erreicht. Doch heute wird unsere Demokratie und unsere Freiheit jeden Tag aufs Neue bedroht. Die Dinge, für die die Menschen 1989 auf die Straße gegangen sind, drohen heute wieder zerstört zu werden. Wir sollten diesen Tag daher auch zur Besinnung und Mahnung nutzen. Und zur Motivation, gegen alle Widerstände für Freiheit und Demokratie einzustehen.


    Vielen Dank!

    Tom Schneider

    Träger d. Gr. Verdienstkreuzes m. Stern u. Schulterband u. des Nds. Großen Verdienstkreuzes

    Ministerpräsident v. Nds. a.D.
    Präsident d. Bundesrats a.D.
    MdL Nds. a.D.
    Nds. Landesminister a.D.
    Mitglied des nds. Landtagspräsidiums a.D.

    MdB a.D.
    Parteivorsitzender SDP a.D.
    stv. Parteivorsitzender der SDP a.D.
    Landesvorsitzender der SDP Nds. a.D.


  • Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

    Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

    Liebe Kolleginnen und Kollegen,


    ich spreche heute hier zu Ihnen in einer ganz besonderen Lage. Wer mich kennt weiß, dass ich am 17. August 1993 im beschaulichen Langenfeld im Rheinland geboren wurde. Ich bin 27 Jahre alt, was im Umkehrschluss auch bedeutet: Wenn wir heute 30 Jahre Deutsche Einheit feiern, spreche ich über etwas, was ich selbst nicht erlebt habe. Ich habe dafür aber mit vielen Menschen gesprochen, die damals schon gelebt haben und die mir das bestätigt haben, was meine Vorredner schon angerissen habe: Das war eine Zäsur. Die Menschen haben in der breiten Masse schon gar nicht mehr an eine Wiedervereinigung geglaubt. Das Denken in Blöcken war starr und fix, es war wenig volatil und es war wenig Hoffnung darauf, dass diese Ereignisse wirklich geschehen würden, geschehen konnten. Das ist ein riesiger Verdienst, das ist und bleibt Historisches. Daher gilt mein Dank denen, die ich hier besonders hervorheben möchte und das sind: Willy Brandt, Michail Gorbatschow, Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl, der es verstand die historische Gelegenheit beim Schopfe zu packen. Mein größter Dank gilt der mutigen Zivilgesellschaft in der DDR. Die Friedliche Revolution von 1989 war eine Revolution des Volkes. Nur weil die DDR-Bevölkerung ihrem repressiven Regime die Gefolgschaft versagte, weil sie sich den sozialistischen Zwängen entsagte und weil sie sich frei machte von Unterdrückung und Bespitzelung. Nur deswegen konnte 1989 die Friedliche Revolution gelingen. Diese Sondersitzung ist daher kein Grund für Ostalgie oder für merkwürdigsten Nationalismus. Das bewusste Insinuieren der ersten Strophe des Liedes der Deutschen, Herr von Wildungen, ist schäbig und es hat auch absolut nichts mit dem Thema der heutigen Sitzung zu tun. Sie haben wohl auch merkwürdige Anfälle von Nostalgie: Die gelten dann aber eher einer Zeit, die jetzt zum Glück über 75 Jahre zurückliegt.


    In einem Artikel der ze.tt über sechs Nachwendekinder aus Ostdeutschland, spricht die deutsche Journalistin und Speakerin Nhi Le davon, dass wir aufhören sollten, die Wiedervereinigung als große Erfolgsgeschichte zu verkaufen. Ähnliche Beiträge finden sich auch bei vielen anderen der sechs interviewten jungen Menschen. Gerade ein differenzierter Blick auf die Zeit von damals kann nicht schaden, das haben viele Kollegen hier deutlich gemacht. Ich möchte den Blick auf heute legen und zum einen sagen: 30 Jahre Deutsche Einheit, das heißt noch lange nicht, dass alles geschafft ist. Keine einzige deutsche Universität wird von einem/einer Ostdeutschen geleitet. Kein Gerichtspräsident und keine Gerichtspräsidentin stammt aus dem Osten und nur ca. 4 Prozent der Führungskräfte stammen aus dem Osten. Wenn dann Bundesbehörden auch trotz guter Bewerbungen und Standorte im Osten, wieder einmal nach NRW, nach Bayern, Niedersachsen oder Baden-Württemberg vergeben, dann sehe ich da ein Missverhältnis und falsche Abbildung der Tatsachen. Ich sage ganz deutlich: Solange da nicht aufgeholt ist, ist es weiter notwendig auf solche Missstände hinzuweisen. Wenngleich ich all diejenigen auch verstehen kann, die sagen: Wir erleben doch gerade eine Diversifizierung der Soziallagen und Strukturen, wir erleben eine Pluralisierung von Konfliktlinien. 30 Jahre nach der Einheit müsse doch einmal Schluss sein, mit diesem ganzen Ost / West - Gedöns. Dabei ist mein Anspruch und der Anspruch der Grünen Demokraten stets klar. Wir werden energisch weiterhin gegen Ungleichbehandlung, schlechtere Löhne und Renten und schlechtere Repräsentanz von Ostdeutschen kämpfen und genauso kämpfen wir für LGBTQ-Rechte, für Frauenrechte, gegen die Ungleichbehandlung von Mann und Frau, für Integration und Inklusion. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es nicht nur Ost-West-Konfliktlagen, sondern viele, so vielfältig wie das geeinte Deutschland nun einmal ist und gerade deswegen müssen wir achtsam und wachsam bleiben und auch diese Konflikte weiter thematisieren.


    Liebe Kolleginnen und Kollegen,


    30 Jahre Einheit sind ein Grund um innezuhalten und zu sagen: Das, was wir geschafft haben, ist gut, aber es ist allenfalls ein Zwischenhalt. Wenn es um gleichwertige Lebensverhältnisse geht, ist noch viel zu tun. Also packen wir's an!


    Herzlichen Dank!