[NRW VI|10] Debatte - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ladenöffnungsgesetzes

  • Herr Minister Müller,


    ich würde mich für ein paar handfeste Zahlen zu dieser Thematik interessieren. In wie fern ist dem Einzelhandel durch 3 weitere verkaufsoffene Sonntag geholfen, ich meine Umsatztechnisch? Wie viele Menschen nutzen diese Möglichkeiten bisher? Wird den Verkäufer*innen am Sonntag genug gezahlt? In anderen Berufen, in denen Sonntagsarbeit alltäglich ist, gibt es für so etwas immerhin bestimmte Schichtzulagen. Ist derartiges im Einzelhandel gewährleistet? Haben Sie sich dazu mit den Gewerkschaften ausgetauscht?

    Sehr geehrter Herr Präsident, Kollege Friedländer,


    Ökonomen sind sich nahezu einig, dass die Liberalisierung nicht nur vor Ort, sondern auch auf die gesamte Volkswirtschaft bezogen, sowohl für das Wirtschaftswachstum, als auch für die Beschäftigungsquote großes Potential bietet. Die Mehrzahl der Arbeitsplätze dabei entsteht dadurch, dass für jede Stunde, an dem ein Laden geöffnet hat, eine Mindestanzahl an Verkäufern vor Ort sein muss. Je länger folglich ein Laden geöffnet hat, umso mehr Arbeitsleistung fragt dieser nach und desto mehr Beschäftigte muss er einstellen. Wirtschaftswachstum wird dadurch geschaffen, dass durch längere Öffnungszeiten mehr Läden geöffnet haben und die Umsätze den bestehenden Geschäften in der Regel höher waren, da Menschen zu den Zeiten einkaufen konnten, an denen sie am meisten Zeit zum Einkaufen hatten und häufig auch entsprechend in besserer Kauflaune waren. Für alle hier beschriebenen Effekte gibt es empirische Evidenz. Auch für Angestellte im Einzelhandel und deren Dienstleister kann eine Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten unter Umständen sogar einen Gewinn darstellen: Hierbei gilt, weder durch flexiblere Ladenöffnungszeiten noch durch das Wegfallen des Arbeitsverbotes an Sonn- und Feiertagen müssen die Angestellten mehr arbeiten. Die Mehrarbeit an Sonn- und Feiertagen sind im Gegenteil durch flexible Urlaubstage und Ausgleichsgleitzeit zu kompensieren. Daraus ergibt sich, dass zum Beispiel ein Verkäufer, der am Sonntag 8 Stunden lang gearbeitet hat, als Ausgleich hierfür an einem anderen Tag frei bekommt. Ähnliche Schichtmodelle kennen wir bereits aus der Logistik. An diesem Tag kann er dann beispielsweise Behördengänge erledigen, einen Tag länger in den Schulferien auf seine Kinder aufpassen, Besorgungen in Ruhe und nicht zu den Stoßzeiten erledigen oder Arzttermine wahrnehmen. Er muss hierfür keinen zusätzlichen Urlaubstag nehmen. Wir glauben, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen eine flexible Lösungen ausarbeiten können, die sowohl berücksichtigt, wann Konsumenten am liebsten einkaufen gehen und der Lebensplanung der Verkäuferinnen und Verkäufer entgegen kommt. Wer, wann arbeiten darf oder seinen Laden öffnen darf, soll die freie Entscheidung der einzelnen Menschen und Unternehmen und nicht die Entscheidung des Staates sein.


    Die Meinung der Gewerkschaften sind uns indes bekannt. Der Einschätzung der Verdi, es sei ein Trugschluss, dass mehr Menschen einkaufen würden, wenn sonntags geöffnet wäre, möchten wir widersprechen. Die empirische Evaluierung des Effekts der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten auf den Umsatz ist wesentlich komplexer. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Menschen nicht einen fixen monatlichen Betrag ausgeben, sondern das die Kauflaune von Konsumenten auch davon abhängt, wie gestresst Konsumenten beispielsweise sind. Im Allgemeinen spricht aber die Datenlage dafür, dass der Umsatz durch eine Deregulierung steigt.

  • ruft dazwischen


    Oh ja! Drei verkaufsoffene Sonntage mehr werden die Arbeitslosenquote sicher drastisch reduzieren! Das, was Sie hier sagen, geht völlig an der Realität der wirklich stark betroffenen Einzelhändlern vorbei!

    Ihr Zynismus trägt zur Lösung der wirtschaftlichen Situation sicherlich weniger als der von uns eingebrachte Entwurf bei. Natürlich muss die Liberalisierung auf Dauer und konstant ausgeweitet werden, um wirksame Ergebnisse erzielen zu können.

  • Das klingt ja alles sehr überzeugend, wenn man nur auf die Haltung und nicht auf den Inhalt achtet.


    Die Ökonomie hat im Gegensatz zu anderen Wissenschaften leider den wesentlichen Nachteil, dass realistische Experimente zum Nachweis, oder eben zum Widerlegen von Thesen nicht einfach so durchgeführt werden können, ohne eine komplette Volkswirtschaft aufs Spiel zu setzen. Sie basiert bedeutend stärker auf theoretischen Modellen und leider auch ideologischen Dogmen als z.B. die Naturwissenschaften. Deswegen können Sie mir hoffentlich nachsehen, wenn ich einen Teilkonsens unter Ökonomen bedeutend weniger überzeugend finde, als zum Beispiel einen Teilkonsens unter Physikern.

    Und selbst bei ihrem "appeal to authority" formulieren Sie jede Behauptung im Konjunktiv, das zeigt doch eindeutig, wie unsicher selbst starke Anhänger der Liberalisierung im Bezug auf die Effektivität ihrer Ideologie sind.


    Im nächsten Satz liefern Sie uns hier eine theoretische Milchmädchenrechnung, die 90% der ökonomischen Faktoren außer acht lässt und eine Kausalität auf dem Niveau eines Grundschülers formuliert. Sehr ironisch, wo sie einige Sätze später genau das den Gewerkschaften vorwerfen.

    Um mal wieder von liberalen Gedankenspielchen weg in die Realität zu kommen: Wir reden hier von einer Volkswirtschaft, die durch eine Jahrelange Krise stark dezimiert wurde mit teils unvorhersehbaren Folgen. Viele Unternehmen im Einzelhandel, vor allem jene die in Innenstädten eine bedeutende Rolle spielen stehen bereits jetzt und auch am Ende der Pandemie vor dem wirtschaftlichen Ruin. Sind Sie ernsthaft so naiv zu glauben, dass ein solches Unternehmen neues Personal einstellt, um drei Tage länger öffnen zu können, ohne dabei zu wissen, welche Rezeption ein solcher verkaufsoffener Sonntag haben wird?


    Was Sie bei Ihren angeblichen Vorteilen für die Arbeitnehmer völlig außer acht lassen, ist der Faktor Familie. Für Menschen mit Partnern in anderen Berufsfeldern und schulpflichtigen Kindern ist der Sonntag nun mal häufig leider der einzige Tag an dem überhaupt die Möglichkeit besteht, voll für die eigene Familie da zu sein. Natürlich sollten Einzelschiksale nicht ausschlaggebend für politische Entscheidungen sein, aber individuelle Bedürfnisse in Ihrer theoretischen Betrachtung völlig außen vor zu lassen, hilft eben auch niemandem.