3 BvT 1/24 - Mündliche Verhandlung in Sachen Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie des Landes Nordrhein-Westfalen (GVI)

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    Das Oberste Gericht gibt bekannt:



    Die mündliche Verhandlung,

    in dem Verfahren zu der

    verfassungsrechtlichen Prüfung


    des Gesetzes zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie des Landes

    Nordrhein-Westfalen (GVI) in der seit dem 11. Oktober 2023 geltenden Fassung


    Gerald Möller, Gelsenkirchen

    - Antragsteller -


    beginnt am Freitag, 09. Februar 2024 um 18:00 Uhr.


    Geladen sind:

    • Herr Gerald Möller als Antragsteller
    • Herr Martin Berenson als Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen
    • Frau Dr. Samira Yasemin Ashfahdi als sachverständige Dritte (damalige Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen)
    • Herr Bernd Hacke als sachverständiger Dritter (damaliger stellvertretender Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen)
    • Herr Jan Meier als sachverständiger Dritter (damaliger Gesundheitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen)

    Die weiteren zur Äußerung berechtigen staatlichen Akteure können Vertreter zur Äußerung in dem Verfahren benennen. Dies ist zeitnahe anzuzeigen.


    Christ-Mazur | Langenfeld

    Präsidentin des Obersten Gerichtes

  • Betritt mit Richterin Langenfeld den Gerichtssaal.


    Guten Abend, sehr geehrte Damen und Herren,


    bitte nehmen Sie Platz. Ich begrüße Sie hiermit im Verhandlungssaal des Obersten Gerichtes und rufe auf: das Verfahren 3 BvT 1 aus dem Jahre 2024 über die verfassungsrechtliche Prüfung, ob das Gesetz zu einer besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie des Landes Nordrhein-Westfalen in seit dem am 11. Oktober 2023 geltenden Fassung mit Art. 72 i. V. m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 des Grundgesetzes sowie mit Art. 80 Abs. 1 und 4 des Grundgesetzes unvereinbar und ex tunc nichtig ist. Der Antragsteller ist Gerald Möller aus Gelsenkirchen. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde in dem Verfahren bereits abgelehnt - die Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen hat vermocht, sich umfangreich zu der Sache zu äußern.


    Erschienen sind:

    - Herr Gerald Möller als Antragsteller

    - Herr Martin Berenson als Vertreter der Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen

    - und Frau Dr. Samira Yasemin Ashfahdi sowie die Herren Bernd Hacke und Jan Meier als sachverständige Dritte.


    Zum Ablauf der mündlichen Verhandlung: wir werden uns nun gleich die einleitenden Statements des Antragsstellers sowie der Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen anhören. Danach werden wir uns der Frage, ob der Antragsgegenstand formell verfassungswidrig ist, annehmen. Der Umfang der Prüfung des Antragsgegenstandes kommt dem einer abstrakten Normenkontrolle gleich, weswegen wir danach zu der Frage, ob der Antragsgegenstand in materieller Hinsicht gegen das Grundgesetz verstößt, kommen werden. Interessant werden hier insbesondere Grundrechtsfragen. Die Herren Hacke und Meier sowie die Frau Dr. Ashfahdi werden sodann als sachverständige Dritte auftreten - das Gericht wird jene Fragen zu der Infektionslage und die Hintergründe, die sie zu der Initiierung des Gesetzgebungsverfahrens im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in der Landesregierung bewegt haben, stellen. Danach wird Gelegenheit für eine abschließende Stellungnahme gegeben, bevor das Gericht sich dann zur Beratung zurückziehen wird.


    Gut. Ich darf nun Herrn Gerald Möller aufrufen - Sie haben nun Gelegenheit, Ihr Eingangsstatement abzugeben.

    Präsidentin des Obersten Gerichtes

  • Erhebt sich beim Einzug der Richter und richtet folgenden Antrag an das Gericht


    Herzlichen Dank, Frau Präsidentin!


    Hiermit beantrage ich die Verlängerung der Frist zur Abgabe des Eingangsstatements.

  • Hohes Gericht,


    ich möchte mich kurz halten. Für das Land Nordrhein-Westfalen habe ich bereits schriftsätzlich dargelegt, warum die Annahme des Antragstellers, das Infektionsschutzgesetz bilde keine wirksame Ermächtigungsgrundlage für das verfahrensgegenständliche Gesetz, fehl geht. Tatsächlich hat der Landesgesetzgeber von seiner Rechtssetzungskompetenz in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht. Dem weiteren Verlauf der Verhandlung, insbesondere den Ausführungen der geladenen Sachverständigen, blicke ich mit Interesse entgegen.

  • Hohes Gericht,


    in Ergänzung zum bisher Geäußerten möchte ich folgendes ergänzen:


    Auch bei Betrachtung der geltenden Fassung des Infektionsschutzgesetzes ist das Gesetz formell und materiell rechtswidrig.


    Zunächst ist das Gesetz formell rechtswidrig, da es nicht mit dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist.


    Als bußgeldbewärte Norm ist die Bestimmtheit nach den Maßstäben des Art. 103 Abs. 2 GG zu bemessen (vgl. BVerfGE 81, 132 <135>; 87, 399 <411>; stRspr). Dessen Bedeutung erschöpft sich nicht im Verbot der gewohnheitsrechtlichen oder rückwirkenden Strafbegründung. Er enthält für die Gesetzgebung ein striktes Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie. Damit hat er auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, indem alle am Rechtsverkehr Teilnehmenden vorhersehen können sollen, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist (vgl. BVerfGE 143, 38 <52 f. Rn. 35 f.>; 153, 310 <339 f. Rn. 71, 73>). In seiner Funktion als Bestimmtheitsgebot enthält Art. 103 Abs. 2 GG die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze, dass der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und Rechtsvorschriften so genau fassen muss, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist, gelten danach für den grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Strafrechts besonders strikt. Das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verlangt daher, den Wortlaut von Strafnormen so zu fassen, dass der Normadressat im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen kann, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht (vgl. BVerfGE 143, 38 <53 f. Rn. 38>; 153, 310 <340 Rn. 74> jeweils m.w.N.). Allerdings muss der Gesetzgeber auch im Strafrecht in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden. Müsste er jeden Straftatbestand stets bis ins Letzte ausführen, anstatt sich auf die wesentlichen Bestimmungen über Voraussetzungen, Art und Maß der Strafe zu beschränken, bestünde die Gefahr, dass die Gesetze zu starr und kasuistisch würden und dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden könnten (BVerfGE 143, 38 <54 f. Rn. 40>; 153, 310 <341 Rn. 76> jeweils m.w.N.). Daher verbietet Art. 103 Abs. 2 GG die Verwendung unbestimmter, konkretisierungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln nicht. Jedoch muss gewährleistet sein, dass mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden und unter Berücksichtigung gefestigter Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der fraglichen Norm gewonnen werden kann. Der Grad der für eine Norm jeweils erforderlichen Bestimmtheit lässt sich dabei nicht abstrakt festlegen, sondern hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Tatbestandes einschließlich der Umstände ab, die zur gesetzlichen Regelung geführt haben (vgl. BVerfGE 143, 38 <55 Rn. 41>; 153, 310 <341 f. Rn. 77> jeweils m.w.N.), wobei der Gesetzgeber die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso genauer festlegen und präziser bestimmen muss, je schwerer die von ihm angedrohte Strafe ist. Auch der Kreis der Normadressaten ist von Bedeutung (so BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021, Rn. 154 ff.).


    Die Bestimmtheitsanforderungen aus Art. 103 Abs. 2 GG zwingen den Gesetzgeber auch nicht, den Tatbestand stets vollständig im Strafgesetz selbst zu umschreiben. Er darf auf andere Vorschriften verweisen. Allerdings muss die Verweisungsnorm klar erkennen lassen, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen (vgl. BVerfGE 143, 38 <55 Rn. 42>; 153, 310 <342 Rn. 78>). Dementsprechend ist dem Gesetzgeber selbst die Schaffung von Blankettstraftatbeständen durch Art. 103 Abs. 2 GG nicht verwehrt. Bei einem Blankettstrafgesetz ersetzt der Gesetzgeber die Beschreibung des Straftatbestandes durch die Verweisung auf eine Ergänzung im selben Gesetz oder in anderen Gesetzen oder Rechtsverordnungen. Die Verwendung dieser Gesetzgebungstechnik ist verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern das Blankettstrafgesetz hinreichend klar erkennen lässt, worauf sich die Verweisung bezieht. Dazu gehört, dass die Blankettstrafnorm die Regelungen, die zu ihrer Ausfüllung in Betracht kommen und die dann durch sie bewehrt werden, sowie deren möglichen Inhalt und Gegenstand genügend deutlich bezeichnet und abgrenzt (vgl. BVerfGE 143, 38 <56 Rn. 44>; 153, 310 <343 Rn. 80> jeweils m.w.N.). Dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG genügen Blankettstrafgesetze jedoch nur dann, wenn sich die möglichen Fälle der Strafbarkeit schon aufgrund des Gesetzes voraussehen lassen, die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe also bereits entweder im Blankettstrafgesetz selbst oder in einem in Bezug genommenen Gesetz hinreichend deutlich umschrieben sind. Außer der Blankettstrafnorm selbst müssen auch die sie ausfüllenden Vorschriften den sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen genügen (vgl. BVerfGE 143, 38 <57 Rn. 46>; 153, 310 <344 Rn. 82> jeweils m.w.N.) (so BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021, Rn. 157 ff.).


    Diesen Maßstäben wird das angegriffene Gesetz nicht gerecht. In § 6 Abs. 2 wird statuiert, dass Verstöße gegen diese Verordnung wie es im jeweiligen Landesgesetz vorgesehen ist mit einem Bußgeld geahndet werden können. Nähere Angaben bezüglich Höhe und Charakter der Sanktion bzw. bestehen nicht. Damit verweist das angegriffene Gesetz zwar auf Rechtsfolgen; es ist allerdings nicht ohne weiteres aus dem angegriffenen Gesetz zu erkennen, welche Vorschriften welcher anderen Landesgesetze anwendbar sind. Es ist dem rechtsunkundigen Laien folglich nicht ohne weiteres erkenntlich, welche Folgen eine Nichtbefolgung der angegriffenen Vorschrift haben kann. Es ist mithin mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar.


    Weiterer Vortrag – insbesondere bezüglich der materiellen Rechtmäßigkeit – wird vorbehalten.


    Vizepräsident des Obersten Gerichts

  • Vielen Dank. Die Frage nach einem Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot wird dann näher beleuchtet werden, wenn wir uns mit der materiellen Vereinbarkeit des Antragsgegenstandes mit dem Grundgesetz auseinandersetzen. Zu Beginn der Verhandlung würde ich gerne das Augenmerk auf die formelle Vereinbarkeit des Antragsgegenstandes mit der Verfassung lenken. Ich bitte Sie, Herr Gerald Möller, nochmal zusammengefasst darzulegen, weswegen Sie der Auffassung sind, dass der Antragsgegenstand verfassungswidrig zu Stande gekommen ist.

    Präsidentin des Obersten Gerichtes

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  • Euer Ehren,


    die Coronapandemie hat uns beginnend in 2020 gezeigt, wie fragil unsere Gesundheitsversorgung sein kann. Auch hat sich – über die bisherigen Fachkreise hinaus – ein Verständnis dafür entwickelt, welchen Belastungen das Gesundheitswesen und insbesondere das medizinische Personal tagtäglich ausgesetzt sind.


    In der Vergangenheit bereits haben saisonale Wellen von Infektionskrankheiten zu hohen Krankenständen in diversen Einrichtungen geführt; seien es Gesundheitseinrichtungen, Bildungseinrichtungen oder auch Unternehmen, die dadurch wirtschaftlichen Einbussen ausgesetzt waren.


    Aus den Erfahrungen der vergangenen Herbst- und Winterperioden waren wir als Landesregierung uns bewusst, dass wir übermäßige Belastungen durch Krankenstände in allen Bereichen vermeiden wollten. In meinen Anlagen finden sie dazu auch entsprechende Literatur und Daten, die die Gründe unserer Motivation untermauern.


    Überreicht eine Mappe mit Materialien.


    In intensiven Gesprächen mit unseren Fachberatern und Expertenkreisen kamen wir zu dem Schluss, dass sich ein solches Risiko durch pragmatische Maßnahmen in einer unserer Ansicht nach zumutbaren Verhältnismäßigkeit eindämmen lässt. Das Ergebnis war unser verabschiedetes Gesetz, welches übrigens durch das integrierte Datum zur Gültigkeit zum heutigen Tage bereits ausser Kraft ist.


    Vielen Dank.


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  • Vielen Dank, Frau Dr. Ashfahdi.


    Ich hätte eine weitergehende Frage: krank zu werden, gehört zum Leben zu einem gewissen Grade auch dazu. Das heißt nicht, dass Infektionsschutzmaßnahmen per se illegitim sind, im Gegenteil, vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG. Um auf den Punkt zu kommen: Wie schätzen Sie das zum Zeitpunkt der Gesetzgebung / gegenwärtig vorherrschende Risiko durch Covid-19 ein? Was können die Folgen einer Infektion für den durchschnittlichen gesunden Bürger und für Risikogruppen sein? Und wie stellen diese sich im Vergleich zu "gewöhnlichen Krankheiten", die jeder im Leben davonträgt und für die ein Besuch beim Hausarzt o. Ä. ausreicht , dar? Ist das Risiko signifikant höher?

    Präsidentin des Obersten Gerichtes

  • Euer Ehren,


    vorweg; ich maße mir nicht an, diese Fragen, die unter anderem auch Gegenstand von Fachdebatten von Epidemiologen und Medizinern sind in Gänze zu beantworten. Diese Fragen waren auch Teil der internen Beratung mit unseren Fachexperten.

    Lassen Sie mich zunächst darauf hinweisen, dass das Gesetz wie auch der Begründung zu entnehmen, nicht explizit sich auf Covid 19 bezieht, sondern auf respiratorische Infektionserkrankungen insgesamt.


    Im Einklang mit unseren epidemiologischen Beratern waren wir der Ansicht, dass eine entsprechende Maßnahme geboten war. Es ging dabei nicht nur darum, schwere Krankheitsverläufe und eine allgemeine Überlastung zu vermeiden, sondern auch, eine größere Krankheitswelle und damit verbunden einen hohen Krankenstand mit den entsprechenden negativen Folgen für Gesundheitssystem, Gesellschaft und Wirtschaft zu vermeiden.

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