Pressemitteilung Nr. 5/2021 vom 27. Januar 2021

Teilweise begründeter Organstreit: SDP Bayern, J. Schmidt ./. Bayerischer Ministerpräsident Schaal

Pressemitteilung Nr. 5/2021 vom 27. Januar 2021


zum Urteil des Obersten Gerichts vom 26. Januar 2021
3 BvT 4/20


Mit seinem Urteil vom 26. Januar hat das Oberste Gericht festgestellt, dass der ehemalige Bayerische Ministerpräsident Walter Schaal durch sein nicht fristgerechtes Erscheinen im Landtag trotz mehrfacher Herbeizitierung den Abgeordneten Jonathan Schmidt in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt hat.



Sachverhalt:


Die Antragsteller beantragten festzustellen, dass der ehemalige Bayerische Ministerpräsident durch sein nicht fristgerechtes Erscheinen ihre Rechte aus der Bayerischen Verfassung verletzt hat. Bei der Debatte über den Gesetzentwurf der SDP-Fraktion und des Abgeordneten Schmidt über die Einführung eines Bayerischen Klimaschutzpreises für mittelständische Unternehmen wurde der damalige Ministerpräsident Schaal vom Abgeordneten Schmidt gemäß Geschäftsordnung herbeizitiert. Trotz mehrfacher Aufforderung durch den Landtagspräsidenten ist der Antragsgegner dieser Aufforderung nicht nachgekommen. Schlussendlich ist er, deutlich nach Ende der regulären Debattenzeit, im Landtag eingetroffen, hat sich dabei jedoch auch nicht zum Debattengegenstand geäußert.



Das Oberste Gericht entschied nun in seinem Urteil, dass der Antragsgegner den Abgeordneten Schmidt durch sein nicht fristgerechtes Erscheinen in seinen Rechten aus Art. 24 in Verbindung mit Art. 16a Absatz 1, 2 Satz 1 und Art. 13 Absatz 2 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Bayern verletzt hat. Der Antragsgegner hat die Rechte des Abgeordneten jedoch nicht verletzt, weil er sich daraufhin nicht zum Debattengegenstand geäußert hat.


Weiter ist der Antrag hinsichtlich der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei zurückgewiesen worden.



Wesentliche Erwägungen des Senats:


1. Aus Art. 24 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 2 Satz 1, Art. 16a Abs. 1, 2 Satz 1 BV lässt sich das subjektive, also persönlich zustehende Recht eines jeden Abgeordneten herleiten, ein Mitglied der Staatsregierung oder einen Staatssekretär herbeizuzitieren und somit dessen Anwesenheit im Landtag zu verlangen. Eine solche Herbeizitierung resultiert, analog der Antwortpflicht der Staatsregierung bei parlamentarischen Anfragen, auch tatsächlich in der Pflicht des Herbeizitierten, im Landtag zu erscheinen.


Dabei hat der Herbeizitierte jedenfalls während noch laufender Debatte zu erscheinen. Eine explizite Frist kennt die Geschäftsordnung des Landtages zwar nicht, jedoch muss im Hinblick auf das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zwischen Verfassungsorganen das oppositionelle Mitwirkungsrecht aus der Bayerischen Verfassung hinreichend gewürdigt werden. Es ist daher geboten, dass der Herbeizitierung noch während regulärer Debattendauer nachgekommen wird, auch um ein Reagieren des Landtages auf die Stellungnahme der Staatsregierung ermöglichen zu können.


Jedoch resultiert eine solche Herbeizitierung nicht automatisch in der Pflicht des Herbeizitierten, sich auch zum Debattengegenstand zu äußern, oder gar auf Fragen der Abgeordneten zu antworten. Für Letzteres ist einzig die parlamentarische Anfrage geeignet. Jedoch ist es geboten, dass die Staatsregierung im Zuge der Herbeizitierung, jedoch nur wenn dies durch den Antragsteller auch explizit verlangt wird, zumindest ihre grundlegenden Ansichten und Bedenken darlegt. Nur so wird der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament hinreichend Rechnung getragen, da das Parlament nur so jene Informationen erlangen kann, welche die Arbeit der Abgeordneten im Zuge der Gesetzgebung entsprechend erleichtern.


Somit hat der Antragsgegner die Rechte des Abgeordneten dahingehend verletzt, als dass er der Herbeizitierung nicht fristgerecht nachgekommen ist. Ersterer war jedoch nicht dazu verpflichtet, sich zum Debattengegenstand zu äußern, da der Antragsteller ein solches Begehren nicht erkenntlich gemacht hat.



2. Der Antragsgegner verletzt die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei nicht in ihren Rechten. Jene hat den Antrag auf Herbeizitierung weder unterstützt noch mit selbst gestellt. Da der Abgeordnete vom Herbeizitierungsrecht als ein subjektives, ihm persönlich zustehendes Recht Gebraucht gemacht hat, ist der Herbeizitierte auch nur ihm gegenüber zum Erscheinen verpflichtet. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Abgeordnete Mitglied der SDP-Fraktion ist oder war.



3. Die Antragsteller können nicht die Rechte des Bayerischen Landtages als Gesamtorgan geltend machen, sondern nur eine Verletzung in eigenen Rechten. Die Möglichkeit einer Prozessstandschaft, also die Befugnis, in eigenem Namen einen Prozess über fremdes Recht, in diesem Fall das Recht des Landtages, zu führen, sieht das Bayerische Verfassungsrecht nicht vor. Entsprechend fehlt es den Antragstellern, soweit sie eine Verletzung der Rechte des Landtages rügen, an der Antragsbefugnis, was in der Unzulässigkeit des entsprechenden Antrages resultiert.



4. Weder Beteiligtenfähigkeit noch Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller sind dadurch entfallen, dass inzwischen ein neuer Landtag gewählt und eine neue Staatsregierung gebildet worden ist. Für die Beteiligtenfähigkeit ist, wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof in vorangegangenen Urteilen bereits festgestellt hat, der Status zum Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich. Dazu ist der Abgeordnete auch Teil des neuen Landtages. Auch kann die SDP-Fraktion das Organstreitverfahren als Nachfolgefraktion weiterführen.


Auch das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller ist nicht entfallen, da das Organstreitverfahren auch der objektiven Klärung der zwischen den beteiligten Organen umstrittenen verfassungsrechtlichen Fragen dient. Dazu besteht die Möglichkeit, dass vergleichbare Umstände erneut zu einer ähnlichen Verfassungsstreitigkeit führen. Insoweit besteht ein öffentliches Interesse an der Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen durch Sachurteil.



Das vollständige Urteil zum Nachlesen gibt es hier:

3 BvT 4-20 - SDP Bayern, Jonathan Schmidt .-. Bayerischer Ministerpräsident.pdf

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