Der fragwürdige Weg zum gewünschten Ergebnis

Ein Gastbeitrag von Martin Berenson


Seit Mittwoch nimmt Deutschland Kurs auf eine Afghanistan-Koalition. SDP, CDSU und Grüne möchten die vom Wähler jüngst mit dem besten Wahlergebnis in ihrer Geschichte gelobte Liberal-Konservative Allianz ablösen und Deutschland nach links führen. Der designierte Bundeskanzler Lando Miller formulierte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Parteien das Ziel, die Bevölkerung zu ermutigen, sich aktiv einzubringen und das Land mitzugestalten. Politische Partizipation sei für die Koalitionsparteien ein zentrales Prinzip. Das mag auf SDP und Grüne zutreffen - hinsichtlich der CDSU bleiben nach dem vergangenen Dienstag diesbezüglich gelinde gesagt Fragezeichen. An besagtem Tag trat der Vertreter ohne Vertretungsmacht und Kurzzeit-Generalsekretär der CDSU, Gerold von Hohenelmen-Lützburg, vor die Presse und verkündete, dass sich die Mitglieder seiner Partei dafür entschieden hätten, an einer linken Bundesregierung mitzuwirken. Seit Sonntag konnten die Mitglieder der CDSU über den Weg der Partei abstimmen. Die kurze Zeit zwischen Abstimmungsbeginn und -ende wirft die Frage auf, ob es die CDSU tatsächlich so ernst mit der innerparteilichen Partizipation nimmt. Jedenfalls scheint die Parteisatzung mehr eine Handlungsempfehlung denn ein bindendes Regelwerk zu sein.


Zu den Grundlagen. Nach § 17 Abs. 5 der Parteisatzung kann ein Koalitionsvertrag nur geschlossen werden, wenn die Parteibasis diesem zuvor zugestimmt hat. Dem Vertragsschluss muss mit anderen Worten also eine innerparteiliche Abstimmung vorgehen. Die Abstimmungsmodalitäten sind in der Satzung ebenfalls genau geregelt. Nach § 5 Abs. 1 Parteisatzung muss eine Abstimmung grundsätzlich drei Tage dauern. Absatz 2 Satz 1 der Norm sieht die Möglichkeit vor, die Dauer der Abstimmung im Ausnahmefall auf zwei Tage zu verkürzen. Dafür bedarf es nach der Satzung jedoch gewichtiger Gründe. Legt man diese Grundsätze zugrunde, hat die Abstimmung über den Koalitionsvertrag die Drei-Tage-Frist erkennbar nicht gewahrt. Das ist unstreitig. Auf Nachfrage beruft sich der Vorsitzende der CDSU, Dr. Georg Gorski, auf den genannten Ausnahmetatbestand des § 5 Parteisatzung. Die dort vorgesehene Zwei-Tage-Frist wurde - ebenfalls unstreitig - gewahrt. Sehr fraglich ist aber, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Parteisatzung im vorliegenden Fall erfüllt waren. Eine Verkürzung der Abstimmungsfrist um einen Tag wäre unzulässig gewesen, sollte kein gewichtiger Grund vorgelegen haben, der diese Verkürzung rechtfertigt. Dr. Gorski führt als Grund an, dass bereits bis Dienstag alle vorhandenen Parteimitglieder abgestimmt hätten. Die Nachfrage, wie viele Parteimitglieder sich denn in concreto an der Abstimmung beteiligt haben, lässt der Vorsitzende bis heute unbeantwortet. Ein Blick in das Mitgliederverzeichnis der CDSU lässt vermuten, warum diese Zahl verschwiegen wird. Ausweislich des Mitgliederverzeichnis hatte die CDSU im Abstimmzeitraum vierzehn gelistete Mitglieder. Bekanntermaßen ist höchstens ein Dritter der gelisteten Parteimitglieder in den letzten Monaten in Erscheinung getreten. Dass auf einmal - binnen der zweitätigen Abstimmungsfrist - neun CDSU-Mitglieder wieder aktiv geworden sind und abgestimmt haben, ist abwegig. In jedem Fall nährt die Weigerung, Auskunft über die Teilnehmerzahl zu geben, den Verdacht, dass Dr. Gorskis Begründung eine unwahre Schutzbehauptung ist. Auf weitere Nachfrage erklärte der Parteivorsitzende sodann, dass allen Mitgliedern die Möglichkeit gegeben worden sei, an der Abstimmung teilzunehmen. Im Vergleich zu seiner ersten Aussage ist dies erkennbar ein Weniger. CDSU-Generalsekretär Knoller sagte demgegenüber, man habe durch die Verkürzung der Abstimmfrist verhindern wollen, dass während der Abstimmung eine Masse an Unterstützern der Allianz beitrete und die Abstimmung manipuliere.


Dem interessierten Beobachter wurden folglich drei Begründungen angeboten, von denen Herr Dr. Gorski bereits eine selbst widerlegte. Es bleibt also die Frage, ob die zwei weiter im Raum stehenden Begründungen eine Verkürzung der Abstimmdauer rechtfertigen. Dabei soll noch einmal in Erinnerung gerufen werden, dass die Satzung der CDSU gewichtige Gründe fordert. Die Vielzahl an öffentlich geäußerten Gründen lässt im Übrigen schon daran zweifeln, ob der Parteivorstand die Verkürzung gegenüber der Parteibasis tatsächlich schriftlich begründet hat, wie es § 5 Abs. 2 Satz 1 Parteisatzung fordert. Die Verkürzung der Abstimmdauer geht denknotwendig mit einer Beschneidung der innerparteilichen Partizipationsmöglichkeiten einher. § 7 Abs. 1 Alt. 1 vDGB und Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichten politische Parteien dazu, ihre innere Ordnung nach demokratischen Grundsätzen aufzubauen. Dieses Gebot erstreckt sich auch auf innerparteiliche Wahlen und Abstimmungen. Insoweit ist als wesentlicher demokratischer Grundsatz hervorzuheben, dass der Wahlrechtsgrundsatz der Allgemeinheit auch bei innerparteilichen Abstimmungen zu beachten ist. Demnach ist es rechtfertigungsbedürftig, will man den Parteimitgliedern die Abstimmungsteilnahme erschweren oder gar verunmöglichen. Die in der Satzung vorgesehene dreitägige Abstimmdauer dient gerade dazu, möglichst vielen Parteimitgliedern die Partizipation an parteilichen Willensentscheidungen zu ermöglichen. Insoweit wird selbst einem Mitglied, das erst im Laufe der Abstimmung in die Partei eintritt, qua Satzung ein Anspruch auf innerparteiliche Mitbestimmung eingeräumt. Folgerichtig bedarf es für die Einschränkung der innerparteilichen Mitbestimmung nach der Satzung der CDSU eines wichtigen Grundes, der nach dem Gesagten nicht darin liegen kann, den Kreis der Stimmberechtigten klein zu halten. Eine Beschränkung des Allgemeinheitsgrundsatzes mit diesem Argument zu begründen, ist schlicht zirkelschlüssig unzulässig. Dass die Befürchtung, durch eine längere Abstimmdauer könne nicht das erwünschte Ergebnis erzielt werden, eine Verkürzung nicht rechtfertigen kann, sollte auf der Hand liegen. Soweit Generalsekretär Knoller dieses Argument dennoch anführt, liegt dem offensichtlich ein Missverständnis des Gebots innerparteilicher Demokratie zugrunde. Danach soll sich die politische Entscheidungsfindung in Parteien - spiegelbildlich zur Willensbildung des deutschen Volkes - von unten nach oben, von den Parteimitgliedern zum Parteivorstand, vollziehen. Mit anderen Worten: Wenn sich infolge einer höheren Beteiligung von Parteimitgliedern ein dem Parteivorstand unliebsames Ergebnis eine Mehrheit findet, ist das demokratisch gewollt. Ein gewichtiger Grund, die Abstimmungsdauer zu verkürzen, lag folglich nicht vor. Das Vorgehen der CDSU-Spitze war mithin satzungswidrig.


Zum Abschluss stellt sich dem interessierten Leser die Frage, wann eine Verkürzung der Abstimmdauer denn gerechtfertigt sein könnte. Ein möglicher Grund mag hier sicher die Wahrung außerparteilicher Fristen zu sein. Wenn infolge von Versäumnissen des Vorstands eine Wahlliste zu spät zur Abstimmung gestellt wird, mag es gerechtfertigt sein, die Abstimmdauer und damit die innerparteilichen Partizipationsmöglichkeiten zu verkürzen, um die Teilnahme an der Parlamentswahl sicherzustellen. Andernfalls lautete die Konsequenz nämlich, dass die Partei von der politischen Willensbildung nach außen hin abgeschnitten würde. Die Verkürzung innerparteilicher Beteiligungsrechte ist demgegenüber das geringere Übel. Der schlichte Wunsch, früher ein Abstimmungsergebnis bekanntgeben zu können, kann für sich genommen diese Einschränkungen jedoch nicht rechtfertigen. Übertragen auf die anvisierte Regierungsbildung lässt sich insoweit feststellen, dass Deutschland über eine handlungsfähige Regierung verfügt und die um einen Tag verschobene Wahl eines neuen Bundeskanzlers evident unschädlich ist. Das Verhalten der CDSU-Spitze oder des einfachen, nicht entscheidungsbefugten Mitglieds von Hohenelmen-Lützburg ist mit der Parteisatzung mithin nicht in Einklang zu bringen. Die vorzeitige Beendigung der Abstimmung über den Koalitionsvertrag hat demokratische Beteiligungsrechte schwerwiegend verletzt. Die Verdunkelungstaktik des Parteivorsitzenden und seines Generalsekretärs verschlimmbessern die Situation nur. Der Anstand gebietet es, sich für den Satzungsbruch zu entschuldigen und die Abstimmung satzungskonform zu wiederholen. Dass ein abweichendes Ergebnis unwahrscheinlich erscheint, vermag an dieser Notwendigkeit nichts zu ändern. Demgegenüber hat sich die Parteispitze offenbar darauf geeinigt, die Kritik auszusitzen. Da der Satzungsbruch wohl von keinem Parteimitglied angefochten wird, könnte diese Taktik im Ergebnis aufgehen. Der Vorfall verhindert gleichwohl den gelungenen Einstand einer Koalition, die sich mehr politische Partizipation auf die Fahne geschrieben hat.


Der Autor ist ehemaliger Richter am Landgericht Lübeck und heute als Rechtsanwalt tätig.

    Kommentare 19

    • Super Artikel!

    • Lucifer Media muss ja brennend an der CDSU interessiert sein, dass es nun ein ganzen Artikel über diese Partei schreibt. Ich dachte doch immer, dass dieses Medium der Allianz am nächsten steht. Gab bestimmt einen Wandel.

      • Sie scheinen wohl die bisherigen Artikel nicht genau gelesen zu haben. Mir fallen jetzt zumindest zwei ein, welche wohlwollend über die CDSU gesprochen haben.


        Abgesehen davon handelt es sich hierbei augenscheinlich um einen Gastbeitrag, die Lucifer-Redakteure haben mit dem Inhalt also wenig am Hut.

      • Meinen Sie die Wohlwollenden Artikel wo man vor allem darauf hinwies und lobte, dass ehemalige FFD'ler in der Landesregierung sind und daus der komplette Artikel bestand?

      • Frau Dr. Burberg, Sie sind wirklich völlig verblendet. Jedes seriöse Medium würde über diesen Zwischenfall berichten, nähme es seinen öffentlichen Informationsauftrag halbwegs ernst.

      • Tja, Herr Berenson. Wenn es wenigstens ein seriöser Artikel wäre, würden Sie tatsächlich Ihren Informationsauftrag ernst nehmen. Doch leider fehlen Ihnen dabei einige Fakten.

      • Herr Dr. Gorski, Sie haben sich geweigert, mir weitere Informationen, beispielsweise die Zahl der Abstimmungsteilnehmer, zukommen zu lassen. Dass meine rechtliche Würdigung deshalb (angeblich) auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage stattfinden musste, haben Sie selbst zu verschulden.