Oberstes Gericht - Pressemitteilung Nr. 3/2020 vom 23. Dezember 2020

Antrag wegen Verstoß gegen das vDeutsche Gesetzbuch

Pressemitteilung Nr. 3/2020 vom 23. Dezember 2020


zur Besetzung eines vakanten Landtagsmandates der Grünen Demokraten durch ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei im Thüringer Landtag
3 BvT 2/20


In der vergangenen Woche hat das Oberste Gericht eine Entscheidung bezüglich der Klage des Herrn Dr. Christian Schenk von Wildungen gegen die Besetzung eines vakanten Landtagsmandates der Grünen Demokraten im Thüringer Landtag durch ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei gefällt. Besondere Bedeutung erlangte das Verfahren dadurch, dass es das erste Verfahren nach § 20 Absatz 2 des vDeutschen Gesetzbuches am Obersten Gericht war. Problematisch hierbei war insbesondere, dass die Konkretisierung dieser Verfahrensart durch den Gesetzgeber noch nicht vorgenommen wurde.



Sachverhalt:


Am 10. November 2020 teilten die Grünen Demokraten mit, dass ihr vakantes Landtagsmandat künftig durch Herrn Baum von der Sozialdemokratischen Partei besetzt werden würde. Die Landtagspräsidentin nahm dies zu Kenntnis. Nur wenig später trat dann jedoch ein Mitglied der SDP von seinem Landtagsmandat zurück, sodass Herr Baum fortan das Mandat der Sozialdemokratischen Partei und nicht jenes der Grünen Demokraten wahrnahm. Für ein kurze Zeitdauer war Herr Baum jedoch als Mitglied der SDP für die Grünen Demokraten im Landtag vertreten. Gerade diese Situation wird durch den Antragsteller beanstandet.



Das Oberste Gericht hat dabei beschlossen, dass die Besetzung eines vakanten Landtagsmandates der Grünen Demokraten im Thüringer Landtag durch ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei nicht mit dem vDeutschen Gesetzbuch vereinbar und somit unzulässig war.



Wesentliche Erwägungen des Senats:


1. Das Verfahren nach § 20 Abs. 2 vDGB wurde weder im vDGB selbst, noch im Gesetz über das Oberste Gericht konkretisiert. Der Senat hat deshalb beschlossen, dem Verfahren die grundlegenden Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde zugrunde zu legen, diese dabei jedoch nicht entsprechend strikt anzuwenden. Es war vor allem Ziel des Senats, dem ursprünglichen Sinn der Verfahrensart möglichst gerecht zu werden. Er verzichtete dabei explizit auf die Definition von gewissen Zulässigkeitsvoraussetzungen, da man diese Aufgabe vollumfänglich dem Gesetzgeber überlassen will und muss. Entsprechend wurde der Antrag als zulässig erachtet, da der Antragsteller eine Missachtung von Normen aus dem vDeutschen Gesetzbuch rügte. Weiter ist das ursprüngliche Antragsziel zwar bereits erledigt, jedoch wirft die Klage bedeutende und berechtigte Zweifel über die Auslegung des vDeutschen Gesetzbuches auf.


2. Parteimitglieder können grundsätzlich auf auf der Liste einer anderen Partei oder einer unabhängigen Wahlliste kandidieren, jedoch müssen sie dies in angemessener Frist vor den Wahl bekanntgeben. Die Parteien können dabei selbst in ihrer Satzung festlegen, ob sie auch Mitglieder anderer Parteien oder Parteilose auf ihre Wahlliste setzen wollen bzw. können. Der Wähler muss dabei jedoch vor der Wahl Klarheit haben, welche Kandidaten auf welcher Liste kandidieren, da die personelle Besetzung teils ausschlaggebend für die Wählerentscheidung ist. Da der Wähler generell davon ausgeht, dass Parteimitglieder auch auf der Liste ihrer eigenen Partei kandidieren, muss ein Abweichen von diesem Verfahren öffentlich bekannt gegeben werden.


3. Ein Parteiwechsel während der Legislaturperiode resultiert nicht in einem Wechsel der Listenzugehörigkeit. Maßgeblich für die gesamte Legislaturperiode ist die Listenzugehörigkeit eines Kandidaten zum Zeitpunkt der Wahl. Allenfalls kann ein Parteiwechsel mit dem Verlust seines bisherigen Listenplatzes auf der Liste seiner Partei einhergehen. Ein Eintreten in eine andere Wahlliste während laufender Legislaturperiode ist jedoch nicht möglich.


4. Ein überparteiliches Tauschen der Mandate ist schon alleine deshalb nicht möglich, da die Mandate gar nicht an die Parteien selbst, sondern an die Wahllisten gebunden sind. Jedoch ist auch ein listenübergreifendes Tauschen der Mandate unzulässig. § 14 Abs. 5 Satz 2 vDGB ermöglicht folglich nur ein Tauschen der Mandate zwischen Mitgliedern ein und derselben Wahlliste.


5. Auf eine mündliche Verhandlung wurde verzichtet, da der Senat darin keine Förderung des Verfahrens erwartet hat. Zudem hat der Antragsteller selbst auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.



Das vollständige Urteil zum Nachlesen gibt es hier:

3 BvT 2-20 - Verstoß gegen vDGB.pdf





    Kommentare 2

    • Eine bemerkenswerte Entscheidung, deren prozessuale Komponente von nicht nur geringer Bedeutung ist und jedenfalls im Ergebnis überzeugt. Nach § 20 Abs. 2 vDGB ist das Oberste Gericht zur Entscheidung über die Einhaltung der Spielregeln berufen. Bei richtiger Betrachtung werden diese Regelungen ausschließlich im gemeinen Interesse und nicht zum Schutz einzelner Mitspieler erlassen. Das OG tut sich somit keinen Gefallen, wenn es zur Konkretisierung der Zulässigkeitsvoraussetzung auf die Verfassungsbeschwerde, einem Rechtsbehelf, der nur Individualschutz gewährt und gerade kein objektives Beanstandungsverfahren darstellt, abstellt, sogleich aber einer Alternative das Wort redet und einen "lockeren" Prüfungsmaßstab anlegt. Bei genauer Betrachtung wird die Verfassungsbeschwerde damit nicht nur locker ausgestaltet, sondern schlechterdings denaturiert. Konsequenter wäre es gewesen, § 20 Abs. 2 vDGB als eigene Verfahrensart zu begreifen und als objektives Beanstandungsverfahren bzw. Popularklage auszugestalten. Dies wäre nicht nur von der Befugnis des OG gedeckt, sondern vermeidet auch Folgeprobleme. So wird aus der Entscheidung beispielsweise nicht ersichtlich, ob das OG Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG für teilweise, nämlich soweit der Katalog rügefähiger Rechte abschließend ist, unvereinbar mit dem vDGB hält oder die Vorschrift schlicht entsprechend anwendet. Es bleibt abzuwarten, wie sich das OG in Zukunft zur Zielrichtung insbesondere des vDGB äußern wird.

      • Ich denke, eine Novelle des OGG ist hier angebracht, um Verfahrensvorschriften zu kodifizieren und eine analoge Anwendung der Abstrakten Normenkontrolle oder die dogmatisch mindestens bemerkenswerte analoge Anwendung der Vorschriften der Verfassungsbeschwerde unnötig zu machen. Insgesamt ist darauf hinzuwirken, das OGG dahingehend zu novellieren, der Regelbeschwerde nach § 20 II vDGB Verfahrensvorschriften zuzuweisen, um eine derartige Lage zu vermeiden.