Von der Volkspartei in die Bedeutungslosigkeit: Wo sind die Grünen?

Tja. Ganz so reißerisch wie der Titel ist die Story dann wohl auch nicht. Denn "bedeutungslos", das kann man sagen, sind die Grünen nun wirklich nicht. Immerhin stellen Sie den Hamburger Bürgermeister (wie auch immer das bei dem Wahlergebnis möglich war) und sind aktiv an Koalitionsgesprächen beteiligt. Sogar drei Stück! Kommt es nicht zur GroKo, dann werden die Grünen wieder Bundesministerien besetzen können. Doch sind wir ehrlich: Hätte man den Grünen vor anderthalb Jahren erzählt, hätte es doch einen Hersztillstand gegeben. Also gehen wir auf Spurensuche, wie aus der größten vdeutschen Partei innerhalb eines Jahres ein glückloser Juniorpartner für die großen Fische wurde.


Wo stehen die Grünen überhaupt programatisch? Sie selbst sagen von sich: "Die Grünen sind eine linksliberale Partei, mit Schwerpunkt auf grüne Politik und dessen Leitgedanken der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit. Weitere Schwerpunktgebiete der Grünen sind die Außen- und Entwicklungspolitik, Gleichstellung, LQBT*-Rechte und soziale Gerechtigkeit." In der Praxis hieß das meist: "Wir stehen irgendwo zwischen SDP und Forum." Mit beiden hat man koaliert, mit beiden kam man die ersten Monate ganz gut aus. Dabei kam es nicht unbedingt zu gravierenden Veränderungen in der Politik. Oder erinnern Sie sich noch an die Skandalgesetze der diktatorischen Regierung Polo Ben? Nein? Gut. Ich auch nicht. Spannende Debatten gab es damals trotzdem im Bundestag. Man erinnere sich an die Debatte zur "Konversionstherapie" und dem anstehendem Verbot. Zu dieser Zeit gab es noch die KonP. Ach ja, Zeiten waren das. Doch wie sagt ein altes Sprichwort? "Aus großer Macht folgt große Verantwortung." Und die haben die Grünen wohl nur bedingt angenommen. Stück für Stück konnte man beobachten, wie der Einfluss schwand. Das Problem war eine Inaktivität und daraus folgende Ermüdung der Parlamente. Auch sind diejenigen, die die Wahlen gewonnen hatten, auch schnell wieder weg gewesen. Siehe Nina Brandt und Polo Ben, die nicht einmal eine ganze LP durchhielten. Diese Persönlichkeiten waren wohl auch entscheidend dafür, dass man die überragenden Ergebnisse einfahren konnte. Und währenddessen haben still und heimlich Forum und SDP sich eingespielt und hatten Personal, das über mehrere LPs lieferte. An Persönlichkeiten wie Nils Neuheimer oder Constantin Nohlen erinnert man sich.


Nils Neuheimer - auch ein Faktor. Man möchte nicht vom Schaf im Wolfspelz sprechen, aber man darf Neuheimer durchaus ein großes Interesse an Umweltschutz und Klimaneutralität zu haben. Sein Kabinett war es schließlich, welches ein "Klimaministerium" bildete und den Kohleausstieg 2032 beschlossen hat. Damit hat man die Grünen gewissermaßen überflüssig gemacht. Plötzlich waren alle demokratischen Parteien große Klimaschützer und das große Argument FÜR die Grünen war nicht mehr existent. Zusätzlich fehlte durchgängig überzeugendes und charismatisches. Es häuften sich eher die Gründe GEGEN die Grünen. Inaktive Regierungen, fehlende Oppositionsarbeit - so sah die Realität aus.


Einen Aufschwung erlebten die Grünen Demokraten aber mit einer Neuaufstellung. Manuela Kotting-Uhl und Maria Cortez übernahmen im November 2020 die Partei und machten durchaus Dampf. Zurück zur Volkspartei ging es deshalb nicht. Aber man wurde ernsthafter Gegner im Bundestag und konnte auch im Bund wieder bessere Ergebnisse einfahren. Siehe Statistik unten. Der Höhepunkt erfolgte im März diesen Jahres. Nach einer Welle an Neumitgliedern für die Partei konnte Maria Cortez knapp 20% für ihre Partei einfahren.


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Doch lange hielt der positive Aufwärtstrend nicht. Aber man blieb stabil immer über der 10%-Marke und konnte sich vor allem in den Ländern etablieren. In Bayern löste man die alte Riege ab und stellte kurzzeitig den Ministerpräsidenten mit Joachim Holler. In NRW bekam man durch das Forum sogar den Ministerpräsidenten geschenkt, obwohl man die Wahl eigentlich verloren hatte. Das Kabinett Wexler I kann man wohl als SDP-Verhinderungskabinett bezeichnen. Dies ist der Startschuss für das mittlerweile vorliegende Problem der Partei.


Denn das Verhältnis zur SDP ist zwischenzeitlich vollständig gestört gewesen. Dadurch ließen sich potenzielle Regierungen schwerer bilden. Doch viel schlimmer war, dass man selbst für sich irgendwann den Anspruch aufgab, zu regieren. Nicht nur ließ man vergangene LP die Koalition scheitern und verhalf der SDP dann zur ersten Minderheitsregierung der BRD, sondern lehnte sogar aktiv Gespräche ab. Ernst Haft ist dafür wohl der typischste Name. Denn zu Beginn der aktuellen Thüringer LP lehnte er Sondierungen mit der SDP nach der Wahl kategorisch ab. Kurze Zeit später schied er dann auch aus dem Landtag aus. Das Bild, welches die Grünen dabei abgeben ist einfach nicht konsistent. Das Verhältnis zu anderen Parteien, insbesondere der SDP ist auch sehr zwiegespalten. Bei einigen Politikern der Parteien hat man das Gefühl, Sie würden seit Jahren in einer WG leben. Andere scheinen sich bis auf den Tod zu hassen. Den Grünen fehlt also hier ein geschlossener Aufritt nach Außen.


Dieser fehlt aber auch inhaltlich. Sieht man bei anderen Parteien pompöse Parteitage oder prächtige Pressekonferenzen, so sind die Grünen im Wahlkampf meist nciht warhnehmbar. So lassen sich keine neue Wählerschichten erobern und alte werden zunehmend müde. Dass es auch anders geht, zeigte mna im März. Doch auch jene Riege ist zum größten Teil wieder Geschichte. Ein Name ist übrigens durchgehend: Sebastian Fürst. Der Bayer ist durch große Teile der politischen Landschaft wegens eines ruhigen Tons beliebt. Im Wahlkampf hat das leider auch nicht geholfen.


Was helfen könnte, habe ich bei der ehemaligen Parteivorsitzenden nachgefragt. Manuela Kotting-Uhl übernahm die Grünen in der schwächsten Phase der Partei und muss jetzt wieder zusehen, wie die Grünen langsam an Bedeutung verlieren. An was fehlt es denn den Grünen, Frau Kotting-Uhl?


"Die Grünen haben mit einem plötzlichen und starken Mitgliederschwund zu kämpfen gehabt. Seitdem ist auch relativ viel Profil verloren gegangen. Das ist auf der einen Seite verständlich, weniger Mitglieder sind eben einfach weniger helfende Hände am Wahl- oder Grundsatzprogramm. Doch ich denke, sofern ich mich selbst loben darf, mit mir oder auch mit Maria Cortez ist es gelungen, wichtige Grüne Kernthemen im Bezug auf Umweltpolitik auf die Tagesordnung zu setzen. Wir sind damals vor das Überprüfungsbüro der Espoo-Konvention gezogen. Diese Lautstärke fehlt den Grünen nun. Die Inhalte bleiben ganz aus, das ist ziemlich schade und sorgt auch nicht für Attraktivität bei Neumitgliedern. Ich denke jedoch, dass es gelingen kann, den Trend in eine entgegengesetzte Richtung zu lenken."


Zur aktuellen Lage führt sie weiter aus:


"Die Entwicklung der Grünen bestürzt - natürlich. Und insbesondere in einer Zeit, in der der Atomausstieg auch im Deutschen Bundestag verhandelbar geworden ist und inmitten der Klimakrise benötigt es den Pool an klugen Köpfen, den es bei den Grünen einmal gab. Ich danke Herrn Wexler dafür, dass er den Laden gerade zusammenhält. Dennoch muss sich an der derzeitigen Situation etwas ändern, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Es braucht ein klares Profil, ein Rückkehr zu Kernthemen und eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit. Ansonsten versickert eine wichtige ökologische Kraft in dem Land, wie es die Grünen einmal waren."


Fassen wir zusammen: Die Partei kann nicht für sich begeistern und hat immer wieder mit Mitliederschwund zu tun. Auch inhaltlich kann man seine Standpunkte einfach nicht so klar setzen, wie man es müsste. Daraus folgt, dass man die Erfolge der Anfangszeit nicht wiederholen kann. Doch liegt es nicht daran, dass die Aktivität damals zu gering war. Jedenfalls nicht nur. Denn von Inaktivität können alle anderen großen Parteien auch ein Lied singen. Die Grünen schaffen es nicht, die Wählerinnen und Wähler davon zu überzeugen, dass sie es besser können. Sie geben sich mit Opposition zufrieden - haben gar nicht den Anspruch, selbst zu gestalten. Und das schadet einer Partei, die in der Klimakrise dringend gebraucht wird als Gegenstimme zu unwissenschaftlichen Fraktionen, die fossile Verbrennung verharmlosen oder gar fördern wollen.

    Kommentare 9

    • Haben die Grünen eigentlich sonst keine Mitglieder, oder warum wird ständig nur Frau Kotting-Uhl interviewt? Ansonsten ein durchaus erfrischender Artikel.

      • Die hat halt Zeit! Muss ich nicht mit so doofen politischen Ämtern rumschlagen.^^

      • Das wäre auch meine einzige Kritik gewesen, ein Gespräch mit einem Mitglied des aktuellen Bundesvorstandes wäre auch gut gewesen. Aber dennoch eine sehr tolle Arbeit.

      • Ich kann diesen Standpunkt nachvollziehen, ich gebe jedoch zu bedenken, dass Frau Kotting-Uhl zu dieser Thematik einen gewissen Abstand hat, den der Bundesvorstand so nicht hat.

      • Sie hat halt Zeit, wo ist das problem?

    • Ein wirklich sehr guter Artikel, der viele richtige Analysen beinhaltet.

      Nur eine Anmerkung aus meiner persönlichen Sicht:

      Die Grünen haben definitiv nicht den Anspruch, regieren zu wollen, verloren. Doch Regieren zu wollen ist nicht gleichzusetzen mit "Wir müssen regieren um jeden Preis". Es gehört für mich auch zum Selbstbewusstsein einer Partei nein sagen zu können wenn die Umstände nicht passen.

      Trotzdem stimme ich dem Kommentar des Parteivorsitzenden der Grünen zu, zu tun gibt es einiges um der Partei wieder mehr Gewicht im politischen Geschehen zu geben.

    • SimOff: von wo nimmst du denn die Zeit für diese Artikel her xD? Ich finde ja kaum Zeit für die Sondierungen^^

    • Mal wieder eine journalistische Glanzleistung!

    • Wirklich gelungener Artikel, es gibt auch viel zu tun noch für uns!