Zerschellen die Grünen an der Ukraine-Frage?

Zerschellen die Grünen an der Ukraine-Frage?

Von Samuel Landenberger


Es ist noch nicht lange her, dass die Grünen große Erfolge feiern konnten. Im Dezember wurden sie von führenden Meinungsforschungsinstituten als stärkste Kraft gesehen. Erreicht haben sie dieses Ziel zwar nicht, dennoch konnten sie ihr Wahlergebnis der vorigen Bundestagswahl mehr als verdoppeln. Dennoch brach der Höhenflug kaum ab. Während in der Vergangenheit eine Regierungsbeteiligung lange verweigert und so mehrere Regierungskrisen befeuert wurden, waren die Grünen seitdem erstmals wieder Partner in einer klassischen Koalitionsregierung. Obendrein stellten sie zwei Länderchefs - genauso viele wie die langjährige Regierungspartei SDP. Das Comeback der Grünen schien quasi perfekt.


Doch genauso unvorhergesehen, wie der Ausbruch eines Krieges mitten in Europa gekommen ist - gut ein Vierteljahrhundert nach dem Kosovo - scheinen die neuen Grünen erste Risse zu bekommen. Zur einen Seite befindet sich die Gruppierung um die bayerische Landtagspräsidentin Irina Christ. Sie gilt als Gesicht der neuen Grünen als vergleichsweise bundeswehr- und militärnah und steht offen für eine Konfrontation gegen Russland und Putin. Dies bringt ihr viele Sympathien bei der Liberalkonservativen Allianz ein. Selbst mit dem eher als rechtskonservativ geltenden Paul Fuhrmann scheint die Vielnutzerin vTwitters weitestgehend im Konsens zu sein, obschon beide in der Vergangenheit heftige Auseinandersetzungen geführt hatten.


Konträr zu den Positionen Christs stehen die wohlbekannten grünen Radikalpazifisten. Viele ihrer Positionen - nicht nur in der Außenpolitik - decken sich mit denen der russlandfreundlichen Internationalen Linken. Wenig überraschend ist es also, dass viele Personen dieses Lagers aus dem Hamburger Landesverband stammen, der nun schon die zweite Koalitionsregierung mit der I:L bildet. Lange galten Kritik an Bundeswehr, Waffenexporten und Kriegseinsätzen als grüne DNA, doch mittlerweile scheinen die Positionen von u.a. Manuela Kotting-Uhl, der ehemaligen Verteidigungsministerin Maria Cortez und Außenministerin Kerstin Siegmann an den Rand gedrängt zu sein. Im Zuge des Ukraine-Krieges wurde Siegmann ihre Ablehnung von Waffenexporten in die Ukraine schließlich zum Verhängnis. Öffentliche Proteste und scharfe Kritik gegen die Linie der Bundesregierung, mitunter angeführt durch die Grüne Christ, führten schließlich zum Rücktritt der Bundesministerin.


Das kaum überbrückbare Thema Grüne Außenpolitik konnte lange beiseite geschoben werden. Nun war eine erste Positionierung für den Parteivorstand unvermeidbar: Für Waffenlieferungen, gegen Konfrontation. Und dennoch wirkt die Stellungnahme zaghaft und wenig richtungsweisend. Weder distanziert man sich von Parteimitgliedern, noch werden deren Aussagen kommentiert. Die Parteilinie bleibt schwammig. Umso mehr wird mit Spannung erwartet, wen die Grünen in der Nachfolge von Kerstin Siegmann für das Auswärtige Amt nominieren. Die Nominierung könnte als erste Richtungsweisung der neuen Grünen Außenpolitik gelten. Mit Magnus Gruensen aus dem Christ-Lager hin zu mehr Offensive oder mit Katrin Lemke den grundsätzlichen Kurs unter Siegmann halten? Und wie wird sich das gegensätzliche Lager bei der Nominierung von einem der beiden verhalten? Diese Tage sind schwer für die Parteivorsitzenden Linner und Wexler. Womöglich steht der frisch gewonnene Parteifrieden erneut auf dem Spiel.


Veröffentlicht am 2. März 2021, 1.00 Uhr MEZ


Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde die Präsidentin des Bayerischen Landtages fälschlicherweise als 'Christina Rist' bezeichnet, sowie die Staatssekretärin Katrin Lemke im Bayerischen Innenministerium irrtümlicherweise mit der ehemaligen Bundesinnenministerin Katja Lemke identifiziert. Nach der Zuschrift einer aufmerksamen Leserin wurde dies selbstverständlich berichtigt.

    Kommentare 2

    • Dass hier aus einer persönlichen - teilweise deutlich abweichenden, das ist mir bewusst, - Einzelmeinung in einer einzigen Frage ein mögliches "Zerschellen" der Grünen prophezeit wird, während wir nicht einmal eine Christina Rist oder auch eine Katja Lemke - die Namen wurden falsch zitiert - in der Partei haben und anderen Mitgliedern, die sich in dieser speziellen Situation für Waffenlieferungen ausgesprochen haben, gleich eine Zugehörigkeit zu einem angeblichen "Rist-Lager" nachgesagt wird, ist dem Necker-Donau-Anzeiger als mangelnde journalistische Sorgfalt auszulegen. Amüsiert habe ich mich dennoch.