[Aktuelle Stunde] XVIII/010 - Aufhebung des Abschiebestopps nach Afghanistan und dem Iran

  • Liebe Kolleginnen und Kollegen,


    die Landtagsabgeordnete Alea Galitzine hat eine Aktuelle Stunde zur Aufhebung des Abschiebestopps nach Afghanistan und dem Iran durch das Ministerium des Inneren und der Justiz beantragt.



    Gemäß §25 Absatz 1 der GO dauert diese 72 Stunden, also bis zum Mittwoch, dem 30.8.23, um 20:50.


    Das Wort hat die Antragstellerin Alea Galitzine.

  • Tritt ans Redepult, legt ihr kurzes Manuskript ab und trinkt vor ihrer Rede noch einen Schluck Wasser


    Sehr geehrter Herr Präsident,

    sehr geehrte Kolleg*innen,


    zwei Reden an einem Sitzungstag zu halten, ist wie ich finde eine sportliche Sache, aber wenn die Regierung vorlegt, muss die Opposition nachholen. Und da ich - im Gegensatz zu anderen Verantwortungstragenden einen Diskurs, der über 280 Zeichen hinausgeht bevorzuge, sah ich mich dazu verpflichtet diese aktuelle Stunde im Landtag zu beantragen. Denn auch im Zeitalter der Digitalisierung sollte der politische Diskurs doch auch differenziert stattfinden und wie hat einst ein alter Deutschlehrer von mir gesagt: Eine Diskussion kann man nicht in zwei bis drei Sätzen adäquat führen. Aber diese Anekdote nur zum Einstieg.


    Die Aufhebung des Abschiebestopps von Seiten des Innenministeriums kam natürlich nicht überraschend, war er doch für den*die versierte*n Leser*in des Koalitionsvertrages offensichtlich. Ganz nach dem Motto "Abschieben immer, Humanität nimmer". Und natürlich auch die folgenden Wortmeldungen auf Gezwittscher, welche gebetsmühlenartig die Einhaltung des Rechtsstaates betonten, auch diese waren nach dieser Maßnahme erwartbar. Doch stelle ich mir die Frage, ob die Einholung einer Erlaubnis zum Abschiebestopps beim Bundesinnenministerium nicht der bessere, humanere Weg gewesen wäre. Schauen wir uns die Menschenrechtslagen in den betroffenen Staaten - Afghanistan und Iran - an.


    So zeigt der am 22.08. diesen Jahres von der UN-Mission für Afghanistan, die im Auftrag des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen schwere Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan seit der Rückkehr der Taliban an die Macht untersucht, ein besonders erschreckendes Bild. Der Bericht nennt mehr als 800 Fälle von schweren Menschenrechtsverletzungen. Von Bedrohungen und Misshandlungen, über Folter, willkürlicher Festnahmen und Verschwindenlassen bis hin zu extralegalen Hinrichtungen. Von der oft schwadronierten "generellen Amnestie" für Mitarbeitende der früheren, demokratischen Regierung kann demnach nicht die Rede sein. Jetzt stelle ich mir die Frage, kennt die Landesregierung diesen Bericht nicht oder ist er ihnen schlichtweg egal? Vor allem verwundert einen hierbei zusätzlich, dass die Hälfte der Regierungsparteien auch in Verantwortung waren, als der Abschiebestopp von der damaligen Grün-Violett-Rot-Roten Regierung erlassen wurde. Woher kam dieser plötzliche Sinneswandel. Ich bin gespannt auf eine entsprechende Antwort.


    Und generell muss auch noch einmal festgehalten werden. Das Weltbild der Taliban hat sich, anders als im Zuge der gewaltvollen Machtübernahme vor gut 2 Jahren oft betont, nicht zu jenem verändert, welches sie in ihrer ersten "Regierungszeit" vertraten. Sie verachten Menschenrechte, sind misogyn und homophob; brutal und primitiv. Und gerade die Frauen sind es wieder, die nach einer Zeit des emanzipatorischen Erwachens wieder unter der Herrschaft der Taliban leiden. Schulbesuch maximal bis zur sechsten Klasse. Der Besuch von Universitäten untersagt. Man versagt hiermit einer Gruppe aufgrund ihres Geschlechts das universelle Recht auf Bildung. Man lässt sie unsichtbar werden. Ihnen wird die Freiheit genommen. Sei es die Freiheit einer Erwerbstätigkeit wahrzunehmen, sei es die Freiheit sich alleine und gekleidet wie sie es wollen zu zeigen, sei es das Recht sich zu versammeln, sei es das Recht zu verhüten. Die Kritik am Vorgehen der Taliban waren und sind groß, national wie international. Und jetzt kommen Sie auf die Idee wieder nach Afghanistan abzuschieben. Gratulation. Das nenne ich eine Leistung!


    Verkennen Sie die Situation vor Ort? Verkennen Sie, dass Afghanistan derzeit einer der schlimmsten humanitären Katastrophen der Welt durchlebt. 28 Millionen Afghan*innen - das sind 2/3 der Bevölkerung; ich betone 2/3 - hungern und leben in Not! Knapp 10 Prozent der Bevölkerung sind nach Angaben der Vereinten Nationen unterernährt! Zum größten Teil sind dies Kinder. Und das große Problem hierbei ist auch noch, dass jegliche Form internationaler Hilfe die Taliban, dieses Regime des Hasses, unterstützt. Das zeigt, geholfen werden kann diesen Leuten nicht vor Ort! Und im Iran sieht es doch genau so aus!


    Herr Präsident,

    meine sehr geehrten Damen und Herren,

    diese Regierung hat ihren humanitären Kompass verloren. Das ist nicht nur bedauernswert, nein, dies kann Menschen ihr Leben kosten.







    7278-golitsyn-neu-png


    Alea Victoria Elisabeth Alexandra Galitzine

    Mitglied des Nordrhein-Westfälischen Landtages

    Mitglied der Sozialdemokratischen Partei

  • Gibt vorübergehend die Sitzungsleitung ab und geht ans Redner*innenpult


    Sehr geehrte Kolleg*innen,

    liebe Mitmenschen,

    verehrte Frau Galitzine,


    im Afghanistan und im Iran werden Menschen verfolgt, werden Menschen unterdrückt, werden Menschen gefoltert, werden Menschen brutalst hingerichtet. Sowohl das totalitäre Mullah-Regime als auch die Gewaltherrschaft der terroristischen und menschenverachtenden Taliban sind aufs schärfste zu verurteilen. Die Augen dürfen niemals und zu keinem Zeitpunkt verschlossen werden vor diesen undemokratischen, frauenfeindlichen, homophoben und islamistischen Systemen und deren Verletzungen von Menschenrechten. Von dem allen müssen wir uns als freies und demokratisches Land strikt abgrenzen. Auch die humanitäre Lage ist erschreckend und durch die politische Lage ist Helfen äußerst schwierig. Würde ich, würden wir das anzweifeln, dann hätten wir wirklich den moralischen Kompass verloren, wie Sie es so schön ausgedrückt haben.


    Wir als vPiraten und Grüne haben dem Punkt im Koalitionsvertrag genau so weit zugestimmt wie die SDP in den Sondierungsverhandlungen, nämlich so lange Menschenwürde, rechtliche Vorgaben und ein gerechtes Asylverfahren gewahrt werden. Und so lange diese drei Aspekte gewahrt sind, werde ich das Abschaffen der Verordnung weiter mittragen. Die Beurteilung und Entscheidung ist natürlich niemals eine leichte, gerade weil Menschenleben auf dem Spiel stehen. Deshalb müssen wir jeden Tag neu abwägen.


    Ich für meinen Teil habe die gleichen Bedenken wie Sie. Wir dürfen natürlich nicht Menschen in den Iran oder nach Afghanistan abschieben, denen dort Einschränkungen in ihre Freiheit drohen. Wir dürfen keinen Menschen abschieben, dem Folter und Tod drohen. Wir dürfen keine Menschen abschieben, denen Verfolgung droht. Menschlichkeit und Humanität sind einer der wichtigsten Stellenwerte der Grünen und niemals werde ich zulassen, dass sich daran etwas ändert.


    Fakt ist eben aber, dazu braucht es keine Verordnung nach Paragraph 60a des Aufenthaltsgesetzes. Paragraph 60 regelt nämlich schon, dass "ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden [darf], in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist". Als so eine soziale Gruppe erachte ich auch Geschlecht(-sidentität) und sexuelle Orientierung. Des Weiteren regelt selbiger Paragraph, dass niemand in einen Staat abgeschoben werdem darf, in dem ihm der "nach §4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht", namentlich "die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe", "Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung", oder "eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts".


    Sie sehen also, es gibt eine weite rechtliche Grundlage, auch ohne Verordnung entsprechende Abschiebungen zu verhindern. Die Rechtsverordnung hätte also überhaupt nur einen Sinn, wenn aus irgendeinem Grund diese Gesetze nicht beachtet werden würden oder vor Gericht zu eng ausgelegt werden würden. In diesem Fall wäre es aber sinnvoll, nicht nur Abschiebungen in den Iran und nach Afghanistan per Rechtsverordnung zu stoppen, sondern allgemein im Gesetz nachzujustieren, denn nicht nur Opfer von Verfolgung, Folter und Diskriminierung aus bestimmten Ländern verdienen einen Abschiebungsstopp.


    Ich kann Ihnen versprechen, dass wir als vPiraten und Grüne die weitere Entwicklung der aktuellen Lage beobachten werden und, sofern wir die Menschenwürde nicht mehr als gegeben ansehen, natürlich Maßnahmen einleiten werden, um eine neue vorübergehende Rechtsverordnung und langfristige Gesetzesänderungen zum Wohle aller zu erreichen.


    Vielen Dank.

  • Herr Präsident,

    ich beantrage entsprechend unserer Geschäftsordnung die Verlängerung der Debatte und die zeitgleiche Herbeizitierung des Innenministers, Herrn Pahlke.

    7278-golitsyn-neu-png


    Alea Victoria Elisabeth Alexandra Galitzine

    Mitglied des Nordrhein-Westfälischen Landtages

    Mitglied der Sozialdemokratischen Partei

  • Herr Präsident,

    ich beantrage entsprechend unserer Geschäftsordnung die Verlängerung der Debatte und die zeitgleiche Herbeizitierung des Innenministers, Herrn Pahlke.

    Die Aktuelle Stunde wird gemäß §25 Absatz 2 der Geschäftsordnung um 48 Stunden verlängert, also bis zum Freitag, dem 1.9.23, um 20:50.


    Gemäß §29 zitiere ich den Minister des Inneren und der Justiz Theo Pahlke herbei.

  • Kommt herein und trinkt einen Schluck Wasser


    Herr Präsident,

    liebe Kollegen und Kolleginnen,


    die Aufhebung des Abschiebestopps in den Iran und nach Afghanistan geschah nicht ohne Grund.


    Um die Rede mit einem Zitat Claudia Pechsteins zu beginnen: „Wenn Menschen zu uns kommen und Asyl beantragen und ein Richter nach Prüfung aller Fakten zu dem Entschluss kommt, dass der Antragsteller kein Recht hat hier zu leben, dann versteht niemand, dass solche Menschen einfach hierbleiben dürfen.“


    Ich denke, die Bedeutung dieses Zitates sollte klar sein. Dennoch sage ich hier noch einmal, es kann nicht sein, dass Menschen, die trotz, vielleicht sogar mehrfachem, richterlichen Prüfen kein Recht haben in diesem Land, womöglich auf Kosten des Staates, zu leben! Das Asylrecht, wie wir es kennen, ist kein Massen- oder Gruppenrecht, sondern ein Individualrecht. Wenn dann die individuelle Prüfung bestätigt, dass die Person hier nicht leben darf, ist das nun mal so und es muss akzeptiert werden.


    Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschlossen, diesen Abschiebestopp aufzuheben.


    Um aber genauer auf die Verordnung einzugehen. Diese wurde faktisch schon mit den Änderungen des Bundes im Asylrecht ausgesetzt und die Aufhebung war somit in erster Linie eine Formalie.


    Sollte aber eine ernsthafte Gefahr dem Ausreisepflichtigen in dem Land drohen, in das er abgeschoben werden soll, wird Bezug auf §60 des Aufenthaltsgesetz „Verbot der Abschiebung“ genommen. Demnach werden durch diesen Paragraphen bereits viele Rechte dieser Person gewahrt und er oder sie wird keiner Gefahr ausgesetzt.


    Selbstverständlich wissen wir alle, dass der Iran und Afghanistan nicht für das Beachten der Menschenrechte bekannt sind. Doch sehen wir unser Gesetz ausgereift genug, um kein zusätzliches Abschiebeverbot erlassen zu müssen.


    Vielen Dank.


    Gießt den letzten Rest seines Wassers in den Streifen-Frauenmantel in der Ecke, während er zurück zu seinem Platz geht

  • Die Debatte wird um weitere 72 Stunden verlängert, also bis zum Montag, dem 4.9.23, um 20:50.

  • Pustet blubberblasen in ihre Cola.

    8250-cdsu-3-png


  • Bernd Hacke

    Hat das Thema geschlossen