[DEBATTE] XI/012 – Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Regelung der Sterbehilfe und zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften

  • Liebe Kolleginnen und Kollegen,


    ich eröffne hiermit die Debatte über den Antrag auf Drucksache XI/012, den die Bundesregierung vorgelegt hat. Zunächst erhält der zuständige Minister, Herr Hajduk, das Wort.

  • Sehr geehrte Frau Präsidentin,

    sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

    werte Damen und Herren,



    bevor ich auf den Gesetzesentwurf zu sprechen komme, möchte ich im Vorhinein meinen Dank für die Möglichkeit ausdrücken, in diesem Hohen Hause meine erste Rede halten zu dürfen.



    Bereits im Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht den damaligen § 217 StGB für verfassungswidrig erklärt, denn die von § 217 StGB ausgehende Einschränkung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben ist nicht verhältnismäßig gewesen. Durch die Nichtigkeitserklärung herrschte damit folglich eine Rechtsunsicherheit zulasten von Ärztinnen und Ärzten, Patientinnen und Patienten, und Angehörigen. Infolgedessen hat die Bundesregierung in der 3. Wahlperiode ein Sterbehilfe-Reformgesetz auf den Weg gebracht, welches die ersatzlose Streichung von § 217 als auch die Einführung eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung beinhaltete. Jenes Gesetz wurde am 23. Januar 2021 verkündet und trat am darauffolgenden Tag in Kraft.



    Grundsätzlich begrüßt die Bundesregierung diesen ersten Schritt zur Regulierung der Sterbehilfe, um eine mit dem Grundgesetz kompatible Rechtslage zu schaffen, die sowohl den staatlichen Schutzauftrag zum Schutz des Lebens gerecht wird, allerdings nicht wie vorher die individuelle Entscheidung auf selbstbestimmtes Sterben in einem zu hohem Maße einschränkt. Gleichwohl diskutieren wir hier einen neuen Gesetzesentwurf in Rahmen dieser Thematik. Doch warum?


    Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

    Im Grundsatz möchten wir durch die Ablösung des Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung durch das neue Sterbehilfegesetz und durch die Wiedereinführung des § 217 StGB in veränderter Form, die Rechtslage im Zusammenhang mit der Sterbehilfe konkretisieren. Grundsatz bleibt: Der/Die Sterbewillige muss seinen Entschluss zur Selbsttötung selbstbestimmt, frei und unabhängig gefasst haben. Ein neues dreiteiliges Verfahren soll das verstärkt gewährleisten, insbesondere durch die Einführung der Notwendigkeit eines psychiatrisches Gutachten des/der Sterbewilligen. Weitergehend soll die gewöhnliche Mindestfrist, die zwischen Beratungsgespräch bzw. der Ausstellung des psychiatrischen Gutachtens und der Selbsttötung verstreichen muss, von zwei Wochen auf sechs Monate angehoben werden. Künftig soll die Erhebung von Statistiken seitens des Statistischen Bundesamtes sowie der Verpflichtung von Beratungs- und Hilfsanbieter, jährliche schriftliche Berichte anzufertigen, erfolgen. Unter Berücksichtigung jener und der Bundestatistik soll die Bundesregierung jeweils alle drei Jahre die Wirksamkeit des Gesetzes evaluieren.


    Im Großen und Ganzen steigert diese neue Regelung der Sterbehilfe die Rechtsklarheit für Ärztinnen und Ärzten, Patientinnen und Patienten, und Angehörigen erheblich. Deswegen

    werbe um Ihre Zustimmung. Vielen Dank!

  • Frau Präsidentin,


    ich möchte mich kurz fassen. Der vorgelegte Gesetzesentwurf ist absurd. Die Änderung von § 217 StGB kann ich nicht mittragen. Durch die Einführung dieser Fassung wird nicht die Verwirklichung eines selbstbestimmten Sterbewunsches erleichtert, sondern die Strafbarkeit für die Assistenz zu einer Selbstschädigung ausgedehnt. Im Einzelnen:


    1.

    Nach bisheriger Rechtslage ist für die Strafbarkeit der Sterbehilfe zwischen einer Fremd- und einer Selbsttötung zu unterscheiden. Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung die Tatherrschaft. Es kommt darauf an, ob der Suizident das todbringende Geschehen selbst steuert und über die Herbeiführung des Todes entscheidet. In diesem Falle spricht man von einem Suizid. Die bloße Hilfestellung zu einer solchen Selbstschädigung war nach § 217 StGB a. F. nur dann strafbar, wenn dies geschäftsmäßig geschah. Geschäftsmäßigkeit liegt vor, wenn wiederholt Handlungen zur Beihilfe zu einem Suizid begangen werden. Erfasst wurden von § 217 StGB a. F. demzufolge ausschließlich Vereine, Ärzte oder ähnliche Organisationen. Die einmalige Beihilfe zu einem Suizid war nach § 27 StGB mangels teilnahmefähiger Haupttat nicht strafbewehrt und demzufolge straflos. Wer hiernach beispielsweise tödliches Gift zur Verfügung stellte, den Sterbewilligen begleitete oder Hilfestellung zur eigenständigen Einnahme von Gift gewährte, war straflos. Dieses Ergebnis ist unbestritten.


    2.

    Ebenso unbestritten ist die Strafbarkeit der einverständlichen Fremdtötung, wie sie in § 216 StGB oder §§ 212, 25 I Alternative 2 StGB geregelt ist. Hier hat nicht der Suizident, sondern der Täter die Tatherrschaft über den todbringenden Kausalverlauf. Eine ausdrückliche und ernstliche Einwilligung milderte nach § 216 StGB lediglich die Strafe. Nutzt der Täter ein Zurechnungsdefizit des Suizidenten aus, ist er als mittelbarer Totschläger zu bestrafen, weil er das Opfer als "Werkzeug gegen sich selbst" verwendet.


    3.

    Die hier zur Diskussion stehende Abänderung der Rechtslage betrifft die erstgenannte Konstellation, also die Beihilfe zu einer tatbestandslosen Selbsttötung. § 217 StGB n. F. stellt als eingrenzendes Merkmal nicht auf die Geschäftsmäßigkeit ab, sondern inkorporiert einen unvorstellbaren Bürokratieaufwand in Gestalt des Sterbehilfegesetzes, indem es das Nichtvorliegen dessen § 3 zur objektiven Bedingung der Strafbarkeit erhebt. Damit wird die Teilnahme an einer tatherrschaftlichen Selbstschädigung unter Strafe gestellt. Diese Ausweitung der Strafbarkeit ist nicht gerechtfertigt, denn der Teilnehmer eines Suizids verwirklicht kein strafwürdiges Unrecht:


    a)

    Die Freiheit von Willensmängeln ist keine Voraussetzung für die Annahme einer Selbsttötung. Entscheidend sind nicht vergeistigte Umstände, sondern die schlichte Vornahme der maßgeblichen Tathandlung. Ein Gehilfe nimmt diese Handlung nicht vor, sondern unterstützt diese. Er führt keinen mittelbaren Rechtsgutsangriff durch, denn das Rechtsgut des Suizidenten ist diesem gegenüber nicht geschützt. § 217 StGB n. F. durchbricht die Akzessorietät und macht die Strafbarkeit von den Voraussetzungen des Sterbehilfegesetzes abhängig. Hierdurch werden prozedurale Verstöße im Ergebnis für strafwürdig erklärt. Das ist mit Blick auf die ultima-ratio Funktion des Strafrechts inakzeptabel.


    b)

    Auch in der Sache überzeugt dies nicht. Einerseits lässt diese Norm, liegen die Voraussetzungen des § 3 Sterbehilfegesetz nicht vor, keinen Raum für eine Einzelfallbetrachtung; ob der Suizident also tatsächlich freiverantwortlich handelte, ist für die Strafbarkeit des Gehilfen vollständig irrelevant. Andererseits durchbricht die Norm in bedenklicher Weise die grundsätzliche Straflosigkeit der Beihilfe zur einer bloßen Selbstschädigung. Die Norm verkennt, dass es der Suizident selbst ist, der - unabhängig von Wilensmängeln und Gutachten - seine Rechtsgüter verletzt und eben nicht der Gehilfe. Das bloß passive Zurverfügungstellen von tödlichen Medikamenten oder ähnlichen Handlungen hat keinen Einfluss darauf, dass der Suizident die todbringende Handlung durchführt. Motiviert der Gehilfe den Suizidenten hingegen ausdrücklich zur Selbsttötung, so liegt hierin - bei fehlender Freiverantwortlichkeit - regelmäßig eine mittelbare Fremdtötung, welche de lege lata nach §§ 212, 25 I Alternative 2 StGB pönalisiert ist.


    c)

    In systematischer Hinsicht ist es schlechterdings nicht nachzuvollziehen, weshalb § 216 StGB ohne die zahlreichen prozeduralen Vorkehrungen des Sterbehilfegesetzes auskommen können soll, während dies bei einer Beihilfe zur Selbsttötung - mithin artverschiedenes Unrecht - nicht der Fall sein soll.


    4.

    Ebenfalls nicht mittragen kann ich die Vorkehrungen des Sterbehilfegesetzes in der vorgelegten Form. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich formuliert, dass es ein grundrechtswehrhaftes subjektives Recht darauf gibt, sein Leben zu beenden und hierzu um Hilfe durch Dritte nachzusuchen. Dies ist grundlegender Ausfluss der individuellen Autonomie des Einzelnen. Durch das Erfordernis psychiatrischer Gutachten, in denen offenbar auch erklärt werden soll, weshalb staatliche und private Hilfsangebote nicht zureichen, kommt dieses Menschenbild nicht zum Ausdruck. Das Gesetz geht im Grundsatz von einem zur selbstbestimmten Willensäußerung unfähigen Individuum aus. Weshalb sonst sollte die Fähigkeit zur freien Willensäußerung nachgewiesen werden müssen? Sicherlich ist es nicht grundsätzlich zu beanstanden, angesichts der Tragweite eines Sterbewunsches gewisse Vorkehrungen vorzusehen, doch können sich diese allenfalls auf eine Missbrauchskontrolle beschränken. Alles andere stellt in letzter Konsequenz den grundlegenden Kern persönlicher Autonomie infrage. Ärzte werden zu quasi-Göttern erhoben, die im Ergebnis darüber zu entscheiden haben, ob ein Mensch weiter sein Dasein auf Erden fristen darf bzw. - aus Sicht des Suizidenten - muss. Nach welchen Maßstäben? Was sagen irgendwelche Diagnosen, die beliebig uminterpretiert werden können, über den Geisteszustand eines Menschen aus? Welche objektiven Maßstäbe gibt es tatsächlich für die Frage, ob ein Sterbewunsch ernsthaft ist und wie viel Gutdünken, Interpretation und eigenes Vorverständnis muss ein Arzt leisten?


    5.

    Zusammenfassend entspricht dieser Gesetzesentwurf nicht dem Geist der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, denn diese Neufassung erweitert die Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid und macht die Strafbarkeit von in diesem Zusammenhang sachfremden Voraussetzungen abhängig. Eine Schutzpflicht für das Leben eines Sterbewilligen gibt es nicht. Das Sterbehilfegesetz ist nicht Ausdruck der grundsätzlichen Achtung selbstbestimmter Entscheidung, sondern stellt im Gegenteil die individuelle Autonomie im Ausgangspunkt infrage. In diesem Zusammenhang muss eine Neuregelung sich nicht nur mit den Bedenken zu § 217 StGB, sondern das Thema der aktiven und passiven Sterbehilfe richtigerweise ganzheitlich in den Blick nehmen. Rechtfertigungsansätze für § 216 StGB etwa erweisen sich als überaus fragil.


    Ich bitte nachdrücklich um Ablehnung. Besten Dank!

  • Frau Präsidentin,
    Liebe Kolleginnen und Kollegen,


    die Bundesregierung dankt Herrn Fuhrmann für seine Ausführungen und die Mitteilung seiner Bedenken. Auch wenn sich die Bundesregierung den Bedenken hinsichtlich des Sterbehilfegesetzes an sich nicht anschließt, nimmt die Bundesregierung zur Kenntnis, dass die geplante Änderung des Strafgesetzbuches und die Formulierung des § 217 in der Entwurfsfassung den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes wohl nicht genügt und man hier etwas über das Ziel hinausgeschossen ist. Entsprechend möchte die Bundesregierung den angegriffenen Absatz 3 ändern und die Straffreiheit für Angehörige oder der zur Selbsttötung entschlossenen Person Nahestehende garantieren, soweit diese nicht geschäftsmäßig handeln. Weiter soll in Absatz 2 des Entwurfes noch explizit festgeschrieben werden, dass die Voraussetzungen des § 3 Absatz 1 Sterbehilfegesetz-Entwurf nur bei der geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung erfüllt sein müssen.


    Die Bundesregierung stellt entsprechend folgenden Änderungsantrag und bittet gleichzeitig gemäß § 26 Absatz 3 Satz 1 der Geschäftsordnung um die Übernahme des Änderungsantrages.




    60x60bb.jpgDeutscher Bundestag

    Elfte Wahlperiode



    Drucksache XI/017


    Änderungsantrag

    der Bundesregierung



    zum Gesetzentwurf auf Drs. XI/012


    Anlage 1


    Änderungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Regelung der Sterbehilfe und zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften auf Drs. XI/012


    Der Deutsche Bundestag möge beschließen:


    Artikel 2 Nummer 1 des Entwurfes wird geändert und wie folgt neu gefasst:


    "1. Nach § 216 des Strafgesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 1. November 2021 geändert worden ist, wird ein § 217 angefügt und wie folgt gefasst:



    "§ 217

    Hilfe zur Selbsttötung


    (1) Wer die Selbsttötung eines anderen fördert oder diesem hierzu Gelegenheit gewährt oder verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

    (2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Voraussetzungen des § 3 Absatz 1 des Sterbehilfegesetzes erfüllt sind und derjenige, der der zur Selbsttötung entschlossenen Person geschäftsmäßig Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, sich über das Vorliegen dieser Voraussetzungen vergewissert hat.

    (3) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht."




    Dr. Matthias Linner

    Bundeskanzler


    Falko Hajduk

    Bundesminister des Innern, der Justiz und für Verbraucherschutz




  • Die Debatte ist beendet, eine Abstimmung wurde eingeleitet.

    | Präsident des Deutschen Bundestages a.D. (11. + 15. LP) |

    | Stellvertreter der Bundeskanzlerin a.D. |

    | Bundesminister für Wirtschaft und Energie / Arbeit und Soziales / des Auswärtigen a.D. |

    | Minister für Wirtschaft und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen a.D.|

    | Landtagspräsident Nordrhein-Westfalen a.D. (12.LP)|