Thüringen - Die Grünen vor der Koalitionsfrage

THÜRINGEN-SONDIERUNGEN - LINKSDEMOKRATEN TRETEN SDP-FRAKTION BEI
Amtsinhaber McKenzie vor Entscheidung: Mit wem koalieren die Grünen?

Erfurt
– In Thüringen steht die Sondierungsphase an. Die Wähler haben sich dort einen Landtag mit stark linken Mehrheitsverhältnissen gewählt. Neun der elf Mandate werden von den Grünen, den Sozialdemokraten und den Linksdemokraten gestellt. Die weiteren zwei Mandate werden vom Liberalen Forum und der nationalistischen UWL gestellt.


Insofern stellt sich für den Wahlsieger – den Grünen – nun die nicht einfache Frage: Mit wem koalieren?66-sitzverteilungth%C3%BCrigen-jpg


Ministerpräsident und Grünen-Spitzenkandidat McKenzie fehlt neben den grünen Mandaten nur eine Stimme für eine Regierungsmehrheit. Für eine Koalition in Frage kommen die Sozialdemokratische Fraktion und die Fraktion des Liberalen Forums. Die Linksdemokraten haben sich – und das ist bemerkenswert – der sozialdemokratischen Fraktion angeschlossen. Dadurch stellt die sozialdemokratische Fraktion vier und nicht nur drei Mandate.


Kleiner Junior-Partner oder starker Koalitionspartner auf Augenhöhe ?


Für die Grünen könnte dadurch eine Koalition mit dem Liberalen Forum attraktiver werden, die nur ein Mandat stellen. Das Kräfteverhältnis wäre hier deutlich zugunsten der Grünen Fraktion. In einer Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten hingegen träfe man auf einen annähernd gleichstarken Koalitionspartner und müsste dementsprechend deutliche Zugeständnisse machen. Auf der anderen Seite bringen die Sozialdemokraten deutlich mehr Personalstärke mit und könnten damit die Regierungsarbeit merkbar verstärken. Doch genau diese Personalstärke würde dann auf Seiten der Opposition fehlen. Eine Regierungsmehrheit von 9 zu 2 Stimmen kann in einem Parlament und im Sinne der Demokratie nicht wirklich gesund sein. Die Opposition würde nur im Miniformat existieren und könnte damit kaum ihrer Kontrollfunktion nachkommen.


Aus demokratischer Sicht mit Blick auf die parlamentarische Funktionsfähigkeit dürfte daher viel für eine Koalition mit dem Forum sprechen. Ministerpräsident McKenzie steht vor der nicht einfachen Entscheidung, ob er bequem mit viel Personalstärke, mit starkem Koalitionspartner und marginalisierter Opposition regieren will – oder ob er mit einem kleinen Juniorpartner weiterregieren möchte und dafür eine funktionsfähige Opposition unter Führung der Sozialdemokraten in Kauf nimmt, die ihm durchaus mit Stärke auf die Finger schauen kann.


Eine große Koalition bedeutet eine kleine Opposition mit wenig Kontrollmacht


Und welche Rolle könnte die Corona-Pandemie im Koalitionspoker spielen? Die Grünen haben ihre Kompetenzen vor allem in Umwelt- und Klimaschutz-Fragen. Koalieren die Grünen mit den Sozialdemokraten würde man eher einen sozialpolitischen Schwerpunkt als Antwort auf die Pandemie und Wirtschaftskirse legen. Bei einer Koalition mit dem Forum würde man eventuell eher pragmatische Wirtschaftspolitik betonen. McKenzie wird entscheiden müssen, welche Probleme er mehr Augenmerk schenken will.


Mit Blick auf die fraktionelle Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Linksdemokraten wirft Thüringen die interessante Frage auf, wie vernetzt und verzahnt SDP und V! mittlerweile sind. Die Zusammenarbeit könnte auf eine Fusion beider Parteien in naher oder ferner Zukunft hindeuten. Warum sonst sollten die Linksdemokraten freiwillig darauf verzichten in Thüringen öffentlich nicht mehr vorzukommen, weil man unter dem Label Sozialdemokraten firmiert?


In jedem Fall ist die Zusammenarbeit ungewöhnlich und deutet auf sehr enge Vernetzung beider Parteien zumindest in Thüringen hin. Wie die Bundes-SDP das bewertet, ist offen. Denn mit dieser strategischen Entscheidung verschreckt man Wähler aus der politischen Mitte. Im Willy-Brandt-Haus scheint man sich einer linken Mehrheit sehr sicher zu sein, sodass man auf Wähler der Mitte verzichten kann, oder man hat den thüringischen Landesverband nicht unter Kontrolle.


Wie verzahnt sind Sozialdemokraten und Linksdemokraten mittlerweile?


Die Thüringer SDP geht auf jeden Fall ein Risiko ein. Nicht nur kann Sie sich mit der Bundes-SDP und Wählern der Mitte verscherzen, sie kann auch den Koalitionspoker verlieren, weil die Grünen eventuell lieber auf einen kleinen Juniorpartner setzen, statt einem Koalitionspartner auf mandatmäßiger Augenhöhe.

    Kommentare 4

    • Ein tolles Medium und ein nachvollziehbarer Gedankengang, wenn auch, wie Friedländer bereits erwähnte, eine Fusion von SDP und Vorwärts! derzeit nicht im Raum steht und auch kein Thema ist.

    • Eine Fusion von SDP und Vorwärts! steht derzeit mit keiner Silbe im Raum.

    • Sehr guter Artikel. Gut nachvollziehbare Gedankengänge und interessant geschriebener Text.