Pressemitteilung Nr. 2/2022

Normenauslegungsantrag vierer Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft begründet


Pressemitteilung Nr. 2/2022 vom 11. Juli 2022


zum Urteil des Obersten Gerichtes vom 11. Juli 2022

3 BvT 2/22


Mit seinem Urteil vom 11. Juli 2022 hat das Oberste Gericht entschieden, dass für eine erfolgreiche Bestätigung des Senates der Freien und Hansestadt Hamburg nach Maßgabe des Artikels 34 II Satz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist.


Sachverhalt:


Nach einer Meinungsverschiedenheit von Mitgliedern der Hamburgischen Bürgerschaft aus den Fraktionen der Grünen und der Internationalen Linken mit dem Präsidenten der Hamburgischen Bürgerschaft, Hajime Nagumo, erhoben vier Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft Normenauslegungsklage und beantragten im Zuge dessen festzustellen, dass für die erfolgreiche Bestätigung des Senates der Freien und Hansestadt Hamburg die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist. Die Antragstellerinnen und Antragsteller haben Ihren Antrag auf teleologische und historische Erwägungen gestützt, wohingegen der Senat ín seiner Erwiderung auf den Wortlaut des Artikels 34 II Satz 2 HV in Verbindung mit Artikel 19 HV abgestellt hat. Die Bürgerschaft verzichtete auf Stellungnahme; in der mündlichen Hauptverhandlungen haben Vertreter der anderen beiden Verfahrensbeteiligten ihre Standpunkte vertieft.


Der Dritte Senat des Obersten Gerichtes entschied nun, dass der Normenauslegungsantrag begründet ist.


Wesentliche Erwägungen des Senates:


1. Ziel eines Normenauslegungsverfahrens ist es, Meinungsverschiedenheiten bei der Auslegung der Verfassung zu klären und einen allgemeinverbindlichen Rahmen für die Auslegung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg zu schaffen.



2. Zweck (Telos) des Artikels 34 HV ist unter anderem unmittelbar, den Senat sowie den Ersten Bürgermeister mit einer nachhaltigen und verlässlichen Mehrheit auszustatten und die politische Handlungsfähigkeit des Senates sicherzustellen. Ferner sollen Regierungskrisen verhindert werden. Mittelbarer Zweck ist es, den Erhalt der Demokratie – auch mit Blick von möglichen Konsequenten von Regierungskrisen - sicherzustellen.


3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist nicht nur der Wortlaut, der gleichwohl als Ausgangspunkt für die Auslegung dient, sondern auch der Sinnzusammenhang und der Telos in die Auslegungserwägungen gleichberechtigt einzustellen. Gleichzeitig ist auf die in der Rechtswissenschaft anerkannten Auslegungsmethodiken – darunter die teleologische Reduktion als auch die Analogie – abzustellen.


4. Um den intendierten Regelungsgedanken bestmöglich zum Ausdruck zu bringen, ist die analoge Anwendung des Mehrheitsquorums aus Artikel 34 I HV geboten. Würde lediglich auf den Wortlaut abgestellt, würde das Erreichen des Zieles der Bestätigung des Senates konterkariert. Eine Bestätigung des Senates ist verfassungsrechtlich auch eine andere Bedeutung als ein gewöhnlicher Antrag zuzumessen. Nach entsprechender Prüfung ist das Gericht zu dem Schluss gekommen, dass die Nichterwähnung eines Mehrheitsquorums in Artikel 34 II Satz HV nicht planvoll war. Anderenfalls hätte sich hieraus ein Analogieverbot (argumentum e contrario) ergeben. Ferner statuiert Artikel 19 HV nach Auffassung des Gerichtes schon wegen des weniger restriktiven Wortlautes kein Analogieverbot wie Artikel 103 II GG. Ebenso ist die Interessenlage vergleichbar. Somit ist die analoge Anwendung des Mehrheitsquorums mit Blick auf den verfassungsgesetzgeberischen Regelungsgedanken bei gleichzeitiger teleologischer Reduktion von Artikel 19 HV zulässig und geboten.


Die gesamte Entscheidung im Volltext

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