Pressemitteilung Nr. 5/2022 vom 26. November 2022

Stattgabe eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen das Bayerische Kultusministerium

Pressemitteilung Nr. 5/2022 vom 26. November 2022


zum Beschluss des Obersten Gerichts vom 25. November 2022
5 BvQ 1/22



Am 25. November hat der Fünfte Senat des Obersten Gerichts einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung des Bayerischen Landesverbandes der Internationalen Linken gegen das Bayerische Staatsministerium für Volksbildung und Volkserziehung stattgegeben. Demnach muss das Staatsministerium aus seiner Veröffentlichung vom 14. November 2022 jene Aussagen entfernen, wo behauptet wird, dass die Internationale Linke in der Vergangenheit ihre Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und des Demokratie- und Rechtsstaatlichkeitsprinzips deutlich gemacht und die Akzeptanz dieser Prinzipien in Frage gestellt hat und dass die Internationale Linke eine Ausrichtung habe, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren ist.



Sachverhalt:


1. Am 14. November 2022 hat der Antragsgegner einen Erlass mit dem Titel "Erlass zur Wahrung des Schulfriedens und Eindämmung von verfassungsfeindlicher Propaganda an Bayerischen Schulen" veröffentlicht. Der Erlass dient der Anweisung aller Schulen im Freistaat Bayern, die Zurschaustellung von verschiedenen, der behauptet linksextremen Szenen zuzuordnenden Symbolen sowie des aktuellen sowie vorherigen Parteilogos der Antragstellerin zu unterbinden. Begründet wurde der Erlass im Wesentlichen damit, dass die vorstehenden Symbole Vereinigungen, Parteien, Strömungen oder Zusammenschlüssen zuzurechnen seien, deren Ausrichtung mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinen sei, da sie das staatliche Gewaltmonopol sowie das Demokratie- und Rechtsstaatlichkeitsprinzips ablehnten. Der Erlass diene zur Wahrung eines freiheitlich-demokratischen Wertverständnisses in den bayerischen Schulen.


2. Die Antragstellerin sieht in der Begründung des Erlasses einen nicht gerechtfertigten Eingriff in ihr Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG. Die angegriffenen Äußerungen seien staatlicher Natur und richteten sich zielgerichtet gegen die Antragstellerin. Sie seien geeignet ihr öffentliches Ansehen zu schädigen und ihre Stellung im politischen Wettbewerb erheblich zu verschlechtern. Die angegriffenen Äußerungen könnten dazu auf keine gesetzliche Grundlage gestützt werden. Schließlich seien die Behauptungen bzgl. der behaupteten Verfassungswidrigkeit auch nicht belegt worden.


3. Der Antragsgegner hält die Anträge für unbegründet. Durch die begehrte Anordnung werde die Hauptsache vorweggenommen. Dazu sei der Eingriff in die Rechte der Antragstellerin gerechtfertigt. Die Regierung sei nicht daran gehindert, verfassungsfeindliche Bestrebungen als solche zu benennen. Die Verfassungsfeindlichkeit lasse sich auch belegen.



Wesentliche Erwägungen des Senats:


Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat Erfolg.


1. Die Antragstellerin hat den Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht. Es liegt eine Rechtsverletzung vor (a), die zwar zur Erreichung verfassungsrechtlich legitimierter Ziele geeignet , jedoch nicht erforderlich (b) ist.


a) Art. 21 Abs. 1 GG garantiert den politischen Parteien die Mitwirkung an der politischen Willensbildung auf Basis gleicher Rechte und gleicher Chancen. Dieses Recht wird verletzt, wenn Staatsorgane in amtlicher Funktion zu Gunsten oder zu Lasten einer Partei auf die politische Willensbildung des Volkes einwirken. Staatsorgane haben sich neutral zu verhalten; einseitige Parteinahmen verstoßen gegen das Gebot staatlicher Neutralität.


Die Verletzung der Rechte der Antragstellerin erfolgen vorliegend durch negative Werturteile über die Ziele und Betätigungen der Antragstellerin sowie durch die öffentliche Behauptung, die Ausrichtung der Antragstellerin sei nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinen bzw. die Antragstellerin achte das staatliche Gewaltmonopol sowie das Demokratie- und Rechtsstaatlichkeitsprinzip nicht.


b) Der Eingriff in die Rechte der Antragstellerin bedarf einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Er muss dazu geeignet (aa) und erforderlich (bb) zur Erreichung der verfassungsrechtlich legitimierten Zwecke sein.


aa) Der Antragsgegner verfolgt mit seinen Aussagen einen verfassungsrechtlich legitimierten Zweck, namentlich das Einstehen für die Grundsätze und Werte der Verfassung sowie die Information über die mögliche Verfassungswidrigkeit der Antragstellerin. Die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Staatsregierung ist eine geeignete und von der Rechtsprechung anerkannte Rechtfertigung für einen Eingriff in die Rechte der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 GG. Die Staatsregierung ist dabei grundsätzlich auch nicht daran gehindert, verfassungsfeindliche Bestrebungen als solche zu benennen. Gegen solche Einschätzungen muss sich die betroffenen Partei mit mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen.


bb) Der Eingriff in die Rechte der Antragstellerin ist jedoch nicht erforderlich. Die Befugnis der Staatsregierung zur Benennung behauptet verfassungsfeindlicher Bestrebungen endet dort, wo die Verdächtigung nicht verbotener Parteien als verfassungsfeindlich auf sachfremden Erwägungen beruht. Gleiches gilt für die Einschätzung hinsichtlich der Verfassungsfeindlichkeit einer Partei. In keinem Fall dürfen die Wettbewerbschancen der Partei willkürlich beeinträchtigt werden; eine unzutreffende Extremismus-Etikettierung führt dabei zu einer schwerwiegenden Verzerrung des demokratischen Wettbewerbs.


Bei verständiger Würdigung der bisher vom Antragsgegner vorgetragenen Gründe für die behauptete Verfassungswidrigkeit der Antragstellerin erweist sich der Eingriff als nicht erforderlich. Der Antragsgegner trägt im Wesentlichen unsubstantiiert und lediglich überschlagsartig vor, warum die Ausrichtung der Antragstellerin tatsächlich nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinen sei. Die beispielhaften Ausführungen sind entweder aus dem Kontext gerissen oder in rechtlicher Hinsicht nicht stichhaltig begründet. Es fehlt dazu an einer Darlegung, inwieweit die Antragstellerin auch in Bayern verfassungsfeindliche Ziele verfolge. In Summe erweisen sich die Aussagen des Antragstellers, soweit dargelegt und nach bisherigem Informationsstand ersichtlich, als unzutreffende und damit wettbewerbsverzerrende Extremismus-Etikettierung.



2. Die Antragstellerin hat auch den Verfügungsgrund glaubhaft gemacht. Es ist ihr, hinsichtlich eines zu besorgenden wesentlichen Ansehensverlustes, nicht zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Sie legt auch einen wahrscheinlichen, möglicherweise irreparablen Verlust ihres politischen Partizipationsvermögens schlüssig dar.



3. Es bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich einer Vorwegnahme der Hauptsache. Die Verfügung zur einstweiligen Löschung der beanstandeten Aussagen ist lediglich temporärer Natur. Sie ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) schlechterdings notwendig, da der Antragstellerin ansonsten unzumutbare Nachteile entstünden.



Den vollständigen Beschluss zum Nachlesen gibt es hier:

5 BvQ 1/22 - Erfolgreicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Verwaltungsstreitsache I:L Bayern ./. Bayerisches Staatsministerium für Volksbildung und Volkserziehung

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