Überblick über die Regierungskrise

Bielefeld. Seit spätestens gestern Abend ist klar, dass Deutschland in einer Regierungskrise steckt, die in der deutschen Geschichte ihresgleichen sucht. Die Ereignisse und Entwicklungen seit Sonntag sind jedoch unübersichtlich und chaotisch geworden, sodass ein Überblick über die aktuelle Sachlage dringend erforderlich ist.


Erst seit Sonntag, dem 28. November, ist Herbert Müller im Amt. Der Bundeskanzler stellte in langwierigen, komplizierten und schweren Verhandlungen erstmals in der neudeutschen Geschichte eine Große Koalition aus SDP und Allianz zusammen. Im ganzen Bund ist das erst die zweite Kooperation zwischen SDP und Allianz gewesen, die bisher nur in Nordrhein-Westfalen gemeinsam - ebenfalls in einer GroKo - regierten. Herbert Müller erreichte das sogar trotz der Tatsache, dass er kein vom deutschen Volk gewählter Kanzlerkandidat war, da er nach Alex Regenborns Rückzug lediglich dessen Kanzlerkandidatur übernahm [Link].


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Alex Regenborn hat sich zurückgezogen. Die Fußstapfen, in die Herbert Müller gelassen wurden, sind womöglich aber zu groß.



Die Zeichen waren anfangs gut


Trotzdem, am Ende kam ein Koalitionsvertrag zusammen, der beiden Parteien viel abverlangte. So musste die SDP Widerwillens eine Verlängerung der Laufzeit der aktuell noch im betrieb befindlichen Atomkraftwerke akzeptieren, während die Allianz sich mit einem Selbstbestimmungsgesetz schwer tat. Am letzten Freitag, also dem 26. November, stimmte die SDP mit 60% dennoch für den Koalitionsvertrag. Etwas, das einige aus der Sozialdemokratischen Partei nicht erwarteten oder zumindest nicht erhofften. Denn gerade die linkere SDP tat sich mit dem Koalitionsvertrag schwer und ließ sich das auch anmerken.


Einen Tag später wurde bekannt, dass nunmehr auch die Allianz einer Großen Koalition zustimmte und den Koalitionsvertrag somit annahm. Bei ihr dürften die Meinungen wohl so wie in der SDP gewesen sein, nur umgekehrt. Dass die konservativeren bzw. rechteren in der Partei mit dem Koalitionsvertrag besonders glücklich waren, kann wohl bezweifelt werden. Nichtsdestotrotz führte die Zustimmung der Allianz schließlich dazu, dass Herbert Müller am Sonntag, dem 28. November, zum Bundeskanzler gewählt werden konnte.


Die Ernennung durch den Bundespräsidenten sowie die Vereidigung vorm Bundestag liefen dann ohne weitere Kontroversen ab. Eigentlich sollte am Abend dann der Koalitionsvertrag vorgestellt werden - daraus wurde jedoch nichts, als bekannt wurde, wie das Bundeskabinett aussehen wird. Ab diesem Punkt, bebte das politische Deutschland. Und die SDP versank in Kritik von allen Seiten - auch von innen heraus.


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Hier hätte der Koalitionsvertrag vorgestellt werden sollen. Daraus wurde allerdings nichts.



Der Problemminister


Die Ernennung von Frédéric Bourgeois, der erst kurz zuvor wieder aktiv ins politische Leben zurückkehrte, sorgte bei den Grünen, den vPiraten, der Internationalen Linken, bei einzelnen unabhängigen Politikern sowie bei einem Großteil der sozialdemokratischen Basis nicht nur für viel Aufsehen, sondern vor allem für vernichtende Kritik. Den ganzen Sonntag über seit der Bekanntgabe hagelte es von allen Seiten auf die SDP ein, wie man nur einen solchen Minister ernennen könne, der zuvor mit homophoben und weiteren fragwürdigen Aussagen auf sich aufmerksam gemacht hätte.


Kritik bekam dabei auch der Bundeskanzler der Sozialdemokraten, der das Kabinett scheinbar ohne vorherige Absprache mit dem Bundesvorstand der SDP ernannte und somit die Chance verpasste, ausführlich über die Personalien nachzudenken. So kam es, dass die SDP sich beim Druck der linken Parteien gezwungen sah, den Fortbestand der Koalition von der Personalie Bourgeois abhängig zu machen. Etwas, das zahlreiche Sozialdemokraten, Grüne, Piraten und Linken forderte.



Auch innerparteilich gab es viel Kritik


Dabei fielen selbst die SDP-Persönlichkeiten in offiziellen Ämtern auf. Sophie Kipptum, die eigentlich zwei Ministerien übernahm, scherte sich nicht um die Koalition und sprang auf den Zug der Kritik auf und erntete dafür viel Kritik der Allianz - auch koalitionsintern. Für Kipptum war die Sache zu dem Zeitpunkt wohl aber schon geklärt, sie trat einen Tag nach ihrer Ernennung zurück, noch bevor die Allianz eine Lösung für die Personalie Frédéric Bourgeois präsentierte. Sie forderte wohl schnelleres Handeln und legte sich dabei immer wieder mit dem Parteivorstand an, dem sie zu wenig Entschlossenheit und Standhaftigkeit vorwarf. Dieser warf die Vorwürfe allerdings von sich.


Während der internen Diskussionen innnerhalb der Sozialdemokratischen Partei soll auch mit Austritten gedroht worden sein. Beziehungsweise wurden angekündigt. Nach aktuellen Informationen sollen sich darunter unter anderem der in letzter Zeit zurückgezogene Niclas Liebknecht als auch die bereits erwähnte Sophie Kipptum befinden. Weitere zwei der etwa 25 Mitglieder der Partei sollen ebenfalls entschlossen sein zu wechseln. Die Stimmung in der SDP jedenfalls ist schlecht. Von Applaus bis zur absoluten Kritik bei den jeweiligen Geschehnissen ist immer alles dabei. Auch bei dem, was Herbert Müller gestern veranlasste.


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Die Parteizentrale der SDP, das Willy-Brandt Haus, entwickelt sich immer mehr zum Zentrum des Chaos.



Einzelhandlungen und noch mehr Chaos


Ohne Absprache mit dem Bundesvorstand der SDP, entließ Herbert Müller nach einem Gespräch mit dem Bundespräsidenten Brandstätter nicht nur Frédéric Bourgeois, der zuvor zurücktrat, sondern gleich alle Minister der Allianz, ohne neue Minister der Allianz zu ernennen. Bourgeois sollte nach Vorstellungen der Allianz durch den bayrischen Ministerpräsidenten Stroma Kater ersetzt werden, der einerseits an sich keine große Freude bei den Kritikern auslöste, sondern ebenfalls seinen Posten als Ministerpräsident geräumt hätte. Wie Paul Fuhrmann später auf Twitter ausplauderte, sollte nämlich Frédéric Bourgeois das Amt übernehmen. Es wäre also keine wirkliche Distanzierung gewesen, sondern eine Lösung nach dem Motto "aus den Augen, aus dem Sinn" gewesen.


Das war Müller dann wohl zu viel, weshalb er die Koalition, wie bereist erwähnt, sprengen ließ. Zu später Stunde am Montag hatte sich die Regierungskrise also derart zugespitzt, dass klar war, dass die Situation längst nicht mehr unter Kontrolle war. Der Bundespräsident machte dabei mit, ob er Müller ausreichend vor den Folgen seiner Handlungen warnte, ist denkbar. Nichtsdestotrotz handelte Müller auf diese Weise und zerstörte damit wohl nachhaltig seine politische Karriere innerhalb einer Nacht. Das ist... beeindruckend wie verstörend.


Außerdem stellte der Bundeskanzler die Vertrauensfrage im Bundestag, da er wohl Neuwahlen herbei führen möchte. Das, was die Große Koalition eigentlich verhindern sollte. Der einzige Grund, warum man sich für diese Koalition aussprach. Es ist ein wenig absurd, wenn man sich das durch den Kopf gehen lässt.



Was jetzt?


Klar ist jedoch, dass die SDP scheinbar nicht mal mehr auf den Kleinsten kommt. Vier ausstiegswillige Mitglieder und interne und harte Diskussionen, die den Glauben an die Einheit der Partei komplett eliminiert. Ein Bundesvorstand, der keinerlei Autorität mehr zu besitzen scheint, sodass ein Kanzlerkandidat, der eigentlich selbst als Generalsekretär im Bundesvorstand sitzt, willkürliche Entscheidungen treffen kann, die dieses ganze Land in ein Chaos stürzen, das höchstens mit der Nichternennung von Tom Schneider als Bundeskanzler vergleichbar ist. Richard Düvelskirchen, der in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird, aber tatsächlich der Parteivorsitzende ist, scheint auch nichts daran ändern zu können. Und das obwohl er auf Vorschlag von Alex Regenborn antrat und als eines wertgeschätztesten Sozialdemokraten versprach, die Partei wieder einen und neu organisieren zu wollen. Die SDP befindet sich seit dem Ende der Ära Regenborn - bzw. kurz davor, also seit der Flügelbildung - in einer Abwärtsspirale, die eigentlich einen eigenen Artikel wert ist. Kommt sicher noch.


Was brachten diese Koalitionsverhandlungen, die Diskussionen darum und über die Koalition also nun? Nun, das ist eine gute Frage. Nichts? Nein, sie brachte ja etwas: eine Krise. Und die Offenbarung, dass die Allianz vielleicht doch nicht Unrecht damit hat, dass die SDP ihre staatspolitische Verantwortung verloren zu haben scheint. Denn das, was passiert ist, ist für eine so traditionsreiche und erfahrene eigentlich ein Armutszeugnis.


Die Zukunft Deutschlands hängt zum aktuellen Zeitpunkt also von einer Partei ab, die in sich zusammenfällt. Und die Frage, die spätestens die nächste Bundestagswahl beantworten wird, ist: war Herbert Müller der letzte sozialdemokratische Kanzler?



Veröffentlicht am 30.11.2021 um 21:30 Uhr

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