Ein letztes Mal U5, ein letztes Mal S21

S-Bahnhof Jungfernstieg. Ausgang Rathausmarkt. Mit der Linie S21 fährt die gebürtige Altonaerin in Sitzungswochen aus Rothenburgsort zur Hamburgischen Bürgerschaft - um dort die Sitzungen zu leiten. Wenn sie nicht gerade in Hamburg präsidiert sitzt sie wahrscheinlich in Berlin, im Deutschen Bundestag. Dort sitzt sie der Fraktion der SDP vor - noch. Dem Bundestag gehört sie mittlerweile zum zweiten Mal direkt gewählt für Hamburg an. Es wird offensichtlich auch nur bei zwei Malen bleiben.


Der Hamburger Allgemeinen liegt ein Schreiben der Hamburgerin an den Parteivorstand vor, in dem Sie erklärt, für ein künftiges Kabinett im Bund nicht zur Verfügung zu stehen. "Kurz- und Langfristig muss die Personalplanung der Fraktion in Hamburg und Berlin ohne Caroline Kaiser stattfinden. Das gilt ebenso für mögliche Kabinettsplanungen" - so steht es in dem Schreiben. Sie zieht damit nach Florentin Plötz ebenfalls einen Schlussstrich - und kandidiert nicht erneut für den Bundestag. Aller Voraussicht nach wird sie demnächst ihr Mandat niederlegen.


Es ist der dritte Rücktritt nach kurzem innerhalb der Sozialdemokratischen Partei. Gestern erst zogen Parteivorsitzender Alex Regenborn und die stellvertretende Parteivorsitzende Ricarda Fährmann die Reißleine - und traten von ihren Ämtern zurück. Mit den derzeitigen Spannungen innerhalb der Partei hätte ihr Rückzug jedoch nichts zu tun. Vielmehr könne sie aus Zeitgründen ihren Aufgaben nicht mehr so nachkommen, wie sie es sich gerne wünscht und "wie es das Amt ursprünglich vorsieht". Aus diesem Grund möchte sie ihren Nachfolgern, welche mehr Zeit und Lust haben, die Möglichkeit geben, in den entsprechenden Positionen zu gestalten.


Auf die Nachricht reagieren ihre Kolleginnen und Kollegen unterschiedlichster Parteienzugehörigkeit grundsätzlich ähnlich. Man hätte sich gut mit ihr verstanden. Dabei ist Kaiser nicht unumstritten. Ihre Legislatur als Bundeskanzlerin verbrachte Sie ähnlich wie ein Saturn-Mitarbeiter, wenn man ihn gerade mal braucht: er ist nicht da. Gänzlich ohne Öffentlichkeitsarbeit. Erst nach der Amtszeit als Kanzlerin traute sie sich an die Öffentlichkeit. Mit Ihrem Kernthema: Umweltpolitik. Erst in Bayern, dann in Hamburg. Im Bund fiel sie zuletzt mit ihrer Dankesrede an lokale Bündnisse, welche sich gegen Rechtsextremismus engagieren, auf. Darunter auch die umstrittene Antifa. Ihre enge Weggefährtin, Dr. Maria Cortez, Vizekanzlerin der Rot-Grünen Koalition, erinnert sich an diese Zeit zurück:

Zitat von Dr. Maria Cortez

"Caroline war immer eine besondere Kollegin, die nie wirklich darauf geachtet hat, wie sie etwas anspricht. Bei ihr konnte man auf Ehrlichkeit und Direktheit immer zählen. Das habe ich besonders am eigenen Leib erfahren als wir in der Bundesregierung gearbeitet haben, sie ja als Kanzlerin und ich als Außenministerin und ihre Stellvertreterin. Da haben wir uns auch manchmal angeschrien, aber wir sind in dieser Zeit wirklich gute Freunde geworden. Caroline wird der Politik auf jeden Fall fehlen."

Ähnlich äußerte sich der derzeitige Parteivorsitzende der Grünen, Marius Wexler:

Zitat von Marius Wexler

Caroline Kaiser ist zu einer guten Freundin geworden. Die Zusammenarbeit, ganz gleich ob Bund oder Land, verlief konstruktiv und zuverlässig. Zudem bleibt sie sich treu. Sie hat sich Ihren Humor durch die Ämter, welche sie bekleidet (hat), nie nehmen lassen. Sie ist Mensch geblieben, das kann nicht jeder behaupten.

Aus den eigenen Reihen klingen ähnliche Töne. So erklärt der kürzlich zurückgetretene Parteivorsitzende:

Zitat von Alex Regenborn

Caroline Kaiser war stets eine Person, mit der Spaß haben konnte, mit der aber auch gesittet debattieren konnte. Als erste weibliche Kanzlerin seit der Neustrukturierung der Parteienlandschaft hat sie dabei auch bundespolitisch wichtige Akzente gesetzt. Sie hat aber auch durch ihre Zeit als Bundestagsabgeordnete stets die Werte der Sozialdemokratischen Partei nach außen getragen und verteidigt. Dass sie sich nun politisch zurückziehen wird, betrübt mich, da die SDP so eine starke und engagierte Politikerin verliert, die ihren Job immer mit dem Herz am linken Fleck gemacht hat. Ich hoffe jedoch, dass wir uns möglichst schnell wiedersehen werden.

Die größte politisch Feindschaft lag wohl bei der Allianz. Umso interessanter, dass zumindest öffentlich nicht die Korken knallen. Katharina von Habsburg, Mitglied der Allianz und Kathrin Hirsch, die womöglich am meisten Unsympathien - zumindest auf politischer Ebene pflegten, äußerten sich wie folgt:

Zitat von Katharina von Habsburg

Frau Kaiser ist eine überaus schillernde Persönlichkeit gewesen. Politisch hatten wir nicht viel gemeinsam, privat aber umso mehr. Ich werde unsere sonntäglichen Joggingrunden im Hamburger Stadtpark vermissen.

Zitat von Kathrin Hirsch

Seit gut einem dreiviertel Jahr kenne ich Frau Kaiser nun schon. Bereits zu ihrer Zeit im Bayerischen Landtag haben wir selten die Debatte mit einander gescheut, welche in Teilen auch recht heftig verlief. Nach dem Wechsel Frau Kaisers in den Bund als Spitzenkandidatin nahmen unsere Wege verschiedene Richtungen ein, wenngleich die Auseinandersetzungen kaum abbrachen - nunmehr eben außerhalb der Parlamente und im Netz. Mit der Konstituierung des neuen Bundestages trafen wir schließlich wieder zu hitzigen Debatten auf einander.

Der plötzliche Rückzug von Frau Kaiser ist überraschend, jedoch wünsche ich ihr alles Gute für den weiteren Lebensweg.


Sowohl für Kaiser als auch für Florentin Plötz, endet die politische Zeit nun langsam aber sicher vorerst.


Florentin Plötz war bis vor kurzem Bundestagspräsident - und wurde überparteilich sehr geschätzt. Neben Sympathie- besaß er zudem hohe Kompetenzrankingswerte. Als bayerischer Innenminister begann seine politische Karriere. Medial trat er mit der Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes in Erscheinung. Seitdem kletterte er die Karriereleiter steil hinauf - und ließ sich zwei Mal zum Bundestagspräsidenten wählen. Politisch bildete er immer den Gegensatz zu seiner Frau: weniger Stur, eher kompromissbereit, ruhig und entschärfend in Diskussionen. Gute Voraussetzungen, um über Parteigrenzen hinweg geschätzt zu werden. Seit der vergangenen Wahl ist er jedoch nahezu abgetaucht. Er erklärte uns, dass er sich, ähnlich wie seine Frau, vorerst aus der Politik zurückziehen möchte. Beide haben im Juli Zwillinge auf die Welt gebracht. Diese haben nun offensichtlich Vorrang.


Die Sozialdemokratische Partei kämpft nun derzeit damit, dass prominente Gesichter die Partei entweder verlassen, oder nicht bereit sind, Verantwortung für sie zu übernehmen. Die Nachfolge im Parteivorstand ist ungeklärt. Sylvie Jachere-Wessler und Herbert Müller gelten als mögliche Kandidaten für diesen. In den Bundestag rückt voraussichtlich Mijat Russ nach, da der Listennachfolger Jan Rütt aufgrund von Inaktivität seinen Anspruch auf den Listenplatz verliert. Wer die SDP nun genau in Zukunft führt, und ob die Spannungen zu den restlichen Parteien so abgebaut werden können, bleibt offen. Die SDP steht vor entscheidenden Fragen.

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