XII/004 | Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

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    Präsident des Deutschen Bundestages

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    Liebe Kolleginnen und Kollegen,


    ich eröffne hiermit auf Antrag der Fraktion der Grünen eine Aktuelle Stunde zur Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin.

    Die Aktuelle Stunde dauert 72 Stunden. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das Wort!






  • tritt mit ihrer Mappe an das Rednerpult, schlägt die erste Seite auf und trinkt einen Schluck Wasser


    Sehr geehrter Herr Präsident,

    liebe Kolleginnen und Kollegen,

    liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,


    es war offenkundig, dass die Nachrichten zur Regierungsbildung in dieser Legislaturperiode nicht nur uns als Grüne überraschen würden, es wurden alle Parteien und auch die Bürgerinnen und Bürger überrascht. Wir haben dennoch nicht den Kopf in den Sand gesteckt und gehofft, dass eine Regierung schon irgendwie einfach so gebildet werden würde. Wir haben offensiv neue Möglichkeiten forciert, ausgelotet, verhandelt. Ich denke, es ist für uns alle keine große Neuigkeit, wenn ich sage, dass eine Koalition aus Grünen, Allianz und CDSU wirklich mit das Letzte war, was ich nach diesem Wahlergebnis der 12. Bundestagswahl erwartet hatte. Und doch stehe ich aber hier, als Kanzlerin einer historischen ersten Tansania-Koalition. Und ich freue mich doch, dass ich hier stehen kann. Wir haben in den Verhandlungen hart aber sachlich für die Zukunft unseres Landes gestritten und dabei gute und vor allem der Sache dienende Kompromisse finden können. Die neue Bundesregierung knüpft an an das, was bereits Bundeskanzler Linner in der letzten grün-rot-roten Bundesregierung angestoßen hat: den Mittelpunkt der politischen Debatte wieder fest hier im Deutschen Bundestag zu integrieren und zu festigen. Auch meine Koalition will das Gespräch hierher verlegen und fruchtbare Debatten führen, mit dem Ziel einen breiten Diskurs zu führen und möglichst einen breiten Konsens zu finden. Wir alle haben mit unseren Mandaten und Ämtern ein öffentlich-rechtliches Treueverhältnis begründet, ich insbesondere, und ich habe jede Absicht, diesem Treueverhältnis auch nach meinen besten Möglichkeiten nachzukommen. Ich hoffe, sie werden mich und die Bundesregierung in diesen Vorhaben unterstützen.


    Der beschlossene Koalitionsvertrag steht solide und klar für unsere ambitionierten Vorhaben. Wir haben motivierte Bundesministerinnen und Bundesminister in den Bundesministerien im Einsatz, die aktiv für die Umsetzung des Koalitionsvertrages arbeiten wollen und ich freue mich, diesen Prozess von ganz oben begleiten und koordinieren zu können. Bundesfinanzministerin Dr. Christ hat bereits nach unseren ersten Tagen im Amt einen Entwurf für den Nachtragshaushalt in Bundesrat und Bundestag eingebracht. Für diese schnelle, gewissenhafte und absolut effiziente Arbeit möchte ich vor allem der Bundesministerin meinen großen Dank aussprechen, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesfinanzministerium. Sie waren essenziell für so eine schnelle Bearbeitung. Die Einbringung des Haushaltes nach so kurzer Zeit dient auch als Beweis unserer effizienten, sachorientierten und schnörkellosen Kommunikation. Ohne eine einwandfreie und fehlerlose Kommunikation wäre dieser Haushalt sicher noch nicht einbringungsfertig und wir würden noch über den Zahlen sitzen und Kalkulationen anstellen.


    Die Bundesregierung hat es sich im Koalitionsvertrag aber auch zum klaren Ziel gemacht, die Ukraine weiter zu unterstützen, nach unseren besten Möglichkeiten. Dieser sinnlose Krieg muss enden, koste es was es wolle. Die Ukraine verdient Frieden, verdient Selbstbestimmung und Freiheit. Präsident Putin zeigt sich seit Monaten nicht gesprächsbereit in egal welchen Themen und es muss uns gelingen, ihm aufzuzeigen, dass wir sein verhalten nicht mehr dulden werden. Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir weitere Waffenlieferungen wollen. Wir müssen dabei genau arbeiten und auf unsere europäischen Partnerländer schauen und effiziente, kluge Absprachen treffen. Wir haben bereits einen großen Schritt auf die Ukraine zugemacht und ihnen den Kandidatenstatus für die Europäische Union verliehen, um ein Beitrittsverfahren vorzubereiten und einzuleiten. Wir wollen die Ukraine in der europäischen Familie begrüßen und wir wissen, die Ukraine möchte das auch. Deutschland wird sich in diesem Verfahren nicht als Klotz an den Füßen der EU zeigen, sondern als Handreicher für die Ukraine und seine Bestrebungen nach Demokratie, Freiheit und Frieden. Es ist der einzig richtige Weg, der einzig mögliche. Andere Auswege gibt es auf dem Papier, sie werden auch breit öffentlich diskutiert. Realpolitisch realistisch, geschweige denn umsetzbar, sind sie aber mit Sicherheit nicht.


    Der Krieg in der Ukraine hat uns dabei aber auch neuerlich aufgezeigt, dass unsere eigene Verteidigungsinstitution, die Bundeswehr, in einem wahrlich desolaten Zustand ist. An allen Ecken und Enden fehlt es an den grundlegendsten Materialien. Hier will die Koalition ansetzen und eine neue Beschaffungsoffensive möglich machen, um kurzfristig fehlendes Material anschaffen zu können und die Bundeswehr effizient und schnell wieder auszurüsten. Wir wissen in der Koalition aber auch, dass wir weiterhin Diplomatie vor Waffengewalt stellen wollen und müssen, daher haben wir klar beschlossen, dass wir Einzelanschaffungen auf einen Maximalgeldwert von 20 Milliarden Euro begrenzen wollen. Wir tun dies in unserem Verständnis von Politik, in der das Wort immer mächtiger sein wird, als die Waffe. Aber auch bürokratische Unwägbarkeiten, Verkomplizierungen und hohe Standards verlangsamen eine ordentliche und kosteneffiziente Ausstattung der Bundeswehr. Wir wollen da rangehen und klar regeln, dass Ausschreibungsverfahren erst ab einem Anschaffungswert von 5.000 Euro nötig sein werden. So geben wir dem Beschaffungsamt der Bundeswehr eine größere Palette an Möglichkeiten, um neue Beschaffung schnell und effektiv zu bestreiten. So werden wir sicherstellen, dass die Bundeswehr sich erholen wird und wir unsere aktuellen Probleme in den Griff bekommen werden.


    Unsere Probleme in Deutschland fußen aber nicht nur auf dem Krieg in der Ukraine. Wir haben große wirtschaftliche Unwägbarkeiten und Verunsicherungen, die wir schnell angehen müssen. Die Gasversorgung Deutschlands steht unter einem Stern, welche sich täglich wandeln kann und zu unser aller Unglück noch von russischen Entscheidungen abhängig ist. Wir haben in der Bundesregierung vereinbart, uns schnell mit alternativen Ressourcen zur Energiegewinnung auseinanderzusetzen und dabei auch auf LNG-Gas und -Terminals zuzugreifen und diese in einem vereinfachten und schnellen Verfahren betriebsbereit zu machen, um eine Gasversorgung vor allem für den Winter 2022 sicherzustellen. Aber nicht nur die Verfügbarkeit von Energie und Wärme ist ein Problem, auch der Preis stellt ungeahnte Probleme und Risiken dar. Wichtig dafür war, dass wir Steuererhöhungen ausschließen und so den Bürgerinnen und Bürgern aufzeigen, dass wir ihnen keine zusätzliche Belastungen aufhalsen werden, um ihre Lebenssituationen potenziell prekärer zu machen, als sie vielleicht schon sind. Wir sind dabei aber auch konstant im Gespräch in der Bundesregierung, um neue und wichtige Maßnahmen zur Entlastung der Verbraucher zu finden und durchzusetzen.


    Meine Damen und Herren,

    liebe Kolleginnen und Kollegen,


    all das war nur ein kleiner Einblick in unsere Vorhaben und Ideen. Wir werden in der Bundesregierung konsequent nach neuen Motivationen und Vorschlägen suchen, um unsere Arbeit bestmöglich an den Bedürfnissen im Land auszurichten. Ich weiß, von dieser Koalition wird allgemein wohl nicht viel erwartet, weil man annimmt, die Differenzen zwischen unseren Parteien seien sehr groß. Aber ich habe unsere Partner als kompromissbereit, entgegenkommend und sehr sachlich kennengelernt. Und ich möchte sagen, in der Unterschätzung durch andere finden wir unseren Motor, die beste Leistung abzuliefern, die uns möglich ist und ich bin entschlossen, diese Bundesregierung erfolgreich zu gestalten und einen wirklichen Fortschritt für unser Land zu erwirken. Ich bitte Sie alle für diese, unsere Vorhaben um Ihre Unterstützung. Wir wollen mit dem Bundestag den Weg gehen, einen guten Austausch der Ideen zu schaffen und dazu braucht es auch Ihre Mitwirkung, um hier viele Ideen möglichst breit zu diskutieren und am Ende das beste für die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen und ich hoffe, Sie machen dabei mit.


    Herzlichen Dank!

  • Herr Präsident,

    liebe Kolleginnen und Kollegen,

    Frau Bundeskanzlerin,


    wir haben eine neue Regierung! Und was für eine: Mit einer Tansania-Koalition haben sich die Grünen zwei Partner ausgesucht, mit denen sie bis vor wenigen Wochen noch rein gar nichts zu tun haben wollten. Konservative, Rechtskonservative und Grüne haben sich zusammengefunden, um fortan das Land zu regieren. Ich gestehe, ich habe es selbst nicht glauben wollen, als Sie, liebe Koalitionäre, am 27. Juni doch tatsächlich einen Koalitionsvertrag präsentierten. Und mir fielen beinahe die Augen aus, als ich ihn gelesen habe. Denn, Achtung: Dieser Koalitionsvertrag ist in großen Teilen wirklich vernünftig. Offensichtlich können Käse und Marmelade auf einem Brötchen gemeinsam doch schmecken, auf wenn viele diese Kombination vorher nicht für möglich gehalten hätte.


    Lassen Sie mich etwas ins Detail gehen. Zunächst sticht natürlich der lange Klimateil des Koalitionsvertrags ins Auge. Besonders hier bin ich positiv überrascht, dass Allianz und CDSU diese Maßnahmen mittragen. Wer weiß, vielleicht tut ihnen eine solche Koalition einmal ganz gut und sie erkennen, wie bedeutsam ein entschlossenes Vorgehen gegen den Klimawandel ist. Dazu kommen Außenpolitik, Inneres und Justiz, Gesundheit: Hier hat die Regierung gute Vorhaben aufgestellt, in denen sie die SDP auch meistens unterstützen können wird. Bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte. Eine beherzte Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Digitalisierung! Ich freue mich sehr darauf, die konkreten Gesetzentwürfe im Detail beraten und begleiten zu dürfen.


    Bevor ich jedoch ins Schwärmen gerate, möchte ich natürlich auch einige kritische Punkte anmerken. Bei der Erbschaftssteuer haben sich ganz eindeutig die konservativen Kräfte durchgesetzt. Das mache ich den Grünen auch nicht zum Vorwurf – mit irgendeinem Leckerli muss man die Allianz selbstverständlich anfüttern. Aber ausgerechnet in Zeiten, in denen die soziale Ungerechtigkeit zunimmt, in denen der Staat dringend Geld für das Sozial- und das Gesundheitssystem braucht, in solchen Zeiten ist es das völlig falsche Signal, die Erbschaftssteuer zu vereinfachen und darüber hinaus auch noch zu senken. Wie wollen Sie denn Ihre Projekte finanzieren, wenn Sie gleichzeitig die Erbschaftssteuer senken und keinen Entwurf zur Gegenfinanzierung skizzieren? Klar, die paar Subventionen und Entwicklungshilfezahlungen können Sie streichen, aber das reicht doch hinten und vorne nicht. Die Bürgerinnen und Bürger zählen auf Ihre Unterstützung! Und Sie senken die Erbschaftssteuer in einer so unsicheren Zeit. Das nenne ich ein mieses Timing. Aber wer weiß, vielleicht zaubert Ihre Zahlenmagierin Dr. Christ ja noch ein paar Millionen aus ihrem Zylinder.


    Und wenn ich mich schon in Rage rede: Die Inflation nimmt vielen Menschen buchstäblich die Butter vom Brot und Sie wollen die Finanzen konsolidieren. Ich hoffe wirklich sehr, dass Sie sehr bald entschlossene Maßnahmen gegen den Preisverfall erarbeiten und bedürftige Menschen unterstützen. Das steht noch nicht so detailliert im Koalitionsvertrag, aber ich bin sicher, dass Sie da zügig tätig werden.


    Aber wir wollen mal kein böses Blut aufkommen lassen. Ich bin froh, dass Sie trotz der Zusammensetzung der Koalition so einen soliden Koalitionsvertrag mit nur wenigen Makeln zusammengebastelt haben, zumal die Ausgangsbedingungen ja nun alles andere als rosig waren. Ich hoffe, dass alle Ministerinnen und Minister so motiviert starten wie Frau Siegmann und Frau Christ. Insbesondere hoffe ich, dass Frau Lund als Sozialministerin noch einige Projekte anschiebt, um den Menschen in diesem Land zu helfen. Aus den bisher geplanten Vorhaben lässt sich noch keine besondere Entlastung ableiten.


    Ich verbleibe mit guten Wünschen an die neue Regierung: Bewahren Sie Ihren politischen Kompass und helfen Sie den Menschen in Deutschland, besonders den bedürftigen. Setzen Sie Ihre Vorhaben engagiert um. Die Sozialdemokratische Partei wird Sie als Opposition dabei begleiten, kritische Nachfragen stellen, aber gute Ideen auch bereitwillig unterstützen. Auf gute Zusammenarbeit!


    Herzlichen Dank!

  • Durch "hohe Freibeträge und niedrige Steuersätze"? Für mich klingt das arg nach Mindereinnahmen. Sollten Sie da konkretere Angaben in petto haben, klären Sie mich gerne auf.

    Wir wollen ja zahlreiche Ausnahmen und Schlupflöcher schließen, Frau Kollegin. Durch die endlosen Ausnahmeregelungen wird momentan nur ein Bruchteil des tatsächlich vererbten Vermögens überhaupt als Bemessungsgrundlage für die Erbschaftssteuer herangezogen. Durch das Schließen dieser Schlupflöcher werden die Einnahmen durch die Erbschaftssteuer insgesamt steigen.

  • Wir wollen ja zahlreiche Ausnahmen und Schlupflöcher schließen, Frau Kollegin. Durch die endlosen Ausnahmeregelungen wird momentan nur ein Bruchteil des tatsächlich vererbten Vermögens überhaupt als Bemessungsgrundlage für die Erbschaftssteuer herangezogen. Durch das Schließen dieser Schlupflöcher werden die Einnahmen durch die Erbschaftssteuer insgesamt steigen.

    Dann schreiben Sie das halt in Ihr Wahlprogramm, meine Güte.