Besuch des Bundespräsidenten in Frankreich
Bundespräsident Brandstätter reiste am 15. November nach Frankreich, um sich dort mit Präsident Macron zu treffen. Auf Einladung des französischen Präsidenten reiste Brandstätter nach Paris, wo ein gemeinsames Mittagessen mit Macron und einigen französischen Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertretern auf dem Programm stand. Geladen war auch der Präsident der französischen Nationalversammlung, Richard Ferrand. Nach gemeinsamen Gesprächen am Mittagstisch, wo unter anderem die besondere freundschaftliche Beziehung zwischen den Staaten Frankreich und Deutschland thematisiert wurde, führten Brandstätter und Macron im Verlaufe des Nachmittages ein bilaterales Gespräch.
Themenschwerpunkt war der Umgang der Staaten Deutschland und Frankreich mit der Corona-Pandemie, die gesellschaftlichen Entwicklungen und regulatorischen Grenzen, sowie die aktuellen Entwicklungen hinsichtlich der sogenannten "vierten Welle". Bundespräsident Brandstätter führte hierzu in einer öffentlichen Ansprache aus:
ZitatAlles anzeigenEs ist nicht zu leugnen, wir befinden uns mitten in der viel zitierten "vierten Welle" dieser Pandemie, vor der - wieder mal - mehrfach eindringlich gewarnt wurde. In Deutschland werden tagtäglich Rekordzahlen an Infektionen gemeldet, gestern waren es ca. 53.000. Die Intensivstationen sind längst wieder vollgelaufen, Operationen müssen verschoben werden, das Personal ist überlastet. Die Situation ist, da gibt es keine zwei Meinungen, wieder äußert besorgniserregend. Dabei könnten wir schon so viel weiter sein. Schon seit Monaten gibt es zugelassene Impfstoffe gegen COVID-19, deren Sicherheit und Wirksamkeit geprüft wurde. Dennoch zögern viele Menschen, diese Impfung in Anspruch zu nehmen. Viele haben Angst, Sorgen und Bedenken hinsichtlich Nebenwirkungen und Langzeitfolgen. Gerade in Deutschland und Frankreich ist die Impfquote nicht da, wo sie sein sollte, um diese Pandemie endgültig aufhalten zu können. Die Menschen haben Vorbehalte gegenüber der Impfung, oftmals aber auch nur gegenüber jenen, die eine solche Impfung empfehlen. Die Spanne der Ungeimpften reicht vom besorgten Bürger bis zur Verschwörungsfanatikerin, die glaubt, Bill Gates wolle durch die Impfung einen Teil der Menschheit ausrotten. Erstere, jene Bürgerinnen und Bürger die noch skeptisch sind, die noch Angst haben vor ungewollten gesundheitlichen Folgen der Impfung, gilt es mit staatlichen Impfkampagnen zu erreichen und zu überzeugen. Sie werden es sein, die am Ende den letzten und wesentlichen Beitrag dazu beitragen können, diese Pandemie aufzuhalten. Ich kann an dieser Stelle nur noch einmal eindringlich dazu aufrufen, sich impfen zu lassen. Die wirklich äußerst geringe Zahl an schweren Nebenwirkungen im Zuge einer Impfung steht in keinem Verhältnis zum Risiko schwer an COVID-19 zu erkranken und dadurch langfristige gesundheitliche Schäden zu erfahren. Die Impfungen sind nun millionenfach verabreicht worden und die Zahlen sind eindeutig. Sorgen vor "Langzeitfolgen" sind, da sind sich fast alle seriösen Medizinerinnen und Mediziner einig, unbegründet. Nur eine hinreichend durchgeimpfte Bevölkerung kann und wird langfristig den Weg aus der Pandemie ebnen. Entsprechend ist eine Impfung zwar ein wichtiger Anteil zum Selbstschutz, zum Schutz der eigenen Gesundheit. Eine Impfung ist aber auch ein Akt der Solidarität gegenüber seinen Mitmenschen. Nicht nur, weil dadurch das Risiko das Coronavirus zu übertragen gesenkt werden kann, sondern weil aufgrund der überfüllten Intensivstationen bereits jetzt Menschen auf eigentlich geplante Operationen verzichten müssen, weil schon jetzt Patientinnen und Patienten nicht mehr in der lokal nächsten Intensivstation betreut werden können, sondern in entfernte Krankenhäuser verlegt werden müssen. Die Auswirkungen der deutlich zu niedrigen Impfquote sind schon jetzt akut zu spüren - und sie werden sich sehr wahrscheinlich noch weiter verschlimmern. Deshalb ist meine Bitte, lassen Sie sich impfen. Tun Sie es für sich, aber auch für Ihre Kinder, für Ihre Eltern, für Ihre Großeltern, für Ihre Enkel und alle Menschen, die sie lieb haben. Der Weg aus dieser Pandemie ist ein Akt der Gemeinschaft - und es wird wohl keinen alternativen Weg geben.
Spanien etwa hat die volle Wucht der Corona-Pandemie zu spüren bekommen. Teils apokalyptische Zustände herrschten dort, als die Pandemie dort ihren Höhepunkt erreichte. Die Spanierinnen und Spanier haben das gesehen, wovor Gesundheitsexperten warnen und wovor auch wir in Deutschland Angst haben: Krankenhäuser, die an ihre absoluten Kapazitätsgrenzen gestoßen sind. Menschen sind noch vor den überfüllten Intensivstationen verstorben, Tote lagen stundenlang im Bett neben um ihr Leben Kämpfende. Es waren Bilder, die keiner sehen wollte. Es waren aber auch Bilder, die man nicht vergessen darf. Und es sind Bilder, welche die Spanierinnen und Spanier offenbar davon überzeugt haben, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen - aus der Überzeugung, eine solche Situation nie wieder erleben zu wollen.
Wir in Deutschland oder auch hier in Frankreich haben solche Zustände bisher abwenden können. Besser ausgestattete Kliniken, genauere Hygienerichtlinien, kompetentes Personal, all das mag dazu beigetragen haben. Aber auch uns muss klar sein, explodieren die Fallzahlen - insbesondere jene mit schwerem Verlauf - dann helfen weder Hygienevorschriften noch hochqualifiziertes Personal, wenn die Intensivkapazitäten nicht vorhanden sind. Doch ich bin überzeugt, wir brauchen keine Zustände wie sie in Spanien geherrscht haben, um trotzdem genügend Menschen von einer Impfung überzeugen zu können. Auch politisch ist hier noch Potential, diese Menschen zu erreichen - durch Information und niederschwellige Impfangeboten.
Jene, die bis heute aus politischen Gründen gegen die Impfung hetzen und jene, deren Weltbild so verzerrt ist, dass sie von einer Verschwörung höherer Mächte ausgehen, deren Waffe gegen die Menschheit die Impfung sein soll, wird man auch durch Informationskampagnen nicht mehr erreichen. Eine derart festgefahrene Haltung, nicht bereit zu Diskussionen und durch Aggressivität auffallend, die ich bei manchen Menschen beobachten muss, erschreckt mich ehrlicherweise. Jenen Menschen sage ich aber auch: Ihr werdet die Bürgerinnen und Bürger nicht daran hindern können, diese Pandemie gemeinsam zu besiegen. Der Wille, diese Kampf gegen das Virus zu gewinnen, ist stärker als jene kruden Weltanschauungen, da bin ich mir sicher.
Dennoch muss man aber auch über den Umgang mit Ungeimpften nachdenken. Es kann und darf nicht unser Ziel sein, eine gesellschaftliche Spaltung zu provozieren. Gleichwohl halte ich es aber auch für absurd, von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft im Hinblick auf das Impfen zu sprechen. Wie bereits gesagt ist die Impfung der Weg aus dieser Pandemie. Entsprechend ist es auch legitim, dass die Politik Anreize schafft, sich impfen zu lassen. Gleichwohl kann eine Einschränkung von Grundrechten kein "Anreiz schaffen" in dieser Hinsicht sein. Solche Einschränkungen müssen auch weiterhin am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemessen werden. Ausschlaggebender Faktor wird dabei die Intensivbettenbelegung bleiben. Sie ist es, die uns wirklich sorgen bereitet und die uns auch Anlass zur Handlung gibt. Dass sich hieraus entsprechend notwendige Grundrechtseinschränkungen ergeben ist keinesfalls Ergebnis einer "Corona-Diktatur", sondern vielmehr ein von unserem Grundgesetz - in einem bestimmten Rahmen - vorgesehener Prozess. Es obliegt unseren Gerichten zu urteilen, ob dieser Rahmen eingehalten wird und wurde oder nicht. Das ist es gerade, was unseren Rechtsstaat ausmacht. Auch eine Pandemie darf keinen rechtsfreien Raum schaffen. Gleichwohl ist es auch politisch notwendig, die Akzeptanz der verhängten Maßnahmen zu steigern - bei Geimpften wie Ungeimpften. Die Lage ist kritisch, werte Damen und Herren.
Auch eine in diesem Zuge diskutierte Impfpflicht wird ein Thema sein, das es zu evaluieren gilt. Es handelt sich dabei um ein in höchstem Maße heikles Thema. Eine allgemeine Impfpflicht wird immer wieder kontrovers diskutiert. Die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Impfpflicht ist umstritten. Ohne mich an dieser Stelle für das eine oder das andere positionieren zu wollen, bin ich der Meinung, dass über dieses Thema gesprochen werden muss und dass man sich dieser Diskussion nicht einfach entziehen kann. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo es immer schwieriger wird, Menschen von einer Impfung zu überzeugen. Gleichwohl sind wir an einem Punkt, wo die Infektionszahlen auf einem Niveau sind, das wir so vorher noch nie hatten. Entsprechend müssen alle möglichen Maßnahmen zumindest in Erwägung gezogen werden. So werbe ich an dieser Stelle aber eindrücklich für eine faire Debatte über diese Thematik. Ja, das Thema ist emotional. Aber auch emotionale Themen diskutiert man wie erwachsene Menschen. Sachlich, faktenbasiert und ohne Beleidigungen.
Zuletzt appelliere ich aber auch an die Geimpften. Eine Impfung ist kein Freifahrtschein und je länger die Impfung zurückliegt, desto geringer ist ihr Schutz. Entsprechend, liebe Geimpfte, ist jetzt nicht der Zeitpunkt, sich in Sicherheit zu wiegen. Auch Sie können, trotz Impfung, zum Infektionsgeschehen beitragen. Daher gilt es auch für Sie, Sicherheit walten zu lassen. Vor allem aber gilt es, den Immunschutz aufzufrischen. Auch wenn es nervt, auch wenn die Wartezeiten oft lang sind, auch wenn Sie hundert bessere Dinge zu tun hätten. Opfern Sie bitte ein paar weitere Momente, um sich zu schützen, um ihre Liebsten zu schützen und um einen solidarischen Beitrag zur Pandemiebekämpfung zu leisten. Wir werden es schaffen, aber wir schaffen es nur gemeinsam.
Macron pflichtete den Worten des Bundespräsidenten bei und warb für das französische Modell der Impfpflicht für Mitarbeitende in Krankenhäusern, Alten- oder Pflegeheimen, Pflegediensten oder bei Rettungsdiensten und der Feuerwehr, welche seit Mitte Oktober in Kraft ist. "Unsere Impfpflicht in diesen Bereichen funktioniert - massenhafte Kündigungen, wie befürchtet wurden, gab es nicht. Ein solches Modell kann auch als Beispiel für Deutschland dienen.", so der französische Präsident.
Weiter sprachen Brandstätter und Macron über die Konflikte an der belarussisch-polnischen Grenze. "Europa ist nicht erpressbar. Dieser Konflikt darf nicht auf den Schultern der Migranten ausgetragen werden", so Macron. Brandstätter sprach von einer "humanitären Krise, die es schnellstmöglich zu beenden gilt". "Die Erpressung durch den belarussischen Diktator ist schamlos und aufs Schärfste zu verurteilen. Die Instrumentalisierung der Schutzsuchenden ist inakzeptabel und unmenschlich. Ein gemeinsames Vorgehen der Europäischen Union dagegen ist unerlässlich.", so Brandstätter. Weiter führte er mit Blick auf Polen aus: "Es geht in diesem Konflikt in erster Linie um die Menschen. Ich appelliere an ein Hinarbeiten auf eine Deeskalation der Situation. Wir müssen den Menschen helfen und nicht gegen sie arbeiten. Ich appelliere an ein Handeln nach den menschenrechtlichen und völkerrechtlichen Grundsätzen."
Brandstätter reiste am Abend per Bahn zurück nach Deutschland.