3 BvF 6/20 - Normenkontrolle: § 3b der dritten Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARSCoV-2

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    Das Oberste Gericht gibt bekannt:





    Die mündliche Verhandlung,

    bezüglich des abstrakten Normenkontrollverfahrens





    zur verfassungsrechtlichen Prüfung




    des § 3b der dritten Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Verschärfung außerordentlicher
    Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARSCoV-2





    beginnt am Samstag, 16. Januar 2021 um 21:00 Uhr.







    Teilnehmer der mündlichen Verhandlung:



    Antragsteller: Dr. Konrad Wolff


    sowie


    als Sachkundiger Dritter: Elias Jakob Lewerentz

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    Einmal editiert, zuletzt von Andreas Brandstätter ()

  • Betritt mit Richterin Baumgärtner und den Richtern Marschall und Müller den Sitzungssaal.


    Geschätzte Anwesende,


    ich darf Sie recht herzlich zur heutigen mündlichen Verhandlung begrüßen. Insbesondere begrüße ich den Antragsteller, Herrn Dr. Wolff und den Gesundheitsminister des Freistaates Thüringen, Herrn Lewerentz. Gegenstand der heutigen Verhandlungen ist der abstrakte Normenkontrollantrag gegen § 3b der dritten Thüringer Verordnung zur Fortschreibung und Verschärfung außerordentlicher Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARSCoV-2. Es ist ein Verfahren von besonderer Bedeutung, ist es doch das erste Verfahren, in dem das Oberste Gericht sich tatsächlich mit der Verfassungsmäßigkeit der Corona-Schutzmaßnahmen, in diesem Fall insbesondere der nächtlichen Ausgangssperre befassen wird.


    Ich rufe nun also das Verfahren 3 BvF 6/20 auf und eröffne die mündliche Verhandlung in dieser Sache.

    Ich übergebe das Wort zur Begründung seines Antrages nun zunächst an Herrn Paul Fuhrmann .


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  • Vielen Dank Herr Dr. Wolff.


    Damit übergebe ich nun das Wort an Herrn Elias Jakob Lewerentz .


    Sie haben nun die Möglichkeit auf die Klageschrift einzugehen. Insbesondere möchte ich Sie dabei bitten, hinsichtlich Ihrer Funktion als Landesgesundheitsminister, auf die Notwendigkeit der angegriffenen Ausgangssperre zum Zeitpunkt der Klageerhebung und der resultierenden Grundrechtseingriffe einzugehen und auch darauf, ob und inwieweit (nachweislich) durch eine solche Ausgangsperre tatsächlich Infektionen verhindert werden können und konnten.


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  • Sehr geehrte Damen und Herren,


    vielen Dank. Ich möchte mich zunächst an den von meinem Ministerium herausgegebenen Zahlen orientieren. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung (ich lege hier also den 29.12.2020 als Datum zugrunde) lag die wöchentliche Inzidenz pro 100.000 Einwohnern im Freistaat Thüringen bei 273,6. Dabei waren Höchstwerte wie Sie an Heiligabend mit 327,8 bereits unterschritten. Bei den Inzidenzwerten vom 29.12 ist allerdings von Meldeverzögerungen und weniger Testungen auszugehen. Grund hierfür waren sicherlich die Weihnachtsfeiertage und das sich daran anschließende Wochenende. Zwei Faktoren also, die niedrigere Inzidenzwerte bedingen können. Am heutigen 21.01.2021 stehen wir bei einer Inzidenz von 225. Die Tendenz der letzten Tage ist fallend. Das Robert-Koch-Institut geht mittlerweile davon aus, dass es keine erneuten Nachmeldungen durch Verzögerungen im Dezember kommen wird und es führt eine langsame Senkung der bundesweiten Inzidenz an. Diese liegt derzeit bei knapp 119. Daran kann man bereits zweierlei absehen. Zum einen haben die Maßnahmen, die der Freistaat Thüringen ergriffen hat, bis dato eine Wirkung erzielt. Die Inzidenzwerte gehen zurück. Zum anderen ist der Freistaat Thüringen an erster Stelle der Bundesländer bei den Inzidenzwerten noch vor Brandenburg und Sachsen. Es zeigt sich für uns als Landesregierung daher die Notwendigkeit Maßnahmen zu ergreifen, die einschneidend und einschränkend sind. Diese Notwendigkeit erhöht sich aus unserer Perspektive noch einmal durch die immens hohe Zahl.


    Ein weiterer Datenparameter, der für unsere Entscheidung von immenser Wichtigkeit war, war die Zahlen der Todesfälle an oder mit COVID-19 erkrankter Personen. Hier haben wir es in den letzten Wochen mit einer dramatisch verschärften Dynamik zu tun. Waren von Beginn der Pandemie bis zum 29.12 907 Verstorbene zu beklagen, sind es heute bereits 1808. Wir haben also eine deutlich beschleunigten Zunahme von Todesfällen zu verzeichnen. Der Schutz der Bevölkerung und der Schutz der Gesundheit ist daher von uns von besonders wichtiger Priorität. Um dieser Priorität Ausdruck zu verleihen, mussten im Rahmen unserer Gesetzgebung andere Grundrechte eingeschränkt werden. Ich zitiere hierzu §14 der betreffenden Verordnung, die mittlerweile in Gesetzesform beschlossen wurde:

    "

    Durch dieses Gesetz werden die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes, Artikel 3 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen), der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes, Artikel 3 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes, Artikel 10 der Verfassung des Freistaats Thüringen) und der Freizügigkeit (Artikel 11 des Grundgesetzes, Artikel 5 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen) sowie auf Schutz personenbezogener Daten (Artikel 6 Abs. 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen) eingeschränkt.

    "


    Für weitere Begründungen verweise ich auf die Begründung, die dem späteren Gesetzentwurf beigefügt war:


    In den vergangenen Tagen erreichten uns die ersten Meldungen, dass Krankenhäuser im Freistaat Thüringen an ihre Belastungskapazität kommen und Patienten verlegt werden mussten. Wir müssen dem Anstieg der Infektionszahlen daher mit sinnvollen und verhältnismäßigen Maßnahmen unterbinden. Die Landesregierung hält eine Ausgangsbeschränkung für sinnvoll und verhältnismäßig, weil sie eine ergänzende Maßnahme zu den anderen Infektionsschutzmaßnahmen ist und dabei die Kernmaximen unserer Infektionsschutzpolitik unterstreicht. Wir müssen die Mobilität stark einschränken und Kontakte sinnvoll und maximalmöglich reduzieren. Es zeigt sich, dass gerade die Unterbindung von privaten Zusammenkünften und Feiern wichtig sind, da davon ausgegangen werden kann, dass private Zusammenkünfte ein relativ starker Infektionstreiber sind und private Zusammenkünfte im Gegensatz zu anderen Zusammenkünften beispielsweise im schulischen oder betrieblichen Kontext im Verhältnis noch diejenigen sind, wo die Infektionsschutzmaßnahmen nur selten eingehalten werden und die im Verhältnis noch am entbehrlichsten sind. Wir müssen daher private Zusammenkünfte mit allen Mitteln verhindern. Eine sinnvolle Kontaktreduzierung auf fünf Personen aus maximal zwei Hausständen wurde beschlossen. Da größere Zusammenkünfte, wie die Erfahrung zeigt, häufig in den Abendstunden stattfanden, haben wir eine Ausgangsbeschränkung ab 22 Uhr auferlegt. So wollen wir diese Zusammenkünfte unterbinden und einen ergänzenden Beitrag zur Mobilitäts- und Kontaktreduzierung leisten. Die Einflussnahme auf private Wohnungen und private Feierlichkeiten hat sich in den vergangenen Monaten als gering erwiesen. Die Unverletzlichkeit der Wohnung wird durch die Landesregierung gewahrt und nicht in Frage gestellt. Um aber die Verfehlung der gesteckten Ziele nicht zu riskieren, müssen wir uns effektiver Maßnahmen bedienen, die kontrollierbar sind.


    Uns sind zudem zwei Punkte sehr wichtig. Erstens: Es werden für alle notwendigen und triftigen Gründe selbstverständlich Ausnahmen gewährt. Geburten, häusliche Gewalt, Sterbebegleitung, Gefahrenabwendung, Treffen mit Ehepartnern – es gibt eine bunte Vielzahl an tragbaren, sinnvollen und verhältnismäßigen Ausnahmen, die die Landesregierung notwendigerweise gewährt. Zweitens: Es gibt eine Perspektive und eine zeitliche Befristung der Maßnahmen. Die Maßnahmen dieses Gesetzes gelten bis zum 31. Januar 2021. Auch bei einer etwaigen Fortschreibung werden wir wieder gewissenhaft prüfen, ob eine Ausgangsbeschränkung weiterhin vonnöten ist. Die Landesregierung ist überzeugt, dass wir derzeit nicht ohne eine flächendeckende Ausgangsbeschränkung auskommen. Sollten sich die Infektionszahlen wieder verbessern, werden wir die landesweite Ausgangsbeschränkung wieder zurücknehmen. Bereits jetzt ist durch eine Klausel möglich, dass Landkreise mit einer Inzidenz unter 200 die Ausgangsbeschränkung nach eigenem Belieben aussetzen können. Geben die Infektionszahlen eine Rücknahme der Maßnahme her, so werden wir diese umgehend wieder aussetzen. Es wird niemals zu einer permanenten, unbefristeten Ausgangsbeschränkung im Freistaat Thüringen wieder kommen.


    Für weitere Fragen durch das Gericht stehe ich selbstverständlich zur Verfügung.

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    Elias Jakob Lewerentz

    Landtagsabgeordneter für den Saale-Holzland-Kreis I

    Landtagspräsident des Thüringer Landtages

    Stellvertretender Ministerpräsident des Freistaates Thüringen

    Landesminister für Gesundheit und Soziales

    Mitglied der Konservativen Partei (KonP)

  • Vielen Dank Herr Lewerentz für Ihre Ausführungen.


    Ich würde nun dem Antragsteller Paul Fuhrmann , sofern er hiervon Gebrauch machen möchte, Gelegenheit geben, auf die Ausführungen von Herrn Lewerentz einzugehen.

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  • Nachdem keine Erwiderung durch den Antragsteller erfolgte, fahren wir nun fort.



    Herr Elias Jakob Lewerentz , ich hätte folgende Fragen an Sie:


    1. Der Antragsteller sieht durch die streitgegenständliche Verordnung u. A. einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG, also den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Nach diesem müssen die Voraussetzungen der Strafbarkeit einer Tat so konkret umschrieben werden, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Strafnorm zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Hinsichtlich der angegriffenen Norm könne der Bürger nicht erkennen, unter welchen Voraussetzungen er seine Wohnung nach 22:00 Uhr tatsächlich verlassen dürfe. Wie sehen Sie diese Bedenken?


    2. Bezüglich der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Grundrechtseingriff kommt es regelmäßig darauf an, dass ein Eingriff geeignet, erforderlich und angemessen ist. Sie haben bereits geschildert, warum der beanstandete Grundrechtseingriff geeignet und erforderlich gewesen sei. Hinsichtlich der Angemessenheit des Eingriffs sieht der Antragsteller fundamentale Bedenken, hierbei führt er u. A. auf:


    - die Vorteile der Ausgangssperre stünden außer Verhältnis mit der Intensität des Eingriffs;

    - die Wahrscheinlichkeit sich zu infizieren sei aufgrund der Jahreszeit auch ohne Ausgangssperre gering, da ohnehin nur wenige Menschen unterwegs seien;

    - die Bürgerinnen und Bürger hielten sich sehr diszipliniert an geltende Regelungen, welche auch Nachts gelten;

    - das Infektionsrisiko sei Nachts, dem Umstand geschuldet, dass hier weniger Menschen unterwegs seien, ohnehin geringer, weshalb es unverständlich sei, warum die Ausgangssperre gerade Nachts gelte, jedoch nicht tagsüber.


    Könnten Sie unter Berücksichtigung der gefallenen Argumente erläutern, inwieweit Sie den angegriffenen Grundrechtseingriff als angemessen oder eben nicht beurteilen?

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  • Hohes Gericht,

    Sehr geehrte Damen und Herren,


    vielen Dank für die Möglichkeit diese Fragen beantworten zu dürfen. Zu Ihrer ersten Frage möchte ich sagen, dass wir innerhalb des Landesgesundheitsministerium viele Diskussionen und ausgiebige Prüfungen vorgenommen haben. Es ist uns wichtig Normen zu erlassen, die klar benennen, was erlaubt ist und was nicht. Ich glaube, dass wir bei §3b sehr konkret geworden sind. Wir sprechen in der generellen Regelung von triftigen Gründen, die vorliegen müssen und benennen dann 14 Gründe, bei denen wir sagen, dass sie triftig sind. Mit Punkt 14 erlauben wir aber ausdrücklich auch die Auslegung von wichtigen und unabweisbaren Gründen. Mit diesem Gesetz können wir nicht alle Eventualitäten des alltäglichen Lebens abdecken. Wir haben aber deutlich gemacht, welche Tätigkeiten weiterhin erlaubt sind und welche nicht. Für die Bürgerinnen und Bürger ist somit deutlich erkennbar, ob und wann sie das Haus verlassen dürfen. Einen etwaigen Einwand kann ich nicht nachvollziehen.


    Die Angemessenheit des Eingriffes sehe ich als gegeben an, weil ich eine Abwägung mit sämtlichen anderen mir zur Verfügung stehenden Maßnahmen in Betracht gezogen habe. Wir haben eine nächtliche Ausgangssperre, die in Thüringen von 22 Uhr bis 5 Uhr geht. Das ist im Vergleich zu anderen Bundesländern, deren Ausgangsbeschränkungen teilweise schon um 20 Uhr beginnen, noch eine moderate Lösung. Die Alternative zu einer vergleichsweise einschränkenden Ausgangsbeschränkungen, wären Mobilitätsbeschränkungen oder weitere wirtschaftliche Beschränkungen. Wenn ich bei den letzteren die Folgewirkungen weit über die Pandemie hinaus betrachte, sind mir temporäre Ausgangsbeschränkungen da ein angemesseneres Werkzeug. Die Argumente verfangen allerdings nicht. Die zypriotischen Wissenschaftler Dimitris Drikakis und Talib Dbouk von der Universität Nikosia haben sich für die Fachzeitschrift "Physics of Fluids" beispielsweise angeschaut, wie sich die kalten Temperaturen auf die Viruskonzentration in der Luft auswirken. Das Ergebnis legt nahe, dass im Sommer ein Mindestabstand von 1,5m noch ausreichend war, weil die Tröpfchen aufgrund der hohen Temperaturen schneller verdunstet sind. Bei kälteren Temperaturen sind selbst bei über 6m Mindestabstand noch Coronaviren in infektiöser Konzentration nachzuweisen. Das bedeutet ja aber im Umkehrschluss, dass das Argument nicht schlüssig ist, dass sich im Winter weniger Menschen draußen aufhielten. Denn selbst, wenn es weniger Menschen wären, wäre der Abstand, der eingehalten werden müsste, noch einmal größer. Also wir sehen hier schon: Dieses Argument hinsichtlich der Angemessenheit ist nicht zutreffend. Dazu muss man ja auch sagen, dass derzeit wenig anders möglich ist, als sich draußen aufzuhalten. Weniger Menschen draußen halte ich also nur bedingt für eine richtige Schlussfolgerung der aktuellen Maßnahmen. Eine Ausgangssperre tagsüber halte ich eben nicht für eine angemessene und gerechtfertigte Einschränkung.


    Danke!

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    Elias Jakob Lewerentz

    Landtagsabgeordneter für den Saale-Holzland-Kreis I

    Landtagspräsident des Thüringer Landtages

    Stellvertretender Ministerpräsident des Freistaates Thüringen

    Landesminister für Gesundheit und Soziales

    Mitglied der Konservativen Partei (KonP)

  • Vielen Dank Herr Lewerentz!


    Wiederum gebe ich Herrn Paul Fuhrmann Gelegenheit zur Erwiderung.


    Ansonsten würde ich nun auch dem Antragsteller sowie Herrn Elias Jakob Lewerentz die Möglichkeit geben, Fragen an die Gegenseite zu richten, soweit diese zur Förderung des Verfahrens dienen.


    Im Übrigen gebe ich nun auch meinen Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit weitere Fragen zu stellen.

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    Administrator


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  • Hohes Gericht,

    Sehr geehrter Herr Dr. Müller,


    das Ziel der Ausgangssperre ist es, die Anzahl der physischen Kontakte der Bevölkerung effektiv und wirksam zu minimieren. Dabei soll die Ausgangssperre den Anreiz für physische und gesellige Kontakte gerade in den Abendstunden senken. Wenn wir auf die Erfahrungen der bisherigen Tage zurückgreifen, dann sieht man, dass gerade in den Abendstunden eine besonders häufige Konzentration von privaten und geselligen Verabredungen stattfand, diese wollen wir durch die Ausgangssperre minimieren, weil dadurch die Hürden für ein geselliges Beisammensein, welches so häufig abends auftritt, erschwert wird.

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    Elias Jakob Lewerentz

    Landtagsabgeordneter für den Saale-Holzland-Kreis I

    Landtagspräsident des Thüringer Landtages

    Stellvertretender Ministerpräsident des Freistaates Thüringen

    Landesminister für Gesundheit und Soziales

    Mitglied der Konservativen Partei (KonP)

  • Herr Lewerentz,


    waren private Feiern nicht schon vorher verboten?

    Sehr geehrter Herr Dr. Müller,


    private Feiern waren auch vorher schon verboten. Wenn etwas verboten ist, bedeutet es ja aber nicht, dass es deswegen nicht trotzdem vorkommen könnte. Wir wissen, dass Menschen in Freizeit-Kontexten aufgrund ihrer Arbeitszeiten häufig abends zusammenkommen. Dort wollen wir Kontakte mindern und Anreize verhindern. Deswegen die Ausgangssperre.

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    Elias Jakob Lewerentz

    Landtagsabgeordneter für den Saale-Holzland-Kreis I

    Landtagspräsident des Thüringer Landtages

    Stellvertretender Ministerpräsident des Freistaates Thüringen

    Landesminister für Gesundheit und Soziales

    Mitglied der Konservativen Partei (KonP)

  • Herr Lewerentz,


    wenn private Feiern bereits vorher verboten waren, erschließt mir der Sinn dieser Ausgangssperre nicht so ganz. Eine Ausgangssperre verbietet derartige Dinge ja nicht. Daher frage ich Sie: Was möchte die Staatsregierung mit einer solchen Maßnahme bezwecken? Das ist zumindest mir noch nicht wirklich klar geworden.

    Vizepräsident des Obersten Gerichts

  • Sehr geehrter Herr Dr. Müller,


    ich habe Ihnen doch aber erklärt, dass wir private Feiern zwar untersagt haben, es aber dennoch zu solchen gekommen ist. Außerdem sind die Kontaktbeschränkungen ja immer noch in Kraft, die Zusammenkünfte mit einer gewissen Personenanzahl erlauben. Es ist ja nicht so, dass jegliche private Zusammenkunft untersagt ist. Wir brauchen komplementäre Maßnahmen und eine Ausgangssperre ist ein Teil davon. Dadurch lindern wir die Anreize sich doch abends zusammenzufinden. Wir müssen soziale und private Interaktionen beschränken, deswegen ist es ganz wichtig, auch mit einer Ausgangssperre zu einer Mobilitätssenkung zu kommen.

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    Elias Jakob Lewerentz

    Landtagsabgeordneter für den Saale-Holzland-Kreis I

    Landtagspräsident des Thüringer Landtages

    Stellvertretender Ministerpräsident des Freistaates Thüringen

    Landesminister für Gesundheit und Soziales

    Mitglied der Konservativen Partei (KonP)

  • Herr Vorsitzender,

    Herr Dr. Müller,


    wenn Sie erlauben möchte ich dir mir gegebene Gelegenheit, Stellung zu beziehen, nunmehr in Anspruch nehmen.


    1)

    Es irritiert, wenn Herr Lewerentz abstrakt über die Entwicklung verschiedener Kennzahlen in Ansehung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 im Freistaat Thüringen spricht, ohne dies auf die Ausgangssperre zu beziehen. Ausführungen zum Zweck und Eignung der Maßnahme erfolgen allenfalls auf Grundlage von "allgemeiner Lebens- und Behördenerfahrung". An dieser Stelle ist das Fehlen von empirischer Daten bezüglich der vermeintlichen Wirksamkeit einer Ausgangssperre ausdrücklich hervorzuheben. Zwischen den Maßnahmen und dem Rückgang der schon angesprochenen Bewertungskennzahlen besteht allenfalls eine Korrelation. Cum hoc ergo propter hoc ist bekanntermaßen ein Fehlschluss, zumal die Korrelation selbst schon auf wackligen Beinen steht, wenn sich der Betrachter ins Gedächtnis ruft, dass die Maßnahmen schon wesentlich länger gelten, als es die Zahlen - zumindest von der Warte des Antragsgegners aus - vermuten lassen würden. Bekräftigend verweise ich auf die Beobachtungen, die am Anfang des Jahres 2020 gemacht werden konnten. Ex post zeigte sich nämlich ein Rückgang des R-Werts schon bevor der Lockdown verhängt worden sind. Zuvor wurden lediglich Hygieneempfehlungen ausgegeben und Großveranstaltungen verboten. Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf eine weiterführende Studie von Prof. Dr. Ioannidis, demzufolge es keine Evidenz für den Nutzen besonders harter Maßnahmen gibt (vgl. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/eci.13484). Gewiss ist es nicht Aufgabe des Gerichts, eine abschließende Beurteilung komplexer wissenschaftlicher Fragestellungen zu treffen. Nichtsdestoweniger sind die Ausführungen von Herrn Lewerentz mit Vorsicht zu genießen.


    2)

    Letztlich sind diese Fragen auch nicht entscheidungserheblich, denn der Antrag muss schon aus anderen Gründen Erfolg haben.


    3)

    Einerseits ergibt sich dies aus der fehlenden Beteiligung des parlamentarischen Bundesgesetzgebers. Dieser kann der Exekutive zwar Rechtssetzungsbefugnisse einräumen. Mit Blick auf Art. 80 GG müssen dabei aber Zweck, Inhalt und Ausmaß der Ermächtigung bestimmt sein. Das Parlament muss in anderen Worten, vor allem in Fragen der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Fragen selbst regeln. Dies ist unterblieben, weil völlig offen bleibt, unter welchen Voraussetzungen die Exekutive zur Verhängung derart drakonischer Maßnahmen wie etwa der Ausgangssperre berechtigt sein soll und wann es mit vergleichsweise geringfügigen Eingriffen, beispielsweise der Maskenpflicht, sein Bewenden haben muss. Maßnahmen unterschiedlicher Intensität werden in einen Topf geworfen und gleichen Voraussetzungen unterworfen. Lässt man dies zu, werden die Regelungen des IfSG zu Blankoermächtigungen denaturiert. Zu befürchten ist dabei nicht weniger, als eine qualifizierte Kompetenzverschiebung zugunsten der Exekutive und einer bedenklichen Entgrenzung von Exekutivbefugnissen. Die Gefahr erodierender rechtsstaatlicher Kontrollmechanismen liegt auf der Hand. Ich möchte daran erinnern, wofür Verordnungsermächtigungen in der Regel dienen. Sinnvoll sind etwa Verordnungen im Bereich des Lärmschutzes. So kann die zuständige Behörde problemlos bestimmte Richtwerte und das Messverfahren durch Rechtsverordnung regeln. Beispielhaft dafür steht die Sportstättenlärmschutzverordnung. Ebenfalls Beitragsgrenzen werden vornehmlich im Sozialrecht durch Rechtsverordnung festgesetzt. Es wäre möglich die Liste endlos lang weiterzuführen. Nahezu allen Bereichen ist gemein, dass sie nur Fragen von untergeordneter Bedeutung regeln, die einem parlamentarischen Verfahren nicht vollständig zugänglich sind. Hier geht es um eine andere Konstellation, denn die Landesregierungen bestimmen seit circa einem Jahr auf Grund weniger Normen des IfSG das gesamte öffentliche Leben, verhängen faktische Berufsverbote oder sperren Menschen ab 22 Uhr zuhause ein.


    4)

    Werden Verordnungsermächtigungen erteilt, so muss deren Zweck bestimmt werden. Auch dies ist hier nicht geschehen. Die Rede ist einerseits von Infektionsschutz, andererseits Schutz der Gesundheit und bisweilen kann auch der Schutz der medizinischen Infrastruktur als maßgebliches Regelungsanliegen vernommen werden. Es macht für die Abwägung aber einen erheblichen Unterschied, ob ich die Maßnahmen am Schutz der Gesundheit, also am Schutz des Gesamtbevölkerung vor der Gefahr einer Infektion, oder dem Schutz der medizinischen Infrastruktur messe. Aus diesem Grund kann dem Gesetzgeber auch kein Dispens erteilt werden. Vielmehr muss er das Ziel klar benennen. Nicht nur ist dies unterblieben. Der Bundestag hat sich einer Stellungnahme bezüglich der langfristigen Strategie enthalten und damit das Feld der Exekutive überlassen.


    5)

    Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass Herr Lewerentz bei der Frage nach dem Zweck der Ausgangssperre selbst ins Schwimmen gerät. Nunmehr sind wir also bei der Kontrollierbarkeit anderer Maßnahmen, darunter das Kontaktverbot, angekommen. Dies möchte bei der Abwägung entsprechend gewürdigt werden, denn Infektionszahlen, R-Werte und dergleichen tragen eine solche Maßnahme nur bedingt. Wenn man der Auffassung des Antragsgegners folgt, sind die Anzahl der Verstöße, deren Wahrscheinlichkeit und Schwere in den Blick zu nehmen. Es darf nicht danach gefragt werden, ob andere Infektionsschutzmaßnahmen nicht zum Erfolg geführt haben, sondern ob es andere Mittel und Wege gibt, bestehende Regeln zu kontrollieren und widrigenfalls abzuwägen zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und den individuellen Grundrechten.


    6)

    Danach muss die Ausgangssperre erst recht unverhältnismäßig sein, weil der Abwägungsmaßstab ein anderer ist, der nicht von gleichem Gewicht ist wie beispielsweise der Schutz der medizinischen Infrastruktur.


    7)

    Äußerst hilfsweise mache ich auf das DIV-Intensivregister aufmerksam (https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/zeitreihen), aus welchem Sie entnehmen wollen, dass die Anzahl belegter Intensivbetten von Mai 2020 bis Januar 2021 relativ konstant ist. Kapazitätsrückgänge haben demzufolge nicht viel mit Infektionen gemein, sondern beruhen vornehmlich auf einer anderen Zählweise (besonders markant ist etwa der Einbruch ab August 2020).


    8)

    Meine Damen und Herren, wir sprechen hier über die massivsten Grundrechtseingriffe, die die BRD seit ihrem Bestehen zu Gesicht bekommen hat. Ausgangssperren sind Mittel, die zum Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten eingesetzt werden. Ich wiederhole: Kriegszeiten. Zeiten der Verwüstung, des Hungers, des Elends, des gewaltsamen Todes. Mir ist es unverständlich, wie leicht es war, Legislative und einen Großteil der Bevölkerung in unkritischer Manier hinter dem repressiven Kurs der Exekutive zu vereinen. Es ist mir vollkommen schleierhaft, wie mehrere Kontrollinstanzen in dieser Krise versagt haben und immer noch versagen. Seien es Medien, die angeblich vierte Gewalt, Parlamente, Verwaltungsgerichte oder - dass ich das als Konservativer einmal sagen muss - die Zivilgesellschaft. Deutschland hat sich inzwischen, sollte man meinen, auf das Grundgesetz als allgemeine Werteordnung verständigt. Bewusst sieht dieses kein allgemeines oder besonderes Notstandsrecht vor. Corona legitimiert nicht jeden Zugriff auf Individualinteressen, nur weil es eine bisher unbekannte Gefahr ist. Nach meiner Auffassung scheint das Gegenteil aktuell vorherrschende Meinung zu sein: Not kennt kein Gebot. Diese Wochen und Monate sind der Härtefalltest für das Grundgesetz. Gerade in diesen Zeiten muss sich unsere Verfassungsordnung durchsetzen. Ansonsten muss die Frage nach ihrem Werte erlaubt sein. Sie, meine Damen und Herren, haben die Möglichkeit, dazu beizutragen und einer weiteren Aufweichung gefestigter und verbindlicher Spielregeln entschieden entgegenzutreten. Ich betrachte es indes aber auch als Pflicht, dieses Verfahren zum Anlass zu nehmen und Kompetenzen klarzustellen. Es geht nicht um lästige Zuständigkeiten, sondern um eine funktionelle Absicherung des Demokratieprinzips, eines fundamentalen und nicht dispositiven (Art. 79 Abs. 3 GG) Grundprinzips unseres Staates. Corona darf kein Präjudiz für andere Krisenlagen werden.

  • Herzlichen Dank Herr Wolff!


    Wiederum gebe ich Herrn Lewerentz die Möglichkeit hierzu Stellung zu nehmen. Dazu ist auch noch eine Frage meines Kollegen Dr. Müller offen.

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    Administrator


    Wünsche, Anliegen, Anregungen gerne hier.

  • Ich erinnere ein letztes Mal. Sofern jemand hier noch etwas beitragen möchte, kann er dies noch innerhalb der nächsten zwei Tage tun oder anmelden, ansonsten urteilt das Gericht aufgrund der bisher dargelegten Argumentationen.

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    Administrator


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