Über die Notwendigkeit

KOMMENTAR


Augsburg. "Über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts in Deutschland" ist nicht Titel dieses Beitrages. Stattdessen bezeichnet dieser Titel - wie Rechtsgelehrten- und interessierten bekannt ist - den Start des Kodifikationsstreits in Deutschland. Thibaut argumentierte in seiner Schrift für eine Kodifikation und Vereinheitlichung des deutschen bürgerlichen Rechts, im Kontext der Kleinstaaterei und der damals vorherrschenden Stellung des römischen Rechts in Deutschland nicht gerade unvertretbar. Doch es hieße nicht "Streit" wenn es keine anderen Meinungen gäbe: Savigny trat dem in seiner inzwischen wohl legendären Schrift "Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft" dagegen, die Zeit sei noch nicht reif für eine Kodifikation.


Das Bürgerliche Gesetzbuch

Bekanntermaßen ging der Kodifikationsstreit in Savignys Sinne aus und die Kodifikation musste noch etwas auf sich warten: in den 1870ern griff man das Thema erneut auf - diesmal war die Zeit reif. Und langsam aber stetig wurde das Bürgerliche Gesetzbuch erarbeitet und ist schließlich zum 1. Januar 1900 in Kraft getreten. Es hat alles überstanden: den Übergang von Monarchie zu Republik, 12 Jahre nationalsozialistischer Diktatur (Projekt "Volksgesetzbuch", welches nie in Kraft getreten ist) wie das Regime der SED ("Zivilgesetzbuch", welches mit der deutschen Wiedervereinigung verschwand). Das Bürgerliche Gesetzbuch hat sich - aller seiner Probleme zum Trotz - bewährt und ist zu Recht etwas auf das die Bundesrepublik stolz sein kann.


Und was ist mit den Arbeitern?

Was weder Savigny noch Thibaut ahnen konnten war selbstverständlich die Entwicklung der modernen Industriegesellschaft: "die Arbeit" - abhängige Beschäftigung für einen anderen - wird für die Menschen immer wichtiger. Auch dieser Lebensbereich war natürlich gesetzlich zu regeln, was vielfach durch Sondergesetze geschah. Doch natürlich kamen auch hier bald Forderungen auf, das Arbeitsrecht zu kodfizieren.


Mit der Verabschiedung des Einführungsgesetzes für das Bürgerliche Gesetzbuch (EGBGB) hat der Reichstag 1896 in seiner 144. Sitzung auch der Kodifikation des Arbeitsrechtes den Weg zumindest prinzipiell frei gemacht: "es werde die Erwartung ausgesprochen, daß [2. die Verträge, durch welche Jemand sich verpflichtet, einen Theil seiner geistigen oder körperlichen Arbeitskraft für die häusliche Gemeinschaft, ein wirtschaftliches oder ein gewerbliches Unternehmen eines Anderen gegen einen vereinbarten Lohn zu verwenden] für das Deutsche Reich baldthunlichst einheitlich geregelt werden" Dazu kam es leider nicht, wohl auch weil es sich bei dieser Resolution letztlich nur um den vergeblichen Versuch handelte, die Sozialdemokraten doch noch für das Bürgerliche Gesetzbuch zu gewinnen.


Nach den Wirren der Revolution wurde in der Weimarer Republik sodann in Artikel 157 der Verfassung einfach geregelt: "Das Reich schafft ein einheitliches Arbeitsrecht." Auch dazu kam es leider nicht - obwohl Vorschläge vor und nach der Revolution durchaus bestanden haben.


Nach dem Krieg

Mit der Teilung Deutschlands und der Gründung der DDR versuchte man dort diesem Auftrag - der wieder in die Verfassung kam - zu entsprechen, zuerst mit dem Gesetz der Arbeit (1950), dem Gesetzbuch der Arbeit (1961) und schließlich dem Arbeitsgesetzbuch (1977). Diese Werke halfen zwar sicherlich der Kodifikation, stützten dabei jedoch auch das SED-Regime durch ihre sozialistische Prägung. Im Westen dagegen wartet man ab, nimmt ein "einheitliches Arbeitsrecht" auch nicht in die Verfassung auf. Immerhin: 1959 beauftragt der Bundestag auf Antrag der FDP die Bundesregierung mit dem Beginn von Vorarbeiten eines Arbeitsgesetzbuches. Aus dieser Sache wird aber nicht viel werden.


1969 kommt immerhin etwas Fortschritt, der erste SPD-Bundeskanzler Willy Brandt sagt in seiner Regierungserklärung: "Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist dem sozialen Rechtsstaat verpflichtet. Sie wird zur Verwirklichung dieses Verfassungsauftrags das unübersichtlich gewordene Arbeitsrecht in einem Arbeitsgesetzbuch zusammenfassen. Sie wird auch mit den Arbeiten für ein den Anforderungen der Zeit entsprechendes Sozialgesetzbuch beginnen." Dabei nahm Bundeskanzler Brandt Bezug auf das Godesberger Programm der SPD aus dem Jahr 1959, welches diese Forderungen bereits erhob. Ohne Zweifel war das Sozialgesetzbuch mit wesentlich mehr Erfolg geprägt als das Arbeitsgesetzbuch, wir sind immerhin schon bei dreizehn Büchern; auch eine Kodifikation auf die Deutschland zu Recht Stolz sein kann. Tatsächlich verlief sich die Arbeit an einem Arbeitsgesetzbuch auch hier im Sande.


Die Wiedervereinigung - jetzt aber!?

Mit der Wiedervereinigung kam selbstverständlich auch die Frage nach dem Arbeitsgesetzbuch wieder hoch: in der DDR war die Existenz euines Arbeitsgesetzbuches ja sozusagen selbstverständlich. In Artikel 30 des Einigungsvertrages wurde deshalb geregelt: "Es ist Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers, 1. das Arbeitsvertragsrecht sowie das öffentlich-rechtliche Arbeitszeitrecht einschließlich der Zulässsigkeit von Sonn- und Feiertagsarbeit und den besonderen Frauenarbeitsschutz möglichst bald einheitlich neu zu kodifizieren[...]" Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist der deutsche Gesetzgeber diesem Auftrag immer noch nicht nachgekommen. Zwar gab es verschiedene Anläufe: Sachsen (1995) und Brandenburg (1996) im Bundesrat, den Deutschen Juristentag in den 90er Jahren oder 2005 durch die Bertelsmann-Stiftung, doch aus all diesen wurde am Ende des Tages genauso viel bzw. wenig wie aus den anderen.


So viel zur Geschichte der deutschen Arbeitsrechtskodifikationen.


Zum Titel: Über die Notwendigkeit

Braucht es solch ein Arbeitsgesetzbuch aber wirklich? Besteht eine Notwendigkeit? Die Geschichte hat ganz klar gezeigt: es geht auch ohne, eine Notwendigkeit besteht also nicht. Dennoch ist ein Arbeitsgesetzbuch sinnvoll. Es hilft, sich die aktuelle Situation des Arbeitsrechts zu veranschaulichen: diverse Gesetze, die selbst für den geschulten Juristen die Rechtsfindung nicht gerade erleichtern, mit vielen Lücken, die durch die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte gefüllt werden.


Einer Kodifikation sieht man ja schon am Wort an, dass sie kodifiziert, dass sie sammelt und vereinheitlicht. Das ist vielleicht nicht unbedingt nötig, kann aber helfen, den Überblick zu wahren. Beispielsweise können Sie Regelungen zum Kündigungsschutz je nach Situation finden im: Kündigungsschutzgesetz, im Mutterschutzgesetz, im Betriebsverfassungsgesetz oder im Elternzeitgesetz - und vermutlich an noch anderen Stellen. Eine Kodifikation würde das Arbeitsrecht also für viele Beteiligte einfacher verständlich machen: Rechtsanwender, Richter und Anwälte hätten einen einfacheren Zugang zum Arbeitsrecht.


Der Gesetzgeber würde auch Vorteile daraus ziehen: die Weiterentwicklung des Arbeitslebens wird wie in den letzten 130 Jahren nicht aufhören, gerade dann kann eine Kodifikation einfacher geändert werden als ein dutzend Einzelgesetze, was selbstverständlich auch für die Umsetzung europäischen Rechts gilt. Dabei sollte man sich in keine illusorischen Welten begeben: durch ein Arbeitsgesetzbuch wird nicht plötzlich jeder Arbeitnehmer oder das 5-Mann-Unternehmen in einer Kleinststadt Thüringens dazu befähigt, das Arbeitsrecht zu verstehen. Auch wird man nicht plötzlich den Gerichten die Fortentwicklung des Arbeitsrechts unmöglich machen: denn eine gerichtliche Abwägung wird es weiterhin zum gerechten Interessengleich brauchen. Aber die wichtigen Entscheidungen wird man wieder in die Hand des Gesetzgebers zurückführen und für ganz Deutschland einheitlich und klar regeln können.


Es zeigt sich also: eine Arbeitsrechtskodifikation braucht es nicht, kann es aber geben, wie übrigens die klare Existenz solcher Bücher beispielsweise bei unseren französischen Nachbarn (Code du travail) zeigt.


Möglich oder nicht möglich - das ist hier die Frage

Politisch sieht die Sache natürlich wieder anders aus: nur weil es möglich und sinnvoll ist, muss es nicht realisierbar sein. Doch für das Arbeitsgesetzbuch sieht die Sache eigentlich ganz gut aus: Forderungen dieser Art sind von Seiten der ehemaligen Linken, von Seiten der ehemaligen AfD und natürlich auch aus der Mitte der Gesellschaft vertreten. Die Forderung eines Arbeitsgesetzbuches ist keine Frage von "rechts" oder "links". Stattdessen ist besondere Vorsicht auf den Willen der Sozialpartner zu lenken: wenn sich Gewerkschaften und Arbeitgeber auf ein Arbeitsgesetzbuch einigen können, wird die Kodifikation kommen. Keine der beiden Seiten wird eine Kodifikation akzeptieren, die zu sehr von der aktuellen, fein austarierten Situation abweicht.


Das "Wie"

Analog zum Entwurf der Bertelsmann-Stiftung muss man wohl sagen: "Restatement" und begrenzte Sachreform is the way to go. Einige Änderungen werden sich wohl nicht vermeiden lassen, vielleicht wird man im Zuge des Prozesses auch auf größere Reformen stoßen. Auch beim Sozialgesetzbuch sollte nur eine begrenzte Sachreform stattfinden. Davon wich man aber auch ab, wie sich insbesondere in der großen Gesundheitsreform der schwarz-gelben Koalition in den 80er Jahren zeigt.


Hinsichtlich des "Wie" gibt es auch noch eine andere große Frage zu beantworten: was soll man überhaupt kodifizieren? Denn im Gegensatz zum Zivilrecht oder dem Sozialrecht handelt es sich nicht um ein mehr oder weniger genau abgrenzbares Rechtsgebiet, sondern um einen Lebensbereich. Es geht vom einzelnen Arbeitsvertrag zu öffentlich-rechtlichen Bestimmungen im Arbeitsschutz wiederum zum Sozialrecht. Wie genau man all dies in ein Arbeitsgesetzbuch integrieren kann, ist eine der zentralen Fragen, die es zu lösen gilt. Wo hört Sozialrecht auf? Wo fängt Arbeitsrecht an? Ab wann ist es ein Arbeitsverhältnis und kein Dienstvertrag mehr? Und wie machen Sie daraus ein gesetzgebungstechnisch vernünftiges Produkt?


Einfach mal machen!

Also: warum nicht einfach mal probieren? Die Erfolgschancen sind wahrlich gering, der Druck dementsprechend genauso wenig. Doch das Problem eines diffusen Arbeitsrechts sollte irgendwann endlich mal enden. Dabei werden öffentliche Diskussion mit den Sozialpartnern und der ganzen Bevölkerung zu führen sein, bei dem sich auch unbequemes hervortun kann. Das ist ein Risiko, welches wir eingehen müssen. In der heutigen Zeit - mit massiven technologischen und sozialen Veränderungen im Arbeitsleben - sollte sich diese Situation nicht nur ändern, sie muss es!



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    Kommentare 1

    • Gut recherchiert, strukturiert, verständlich und aktuell! Ein sehr schöner Artikel, Herr Kratzer! 👍