5 BvQ 1/22 - Erfolgreicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Verwaltungsstreitsache I:L Bayern ./. Bayerisches Staatsministerium für Volksbildung und Volkserziehung

  • OBERSTES GERICHT

    – 5 BvQ 1/22 –


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    IM NAMEN DES VOLKES


    In der Verwaltungsstreitsache,
    über die Anträge,

    im Wege der einstweiligen Anordnung,



    1. dem Antragsgegner aufzugeben, aus allen öffentlich einsehbaren Veröffentlichungen des Antragsgegners Textpassagen einstweilen zu entfernen, wo behauptet wird

    - die Antragstellerin habe in der Vergangenheit ihre Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und des Demokratie- wie Rechtsstaatsprinzips deutlich gemacht oder ihre Akzeptanz für diese - für die freiheitliche demokratische Grundordnung essentiellen - Prinzipien in Frage gestellt,
    - die Antragstellerin habe eine Ausrichtung, welche nicht mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu vereinen sei,

    2. dem Antragsgegner bei Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von 10.000 € anzudrohen,

    3. dem Antragsgegner die Verfahrenskosten aufzuerlegen.



    Antragstellerin:
    Internationale Linke, Landesverband Bayern,
    vertreten durch Frau Kaja Sembrant, MdL


    - Prozessbevollmächtigter: Marius Wexler -



    Antragsgegner:

    Bayerisches Staatsministerium für Volksbildung und Volkserziehung,
    Salvatorstraße 2, 80333 München,
    vertreten durch die Staatsministerin, Frau Dr. Oxana Koslowska, MdL



    hat das Oberste Gericht – Fünfter Senat –

    unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter


    Vizepräsident Geissler,


    Neuheimer,


    Langenfeld



    am 25. November 2022 einstimmig beschlossen:



    1. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, aus seiner Veröffentlichung vom 14. November 2022 jene Aussagen zu entfernen, wo behauptet wird

    - die Antragstellerin habe in der Vergangenheit ihre Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und des Demokratie- wie Rechtsstaatsprinzips deutlich gemacht oder ihre Akzeptanz für diese - für die freiheitliche demokratische Grundordnung essentiellen - Prinzipien in Frage gestellt,

    - die Antragstellerin habe eine Ausrichtung, welche nicht mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu vereinbaren sei.


    2. Der Antrag auf Androhung eines Ordnungsgeldes bei Zuwiderhandlung wird abgewiesen.


    3. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner zu 3/4 und die Antragstellerin zu 1/4.



    G r ü n d e :


    A.


    I.


    Am 14. November 2022 hat der Antragsgegner einen Erlass mit dem Titel "Erlass zur Wahrung des Schulfriedens und Eindämmung von verfassungsfeindlicher Propaganda an Bayerischen Schulen" veröffentlicht. Der Erlass dient der Anweisung aller Schulen im Freistaat Bayern, die Zurschaustellung von verschiedenen, der behauptet linksextremen Szenen zuzuordnenden Symbolen sowie des aktuellen sowie vorherigen Parteilogos der Antragstellerin zu unterbinden.


    Begründet wurde der Erlass im Wesentlichen damit, dass die vorstehenden Symbole Vereinigungen, Parteien, Strömungen oder Zusammenschlüssen zuzurechnen seien, deren Ausrichtung mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu vereinen sei, da sie das staatliche Gewaltmonopol sowie des Demokratie- und Rechtsstaatlichkeitsprinzips ablehnten. Der Erlass diene zur Wahrung eines freiheitlich-demokratischen Wertverständnisses in den bayerischen Schulen. Eine sachlich-informative Auseinandersetzung sei hiervon unberührt.



    II.


    1. Die Antragstellerin ist der bayerische Landesverband der bundesweit agierenden und im Bayerischen Landtag vertretenen Partei "Internationale Linke" (I:L), deren aktuelles und vorheriges Logo vom Erlass des Antragsgegners betroffen ist. Sie wendet sich mit dem Antrag einer einstweiligen Verfügung an das Oberste Gericht und begehrt die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners, die angegriffenen öffentlich einsehbaren Äußerungen, die sie im Wesentlichen als verfassungsfeindlich darstelle, zu entfernen.



    2. Die Antragstellerin hält die Anträge für zulässig (a) und begründet (b) und führt im Wesentlichen aus:


    a) Der Antrag sei zulässig.


    Das Oberste Gericht sei nach § 123 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung über die Anträge berufen. Die Zuständigkeit ergebe sich auch aus § 6 Abs. 2 OGG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG. Dass das Oberste Gericht ausweislich des Wortlauts des § 6 Abs. 2 OGG nur für Angelegenheiten der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuständig sei, sei eine planwidrige Regelungslücke, die mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren sei.



    b) Der Antrag sei auch begründet.


    aa) Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleiste den Parteien das verfassungsrechtlich zuerkannte Recht auf eine gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb. Dies umschließe die Möglichkeit einer freien Willensbildung ohne Eingreifen des Staates. Staatliche Organe seien daher zu strikter Neutralität gegenüber den Parteien verpflichtet, da eine negative Äußerung derselben über (Konkurrenz-)Parteien eine andere Wirkung entfalte als im Kontext parteipolitischer Auseinandersetzungen.


    (1) Die angegriffenen Äußerungen und Veröffentlichungen seien staatlicher Natur und richteten sich zielgerichtet gegen die Antragstellerin. Sie seien geeignet, das öffentliche Ansehen der Antragstellerin nachhaltig zu schädigen und ihre Stellung im politischen Wettbewerb erheblich zu verschlechtern. Den Äußerungen sei zu entnehmen, dass es tatsächliche Verdachtsmomente gäbe, dass die Antragstellerin verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge. Der Antragsgegner belege diese Anschuldigungen jedoch nicht. Es würden keine stichhaltigen Beweise präsentiert, die eine verfassungsfeindliche Ausrichtung der Antragstellerin belegten. Es gebe auch kein gegenläufiges Urteil des Obersten Gerichts. Die vorgebrachten Einwände des Antragsgegners seien viel mehr subjektiver Natur und teilweise nicht auf das Wirkungsgebiet der Antragstellerin beschränkt.


    (2) Es bestehe die Gefahr, dass breite Teile der Bevölkerung den Behauptungen, dass die Antragstellerin verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge, Glauben schenken. Insbesondere durch negative Werturteile durch staatliche Organe entstünden irreparable Schäden für das Ansehen der Antragstellerin. Damit einhergehend drohe ein massiver Verlust an politischen Partizipationsmöglichkeiten. Das streitgegenständliche Verhalten des Antragsgegner greife daher in die Parteienfreiheit der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 GG ein.


    bb) Der Eingriff sei nicht gerechtfertigt. Es fehle an einer geeigneten gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, sodass ein Verstoß gegen den Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes vorliege. Insbesondere könne der Antragsgegner sein Verhalten nicht auf Art. 84 Abs. 3 BayEUG stützen. Über entsprechende Verbote habe die Schulleitung zu entscheiden. Dies entspreche dem Wortlaut sowie dem Zweck der Norm, welche einen Missbrauch entsprechender Verbote durch staatliche Organe und eine entsprechende staatliche Parteinahme verhindern solle. Es würden auch keine stichhaltigen Beweise für die verfassungsfeindliche Ausrichtung der Antragstellerin vorgelegt; vorgelegte Befunde seien allenfalls subjektiver Natur. Viel mehr sei die Antragstellerin weiterhin eine demokratisch legitimierte Partei innerhalb des Grundgesetzes.


    cc) Der Antragstellerin stünde daher ein öffentlich-rechtlicher Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch zu. Dieser ergebe sich unmittelbar aus Art. 21 Abs. 1 GG (vgl. VG Berlin, 22.02.2021 - 1 L 127/21 -, Rn. 16) und Art. 20 Abs. 3 GG. Die öffentliche Gewalt sei verpflichtet, rechts- oder verfassungswidriges Verhalten zu unterlassen und einen gesetzmäßigen Zustand herzustellen. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus Art. 20 Abs. 3 GG - ggf. i. V. m. mit Art. 28 Abs. 1 GG -, nach dem die vollziehende Gewalt an Recht und Gesetz gebunden ist. Eine Wiederholungsgefahr sei durch das erstmalige rechtswidrige Verhalten indiziert.


    dd) Die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO lägen ebenso vor. Der Anordnungsgrund sei gegeben, da die rechtswidrigen Handlungen des Antragsgegners die Antragstellerin erheblich beschwerten. Sie werde fortlaufend in ihrer öffentlichen Achtung herabgesetzt. Bereits jetzt sei ein irreparabler Schaden für das Ansehen der Partei entstanden. Der Verlust des politischen Partizipationsvermögens sei ein schwerer Nachteil i. S. d. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO.




    III.


    Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 17. November 2022


    die Anträge als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.


    Er führt in besagtem und nachfolgenden Schriftsätzen im Wesentlichen aus, dass die Anträge auf Beseitigung der streitgegenständlichen Äußerungen unbegründet seien.


    1. Durch die einstweilige Anordnung dürfe die Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Eine solche Vorwegnahme sei nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn die Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise zu spät käme oder Rechtsschutz auf andere Weise nicht gewährt werden könne. Es liege hier jedoch eine zumindest zeitlich-tatsächliche Vorwegnahme der Hauptsache vor, da die Anträge auf eine Entfernung bestimmter öffentlich einsehbarer Textpassagen ziele. Die Antragstellerin gehe nicht darauf ein, inwiefern es zu einer irreversiblen Vereitelung ihrer Rechte bei Nichterlass der einstweiligen Anordnung käme, sodass eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht ausnahmsweise zulässig sei.


    2. Es werde zwar in die Rechte der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 GG eingegriffen, jedoch mit Rechtfertigung. Eine Regierung eines Bundeslandes sei nicht daran gehindert, verfassungsfeindliche Bestrebungen als solche zu benennen (vgl. NStGH, U. v. 24.11.2020 - StGH 6/19, S. 18. m. w. N.). Vielmehr dürfen diese als solche benannt und thematisiert werden – dies sei von der betroffenen Partei zu erdulden (vgl. BVerfGE 138, 102 <116>; ThürVerfGH, U. v. 3.12.2014 - VerfGH 2/14 -, S. 16 f.), sofern nicht sachfremde Erwägungen zu dieser Annahme geführt haben (vgl. BVerfGE 138, 102 <116>). Es bedürfe auch keines die Verfassungswidrigkeit der Antragstellerin feststellendes Urteils des Obersten Gerichts zur Rechtfertigung.


    3. Zur behaupteten Verfassungsfeindlichkeit führt der Antragsgegner aus:


    Die Antragstellerin habe auf vTwitter geäußert, dass die Rote Armee "Befreierin" sei. Diese Verherrlichung stelle eine Missachtung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG dar. Weiter habe ein Parteimitglied in seiner Funktion als Hamburger Innensenator behördliche Ressourcen missbraucht, um die Umsetzung von Gesetzen zu vereiteln, was eine Verletzung des Prinzips der Volkssouveränität, mithin des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 1 und 2 GG darstelle. Dazu habe ein Parteimitglied in seiner Funktion als Innenminister in Nordrhein-Westfalen die Beobachtung der Allianz angeordnet, was einem erheblichen Eingriff in den vertikalen Willensbildungsprozess gleichkäme. Insgesamt seien Tendenzen zu beobachten, die mit den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht in Einklang stünden.



    B.


    Die Anträge sind zulässig (I.) und, soweit sie auf den Beseitigungsanspruch zielen, auch begründet (II.). Der Antrag auf Androhung eines Ordnungsgeldes ist hingegen unbegründet (III.)



    I.


    Die Anträge sind zulässig.


    Das Oberste Gericht ist für die Anträge zuständig. Zwar fehlt die Zuständigkeit des Obersten Gerichtes für Verwaltungsstreitigkeiten in der Auflistung des § 6 OGG, jedoch nimmt § 7 Abs. 3 OGG die Zuständigkeit für Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit an, indem das Einrichten eines Senates für Verwaltungssachen vorgesehen wird. Vor dem Hintergrund, dass jedem Bürger in Art. 19 Abs. 4 GG die Möglichkeit des Rechtswegs ermöglicht wird, entstünde bei Nichtgewährung der Möglichkeit eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eine unzumutbare Rechtsschutzlücke (vgl. OGE 2, 162 <167>). Mithin ergibt sich die Zuständigkeit des Obersten Gerichts für verwaltungsgerichtliche Verfahren schon aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 vDGB.


    Die Anträge sind gem. § 123 Abs. 1 VwGO statthaft. Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt. Sie legt plausibel dar, dass sie in eigenen Rechten verletzt sein könnte.



    II.


    Die zulässigen Anträge sind, soweit sie auf einen Beseitigungsanspruch in Bezug auf die streitgegenständlichen Äußerungen gerichtet sind, begründet.


    Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (OGE 2, 162 <167>). Anordnungsanspruch (1.) und Anordnungsgrund (2.) sind von der Antragstellerin glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).


    1. Der Anordnungsanspruch für die begehrte Löschung der Äußerungen folgt aus dem öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch. Greift der Staat durch schlichtes Verwaltungshandeln in verfassungsrechtlich geschützte Positionen ein, kann der Betroffene gestützt auf das berührte Recht Unterlassung verlangen. Rechtsgrundlage für den Unterlassungsanspruch ist hier Art. 21 Abs. 1 GG mit der darin verfassungsrechtlich gewährleisteten Parteienfreiheit in Form der Betätigungsfreiheit als politische Partei und der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb(vgl. VG Berlin, Beschl. v. 22.02.2021 - 1 L 127/21 -, Rn. 21).


    a) Um die verfassungsrechtlich gebotene Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung zu gewährleisten, ist es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb auf Bundes- und Landesebene teilnehmen. Art. 21 Abs. 1 GG garantiert den politischen Parteien deshalb nicht nur die Freiheit ihrer Gründung und die Möglichkeit der Mitwirkung an der politischen Willensbildung, sondern auch, dass diese Mitwirkung auf der Basis gleicher Rechte und gleicher Chancen erfolgt (vgl. BVerfGE 44, 125 <139>; 138, 102 <110>, 148, 11 <24>). Das Recht politischer Parteien, gleichberechtigt an dem sich permanent in vielfältiger und tagtäglicher Wechselwirkung vollziehenden Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, wird deshalb verletzt, wenn Staatsorgane durch besondere Maßnahmen in amtlicher Funktion zu Gunsten oder zu Lasten einer politischen Partei oder zu Gunsten oder zu Lasten von deren Wahlbewerbern auf die politische Willensbildung des Volkes einwirken (vgl. BVerfGE 44, 125 <141, 146>; 136 <323, 333>; 138, 102 <110 f.>; 148, 11 <25>). Staatsorgane haben als solche allen Bürgerinnen und Bürgern zu dienen und sich neutral zu verhalten (vgl. BVerfGE 44, 125 <144>; 138, 102 <111>; 148, 11 <25>). Einseitige Parteinahmen, unabhängig davon, ob sie während des Wahlkampfes oder außerhalb von Wahlkampfzeiten erfolgen, verstoßen mithin gegen das Gebot staatlicher Neutralität (vgl. BVerfGE 140, 225 <227>; 148, 11, <25 f.>) und verletzen die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen (vgl. BVerfGE 44, 125 <144>; 136, 323 f.; 138, 102, <110 f.>; 148, 11, <26 ff.>).


    Eine Verletzung dieser Rechte kann, wie vorliegend, insbesondere auch dadurch erfolgen, dass staatliche Organe negative Werturteile über die Ziele und Betätigungen der Partei äußern (VGH München, U. v. 22. Oktober 2015 - 10 B 15.1609 -, juris Rn. 19; VG Berlin, Beschl. v. 22.02.2021 - 1 L 127/21 -, Rn. 21). Der Antragsgegner hat, wie er selbst zugibt, durch die beanstandeten Äußerungen in die nach Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Parteienfreiheit der Antragstellerin eingegriffen, indem er öffentlich und unter Zuhilfenahme staatlicher Ressourcen behauptete, die Ausrichtung der Antragstellerin sei nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren und sie habe in der Vergangenheit ihre Ablehnung bzgl. des staatlichen Gewaltmonopols und des Demokratie- und Rechtsstaatlichkeitsprinzips deutlich gemacht. Die Antragstellerin wird in der entsprechenden Veröffentlichung des Antragsgegners direkt angesprochen, sodass ein Eingriff in ihre Rechte aus Art. 21 Abs. 1 GG auf der Hand liegt.



    b) Eingriffe in den Grundsatz der gleichberechtigten Teilhabe der Parteien an der politischen Willensbildung bedürfen einer verfassungsrechtlicher Rechtfertigung (vgl. BVerfG, U. v. 15. Juni 2022 - 2 BvE 4/20 -, Rn. 72). Gründe, die Ungleichbehandlungen rechtfertigen und der Regierung eine Befugnis zum Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien verleihen, müssen durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sein, das dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Waage halten kann (vgl. insoweit zum Grundsatz der Gleichheit der Wahl BVerfGE 6, 84 <92 f.>; 95, 408 <418>; 129, 300 <320>; 130, 212 <227 f.>; 135, 259 <286 Rn. 51>; zum Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl BVerfGE 42, 212 <340 f.>; 132, 39 <48 Rn. 25>; 151, 1 <19 Rn. 43>). Dabei ist jedenfalls den Grundsätzen der Geeignetheit und Erforderlichkeit zur Erreichung der verfassungsrechtlich legitimierten Zwecke Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, U. v. 15. Juni 2022 - 2 BvE 4/20 -, Rn. 92; BVerfGE 135, 259 <287 Rn. 53>).


    Eine Rechtfertigung von Eingriffen in den Gewährleistungsbereich von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG kann sich aus der Befugnis der Bayerischen Staatsregierung im Ganzen sowie des Ministerpräsidenten und der Staatsministerinnen und Staatsminister zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ergeben. Die der Staatsregierung und ihren Mitgliedern gemeinsam mit dem Landtag obliegende Aufgabe der Staatsleitung schließt als integralen Bestandteil eine solche Befugnis ein (vgl. für die Bundesregierung: BVerfGE 20, 56 <100>; 44, 125 <147>; 63, 230 <243>; 105, 252 <270>; 105, 279 <304 f.>; 138, 102 <114>; 148, 11 <27>). Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ist nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten und die Bürgerinnen und Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung sowie zur Bewältigung vorhandener Probleme zu befähigen (vgl. BVerfGE 44, 125 <147>; 105, 252 <269>; 105, 279 <302>). So liegt es hier.


    Die Staatsregierung ist ferner auch nicht daran gehindert, sondern sogar verpflichtet, für die Grundsätze und Werte der Verfassung einzutreten (vgl. BVerfGE 113, 63 <78>; VerfGH Berlin, U. v. 20. Februar 2019 - 80/18 -, juris, Rn. 42; VerfGH Saarland, U. v. 8. Juli 2014 - Lv 5/14 -, juris, Rn. 40). Im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat sie sich auch mit verfassungsfeindlichen Parteien zu befassen. Aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG folgt deshalb nicht, dass die Staatsregierung daran gehindert wäre, verfassungsfeindliche Bestrebungen politischer Parteien als solche zu bezeichnen und darauf in angemessener Weise zu reagieren. Dabei vorgenommene Einschätzungen politischer Parteien als verfassungsfeindlich sind, soweit sie sich im Rahmen von Gesetz und Recht halten, Teil der öffentlichen Auseinandersetzung; die betroffene Partei muss sich dagegen mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfes zur Wehr setzen (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>; 138, 102 <116 Rn. 47>).


    Der Antragsgegner kann die angegriffenen, öffentlich getätigten Äußerungen daher vorliegend auf seine Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit stützen. Es ist im Grundsatz auch nicht zu beanstanden, dass er für die Grundsätze und Werte der Verfassung eintritt und eine öffentliche Einschätzung bzgl. der Verfassungsfeindlichkeit der Antragstellerin abgibt. Die Preisgabe dieser Einschätzung ist zumindest auch geeignet, den vom Antragsgegner verfolgten verfassungsrechtlich legitimierten Zweck, die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit hinsichtlich der möglichen Verfassungswidrigkeit der Antragstellerin zum Schutz der Grundsätze und Werte der Verfassung, zu erreichen.



    c) Der Eingriff in die Rechte der Antragstellerin ist jedoch nicht erforderlich.


    aa) Jenseits der Frage einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage verbietet es das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit der Staatsregierung, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn ein solches Vorgehen bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 133, 100 <108>; früher bereits BVerfGE 40, 287 <293>). Es ist der Staatsregierung, auch wenn sie von ihrer Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch macht, von Verfassungs wegen versagt, sich mit einzelnen Parteien zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen (vgl. BVerfGE 44, 125 <141 ff.>; 138, 102 <115 Rn. 45>). Der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG lässt es nicht zu, dass die Regierung die Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit nutzt, um Regierungsparteien zu unterstützen oder Oppositionsparteien zu bekämpfen (vgl. BVerfGE 44, 125 <148 ff.>; 63, 230 <243 f.>; 138, 102 <115 Rn. 46>). Auch sind Einschätzungen bzgl. einer Verfassungsfeindlichkeit von Parteien dann unzulässig, wenn sie auf sachfremden Erwägungen beruhen und damit den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 40, 287 <293>; 138, 102 <116 Rn. 47>). Jedenfalls dann, wenn die betreffende Partei gute Wahlchancen hat, führt eine unzutreffende Extremismus-Etikettierung zu einer schwerwiegenden Verzerrung des demokratischen Wettbewerbs (Murswiek, Verfassungsschutz und Demokratie, S. 22; vgl. zur Schmälerung der Wahlchancen auch VG Köln, Beschl. v. 26. Februar 2019 - 13 L 202/19, juris Rn. 61; VG Berlin, Beschl. v. 22.02.2021 - 1 L 127/21-, Rn. 22).


    bb) Nach diesen Maßstäben sind die angegriffenen Aussagen, bei vorläufiger Würdigung der bisher vorgetragenen Gründe für die angeblich verfassungsfeindliche Bestrebung der Antragstellerin, nicht gerechtfertigt.


    (1) Der Antragsgegner führt in seiner Begründung zur Rechtfertigung der Aussagen drei Beispiele auf, die eine verfassungsfeindliche Bestrebung der Antragstellerin belegen sollen.


    Soweit der Antragsgegner auf einen Tweet der Vertretungsberechtigten der Antragstellerin abstellt, in dem eine Verherrlichung der kommunistisch regierten Sowjetunion begründet sein soll, sind diese Ausführungen zur Begründung einer verfassungswidrigen Bestrebung der Antragstellerin offensichtlich ungeeignet. Eine derart aus dem Kontext gerissene Aussage eines einzelnen Mitglieds der Antragstellerin vermag keinen Rückschluss darauf zu rechtfertigen, ob die Antragstellerin dieses Regime tatsächlich "verherrlicht".


    Auch der Vortrag, dass der ehemalige Innenminister Hamburgs, mithin Mitglied der Internationalen Linken, verfassungsfeindlich agiert hätte, ist nicht hinreichend substantiiert. Der Antragsgegner führt nicht aus, inwiefern die Antragstellerin behördliche Ressourcen für die Vereitelung der Umsetzung von Gesetzen missbraucht hätte. Ein dahingehender Rechtsverstoß wurde bisher auch nicht festgestellt.


    Schließlich handelt es sich auch bei der Behauptung, dass die durch ein Mitglied der Internationalen Linken angeordnete Beobachtung der Allianz NRW verfassungsfeindlich sei, um eine bloße Annahme des Antragsgegner. Er führt nicht aus, inwieweit tatsächlich ein Rechtsverstoß vorgelegen haben soll.


    (2) Insgesamt betrachtet trägt der Antragsgegner im Wesentlichen unsubstantiiert und lediglich überschlagsartig vor, warum die Ausrichtung der Antragstellerin tatsächlich nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinen sei. Keine der jeweils nur knapp begründeten Ausführungen ergeben, dass die Antragstellerin tatsächlich offensichtlich verfassungsfeindlich gesinnt ist. Der Antragsgegner führt auch nicht aus, inwiefern die Antragstellerin in Bayern selbst durch verfassungsfeindliche Tätigkeiten aufgefallen sei. Auch seinen beanstandeten, öffentlich getätigten Aussagen hat der Antragsgegner keine Begründung beigefügt, warum er zu dem Entschluss gekommen sei, dass die Antragstellerin die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehne. In Summe beruhen die Annahmen des Antragsgegners teils auf sachfremden und teils auf unsubstantiiert vorgetragenen Erwägungen und stellen demnach eine, nach bisherigem Informationsstand, unzutreffende Extremismus-Etikettierung der Antragstellerin dar. Der Eingriff in die Rechte der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ist daher nicht erforderlich und somit nicht gerechtfertigt.



    2. Die Antragstellerin hat darüber hinaus auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dieser setzt voraus, dass es der Antragstellerin unter Berücksichtigung ihrer Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (vgl. Buchheister, in: Wysk, VwGO, 3. Auflage 2020, § 123, Rn. 20). So liegt es hier. Die beanstandete Äußerung ist nicht gelöscht, der nach jetzigem Stand nicht zu rechtfertigende Eingriff in die nach Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Parteienfreiheit dauert an. Die Antragstellerin hat auch schlüssig dargelegt, dass der andauernde Eingriff in ihre Rechte wahrscheinlich mit einem, womöglich irreparablen, Verlust ihres politischen Partizipationsvermögens und ihres Ansehens einhergeht. Zur vorübergehenden Wahrung ihrer Rechte ist das Entfernen der streitgegenständlichen und wahrscheinlich rechtswidrigen Äußerungen erforderlich..



    3. Hinsichtlich einer möglichen Vorwegnahme der Hauptsache bestehen keine Bedenken.


    a) Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht nach § 123 Abs. 1 VwGO grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und einer Antragstellerin nicht schon in vollem Umfang dasjenige gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt allerdings im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG dann nicht, wenn die gerichtliche Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, weil die Antragstellerin sonst Nachteile zu erwarten hätte, die für ihn unzumutbar wären, und das Begehren in der Hauptsache schon aufgrund einer summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten bei Anlegung eines strengen Maßstabs erkennbar Erfolg haben muss (vgl. OGE 2, 162 <167>; BVerfG, Beschl. v. 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 -; BVerwG, Beschl. v. 13. August 1999 - 2 VR 1.99 -).


    b) Bei der Anordnung einer einstweiligen Entfernung der streitgegenständlichen Aussagen handelt es sich um keine tatsächlich Vorwegnahme der Hauptsache, da es sich lediglich um eine temporäre Regelung in Bezug auf das strittige Rechtsverhältnis handelt. Der Antragsgegner ist nicht gehindert, die angegriffenen Textpassagen nach einem Ausgang des Hauptsacheverfahrens zu seinem Gunsten erneut zu veröffentlichen (vgl. grundlegend OGE 2, 29 <31>). Es ist auch nicht ersichtlich, dass es der Antragstellerin lediglich um eine eilige Entscheidung über die im Hauptsacheverfahren angegriffenen Maßnahmen geht, da sie die Eilbedürftigkeit schlüssig darlegt und ihr hinreichender Rechtsschutz auf andere Weise nicht gewährt werden kann. Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist der Erlass der einstweiligen Anordnung erforderlich, da der Antragstellerin bei Nichtgewährung unzumutbare Nachteile entstünden, die sich, auch im Hinblick auf die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache, nicht rechtfertigen ließen.



    4. Nach alledem sind die Anträge hinsichtlich der begehrten vorläufigen Entfernung der beanstandeten Äußerungen, soweit sie auf die Veröffentlichung des Antragsgegners vom 14. November 2022 zielen, begründet. Soweit die Antragstellerin die Entfernung solcher Äußerungen aus anderen Veröffentlichungen begehrt, legt sie nicht dar, wo diese Äußerungen noch getätigt worden sind. Soweit die Antragstellerin die Entfernung der Aussagen aus weiteren Veröffentlichungen begehrt, hätte eine gesonderte, den jeweiligen Umständen der getätigten Aussage Rechnung tragende, Prüfung erfolgen müssen.



    III.


    Der Antrag zur Androhung eines Ordnungsgeldes war abzuweisen. Es kann dabei offenbleiben, ob § 890 ZPO i.V.m. § 167 VwGO vorliegend anwendbar ist, da die Voraussetzungen dieser Regelung gar nicht erfüllt sind.


    Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Vollstreckung - auch im Verwaltungsprozessrecht - grundsätzlich nach dem Inhalt des zu vollstreckenden Titels richtet. Somit ist zur Abgrenzung der einzelnen in §§ 887, 888 und 890 ZPO geregelten Fallgruppen auf den Kern der nach dem Vollstreckungstitel geschuldeten Leistung des Schuldners abzustellen (BayVGH Beschl. v. 30.3.2006 - 15 C 05.2757 -, juris Rn. 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 74. Aufl. 2016, § 887 ZPO Rn. 2). Demnach ist nur dann, wenn der Titel auf ein Unterlassen beschränkt ist, auch der in der Aufrechterhaltung des Zustands liegende Verstoß gegen den Titel nach § 890 ZPO zu vollstrecken; ist dagegen dem Schuldner ausdrücklich aufgegeben, den Zustand zu beseitigen, kommt insoweit nur die Handlungsvollstreckung nach §§ 887 f. ZPO in Frage. Voraussetzung für die Anwendung des § 890 ZPO ist mithin, dass der zu vollstreckende Anspruch auf Unterlassung einer Handlung gerichtet ist oder dazu verpflichtet, die Vornahme einer Handlung zu dulden (vgl. VG Bayreuth, Beschl. v. 07.03.2027 - B 5 V 17.17-, Rn. 18). Eine solche Fallkonstellation liegt vorliegend aber gerade nicht vor, da der Antragsgegner nur zur vorübergehenden Löschung der angegriffenen Aussagen verpflichtet ist.



    C.

    1. Von einer mündlichen Verhandlung wird nach § 18 Abs. 2 Satz 1 OGG abgesehen. Die mündliche Verhandlung war, trotz Antrag des Antragsgegners, auch nicht gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b OGG durchzuführen, da § 18 Abs. 2 Satz 1 OGG eine speziellere Ausprägung der Regelung bzgl. mündlicher Verhandlungen für einstweilige Verfügungsverfahren darstellt. Nichts anderes ergibt sich aus § 123 Abs. 4 i. V. m. § 101 Abs. 3 VwGO.


    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.



    Geissler | Neuheimer | Langenfeld


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    Prof. Dr. Robert Geissler

    - Vizepräsident des Obersten Gerichts -

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