Das Scheitern der Europäischen Union.

Mehr als 20.000 Menschen sind es, die den Weg über das Mittelmeer nicht geschafft haben. Mehr als 20.000 Menschen, die alleine seit 2014 im Mittelmeer ertrunken sind. Alleine im letzten Jahr wohl knapp 2000. Es ist erstaunlich, das in einem so hoch entwickeltem, fortgeschrittenem Land wie Deutschland es nicht dazu führt, dass wir diesen Menschen helfen wollen. Im politischen Diskurs haben Rechtspopulisten und Rechtsextreme dieses Thema im Zuge der so genannten Flüchtlingskrise 2015 besetzt. Über 10% erhielt die AfD bei der Bundestagswahl 2017. In anderen Ländern sah und sieht es weitaus verheerender aus. Überall in Europa übernehmen diejenigen die Macht, die sich durch Hass, Hetze und Diskriminierung profilieren. Die Debatte wird damit verschoben. Anstatt dass wir darüber diskutieren, wie wir mit dem Thema Flucht generell am sinnvollsten umgehen, wie wir Flüchtende am besten und gerechtesten aufteilen, müssen wir darüber sprechen, ob diese Menschen überhaupt als Menschen legitimiert sind, ob sie das Recht auf Leben haben und ob wir ihnen denn wirklich helfen müssen. Rassisten haben leichtes Spiel dabei, ihre Ideologie zu verbreiten. Besonders das Internet hilft. Die Filterblasen werden immer größer und kritische Stimmen werden ausgeblendet. An dieser Stelle einen schönen Gruß an die Telegram-Freunde.


Eine politische Lösung haben wir jedenfalls weder in, noch nach dieser „Flüchtlingskrise“ gefunden. Überraschenderweise ist das Abendland nun nicht untergegangen und das Thema geriet wieder in Vergessenheit. Corona bietet nun ja wieder neue Fläche für Extremisten. Doch leiden etliche Menschen weiterhin daran, dass die Europäische Union keinen neuen Vertrag ausgehandelt hat und wir nach wie vor auf Dublin festsitzen. Es mag in der Theorie so einfach klingen: Ein Asylantrag muss da gestellt werden, wo die erste Einreise in die EU erfolgte. In der Praxis hieße das: Die Grenzstaaten werden allein verantwortlich dafür gemacht, mit Fluchtströmen umzugehen. Das ist nicht nur ein extremes Ungleichgewicht. Das ist im Zweifelsfall eine Destabilisierung der Grenzstaaten, für die diese Fluchtströme deutlich belastender sind, als für Nicht-Grenzstaaten. Seit Jahren sieht man ja, wie Asylanträge in Ländern wie Griechenland laufen: praktisch gar nicht. Neben der schier zu großen Anzahl an Menschen, die in den Behörden registriert und bearbeitet werden müssen, sind die Verfahren an sich schwer. Wenn keine Pässe vorhanden sind oder Unterlagen fehlen, dann kommen unsere EU-Regularien damit nicht zurecht. In der Praxis funktioniert Dublin natürlich nicht. Deutschland bekannte sich damals als eines der wenigen EU-Länder dazu, Geflüchtete aufzunehmen um die Überlastung der Grenzländer zu verhindern. Ein richtiger Schritt, der wie erwähnt, keinen Kollaps verursacht hat. Doch eine gemeinsame Lösung innerhalb der EU haben wir immer noch nicht. Auch, weil sich Staaten wie Polen oder Ungarn dagegen sträuben. Österreich und der gescheiterte Kanzler Kurz dürfen sich ebenfalls angesprochen fühlen. Wir stellen also fest: Flüchten ist nicht so geil.


Aber warum entschließen sich dann so viele Menschen dazu, genau das zu tun? Es ist nicht der Spaß an der Freude. Und es ist auch nicht nur die Hoffnung auf „ein besseres Leben“. Nein, es ist der Wunsch nach einem menschenwürdigem Leben. Dieses kann in den Slums oder Wüsten der Heimatländer selten garantiert werden. Menschen flüchten wegen Hunger, Durst und Krieg. Wegen Verfolgung, Folter und Angst. Für letzteres sehen wir nur mal nach Afghanistan, ein Beispiel des Versagens, für das wir hier jetzt keinen Platz haben. Es ist kein kapitalistischer Bereicherungsgedanke, dem Heimatland den Rücken zu kehren. Dennoch spiel es natürlich eine Rolle, das seitdem wir weltweit kommunizieren können plötzlich auch die Menschen in ärmeren Ländern sehen, in welchem Luxus wir im Westen so leben – oft auf Kosten dieser armen Länder. Es sind individuell drängende Gründe, weshalb Menschen flüchten und in aller Regel sind sie begründet, wie auch die Zahlen der genehmigten Asylanträge, bzw. der der zurecht gestellten Anträge. Denn zwischen diesen Beiden gibt es einen Unterschied. Mehr als ein Drittel der abgelehnten Asylanträge hätten vor Gericht keinen Bestand. Der Eindruck, wir nähmen viel zu viele Menschen auf, ist nach unserem jetzigen, sehr regressiven Asylrecht, also völlig falsch.


Wenn wir also wollen, dass wir das Problem wirklich lösen, dann haben wir 2 Möglichkeiten, die wir am besten beide umsetzen. Einerseits können wir die Bedingungen in den Herkunftsländern verbessern. Teuer. Vor allem für die Firmen, die gerne Billigarbeitskräfte in prekären Situationen beschäftigen. Die müssten dann die Hungerlöhne eventuell auf ein ertragbares Niveau anheben sollten und dafür sorgen müssten, dass Fabriken nicht einfach zusammenstürzen oder in Flammen aufgehen. Eine stabile Wasserversorgung, die nicht durch Nestlé und Co. kontrolliert wird, wäre auch von Nutzen.

Andererseits könnten wir auch dafür sorgen, dass Geflüchtete fair innerhalb der Mitgliedstaten der Union verteilt werden. Eben so, dass am Ende keiner daran zerbricht und wir alle zufrieden sind.


Die Alternative, nicht zu handeln und abzuwarten (oder Erdogan als Türsteher zu beauftragen) funktioniert bald nicht mehr. Wir werden weltweit bis 2050 mehr als 140 Millionen Klimaflüchtlinge haben. Zusätzlich (!) zu allen anderen. Je nach dem, wie schwer die Klimakrise ausfällt, werden es mehr werden. Wenn ein Teil unseres Planeten nicht mehr bewohnbar (oder überhaupt erreichbar) ist, dann können wir die Menschen nicht mehr abschieben. Und spätestens dann brauchen wir eine Lösung, sonst zerbricht die EU endgültig an dieser Frage.


Genau das ist es, worauf es wohl hinaus läuft. Großbritannien hat ja schon vorgemacht, wie man mit Fake News und Populismus den „Way out“ findet. Sind wir ehrlich, solange in Polen die PiS, in Ungarn Orban und in Österreich die ÖVP regiert, werden wir kein Ergebnis haben. Und dass wir in Europa jetzt reihenweise die Rechtspopulisten abschießen wäre zwar wünschenswert, ist aber nicht realistisch. Wir werden einfach sehenden Auges in diese echte Krise laufen und es den Extremisten wieder leicht machen. Warum man sich da sicher sein kann? Schauen wir doch mal da unten:


Grenzgebiet Belarus: Polen lässt Auslandspresse auf Zugang ...


Belarus. Es ist das aktuellste und passendste Beispiel. Tausende warten an der Polnisch-Belarussischen Grenze, in die EU einreisen zu können und einen Asylantrag zu stellen. Polen stationiert jedoch sein Militär an der Grenze, um mögliche Einwanderer mit Waffengewalt fernzuhalten. Ein rechtswidriges Verhalten, denn Flüchtende müssen die Möglichkeit bekommen, einen Asylantrag zu stellen. Doch Polen wird dafür von Europas „Konservativen“ abgefeiert. Die angeblich katholische Regierung lässt Menschen erfrieren und verdursten. Aber das soll ja alles richtig sein, denn sie schützt nur ihre Grenze. Ist ja schließlich ihr Recht. So perfide wird argumentiert.

Es ist nicht von Belange, dass Lukaschenko uns unter Druck setzen will. Wenn Europa nicht einmal dazu fähig ist, sich gegen die letzte instabile Diktatur seiner selbst zu wehren, dann müssen wir wohl andere Dinge hinterfragen. Nein, wir produzieren gerade genau die Bilder, die Lukaschenko haben will. Der Westen offenbart, wie wichtig ihm seine Werte wirklich sind. Es ist eine kollektive Selbstaufgabe. Deutschland könnte natürlich mal wieder den Helden spielen und diese Menschen retten, ohne selbst davon einen ernsthaften Nachteil mit sich zu tragen, aber was erwarten wir denn bei unserer schwerfälligen und unwilligen Demokratie, die von Rechtspopulisten bestimmt wird?


Brauchen wir noch ein Fazit? Machen wir es kurz und bündig: die EU ist unfähig und wird auf kurz oder lang an den drängenden Fragen unserer Zeit zerbrechen, wenn sie sich nicht einigen kann. Wir können uns entweder damit abfinden, was bereits viele getan haben oder darauf setzen, dass private Initiativen ein Mindestmaß an Menschen retten können.

Eine letzte Bitte hätte ich aber noch: Können wir dann wenigstens aufhören so zu tun, als wären die Menschenrechte ein ernsthaftes Anliegen von Deutschland und der Europäischen Union? Können wir es bitte einfach lassen, uns selbst in einer moralisch erhöhten Position gegenüber irgendwem anders zu sehen? Sehen wir es einfach ein, dass wir die Schuldigen sind und nichts dagegen tun. Das wäre wenigstens ehrlich. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten.

    Kommentare 2

    • Eigentlich ein sehr guter Artikel, der den Finger in die Wunde legt. Aber was ist "reihenweise die Rechtspopulisten
      abschießen wäre zwar wünschenswert" denn bitte für eine Formulierung? Diesen Leuten sollten man mit allen (gewaltfreien) Mitteln das Handwerk legen, keine Frage, aber Respekt vor dem menschlichen Leben haben auch sie verdient.

      • Das ist auf Missverstehen des Textes/der Aussage zurückzuführen. "Abschießen" heißt in dem Kontext ja nicht das Abschießen mit irgendwelchen Waffen, sondern das konsequente abwählen dieser Personen und Parteien. Dass das aber nicht realistisch ist, genau das wollte ich ausdrücken. Flapsig formuliert ja, das sind jedoch meine Texte im allgemeinen...^^