Mitte, Links und Alkohol

Am gestrigen Abend veranstalteten die Sozialdemokraten ihren Bundesparteitag. Für die Delegierten sollte es ein spannender und kräftezehrender Abend werden, welcher mit einer Zerreißprobe endet.

Zunächst verlief der Abend wie gewohnt. Die Rede des Kanzlerkandidaten, Vorstellung der Direktkandidatinnen und Direktkandidaten in den Ländern, Vorstellung des Wahlprogrammes - all das verlief in der bekannten Ruhe und ohne erwähnenswerte Vorkommnisse. Spannend wurde es erst bei der allgemeinen Aussprache.


Das Wort ergriff zuerst ein neues Gesicht der Sozialdemokraten. Sylvie Jachère-Wessler erklärte, man müsse die Sozialdemokraten neu formen. "Wir müssen eine Partei sein, mit der man koalieren möchte – wegen unserer sachlichen Debattenkultur, wegen unserer Kompromissfähigkeit, wegen unseres guten Rufs", erklärte sie vor den Delegierten. Auch der nachfolgende Redner, Dr. Egon Schumacher, äußerte sich ähnlich kritisch zu dem aktuellen Kurs der SDP: "Da finde ich es heute traurig, dass wir uns die Frage stellen müssen, wie groß unser Beitrag zur negativen Kultur und dem schlechten Klima vor dieser Bundestagswahl war. Während sich Demokraten zanken, lachen Vertreter rechtsextremer Parteien in ihren dunklen Ecken. Wir reißen die Fundamente der Brücken ab, die zu anderen demokratischen Parteien gebaut werden könnten". Bis hier hin verlief alles ruhig. Nun trat Alex Regenborn auf die Bühne - mit einer Gegenrede. Der Bundeskanzler und Parteivorsitzende ist zufrieden mit seinem Kurs. Der linke Kurs der SDP habe überhaupt erst zu enormen Wahlergebnissen von an die 40% geführt. "Das als einen Fehlkurs zu bezeichnen ist, bei allem Respekt, absurd", kommentiert er seine Vorredner und gab zeitgleich die Gegenströmung des "Düsseldorfer Kreises" bekannt. Die Sozialistische Plattform soll mithalten - und für ein Festhalten am Kurs kämpfen. Zu den Gründungsmitgliedern zählen neben der ehemaligen Ministerpräsidentin Thüringens, Ricarda Fährmann und dem Thüringer Landtagsabgeordneten Mijat Russ auch die Bundeskanzlerin a.D. Caroline Kaiser.


Zu diesem Zeitpunkt war also klar: der Düsseldorfer Kreis möchte koalitionsfähiger werden. Mit allen Demokraten reden. Zumindest letzteres gilt ebenso für die Sozialistische Plattform. Nur möchten diese eben auch am Linkskurs festhalten, was den Düsseldorfern ein Dorn im Auge ist. Sylvie Jachère-Wessler erklärt dazu: "Möchten wir bis in die letzten linken Winkel des politischen Spektrums vordringen und damit vielleicht bürgerliche Wählerinnen und Wähler verunsichern? So verspielen wir nachhaltig da Vertrauen in unsere Bewegung". Und das wiederum ist den Mitgliedern der Sozialistischen Plattform ein Dorn im Auge: man fahre gut mit dem aktuellen Kurs und erzielt Wahlergebnisse über der 30%-Marke. Wieso nun also abweichen? Und dann zulasten der Inhalte? Schnell entflammt die Diskussion auf Twitter. Eigene Mitglieder sind "entsetzt" und wissen nicht, "was sie sagen sollen". Finanzminister Müller erklärte dann jedoch: "Ein Linksrutsch, den die Sozialistische Plattform in der SDP anstreben will, wird es mit dem Düsseldorfer Kreis nicht geben. Dadurch würden wir uns nur selbst zerfleischen. Wir stehen für zentristische, pragmatische, vorwärtsgewandte sozialdemokratische Politik, die das Land für die Zukunft vorbereitet und dem Land einen Weg in eine lebenswerte, gute Zukunft ebnet" - hier wird klar: die Sozialdemokraten stehen vor einer Richtungsentscheidung, kurz vor der Bundestagswahl.


Die Diskussion entflammt auf Twitter, die Grünen zeigen sich amüsiert und stellen klar: "Kurz vor der Bundestagswahl scheint sich ein Richtungskampf in der SDP zu entflammen. Innerparteiliche Richtungsdiskussionen sind sicherlich wichtig, aber ob ein solcher Disput kurz vor einer anstehenden Wahl wirklich öffentlich ausgetragen werden sollte bleibt fraglich. Für die Grünen ist klar: wir sind links und werden auch nach der Bundestagswahl für linke Positionen kämpfen, ob mit oder ohne die SDP."

Es hagelt Kritik aus den eigenen Reihen über die Tweets einzelner Mitglieder der Sozialdemokraten. Knapp 24 Stunden später äußerte sich Jachere-Wessler etwas gemäßigter und erklärte uns Gegenüber:


"Ich freue mich, dass sich Genossinnen und Genossen mit ähnlichen Ansichten zusammenschließen, um sich innerhalb der Partei besser organisieren und vernetzen zu können. Natürlich wirkt es auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich, aber ich bin mir sicher, dass beide Teile die Partei gleichermaßen lieben und sie auf keinen Fall aufgeben würden. Uns stehen sicherlich längere, leidenschaftliche Debatten ins Haus. Darauf bin ich schon sehr gespannt."


Die Grünen bleiben skeptisch. Marius Wexler, einer der Bundesvorsitzenden der Partei, erklärt:


"Interne Diskussionen zur Ausrichtung einer Partei sind wichtig und notwendig, am gestrigen Tage wurde uns allerdings ein öffentlich ausgefochtener Richtungsstreit präsentiert. So kurz vor einer Bundestagswahl ist das sicherlich unklug. Zumal die SDP auch die vorherige Wahl eben durch einen linken Wahlkampf gewonnen hat. Es erschließt sich mir nicht, warum linke Politik in der SDP plötzlich auf die Probe gestellt werden sollte. Den Eindruck gewinnt man aber durchaus besonders durch Tweets des SDP-Mitglieds Herbert Müller. Für die Grünen ist klar: wir sind progressiv, ökologisch und links und so werden wir auch agieren."


Bisher standen sich Grüne und SDP nah. Und auch die beschriebene "linke Politik für die Allgemeinheit" ließe sich mit den Grünen sicherlich einfacher umsetzen, als in einer Koalition mit dem Forum und/oder der CDSU. Die Koalitionsfrage stellt sich aktuell auch in Nordrhein-Westfalen. Dort entscheiden sich die Sozialdemokraten gerade für einen Bündnispartner. Für die Spitzenkandidatin der NRW-Grünen, Dr. Kerstin Siegmann, steht jedoch fest:


"Grundsätzlich kann und soll jede Partei Diskussionsplattformen und -möglichkeiten bieten, es stellt sich aber dennoch die Frage, ob die Gründung der Flügel zu dieser Zeit so durchdacht war. Jedenfalls ist für uns klar, dass wir weiterhin linke Politik machen werden und das entweder mit der SDP oder ohne sie"


Am Ende brachten sich die Sozialdemokraten in eine missliche Lage. Sie selbst müssen jetzt, nach der Veröffentlichung des Wahlprogrammes, überlegen, welchen weg sie gehen und wie viel sie bereit sind dafür zu geben - bezogen auf die im Wahlprogramm enthaltenen Programmpunkte. Zudem haben Sie nun skeptische Grüne am Verhandlungstisch in NRW. Die verdächtige Ruhe der Allianz unterstreicht zudem, wie sehr es sie amüsiert, dass man für hitzige Diskussionen auf Twitter gar nicht mal mehr selbst etwas tun muss. Wie sich die Arbeit innerhalb der Flügel ausgestaltet, bleibt offen. Ob sich die Sozialdemokraten damit einen Gefallen getan haben, wird sich zeigen. Schon jetzt ist klar: zumindest für Verwirrung hat der gestrige Abend gesorgt.

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