Die Knabenbeschneidung als Debatte missverstandener Religionsfreiheit: Ein Plädoyer für das Gewaltverbot

Es muss für den im bereits angesprochenen vor dem LG Köln geführten Verfahren angeklagten Arzt muslimischer Religion von großer Irritation gewesen sein, für die Durchführung eines langjährigen religiösen Rituals angeklagt und zumindest erstinstanzlich wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden zu sein. Schließlich bevölkern Muslime schon mehrere Jahrzehnte das Land und führten im Zuge dessen sicherlich einige Beschneidungen durch. Gleichwohl war § 223 StGB, der als Ausprägung des allgemeinen Gewaltverbots - ein ganz grundlegendes Gebot eines jeden Rechtsstaates - körperliche Misshandlungen und Gesundheitsschädigungen unter Strafe stellt, ständig in Kraft. Diese erhebliche Diskrepanz von Sollen und Sein gab wohl den entscheidenden Anlass für das Gericht von einem unvermeidbaren (!) Verbotsirrtum auszugehen: Der Arzt konnte, so wird es gerichtlich bescheinigt, unter Anstrengung all seiner Gewissenskräfte nicht erkennen Unrecht zu tun. Nur aus diesem Grunde war er letztlich freizusprechen.


Auf Grund der heftigen und vielfach unangemessenen Reaktionen, die auf dieses Urteil folgten, wurde der Gesetzgeber tätig und verleihte den Eltern nunmehr das Recht, auch in religiöse Beschneidungen einzuwilligen. Anliegen des Antrags der KonP-Fraktion ist es, diese Änderung rückgängig zu machen, die Kinderbeschneidung also wieder dem Strafrecht zu unterstellen. Entgegen einer beiläufigen Bemerkung der Opposition soll die Beschneidung also nicht kriminalisiert, sondern die gesetzgeberisch angeordnete Legalisierung rückgängig gemacht werden. Diese Unterscheidung ist bedeutsam, weil sich ihr Aussagen über den von der Werte - und Rechtsordnung des Grundgesetzes vorgegebenen Normalfall entnehmen lassen. Rechtfertigungs - und begründungsbelastet sind insoweit jene Kräfte, die ein Abweichen von diesem Normalfall plädieren und die Aufrechterhaltung von § 1631d BGB fordern.


Hierfür sind die, wie zu zeigen sein wird, vermeintlichen Argumente natürlich schnell gefunden. Es handele sich um ein Verbot von Beschneidungen, das eine Beeinträchtigung der Religionsfreiheit bewirke. Außerdem sei die Regelung unzweckmäßig, denn sie bewirke einen Beschneidungstourismus, so dass von Problemverschiebung, anstatt von Problemlösung auszugehen sei. Man müsse daher eine differenziertere Lösung wählen, die abwäge. Offen bleibt dabei allerdings, welche Interessen gegeneinander abzuwägen sei. Reduziert man den Kern des Problems auf eine Ausübungsbeschränkung des elterlichen Erziehungsrechts, lässt sich die Abwägung relativ eindeutig zugunsten des Kindes treffen. Im Folgenden soll erklärt werden, warum die Religionsfreiheit der Eltern für die geforderte Abwägung irrelevant bleiben muss.


Die in Art. 4 GG verbürgte Religionsfreiheit gewährleistet die Freiheit der Religionsausübung. Hierzu gehört freilich auch die Beschneidung. Bedauerlicherweise werden typische Abwägungskategorien gefordert, ohne das grundsätzliche Problem der im Falle der Knabenbeschneidung vorliegenden Falle zu erfassen. Auf die Religionsfreiheit könnte sich jemand ohne Probleme berufen, wenn es ein Gesetz gäbe, das die eigene oder zumindest auf eigenen Geheiß vorgenommene Beschneidung verböte. Denn dadurch würde die Beschneidung rechtlich unmöglich gemacht. So liegen die Dinge aber bei der Knabenbeschneidung gerade nicht. Anstelle der freiverantwortlichen Eigenverletzung geht es um die Fremdverletzung im Fremdinteresse. In einer solchen Konstellation ohne Bedacht auf die Freiheit der Religionsausübung zurückzugreifen offenbart ein, auch für Laien, skurriles Verständnis von Religionsfreiheit. Jene Auffassung führt dazu die Religionsausübung des - im Übrigen nicht religionsmündigen - Kindes als Religionsausübung der Eltern zu verstehen. Damit korrespondiert dann ein primäres (!) Recht der Eltern, auf die Rechtsgüter des Knaben einzuwirken. Konsequent zu Ende gedacht ermöglicht diese Ansicht eine Religionsausübung zulasten Dritter. So ein Verständnis liegt dem Grundgesetz aber nicht zugrunde und kann auch nicht Bestandteil einer hier zu tolerierenden Religion sein: Ansonsten müssten wir auch die "religiösen" Belange von Satanisten in eine von der Religionsfreiheit geleitete Abwägung einstellen. Dass diese Folge falsch sein muss, braucht hier nicht weiter vertieft zu werden. Es bleibt jedenfalls festzuhalten, dass ein Recht der Eltern auf Beschneidung ihres Knaben nicht innerhalb deren Religionsfreiheit zu verorten ist. Erwägenswert wäre allenfalls eine gleichsam abgeleitete Ausübungsbefugnis, vermöge derer die Eltern für ihre Kinder über die Ausübung der Religionsfreiheit des Kindes (!) bestimmen. Aber auch dieser zwanghafte Versuch die Knabenbeschneidung unter dem Blickwinkel der Religion zu betrachten muss fehl gehen. Denn es kann nicht angehen, eine verbürgte Freiheit zur Einschränkung einer Freiheit des gleichen Rechtsträgers heranzuziehen. Eine solche Argumentation ist zirkulär und setzt sich in Konflikt mit dem hergebrachten Umgang mit widersprüchlichem Verhalten.


In den Blick genommen werden muss dagegen das einzig hier relevante Spannungsverhältnis von Erziehungsrecht und körperlicher Unversehrtheit. Generell gehört auch die religiöse Erziehung zur Sorgeberechtigung der Eltern. Indessen muss diese fremd - und nicht eigennützig im Interesse des Kindes wahrgenommen werden. Wenn das Kind aber, wie es von § 1631d BGB sogar vorausgesetzt wird, außerstande ist, einen eigenen Willen zu bilden, kommt es bereits aus praktischen Gründen ausschließlich auf die Vorstellungen und Interessen der Eltern an. An die Stelle der Überzeugung der Kinder tritt damit, noch bevor diese eigene Überzeugungen überhaupt bilden können, die Vorstellung der Eltern. Das ist weder Anliegen des elterlichen Erziehungsrechts, noch erscheint die Beschneidung vor diesem Hintergrund angemessen. Freilich muss in diesem Zusammenhang grundsätzlicher über die Zulässigkeit religiöser Erziehung debattiert werden. Nichtsdestoweniger stellt sich die Beschneidung als besonders intensiver und offensichtlicher, weil irreversibler, Eingriff dar. Diese, in zweifacher Hinsicht, Höchstpersönlichkeit der Knabenbeschneidung muss schlussendlich zu einem Zurücktreten des elterlichen Erziehungsrechts führen. Aus diesseitiger Sicht ist die Strafbarkeit eines solchen Verhaltens nur konsequent. Religiöse Wünsche einer Gruppe oder Eltern, denen - wie gezeigt - keine Dispositionsmacht über die Religionsfreiheit der Kinder zukommen, können nicht zu einer Beschränkung des allgemeinen Gewaltverbots führen, das stellvertretend in § 223 StGB zum Ausdruck kommt. Eine schlüssige Rechtfertigung der Gegenauffassung steht bislang aus. Das Verbot, Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit vorzunehmen, gilt grundsätzlich und allgemein. Insbesondere rechtfertigt das Eltern-Kind-Verhältnis keine Ausnahme: Kinder haben das Recht auf gewaltfreie Erziehung!


Dies muss die Beantwortung der offenen Fragen präjudizieren. Wenn sich unsere Werteordnung ziemlich eindeutig dafür ausspricht, keine Ausnahmen zugunsten fremder Vorstellungen über die Religion eines anderen zu machen, kann das Argument, dass ein Verbot praktisch unwirksam wäre, daran nichts ändern. Entweder man bekennt sich zur Gewaltfreiheit und prinzipiellen Unentziehbarkeit der körperlichen Integrität, dann muss man fragen, wie ein Verbot wirksam vollzogen werden kann. Oder aber man lehnt diese Werte zugunsten vager Befürchtungen und mit Rücksicht auf die Anliegen einiger religiöser Gemeinschaften, obgleich deren Interessen nicht (!) betroffen sind, ab. Kein Argument ist es jedenfalls, wenn auf einen möglichen Beschneidungstourismus verwiesen wird. Der deutsche Strafanspruch macht nicht an der deutschen Grenze halt, sondern kann sich auch auf im Ausland begangene Taten beziehen. Soweit behauptet wird, die Beschneidungen würde auf Hinterhöfe verlegt, unterstellt man den Eltern fehlendes Einsichtsvermögen und, schlimmer noch, den fehlenden Willen bezüglich rechtmäßigem Verhalten. Dass sich jemand nicht an ein Verbot nicht halten könnte, ist im Übrigen ein äußerst skurriles Argument gegen das Verbot als solches.


Mit Spannung wird es abzuwarten bleiben wie die Abgeordneten des Deutschen Bundestags sich entscheiden werden. In Anbetracht der geheimen Abstimmung ruht die Entscheidung alleine auf den Gewissen. Wie erfrischend es doch wäre, fraktionsbezogene Abstimmungen der Vergangenheit angehören zu lassen und die Streitthemen in Zukunft offener zu debattieren.


N u n t i u s | V e r i t a t i s

Charlotte Braun

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