3 BvQ 1/23 - Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Sachen v. Lotterleben bzgl. Vorschlag des Bundespräsidenten zur Kanzlerwahl

  • OBERSTES GERICHT

    – 3 BvQ 1/23 –


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    Im Namen des Volkes


    In dem Verfahren
    über den Antrag

    auf Erlass einer einstweiligen Anordnung



    Antragstellerin:
    Frau Emilia von Lotterleben


    hat das Oberste Gericht – dritter Senat – unter Mitwirkung der Richter


    Präsidentin Christ-Mazur,


    Vizepräsident Müller,


    am 04. Juli 2023 folgenden Beschluss gefasst:


    Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.


    I.


    Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 03. Juli 2023 das Oberste Gericht angerufen, sich mit der Wahl des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland und dem damit einhergegangenen, am gleichen Tage durch Bundesratspräsident Theo Pahlke nach Artikel 63 Abs. 1 GG ausgesprochenen Wahlvorschlag, näher zu befassen. Es müsse dem Bundesratspräsidenten vor dem Hintergrund der unklaren Bestimmungen des Grundgesetzes für seine Rolle als Vertreter des Bundespräsidenten in Bezug auf die Bestimmung des Bundeskanzlers und vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung untersagt werden, einen Wahlvorschlag für die Wahl des Bundeskanzlers auszusprechen.


    II.


    1. Nach § 18 Abs. 1 OGG kann das Oberste Gericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren bedeutet einen erheblichen Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in Autonomie und originäre Zuständigkeit anderer Verfassungsorgane. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 OGG ist daher grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 104, 23 <27>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>; 132, 195 <232 Rn. 86>; 140, 211 <219 Rn. 13>; 140, 225 <226 f. Rn. 7>).


    Der Erlass kann allein der vorläufigen Sicherung des strittigen organschaftlichen Rechts der Antragsteller dienen, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache durch Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird (vgl. BVerfGE 89, 38 <44>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>). Bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 <43 f.>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; 140, 225 <226 Rn. 7>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Oberste Gericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn einerseits eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte, und andererseits die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 126, 158 <168>; 129, 284 <298>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; stRspr).


    Zwar ist nicht erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits ein Verfassungsbeschwerdeverfahren in der Hauptsache anhängig ist; ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann auch isoliert und im Vorgriff auf eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde gestellt werden (vgl. BVerfGE 105, 235 <238>; 113, 113 <119 f.>; stRspr)


    2. Nach diesen Maßstäben ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig, weil ein etwaiger Hauptsacheantrag offensichtlich unzulässig wäre. Sowohl ein Organstreitverfahren (a) als auch eine Verfassungsbeschwerde (b) oder Popularklage (b) ist unzulässig.


    a) Grundsätzlich ist jeder Bürger klageberechtigt, sofern ihm nicht durch Gesetz die Klageberechtigung entzogen wird, § 8 OGG. Im Organstreitverfahren ist die Antragsberechtigung nach § 26 Abs. 1 OGG auf die Obersten Bundesorgane und die durch das Grundgesetz oder die Geschäftsordnung des Bundestages oder Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe beschränkt. Diese Anforderungen erfüllt die Antragstellerin nicht; mithin ist sie im Organstreitverfahren weder antragsberechtigt, noch wäre sie in Ermangelung eines Verfassungsrechtsverhältnisses im Zuge der Kanzlerwahl antragsbefugt.


    b) Auch eine etwaig erhobene Verfassungsbeschwerde oder Popularklage ist unzulässig, weil die Antragstellerin weder eine Verletzung ihrer Grundrechte noch Vereinbarkeit eines Rechtsakts mit dem Grundgesetz oder Bundesrecht rügt.


    III.


    1. Richterin Langenfeld und Richter Neuheimer haben auf Grund von Verhinderung nicht am Verfahren teilgenommen.


    2. Die Entscheidung erging einstimmig und ist unanfechtbar.


    Christ-Mazur | Müller


    Präsidentin des Obersten Gerichtes

  • Dr. Viktoria Christ-Mazur

    Hat den Titel des Themas von „3 BvQ 1/23 - Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Sachen v. Lotterleben bzgl. Kanzlerwahl“ zu „3 BvQ 1/23 - Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Sachen v. Lotterleben bzgl. Vorschlag des Bundespräsidenten zur Kanzlerwahl“ geändert.