OG D 3/22 - Erfolgreicher Einspruch in Sachen Lefévre ./. Moderation

  • Leitsätze


    zum Beschluss der zweiten Kammer vom 09. April 2023


    - OG D 3/22 -


    Von § 3 I vDGB geht bei der Bewertung, ob ein polemischer Angriff gegen den SimOn-Charakter oder auf die dahinterstehende Person gerichtet ist, eine widerlegliche Indizwirkung aus: grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Beitrag im SimOn-Bereich des Forums auch an den SimOn-Charakter adressiert ist. Diese Vermutung kann durch die Art und Weise, wie sich ein Beitrag im kontextuellen Zusammenhang darstellt, widerlegt werden.


    2. Ein Beitrag kann nur auf Grund einer Beleidigung nach § 13 I ModAdminGG sanktioniert werden, sofern sich für einen objektiven Dritten darstellt, dass die Sinnrichtung eine entehrende ist, da nur vorsätzliches Handeln oder Unterlassen nach § 5 III ModAdminGG i. V. m. § 15 StGB bestraft werden kann; überspitzte rhetorische Antworten, die sich für den objektiven Dritten als solche darstellen, fallen demnach nicht unter den Tatbestand der Beleidigung.


    3. Aus dem Simulationsprinzip aus § 1 I, II vDGB (vgl. hierzu grundlegend 1 OGE 3,30) ergibt sich bereits, dass die freie Rede für eine Politiksimulation einen großen Stellenwert hat. Vor diesem Hintergrund sind Erwägungen, ein Mitspieler hätte sich weniger überspitzt äußern können, bei der Überprüfung des Tatbestandes der Beleidigung (§ 13 I ModAdminGG) als regelwidrig und damit unzulässig zu erachten.


    OBERSTES GERICHT

    – OG D 3/22 –



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    Im Namen der Spielerschaft



    In dem Einspruchsverfahren festzustellen:



    1. Die Verwarnung durch die Moderation vom 20. November 2022 wird aufgehoben.
    2. Die Moderation wird dazu verpflichtet, die festgesetzten Strafpunkte zu löschen.
    3. Hilfsweise: Die Verwarnung wird aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an die Moderation zurückverwiesen.


    Antragsteller: Herr Nathan Lefévre, vertreten durch sich selbst;


    Antragsgegner: Moderation der vBundesrepublik, vertreten durch Frau Kathrin Hirsch;


    hat das Oberste Gericht - zweite Kammer - unter Mitwirkung der Richterin und der Richter


    Berenson,


    Christ-Mazur,


    Kratzer,


    von Schöneberg


    am 09. April 2023 beschlossen:


    1. Die Verwarnung gegen den Widerspruchskläger vom 20. November 2022 wird aufgehoben.


    2. Die Widerspruchsbeklagte wird verpflichtet, die festgesetzten Strafpunkte zu löschen.



    Gründe:


    Der Widerspruchskläger hat die zweite Kammer des Obersten Gerichtes und um Rechtschutz mit dem Ziel, die Aufhebung der ihm am 20. November 2022 durch die Widerspruchsbeklagte erteilten Verwarnung auf Grund einer vermeintlichen Beleidigung sowie die Löschung der mit ihr festgesetzten Strafpunkte zu erwirken.


    I.


    Zum Sachverhalt ist wie folgt vorzutragen:


    1. Im Zuge einer Debatte hat der Charakter Oxana Koslowska die Verwendung der Parole "Deutschland, Du mieses Stück Scheiße" missbilligt. Daraufhin hat der Charakter Enrico Meier - verneinend - rhetorisch gefragt, was daran denn bedenklich sein solle. Daraufhin hat der Widerspruchskläger mit der Aussage "Gut, wenn das so ist... Enrico Meier, du mieses Stück Scheiße! Laut Ihnen ist das ja nicht schlimm, also fühlen Sie sich jetzt bloß nicht angegriffen." repliziert. Daraufhin wurde der Antragsteller durch die Antragsgegnerin mit einer Verwarnung von vier Strafpunkten belegt. Die Moderation hat die Verwarnung in der dem Sanktionsbescheid beigefügten Begründung mit dem Verweis auf das behauptete Vorliegen einer Beleidigung begründet, da er geeignet sei, den Charakter Enrico Meier verächtlich zu machen. Überdies sei die sanktionierte Aussage mit der "neutralen Sache" Deutschland als Adressaten nicht mit "einer direkten und gezielten Anrede an eine Person" zu vergleichen.


    2. Mit Schriftsatz vom 06. Dezember 2022 hat der Moderator Dr. Sascha Ende den Vortrag der Moderation wie folgt ergänzt: "Ich würde gerne noch zum Kollegen Dutschke ergänzen, dass uns als Mod-Team die Aussage des Satzes um den es hier in Bezug auf die Sanktionierung geht, soweit im Kontext vertraut oder zumindest bekannt ist, aber darum geht es nur sekundär in unserem Beschluss. Ließt man sich ein wenig nach hinten und vorne die Diskussion durch, gibt selbst der Kontext der Diskussion keinen Grund, wieso ausgerechnet mit so einem Beispielsatz als Reaktion geantwortet wurde. Oder anders ausgedrückt, für einen Antwortsatz zum Inhalt dieser Debatte, hätte man auch von Inhalt und Wortschatz her, einen niederschwelligen Beispielsatz nutzen können. Nachher kann man sich immer versuchen zu rechtfertigen, aber es bleibt im Gesamtbild leider klar zu erkennen, dass es hier gegen die Person ging und weniger um den wirklichen Debatteninhalt, wenn man bei dieser Debatte überhaupt von Inhalten reden kann. Das Merkmal der Beleidigung ist vom Standpunkt eines Außenstehenden klar zu erkennen und als Außenstehender will und muss ich mich hier zu zählen und war daher zu sanktionieren. Danke sehr."


    3. Der Widerspruchskläger hat nach Hinweis durch das Gericht (vgl. OG, Hinweisbeschluss der Zweiten Kammer vom 28. November 2022 - OG D 3/22) eine Begründung nachgereicht. Die Verächtlichmachung, falls denn überhaupt eine solche vorliege, habe sich nur auf den Charakter Enrico Meier bezogen, die Verächtlichmachung von Mitspielern könne sich nur auf Person beziehen; zudem sei eine Spielflussstörung nicht zu erkennen. Überdies liege keine potenziell beleidigende Aussage vor; der Antragsteller habe nur als Ironie bzw. reductio ad absurdum logisch weiterspinnen wollen, jemanden / etwas als "mieses Stück Scheiße" zu betiteln, um darzulegen, weshalb die Verwendung der Parole "Deutschland, Du mieses Stück Scheiße" abzulehnen sei, was sich dadurch untermauern ließe, dass unter Begrifflichkeiten für Nationen auch deren Einwohner fielen. Der Tatbestand des § 13 I ModAdminGG sei somit jedenfalls nicht erfüllt.


    II.


    Die zulässige (1.) Widerspruchsklage ist begründet (2.) Die streitgegenständliche Verwarnung ist materiell rechtswidrig und unterliegt daher jedenfalls der Aufhebung.


    1. Die Widerspruchsklage ist zulässig. Der Rechtsweg ist nach § 4 III Nr. 2 ModAdminGG eröffnet; die Form- und Fristerfordernisse aus § 19 ModAdminGG sind gewahrt.


    2. Die Widerspruchsklage ist auch begründet; die streitgegenständliche Entscheidung der Widerspruchsbeklagten vom 20. November 2022 ist materiell rechtswidrig. Die materielle Rechtmäßigkeit einer Sanktionierungsentscheidung ist immer dann strittig, wenn in Rede steht oder es möglich erscheint, dass die Moderation als Sanktionierungsinstanz entweder sachliche Umstände außer Acht gelassen beziehungsweise verkannt hat oder das geltende Recht fehlerhaft angewandt hat.


    a) Die zweite Kammer des obersten Gerichtes fungiert im Verfahren der Widerspruchsklage als Revisionsinstanz zu Moderation und Administration und prüft daher ob ihres umfassenden Prüfungsauftrages (§ 19 IV ModAdminGG) auch die materielle Rechtmäßigkeit einer Sanktion. Vorliegend ist angesichts augenscheinlich mangelhafter Auseinandersetzung der Moderation mit der Sach- und Rechtslage erweiterter Prüfungs- und Eingriffsspielraum gegeben (2).


    aa) Grundsätzlich ist die Kammer angesichts der durch das Recht vorgenommenen Gewaltenteilung darauf beschränkt, nur evident mangelhafte Entscheidungen zu revidieren (aa), was jedoch keineswegs absolut gilt; Abweichendes kann in einigen Konstellationen gelten (bb).


    (1) Grundsätzlich ist die Kammer jedoch darauf beschränkt, nur evident mangelhafte Entscheidungen zu revidieren. Dies erscheint vor dem Hintergrund dessen, dass das Oberste Gericht nur eine Revisionsinstanz darstellt, angemessen und sachdienlich (vgl. hierzu 1 OGE 2, 141 <145>). Eine Entscheidung ist immer dann evident mangelhaft, wenn sachliche Umstände außer Acht gelassen wurden, sodass eine angemessene Ausübung des Ermessens, das einer Sanktionsentscheidung zu Grunde liegt, als ausgeschlossen zu betrachten ist. Sie ist aber auch dann evident mangelhaft, wenn die Rechtsauslegung, die einer Sanktionsentscheidung zu Grunde liegt, in jedem Falle nicht mehr von dem rechtlichen Rahmen, der durch die demokratisch legitimierten Spielregeln gesetzt wird, gedeckt ist.


    (2) Dies gilt jedoch nicht absolut. In bestimmten Konstellationen eröffnet sich der Kammer ein erweiterter Prüfungs- und Einschätzungsspielraum, hinter dem dann das Vorrecht der Moderation, über den Erlass von Sanktionen zu befinden, zurückzutreten hat. Insbesondere dann ist dies der Fall, wenn aus Sicht eines unabhängigen Dritten festzustellen ist, dass sich die Moderation im Vorfeld einer Sanktionsentscheidung nur in einem unzureichenden Maße mit einem Sachverhalt und der einschlägigen Rechtslage auseinanderzusetzen vermocht hat (vgl. hierzu 1 OGE 2, 141 <146>). Dies wird regelmäßig durch eine nur unzureichende oder unterbleibende Beantwortung geeigneter Fragen im Laufe des Verfahrens, durch eine unzureichende oder unterbleibende Begründung einer Sanktionsentscheidung beziehungsweise durch eine unzureichende Darstellung der Erwägungen, die zu einer Sanktionsentscheidung zu führen vermocht haben, indiziert. Hat sich die Moderation nur unzureichend mit dem Sachverhalt und der Rechtslage vor dem Erlass einer Sanktion auseinandergesetzt, so kann diese das ihr durch die Spielregeln gegebene Ermessen nicht angemessen ausüben, sodass sich in diesem Falle der Ermessensspielraum der Moderation verkürzt und der der Kammer erweitert.


    bb) Nach diesen Maßstäben ist der Weg eines erweiterten Prüfungs- und Eingriffsspielraums des Obersten Gerichtes eröffnet. Die Widerspruchsbeklagte hat es nicht vermocht, den Erlass der Sanktion hinreichend zu begründen. Wenngleich der scharfe Charakter der streitgegenständlichen Äußerung evident sein dürfte, so ist das Erkennen auf Beleidigung immer an den tatbestandlichen Voraussetzungen, die sich aus den Spielregeln, vor allem § 13 ModAdminGG, zu messen. Die Moderation trägt jedoch nur vor, die Sanktionierung sei gerechtfertigt, weil sich die streitgegenständliche, polemisch gefasste, Aussage gegen ein Individuum - und nicht, wie in der in der linksradikalen Szene verbreiteten Parole "Deutschland, Du mieses Stück Scheiße" gegen eine Nation - richte, verweist auf die Möglichkeit einer weniger polemischen Fassung der streitgegenständlichen Aussage und wiederholt die Tatbestandsdefinition aus § 13 I ModAdminGG. Eine hinreichend tiefe Auseinandersetzung mit der Sach- und Rechtslage lässt die Moderation jedoch nicht erkennen, sodass von einem erweiterten Prüfungs- und Eingriffsspielraum der zweiten Kammer des Obersten Gerichtes auszugehen ist.


    b) Entgegen der Auffassung der Widerspruchsbeklagten - der Moderation - ist der Tatbestand der Beleidigung nach Auffassung der Kammer nicht erfüllt.


    aa) Als Beleidigung im Sinne des § 13 I ModAdminGG ist dabei objektiv eine Aussage zu werten, die in ihrem Kern darauf abzielt (!), die Ehre einer anderen Person anzugreifen, eine andere Person herabzuwürdigen oder verächtlich zu machen. Üblicherweise erfolgt dies durch Beschimpfungen. Ob eine Aussage jedoch tatsächlich als Beleidigung zu werten ist, kommt regelmäßig auch auf die kontextuelle Gesamtdynamik an, in der die streitgegenständliche Aussage gefallen ist. Insbesondere kann eine möglicherweise beleidigende Äußerung dann nicht sanktionierungswürdig sein, wenn sie als Reaktion auf eine schon provozierende Aussage oder im Kontext einer heftigen Diskussion erfolgt ist und nicht besonders schwer wiegt. Eine Aussage ist auch dann nicht als Beleidigung zu werten, wenn sich für einen objektiven Dritten zeigt, dass diese nicht auf den Angriff der Ehre einer Person abzielt, sondern Mittel zum Zweck für politische Kommunikation ist. Die Ehrverletzung muss dabei grundsätzlich auch auf die Person hinter dem SimOn-Charakter abzielen, oder jedenfalls so schwer wiegen, dass ein Durchschlag in das SimOff-Feld möglich erscheint. Ein reiner und nicht schwerwiegender Angriff des SimOn-Charakters ist indes regelmäßig nicht als Beleidigung im Sinne des Gesetzes über die Moderation, Administration und SimOff-Gerichtsbarkeit in der vBundesrepublik zu werten.


    bb) Nach Auffassung der Kammer ist die der streitgegenständlichen Verwarnung zu Grunde liegende Aussage als Angriff auf den SimOn-Charakter Enrico Meier zu werten. Diese Annahme lässt sich einerseits auf § 3 I vDGB stützen, da die Äußerung in einem SimOn-Bereich den Forums getätigt wurde. § 3 I vDGB kommt hierbei indizielle Wirkung zu; grundsätzlich besteht die widerlegliche Vermutung, dass ein im SimOn-Bereich des Forums verfasster Beitrag auch an einen SimOn-Charakter adressiert ist. Diese Vermutung kann durch den kontextuellen Zusammenhang und der Art und Weise, wie sich eine Aussage einem objektiven Dritten darstellt, widerlegt werden. Hierzu hat es die Widerspruchsbeklagte jedoch nicht vermocht, vorzutragen, noch konnte die Indizwirkung anderweitig widerlegt werden.


    cc) Entsprechend könnte die Aussage des Widerspruchsklägers nur unter den Voraussetzungen des § 13 I Satz 2 Halbsatz 2 ModAdminGG sanktioniert werden. Entsprechend müsste sich für einen objektiven Dritten zeigen, dass eine Aussage bewusst darauf ausgelegt ist, Empörung hervorzurufen, oder, dass eine Aussage den Simulationsfluss nach Art, Ausmaß und Häufigkeit in erheblichem Maße stört. Von Letzterem geht das Gericht indes nicht aus; vielmehr ist die Aussage des Widerspruchsklägers ein einmaliger polemisch gehaltener Angriff mit verhaltenen Reaktionen, sodass mitnichten von einer schweren Störung des Spielflusses gesprochen werden kann. Entsprechend kann dem Widerspruchskläger auch nicht unterstellt werden, er habe bewusst Empörung hervorrufen wollen, sodass unter diesem Gesichtspunkt auch nicht davon auszugehen ist, dass der polemisch gehaltene Angriff justiziabel ist. Zudem lässt sich die Aussage des Widerspruchsklägers dem Kontext nach als rhetorische Antwort auf die Aussage Enrico Meiers, er könne an dem Ausspruch "Deutschland, du mieses Stück Scheiße!" nichts Verwerfliches erkennen, einordnen, zumal ihr eine Diskussion über extremistische Strömungen vorausging. Zwar erkennt die Kammer an, dass möglicherweise auch eine abwertende Sinnrichtung der Aussage vorliegt, jedoch lässt sich dies nicht abschließend klären.


    dd) Nach alledem ist die Aussage des Widerspruchsklägers nicht als sanktionswürdig einzuordnen. Weder liegt eine eindeutig abwertende Sinnrichtung vor, noch lässt sich dem Widerspruchskläger unterstellen, er habe bewusst Empörung hervorrufen oder den Spielfluss in erheblichem Maße stören wollen. Damit sind die Anforderungen, die an eine Sanktion zu stellen sind, als nicht erfüllt anzusehen - auch vor dem Hintergrund der freien Rede für eine Politiksimulation (vgl. hierzu grundlegend 1 OGE 3,30). Auf Grund dessen sind, hierauf weist die Kammer nochmals gesondert hin, Erwägungen, ein Mitspieler hätte sich weniger überspitzt äußern können, verfehlt. Die Möglichkeit zur Überspitzung muss, vor allem in einer Politiksimulation, gegeben sein.


    III.


    Die Entscheidung erging mit 3 : 1 Stimmen und ist unanfechtbar.


    Berenson | Christ-Mazur | Kratzer | von Schöneberg


    Präsidentin des Obersten Gerichtes

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