OG D 2/22 - Erfolgreicher Einspruch in Sachen Müller ./. Moderation

  • Leitsätze

    zum Urteil der zweiten Kammer vom 23. Januar 2023


    – OG D 2/22 –


    1. Für das Verfahren vor dem Obersten Gericht ist das zum Zeitpunkt des Verfahrens geltende Verfahrensrecht grundsätzlich maßgeblich; bei Änderungen während des Verfahrens gilt dies nur, soweit dies seinem Wesen nach und unter Berücksichtigung des individuellen Rechtsschutzes geboten ist.


    2. Für das Verfahren vor der Moderation ist das zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Verfahrensrecht maßgeblich.


    3. Das Oberste Gericht muss im Einspruchsverfahren, soweit das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale nicht offensichtlich ist, die Beweggründe der Moderation, die zur Sanktionierung geführt haben, hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale kennen, um beurteilen zu können ob Ermessensfehlerhaftigkeit vorliegt. Diese Beweggründe ergeben sich aus der Begründung der Sanktionierung oder den Ausführungen der Moderation im gerichtlichen Verfahren. Ein Unterlassen der Offenlegung dieser Gründe ist zum Vorteil des Einspruchsführers auszulegen.




    OBERSTES GERICHT

    - OG D 2/22 -


    IM NAMEN DER SPIELERSCHAFT


    In dem Verfahren

    über

    den Einspruch


    gegen den Beschluss der Moderation vom 20. November 2022 (#206)



    Einspruchsführer: Herbert Müller



    hat das Oberste Gericht – Zweite Kammer – unter Mitwirkung der Richter

    Brandstätter,


    Kratzer


    am 13. Dezember 2022 einstimmig beschlossen:


    1. Der Beschluss der Moderation vom 20. November 2022 (#206) wird aufgehoben.


    2. Die Sache wird an die Moderation zurückverwiesen.

    Gründe:


    A.


    I.


    1. Der Einspruchsführer wendet sich gegen einen Beschluss der Moderation vom 20. November 2022, durch den ihn die Moderation auf Grund eines Beitrages vom 16. Oktober 2021 verwarnt und mit 2 Strafpunkten belegt hat (Beschluss #206).


    2. In dem streitgegenständlichen Beitrag auf einer Wahlparty der Partei „Freiheitliches Forum Deutschland“ vom 16. Oktober 2021 schrieb der Einspruchsführer in Kursivschrift: „ruft Menschen von der Antifa an, um nächsten Sonntag dort aufzulaufen“.


    3. Daraufhin verwarnte ihn die Moderation durch ihren Beschluss #206, da der Beitrag durch Anrufung einer Teils gewaltbereiten Gruppe zu einer Veranstaltung des anderen politischen Extrems gezielt zur Provokation gepostet worden sei. Der Beitrag verwirkliche also den Tatbestand des Trollings nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 ModAdminG in der streitgegenständlich anwendbaren Fassung vom 17. Juni 2021 (nachfolgend: ModAdminG a. F.).


    II.


    Die Anträge seien nach Ansicht des Einspruchsführers zulässig (1.) und begründet (2.).


    1. Nach § Abs. 1 ModAdminG a. F. komme dem Einspruchsführer Widerspruchsklageberechtigung zu.


    2. Der Beschluss der Moderation sei formell (a) und materiell rechtswidrig (b).


    a) Sanktionen seien nach § 3 Abs. 4 Sätze 1 und 2 ModAdminG a. F. durch Mehrheitsbeschluss zu erlassen. Der Beschluss sei jedoch nur von zwei Moderatoren (Kassab und Ende) von in der Gesamtzahl fünf Moderatoren unterzeichnet worden.


    b) Der Tatbestand des Trollings sei nicht erfüllt. Der Beitrag müsse ausschließlich auf das Hervorrufen von Empörung abzielen; davon könne nicht die Rede sein. Das Vorliegen einer Spielflussstörung sei darüber hinaus nicht begründet worden; eine solche liege auch gar nicht vor.



    III.


    Die Einspruchsbeklagte verzichtete auf Stellungnahme.



    B.


    Der Einspruch ist zulässig.


    Das in den Rang einer Spielregeln erhobene Analogieverbot (§ 1 StGB bzw. Art. 103 Abs. 2 GG) ist auf das Verfahrensrecht des Obersten Gerichts nicht anzuwenden. Das Verfahrensrecht wird im Grundsatz nicht vom Analogieverbot erfasst (vgl. analog BGH 1 BGs 184/2006). Dafür spricht auch Sinn und Zweck von Änderungen im Verfahrensrecht. Für das Verfahren vor dem Obersten Gericht ist das zum Zeitpunkt der Erhebung des Einspruches geltende Verfahrensrecht grundsätzlich maßgeblich; bei Änderungen während des Verfahrens nur, sofern es dies seinem Wesen nach und unter Berücksichtigung des individuellen Rechtsschutzes geboten ist.


    Demnach ist der Einspruch zulässig. Der Rechtsweg ist nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 ModAdminGG eröffnet. Die Form- und Fristerfordernisse nach § 19 ModAdminGG sind gewahrt.



    C.


    Der streitgegenständliche Beschluss ist formell rechtswidrig; zwar wurde er mit der benötigten Mehrheit gefasst (I.), jedoch genügt er den Begründungserfordernissen nicht (II.). Die Sache wird daher an die Moderation zurückverwiesen (III.).



    I.


    Der streitgegenständliche Beschluss wurde mit der erforderlichen Mehrheit gefasst.


    Analog zu den Ausführungen bzgl. des geltenden Verfahrensrechts für das Oberste Gericht (vgl. Abschnitt B.) ist auch für Moderationsverfahren das zum Entscheidungszeitpunkt geltende Verfahrensrecht anzuwenden. Nach § 9 Abs. 4 Satz 2 ModAdminGG kann eine der Moderation obliegende Entscheidung grundsätzlich schon durch einen einzelnen Moderator getroffen werden. Durch die Unterzeichnung durch zwei Moderatoren genügt die Entscheidung diesem Erfordernis.


    II.


    Der Beschluss genügt jedoch den Begründungserfordernissen nicht, da die Moderation nicht das Vorliegen aller nicht offensichtlich gegebenen Tatbestandsmerkmale begründet hat.


    1. Die Moderation muss zwar in ihrer Begründung nicht das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale begründen (a). Im gerichtlichen Verfahren jedoch muss sie ihre Beweggründe zur Sanktionierung eines bestimmten Verhaltens vollständig offenlegen (b).


    a) Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 und 4 ModAdminGG ist die Entscheidung über die Verhängung einer Sanktion „kurz zu begründen“, wobei die „wesentlichen tatsachenbezogenen und normativen Grundlagen“ und „welche wesentlichen Gesichtspunkte zur Strafzumessung geführt haben“ erkennen zu lassen sind. Demnach ist es nicht erforderlich, dass die Moderation Ausführungen zur Prüfung aller Verbotstatbestände in ihre Begründung einer Sanktion aufnimmt.


    b) Durch die Möglichkeit des Einspruchs zum Obersten Gericht gegen Sanktionsentscheidungen hat der Spielregelgeber eine Möglichkeit geschaffen, Entscheidungen der Moderation überprüfen zu lassen. Da eine Sanktionierung bei Nichterfüllen eines Tatbestandes aufzuheben ist, muss das Oberste Gericht, soweit das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale nicht offensichtlich ist, die Beweggründe der Moderation, die zur Sanktionierung geführt haben, hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale kennen, um beurteilen zu können ob Ermessensfehlerhaftigkeit vorliegt. Diese Beweggründe ergeben sich regelmäßig aus der Begründung der Moderation oder den Ausführungen der Moderation im gerichtlichen Verfahren. Die Moderation als sanktionierende Instanz ist dabei dazu angehalten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzustellen und sich gegebenenfalls zum Sachverhalt zu erklären. Unterlässt sie eine solche Handlung, wird es dem Obersten Gericht als Revisionsinstanz unmöglich gemacht, den Sachverhalt zweifelsfrei zu ermitteln und nachzuvollziehen und eine Entscheidung hierüber zu treffen. Demnach sind einem solchen Fall die vorgebrachten Tatsachen und Behauptungen, soweit sie einer Überprüfung überhaupt zugänglich wären und entsprechend nicht widerlegt werden, zum Vorteil des Einspruchsführers auszulegen (OGE 2, 155 <158>).


    2. Diesen Maßstäben genügen die von der Moderation im vorliegenden Verfahren getätigten Begründungen nicht.


    Der Tatbestand des Trolling aus § 8 Abs. 1 Nr. 2 ModAdminG a. F. schließt eine Störung des Spielflusses mit ein. In ihrer Begründung hat die Moderation jedoch – im Gegensatz zu anderen Entscheidungen (vgl. Beschlüsse der Moderation #28, #83 und #118) – das Tatbestandsmerkmal der Spielflussstörung nicht in ihre Begründung aufgenommen. Das Vorliegen dieses Tatbestandmerkmals hat sie auch nicht nach Eingang des Einspruches begründet. Dem Obersten Gericht ist es somit nicht möglich eine Ermessensfehlerhaftigkeit auszuschließen.




    III.


    Die Sache wird an die Einspruchsgegnerin zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.


    1. Das Oberste Gericht kann bei Verfahrensmängeln die Entscheidung ohne Prüfung der materiellen Rechtswidrigkeit aufheben und zurückverweisen, sofern die materielle Rechtswidrigkeit nicht offensichtlich ist. Dabei ist die Bewertung, ob eine erneute und einem rechtmäßigen Verfahren zugrundeliegende Bewertung und Entscheidung zielführend ist, entscheidend (vgl. OGE 2, 155 <158>).


    2. Nach diesen Maßstäben ist die Sache an die Moderation zurückzuverweisen. Bei dem Nichterfüllen der Begründungserfordernisse handelt es sich um einen Verfahrensfehler (§ 19 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 ModAdminGG). Eine erneute Entscheidung ermöglicht der Moderation die erneute Prüfung der Tatbestandsmerkmale unter Berücksichtigung der von dem Einspruchsführer in seinem Schriftsatz geäußerten materiellen Bedenken. Sie ist demnach vorliegend zweckmäßig.




    D.


    1. Auf eine mündliche Verhandlung wurde nach § 17 Abs. 4 Satz 2 ModAdminGG verzichtet.


    2. Richterin Christ war an den Beratungen nicht beteiligt.


    Die Entscheidung ist unanfechtbar.


    Brandstätter | Kratzer


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