[Allianz] Außenpolitische Rede des Spitzenkandidaten

  • am Samstagabend hielt Friedrich Augstein bei einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) eine Rede zu drängenden Fragen außen- und verteidigungspolitischer Natur.


    Sehr geehrte Damen und Herren,


    das vergangene Jahr war von außen- und verteidigungspolitischen Herausforderungen geprägt, wie keines der jüngeren Vorjahre. Russland führt unter Wladimir Putin einen blutigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der tausenden Menschen das Leben gekostet hat. Die Ukraine verteidigt sich heroisch gegen den barbarischen Aggressor. Es macht mich fassungslos, welchen Schmerz ein Land erleiden muss, nur weil es nach Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit strebt. Selten gab es einen Konflikt, in dem sich Gut und Böse so evident erkennen lassen. Es ist unsere moralische Pflicht und ein Gebot der strategischen Vernunft, die Ukraine weiterhin in ihrem Abwehrkampf zu unterstützen. Bei aller Kritik an der Bundesregierung Friedländer will ich zugeben, dass mich die militärische Unterstützung durch die Bundesrepublik Deutschland beeindruckt hat. Es mag für Gegner militärischer Gewalt ein schwieriger Schritt gewesen sein, Panzer, Haubitzen und Raketenwerfer zur Verteidigung eines anderen Landes entsenden. Dass eine linke Regierung dazu dennoch bereit war, verdient Respekt. Mir scheint, es gibt in der Politik einen breiten Konsens, dass – um es mit den Worten des Altbundespräsidenten Gauck zu sagen – Pazifismus letztlich eine Kapitulation vor dem Bösen bedeuten würde. Wir sollten alles daransetzen, diesen Konsens auch in der nächsten Legislaturperiode aufrechtzuerhalten. Ich sage es klar: Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen und Russland das ukrainische Staatsterritorium vollständig verlassen. Die Entscheidungsträger müssen erkennen, dass Russland nicht zu einer diplomatischen Lösung des Konfliktes bereit ist. Jeder Ruf gegen eine militärische Unterstützung der Ukraine und für mehr Diplomatie war in der Vergangenheit stets ein Appell der leeren Worte, denn niemand konnte und kann darstellen, wie ebendiese diplomatische Lösung konkret aussehen soll. Würde man der Ukraine territoriale Verluste abverlangen, sendete dies - abseits der moralischen Verwerflichkeit derartiger Forderungen – das klare Signal an den Barbaren Putin, ein Angriffskrieg und eine nukleare Nötigung lohnten sich. Was dies bedeutete, muss ich wohl nicht sonderlich ausführen. Kurz: Es würde den freien Westen in noch größere Gefahr bringen. Das darf nicht unser Weg sein und eine von mir geführte Bundesregierung wird sich dem klar versperren. Wir bleiben eng an der Seite der Ukraine.


    Bei aller Hoffnung auch ein schnelles Kriegsende muss sich die Arbeit der nächsten Bundesregierung von einem realistischen Blick auf die Lage leiten lassen. Russland mobilisiert hunderttausende junge Menschen und lässt seine Rüstungsfirmen vierundzwanzig Stunden am Tag arbeiten. Demgegenüber beeindruckt die numerisch unterlegene Ukraine mit modernen Kriegstaktiken und einem effektiven Einsatz westlicher Waffensysteme. Nichtsdestotrotz wird die Ukraine zukünftig in einem noch stärkeren Maß auf unsere Unterstützung angewiesen sein. Das altsowjetische Kriegsmaterial ist endlich und unsere Rüstungsindustrie auf einen längeren Krieg nicht eingestellt. Die nächste Bundesregierung wird mit der europäischen Rüstungsindustrie daher umgehend Wege erörtern müssen, um die Rüstungsproduktion innerhalb der Europäischen Union signifikant zu steigern. Das mag man von linker Seite als Kriegstreiberei verteufeln – es gleichwohl ein Gebot politischer Vernunft und Weitsicht.


    Der russische Angriffskrieg hat uns innenpolitisch vor Augen geführt, dass es falsch war, nach dem Ende des Kalten Krieges eine Friedensdividende zu fokussieren. Unsere Bundeswehr ist in einem desolaten Zustand. Es fehlt allein Munition im Wert von bis zu dreißig Milliarden. Hinzu kommt die Notwendigkeit, an die Ukraine abgegebenes Kriegsgerät zügig zu ersetzen und das Inventar der Bundeswehr zu erweitern. Unsere Truppe braucht einen Nachfolger für den Tornado und einen neuen Transporthubschrauber. Wir müssen zudem sichere Kommunikationswege aufbauen und insbesondere die Soldaten persönlich angemessen ausrüsten. Das alles wird sich – entgegen so mancher Beteuerungen von anderer Seite – nicht aus dem laufenden Verteidigungshaushalt finanzieren lassen, selbst wenn – wofür ich mich klar ausspreche – wir das Zwei-Prozent-Ziel der NATO einhalten. Es braucht aus meiner Sicht ein Sondervermögen für die Bundeswehr, für das wir die Schuldenbremse werden aussetzen müssen. Damit möchte ich die Schuldenbremse keineswegs grundsätzlich infrage stellen. Es wäre auch falsch, in Zukunft jedes politische Vorhaben an diesem Verfassungsgebot vorbei umzusetzen. Gleichwohl ist die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr ein verfassungsrechtliche Pflicht, die eine Bundesregierung nicht missachten darf. Langfristig muss die Bundeswehr eine der stärksten Armeen Europas werden. Dafür trete ich ein.


    Auch wenn der russische Angriffskrieg allgegenwärtig ist, dürfen wir außenpolitisch nicht alle anderen Herausforderungen außer Acht lassen. Wir müssen unsere Abhängigkeit gegenüber China verringern und unsere Wirtschafts- und Energiebeziehungen insgesamt diversifizieren. Dafür darf auch eine nationale Energiegewinnung, beispielsweise durch Atomkraft oder Fracking, kein Tabu sein. Daneben gilt es auch, sich intensiver im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan zu engagieren. Bei aller Komplexität dieses Konfliktes ist für mich klar, dass es nicht akzeptabel ist, den Menschen in der - auch von Deutschland zurecht nicht anerkannten – „Republik Arzach“ von der Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten abzuschneiden. Ich werde daher alle Bemühungen unternehmen, um die Blockade der einzigen Zugangsstraße zum genannten Gebiet aufheben zu lassen. Daneben muss Deutschland humanitäre Hilfe leisten. Ich bin in diesem Zusammenhang dem bayerischen Landtagsabgeordneten Rehm-Haeberlin sehr dankbar für seine Bemühungen, diesen Konflikt nicht zu vergessen.

    24. Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland

    Bundeskanzler a.D.