XII/024 | Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und zur Änderung des Gesetzes über das Oberste Gericht

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    Präsident des Deutschen Bundestages

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    Liebe Kolleginnen und Kollegen,


    ich eröffne hiermit die Debatte über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und zur Änderung des Gesetzes über das Oberste Gericht auf Drs. XII/024, eingebracht von der Fraktion der Grünen. Die Debatte dauert 72 Stunden.


    Ich bitte die antragstellende Fraktion um die Begründung ihres Antrages.


    60x60bb.jpgDeutscher Bundestag

    Zwölfte Wahlperiode



    Drucksache XII/024


    Gesetzentwurf

    der Abgeordneten Dr. Irina Christ, Dr. Kerstin Siegmann, Dr. Matthias Linner und der Fraktion der Grünen


    Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und zur Änderung des Gesetzes über das Oberste Gericht

    Anlage 1


    Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
    und zur Änderung des Gesetzes über das Oberste Gericht


    Vom ...


    Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:



    §1

    Änderung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland


    Artikel 18 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Januar 2021 geändert worden ist, wird aufgehoben.


    § 2

    Änderung des Gesetzes über das Oberste Gericht


    1. § 6 Absatz 1 Nr. 1 wird wie folgt gefasst: "(weggefallen)"


    2. § 23 wird wie folgt gefasst:


    "§ 23

    Verfahren in Fällen des § 6 Abs. 1 Nr. 6b, 11, 11a, 12


    Der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die Landesregierungen haben die Möglichkeit, in Verfahren gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 6b, 11, 11a, 12 innerhalb von 7 Tagen eine Stellungnahme abzugehen."



    § 3

    Inkrafttreten


    Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.




    Dr. Irina Christ und Fraktion


    Begründung

    Erfolgt mündlich.




  • Sehr geehrter Herr Präsident,

    liebe Kolleginnen und Kollegen,


    wir, die Fraktion der Grünen, wollen den Artikel 18 des Grundgesetzes streichen und entsprechende Änderungen im Gesetz über das Oberste Gericht vornehmen. Was besagt Artikel 18? Ich zitiere im Wortlaut:


    "Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Oberste Gericht ausgesprochen."


    Artikel 18 des Grundgesetzes ermöglicht eine Grundrechtsverwirkung, bezogen auf bestimmte Grundrechte, ausgesprochen durch das Oberste Gericht in seiner Funktion als Verfassungsgericht, näher ausgestaltet durch die Vorschriften im Gesetz über das Oberste Gericht. Möglich, wenn diese bestimmten Grundrechte "zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht" werten. Insgesamt hatten wir vier Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, und zwar gegen die Rechtsextremisten Ernst Otto Remer, Gerhard Frey, Thomas Dienel und Heinz Reisz. Alle entsprechenden Anträge sind schon im Vorverfahren gescheitert.


    Man könnte meinen, Artikel 18 GG sei ein Ausdruck streitbarer, wehrhafter Demokratie. Doch sinnvoll ist er keineswegs. Einzelne Personen können keine solche Gefahr hervorrufen, die für die freiheitlich-demokratische Grundordnung von Bedeutung wäre. Erst durch entsprechend organisierte Zusammenschlüsse könnte eine echte Gefahr für den demokratischen Staatsapparat geschaffen werden. Mal abgesehen davon, dass konsequenterweise gegen eine Vielzahl an Personen ein Verfahren über die Grundrechtsverwirkung gestartet werden müssen. So langwierig, wie diese sind, ist eine Grundrechtsverwirkung ein denkbar ineffektives Mittel zum Schutze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wichtiger ist es, verfassungsfeindliche Organisationsstrukturen zu schädigen, dadurch ist dem Gebot des Demokratieschutzes eher Rechnung getragen.


    Ferner lässt sich mit der Verwirkungsklausel der an sich legale Gebrauch von Grundrechten in einen Missbrauch gegen die Demokratie uminterpretieren, was zunächst legitim ist, wird zu etwas Illegalem uminterpretiert. Dieses Verwirkungsdenken läuft auch dem herkömmlichen Verfassungsverständnis in demokratische Staaten zuwider: solange politische Betätigung von den Grundrechten geschützt ist, ist sie legal - auch, wenn sich Extremisten politisch betätigen. Und sie bleibt auch legal, während eine Grundrechtsverwirkung nicht mit diesem Gedanken vereinbar und überdies natürlich auch anrüchig ist - die USA und andere demokratische Staaten etwa kommen ohne eine solche Klausel aus; daneben ist sie, wie gezeigt, auch ziemlich sinnbefreit.


    Deswegen: stimmen Sie bitte für diesen Antrag und schaffen Sie mit uns diese Klausel ab, vielen Dank!