3 BvT 2/22 - Auslegungsstreitigkeit vierer Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft hinsichtlich der Auslegung des Artikels 34 II Satz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg

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    Das Oberste Gericht gibt bekannt:




    Die Entscheidungsverkündung


    In dem Verfahren

    über

    den Antrag festzustellen:


    Artikel 34 II Satz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg ist in Verbindung mit § 9 I Nummer 2, V Nummer 3 vDeutsches Gesetzbuch dahingehend auszulegen, dass die Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren durch die Bürgerschaft mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen unter Berücksichtigung der Enthaltungen zu erfolgen hat.


    und Antrag auf Richterablehnung gegen den Richter Thälmann


    Antragsteller und Beteiligte zu 1.:


    1. Manuela Kotting-Uhl MdHB,

    2. Falko Hajduk MdHB,

    3. Enrico Maier MdHB,

    4. Ernesto B. Dutschke MdHB,


    Weitere Beteiligte:


    2. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg,

    vertreten durch ihren Präsidenten,
    den Abgeordneten Hajime Nagumo MdHB,
    Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg,


    3. Senat der Freien und Hansestadt Hamburg,

    vertreten durch seinen Präsidenten,
    den Ersten Bürgermeister Lando Miller MdHB,
    Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg,




    findet am Montag, den 11. Juli 2022, 18:30 Uhr



    im Sitzungssaal des Obersten Gerichts,

    Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe statt.

    Präsidentin des Obersten Gerichtes

  • betritt mit Vizepräsident Neuheimer und Richterin Siebert den Sitzungssaal


    Bitte nehmen Sie Platz.


    Ich eröffne hiermit die Sitzung des Dritten Senates der Ersten Kammer des Obersten Gerichtes zur

    Verkündung einer Entscheidung in dem Normenauslegungsverfahren


    1. der Frau Manuela Kotting-Uhl MdHB

    2. des Herrn Falko Hajduk MdHB

    3. des Herrn Enrico Meier MdHB

    4. des Herrn Ernesto B. Dutschke MdHB


    über die Auslegung des Artikels 34 II Satz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg.


    Weitere Beteiligte sind


    1. die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg

    2. der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg.


    Erschienen sind


    - für die Antragstellerinnen und Antragsteller:


    1. Frau Manuela Kotting-Uhl

    2. Herr Falko Hajduk

    3. Herr Enrico Meier

    4. Herr Ernesto B. Dutschke


    und als Bevollmächtigter Herr Prof Dr. Joachim Holler.


    - für die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg:


    Herr Bürgerschaftspräsident Hajime Nagumo.


    - für den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg:


    1. Herr Erster Bürgermeister Lando Miller

    2. Herr Jacob Kuehl als Leiter der Senatskanzlei.


    Damit wäre die Anwesenheit geklärt. Wir schreiten nunmehr zur Urteilsverkündung.


    Es wird folgendes Urteil verkündet:


    Im Namen des Volkes:


    Artikel 34 II Satz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg ist unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften des § 9 vDGB dahingehend auszulegen, dass die Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren analog zur Wahl des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg nach Artikel 34 I der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg durch die Bürgerschaft mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen unter Berücksichtigung der Enthaltungen zu erfolgen hat.


    Bitte nehmen Sie Platz.


    Sehr geehrte Damen und Herren,


    der Antrag der vier Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft hat vollumfänglich Erfolg. Der Senat ist in seinen Beratungen zu der einhelligen Auffassung gelangt, dass das Verlangen einer absoluten Stimmenmehrheit analog zur Wahl des Ersten Bürgermeisters geboten ist, um der Regelungskonzeption und dem verfassungsgesetzgeberischen Regelungswillen gerecht zu werden. Damit hat das Gericht eine Auslegungsfrage nach dieser Fassung der Verfassung der Freien und Hansestadt verbindlich geklärt. Das ist der Sinn einer Auslegungsstreitigkeit, eines Normenauslegungsverfahrens: nämlich das Schaffen von Rechtssicherheit und von Klarheit. Zwar bietet der Wortlaut einer Norm einen Ausgangspunkt zur Auslegung einer Norm, wie der Senat zutreffend erkannt hat. Jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auch Sinn- und Sachzusammenhang sowie Telos in die Erwägungen des Gerichtes, wie eine Norm auszulegen ist, einzustellen. Der Telos, der dieser Norm innewohnt, stellt in erster Linie unmittelbar auf das Ausstatten des Senates mit einer verlässlichen und nachhaltigen Mehrheit, das Sicherstellen politischer Handlungsfähigkeit und das Verhindern von Regierungskrisen, mittelbar mit Blick auf die Auswirkungen einer Regierungskrise damit auch das Bewahren von Demokratie ab. Für das Gericht ist nicht ersichtlich, inwieweit der verfassungsändernde Gesetzgeber gewillt war, das Mehrheitsquorum herabzusetzen. Indizien dafür, dass das Nichterwähnen eines Mehrheitsquorums mit Blick auf Artikel 19 HV von Planfülle geprägt war und somit dafür, dass ein argumentum e contrario anzuwenden ist, vermochte das Gericht im Rahmen seiner Beratungen nicht zu erkennen. Vielmehr geht das Gericht von der Planwidrigkeit des Nichterwähnens eines benötigten Mehrheitsquorums aus. Auch in Artikel 19 HV vermag das Gericht ein statuiertes Analogieverbot aufgrund der im Vergleich zu Artikel 103 II GG deutlich weniger restriktiven Wortwahl nicht zu erkennen. Insoweit würde das Gericht bei wortgetreuer Auslegung den intendierten Regelungswillen gänzlich verkennen. Dementsprechend ist Artikel 34 I HV analog auf die Bestätigung des Senates anzuwenden, wohingegen Artikel 19 HV teleologisch zu reduzieren ist.


    Werte Anwesende,


    Sie erhalten nun die Ausfertigung des Urteiles und ich werde Ihnen die ausführlichen Entscheidungsgründe sogleich verlesen.

    Präsidentin des Obersten Gerichtes

  • Leitsätze


    zum Urteil des Dritten Senates der Ersten Kammer des Obersten Gerichtes vom 11. Juli 2022


    - 3 BvT 2/22 -


    (Bestätigung des Senates der Freien und Hansestadt Hamburg)



    1. Eine Norm ist nach ständiger Rechtsprechung der Verfassungsgerichte nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch der ihr zugrundeliegenden Regelungsintention nach auszulegen.


    2. Für die erfolgreiche Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren gemäß Artikel 34 II Satz 2 HV ist unter Berücksichtigung des § 9 vDGB die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.


    OBERSTES GERICHT

    – 3 BvT 2/22 –



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    Im Namen des Volkes



    In dem Verfahren

    über

    den Antrag festzustellen:



    Artikel 34 II Satz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg ist in Verbindung mit § 9 I Nummer 2, V Nummer 3 vDeutsches Gesetzbuch dahingehend auszulegen, dass die Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren durch die Bürgerschaft mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen unter Berücksichtigung der Enthaltungen zu erfolgen hat.


    und Antrag auf Richterablehnung,


    Antragsteller und Beteiligte zu 1.:


    1. Manuela Kotting-Uhl MdHB,

    2. Falko Hajduk MdHB,

    3. Enrico Maier MdHB,

    4. Ernesto B. Dutschke MdHB,


    Weitere Beteiligte:


    2. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg,

    vertreten durch ihren Präsidenten,
    den Abgeordneten Hajime Nagumo MdHB,
    Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg,


    3. Senat der Freien und Hansestadt Hamburg,

    vertreten durch seinen Präsidenten,
    den Ersten Bürgermeister Lando Miller MdHB,
    Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg,



    hat die Erste Kammer des Obersten Gerichtes - Dritter Senat -


    unter Mitwirkung der Richterinnen und des Richters


    Präsidentin Christ-Mazur,


    Vizepräsident Neuheimer,


    Siebert


    auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 08. und 09. Juli 2022 durch


    Urteil


    für Recht erkannt:


    Artikel 34 II Satz 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg ist unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften des § 9 vDGB dahingehend auszulegen, dass die Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren analog zur Wahl des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg nach Artikel 34 I der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg durch die Bürgerschaft mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen unter Berücksichtigung der Enthaltungen zu erfolgen hat.



    Gründe:


    A.


    I.


    Am 20. Juni 2022 stellte der Präsident der Hamburgischen Bürgerschaft - Herr Hajime Nagumo MdHB - fest, dass die Senatoren des Senates Miller ordnungsgemäß bestätigt worden seien. Daraufhin erhoben Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft, darunter auch Antragstellerinnen und Antragsteller, den Einwand, es sei eine absolute Mehrheit für eine Bestätigung erforderlich. Der Bürgerschaftspräsident erwiderte, Artikel 34 II HV sehe lediglich die Bestätigung, jedoch keine bestimmten Mehrheitsquoren vor, was auch durch die Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft keine Änderung erfahre, womit er den Einwand der Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft zurückgewiesen hat.


    II.


    Für die Wahl des Ersten Bürgermeisters werde in Artikel 34 I HV eine absolute Mehrheit vorgesehen. Wenn für die Personenwahl aus Artikel 34 I HV eine Personenwahl vorgesehen ist, so könne in Analogie nichts anderes für die Bestätigung der Senator*innen gelten. Ziel des Artikel 34 HV sei es - auch mit Blick auf die Erhaltung von Demokratie - ferner, den Senat mit einer sicheren parlamentarischen Mehrheit auszustatten und die politische Handlungsfähigkeit und Kontinuität des Senates sicherzustellen. Hierfür sei es konsequenterweise von Nöten, auch für die Bestätigung des Senates eine absolute Mehrheit zu verlangen. Mit der Verfassungsänderung 1996 hätte nur die gemeinsame Bestätigung des Senates zum Ziel gehabt - Ziel sei es nicht gewesen, die notwendigen Quoren herabzusetzen. Letzteres sei eben nicht explizit im Gesetzestext vorgesehen gewesen. Somit sei eine absolute Stimmenmehrheit in Einklang mit § 9 vDGB erforderlich.


    III.


    Der Senat bezog erstmalig mit Schriftsatz vom 28. Juni 2022 und beantragt, den Antrag als unbegründet zurückzuweisen.


    Artikel 34 II HV sehe keine Wahl vor; die Kollektivbestätigung sei als Antrag aufzufassen. Wie aus dem Wortlaut hervorgehe, gebe die Formulierung "von der / durch die Bürgerschaft" keinerlei Aufschluss darüber, wie der Mehrheitsbegriff aus § 9 vDGB auszulegen sei. Es gebe keinen Hinweis auf das notwendige Mehrheitsquorum, das sich aus der Verfassung ergibt. Ergo sei Artikel 19 HV anzuwenden, der für diesen Fall lediglich die Notwendigkeit einer einfachen Mehrheit vorsehe. Somit sei lediglich eine einfache Mehrheit erforderlich.


    IV.


    Die Bürgerschaft als weitere äußerungsberechtigte Beteiligte verzichtete auf eine Stellungnahme.


    V.


    Im Rahmen der durch das Gericht nach § 15 II OGG angeordneten mündlichen Verhandlung vertieften die Beteiligten ihre Standpunkte. Für Einsicht näherer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.


    B.


    Für die Entscheidung maßgeblich sind die Vorschriften des Gesetzes über das Oberste Gericht (OGG) in Verbindung mit § 34 OGG und dem Gesetz über das Hamburgische Verfassungsgericht (HVerfGG).


    C.


    Der Antrag ist zulässig.


    I.


    Die Antragstellerinnen und Antragsteller sind antragsberechtigt.


    1. Nach § 8 OGG ist jedermann antragsberechtigt, soweit ihm nicht durch das Gesetz über das Oberste Gericht - hier mit dem Gesetz über das Hamburgische Verfassungsgericht im Einklang anzuwenden - die Klageberechtigung entzogen wird. Nach § 39 II Satz 1 HVerfGG sind, sofern Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft Auslegungsklage erheben, ein Fünftel der Mitglieder der Bürgerschaft antragsberechtigt. So liegt es hier: es gibt vier Antragstellerinnen und Antragsteller, die einen Anteil von mehr als einem Fünftel der Mitglieder der Bürgerschaft ausmachen.


    2. Diese Berechtigung ist nicht dadurch (ggf. partiell) entfallen, dass ein Teil der antragstellenden Abgeordneten nach Antragstellung nicht mehr der Bürgerschaft angehört. Maßgeblich für das Recht eines Abgeordneten, an einem Antrag nach Artikel 65 III Nr. 1 HV mitzuwirken, ist sein Status in dem Zeitpunkt, zu dem der Verfassungsstreit anhängig gemacht worden ist (vgl. zum Organstreit: BVerfG, Urteil vom 21. Juli 2000, 2 BvH 3/91, BVerfGE 102, 224, juris Rn. 31 m.w.N.; VerfGH Bayern, 11. September 2014, Vf 67-IVa-13, NVwZ-RR 2015, 81, juris Rn. 30; vgl. zum Normenauslegungsstreit: HVerfG, Urteil vom 15. September 2015, HVerfG 5/14; stRspr.). Denn Streitgegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens nach Art. 65 Abs. 3 Nr. 1 HV ist nicht die Klärung eigener Rechte eines Beteiligten, sondern die Auslegung einer Verfassungsnorm, die durch einen antragsberechtigten Beteiligten nur angestoßen wird (vgl. zur Anstoßfunktion des Antrags in einem abstrakten Normenkontrollverfahren: Rozek in Maunz/Dürig, BVerfGG, Stand Juni 2001, § 76 Rn. 7; vgl. zum Streitgegenstand: David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 2. Auflage 2004, Artikel 65 Rn. 29; HVerfG, Urteil vom 15. September 2015, HVerfG 5/14; stRspr.). An der Klärung der von den Antragstellerinnen und Antragstellern aufgeworfenen Frage besteht auch heute noch ein öffentliches Interesse.


    II.


    Es liegt auch eine Streitigkeit im Sinne des Artikels 65 III Nr. 1 HV sowie § 14 Nr. 1 HVerfGG vor, die sich aus der Auslegung der Verfassung ergibt. Die Antragstellerinnen und Antragsteller messen der Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren einen besonderen Zweck im Sinne der Ausstattung des Senates mit einer verlässlichen Mehrheit sowie dem gesetzgeberischen Willen eine andere Bedeutung zu als der Präsident der Hamburgischen Bürgerschaft. Entsprechend dem Ziel eines Norminterpretationsverfahrens nach Artikel 65 III Nr. 1 HV, die Auslegung einer Norm der Hamburgischen Verfassung verbindlich zu klären, liegt eine Meinungsverschiedenheit bereits dann vor, wenn Vorsitzende des Legislativorganes, die über das (rechtmäßige) Zustandekommens einer Entscheidung desselben zu befinden haben, eine andere Rechtsauffassung vertreten als die Antragstellerinnen und Antragsteller. So liegt es hier. Insoweit sieht Artikel 65 III Nr. 1 HV, eine Besonderheit des Hamburgischen Verfassungsrechts, eine Art (rechts-)gutachterlicher Tätigkeit des Hamburgischen Verfassungsgerichts vor (vgl. zu Verfahren nach Artikel 65 III Nr. 4 HV: HVerfG, Urt. vom 15. Januar 2013, HVerfG 3/12, juris Rn. 73).


    III.


    Eine Unzulässigkeit kann auf Grund nicht ordnungsgemäßer Antragstellung auch nicht dadurch begründet werden, dass die Antragstellerinnen und Antragsteller ihre Unterschrift nicht unter den Antrag nach § 39 II Satz 1 HVerfGG gesetzt haben. Das Oberste Gericht ist nämlich dazu berufen, staatliches Recht im Einklang mit den in der Simulation gegeben Befindlichkeiten anzuwenden (vgl. OGE 3, 11 <15>; 3, 30 <37f.> m. w. N.; stRspr.). Würde es eine Unterschrift verlangen, so müssten konsequenterweise andere Vorgänge, die sim-on erfolgen, mit der Pflicht einer Unterschrift belegt werden, was schlicht und ergreifend inpraktikabel wäre. Vielmehr ist die bloße Nennung der Antragstellerinnen und Antragsteller als ausreichend anzusehen.


    D.


    Der Antrag ist auch begründet.


    I.


    1. Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wille, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und insbesondere dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 11, 126 <130 f.>; 105, 135 <157>; stRspr). Der Erfassung des gesetzgeberischen Willens dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>; 105, 135 <157>). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird nämlich erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfGE 122, 248 <283> - abweichende Meinung). Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall - auch unter gewandelten Bedingungen - möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 96, 375 <394 f.>).


    2. In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen (vgl. BVerfGE 78, 20 <24> m.w.N.). Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen (vgl. BVerfGE 122, 248 <284> - abweichende Meinung).


    II.


    Nach diesen Maßstäben ist Artikel 34 II Satz 2 HV dahingehend auszulegen, dass unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften des § 9 vDGB die Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren analog zur Wahl des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg nach Artikel 34 I der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg durch die Bürgerschaft mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen unter Berücksichtigung der Enthaltungen zu erfolgen hat.


    1. In der ständigen Rechtsprechung des ehemaligen Bundesverfassungsgerichtes (siehe oben) hat sich die sogenannte Vereinigungstheorie durchgesetzt, wenn es um Fragen, wie Normen auszulegen sind, geht. Dementsprechend ist in die Erwägungen des Richters, wie eine Norm auszulegen ist, nicht nur der bloße Wortlaut einzustellen, sondern eben auch Telos sowie (Sach-)Zusammenhang. Nach Ansicht des Gerichtes gibt es keinen hinreichend substanziellen Grund, von dieser von einer vermittelnden Rechtsauffassung geprägten Rechtsprechung abzuweichen.


    2. Prinzipiell begehren die Antragstellerinnen und Antragsteller, das Mehrheitsquorum aus Artikel 34 I HV analog auf die Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren nach Artikel 34 II Satz 2 HV anzuwenden und von der Analogie Gebrauch zu machen. Voraussetzungen ist das Fehlen eines Ausschlusses einer Analogie, eine planwidrige Nichterwähnung eines Mehrheitsquorums in der einschlägigen Norm sowie eine vergleichbare Interessenlage.


    3. Eine analoge Anwendung des Mehrheitsquorums aus Artikel 34 I HV auf die Bestätigung des Senates nach Artikel 34 II Satz 2 HV ist geboten.


    a) Eine wortlautgetreue Auslegung unter Rückgriff auf Artikel 19 HV, nach dem lediglich eine einfache Mehrheit für eine erfolgreiche Bestätigung erforderlich wäre, wäre zwar grundsätzlich denkbar, würde aber den durch den Verfassungsgesetzgeber intendierten Regelungsgedanken - entgegen der ständigen Rechtsprechung des ehemaligen Bundesverfassungsgerichtes - gänzlich verkennen.


    aa) Der Einwand des Senates, der Senat wäre bereits durch Wahl des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg mit sicherer Mehrheit ausgestattet und der Zweck sei lediglich Wahrung von "Tradition", hält einer eingehenden Prüfung des Telos nicht stand. Sinn und Zweck der Verfassungsnovelle (vgl. Hamburgische Bürgerschaft, Drs. 16/2980 - 07. September 1999), die Ende der 1990er-Jahre durchgeführt wurde, war es, hinsichtlich der Bestätigung der Senatorinnen und Senatoren der Freien und Hansestadt für einen vereinfachten Vorgang zu sorgen, indem diese einer gemeinsamen Bestätigung unterliegen sollten. Böte eine solche Bestätigung des Senates nach Auffassung des Gesetzgebers keinerlei Mehrwert, so hätte es dem verfassungsändernden Gesetzgeber zugestanden, diese im Sinne der Vereinfachung des Prozesses zur Regierungsbildung gänzlich entfallen zu lassen. So liegt es hier jedoch nicht.


    bb) Vielmehr steht hinter der verfassungsrechtlichen Normen, die eine Bestätigung des Senates erforderlich machen, der Regelungsgedanke, den gesamten Senat mit einer sicheren und nachhaltigen Mehrheit in der Hamburgischen Bürgerschaft für die Dauer der gesamten Wahlperiode auszustatten und so präventiv gegen Regierungskrisen, die zweifelsohne staatsgefährdend und demokratiezersetzend sind, vorzugehen. Insoweit ist der Bestätigung des Senates keine verfassungsrechtliche Rolle eines einfachen Beschlusses, sondern eine hervorgehobene Rolle zur Gewährleistung der Handlungsfähigkeit des Senates, zur Verhinderung von Regierungskrisen sowie tiefergreifend und langfristig angelegt eine präventive Funktion zum Schutz der Demokratie beizumessen. Das Gericht wurde in dieser Auffassung durch die Argumentation des Bevollmächtigten der Antragstellenden hinsichtlich der Auswirkungen, die ein einziges Regierungsmitglied für die Strahlkraft und Wirkungsmöglichkeiten der Regierung in die Gesellschaft haben kann, bestärkt.


    b) Eine analoge Anwendung des Mehrheitsquorums aus Artikel 34 I HV wäre nach Ansicht des Gerichtes ausgeschlossen, wenn die Nichterwähnung des Quorums planvoll durch den verfassungsändernden Gesetzgeber erfolgt wäre, ist das Gericht doch rechtsprechender und rechtsanwendender Natur, nicht jedoch rechtsetzender Natur. In diesem Falle würde sich in Verbindung mit Artikel 19 HV ein definitives Analogieverbot (argumentum e contrario) und damit die Unbegründetheit des vorliegenden Antrages ergeben. So liegt es hier jedoch nicht: weder ergibt sich aus Begründungen der genannten Verfassungsnovelle (vgl. Hamburgische Bürgerschaft, Drs. 16/2980 - 07. September 1999), noch aus dem einschlägigen Gesetzestext, dass die Nichterwähnung eines Mehrheitsquorums planvoll war. Letzteres wäre etwa der Fall gewesen, wäre neben der einschlägigen Neufassung des Artikels 34 I HV auch Artikel 19 HV durch den verfassungsändernden Gesetzgeber angetastet worden. Vielmehr ist - auch in Anbetracht des zu a)-bb) beschriebenen Regelungskonzeptes des Artikels 34 HV - von einer planwidrigen Nichterwähnung des einschlägigen Mehrheitsquorums in der entsprechenden Norm auszugehen.


    c) Auch statuiert Artikel 19 HV kein mit Artikel 103 II GG vergleichbares Analogieverbot, ist Artikel 103 II GG im Wortlaut weitaus restriktiver angelegt. Vielmehr ist Artikel 19 HV, um den gesetzgeberischen Regelungswillen und den Telos des Artikels 34 HV bestmöglich zum Ausdruck zu bringen, teleologisch zu reduzieren. Auch ist die Vergleichbarkeit der Interessenlage der beiden Tatbestände von vorneherein anzunehmen, da sowohl dem Artikel 34 I HV als auch dem Artikel 34 II HV der gleiche Telos - Ausstattung des Senates mit verlässlicher, nachhaltiger Mehrheit und indirekt Demokratieschutz - innewohnt. Insoweit ist, um den verfassungsgesetzgeberischen Regelungswillen bestmöglich zum Ausdruck zu bringen, die analoge Anwendung des Mehrheitsquorums aus Artikel 34 I HV geboten und Artikel 34 II HV dahingehend auszulegen, dass die Bestätigung des Senates mit der absoluten Mehrheit der abgegeben Stimmen unter Berücksichtigung des § 9 vDGB - in der Normenhierarchie höherrangig - zu erfolgen hat.


    4. Ein Rückgriff auf Geschäftsordnungsrecht zur Begründung eines Normenauslegungsantrages in einer Verfassungsstreitsache verbietet sich mit Blick auf die normenhierarchische Struktur der Legislatur.


    E.


    1. Der Richter Thälmann hat sich auf Grund von Befangenheit selbst abgelehnt und war an der Entscheidungsfindung nicht beteiligt. Damit findet das Ablehnungsgesuch der Antragsteller*innen seine Erledigung.


    2. Diesem Urteil wohnt nach § 15 I Satz 2 HVerfGG Gesetzeskraft inne.


    3. Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen und ist unanfechtbar.



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