3 BvT 1/22 - Unzulässiger Antrag im Organstreitverfahren verworfen - Fadi von Schöneberg MdL ./. Thüringer Landesregierung

  • OBERSTES GERICHT

    – 3 BvT 1/22 –



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    Im Namen des Volkes



    In dem Verfahren

    über

    den Organstreit



    d e s Herrn Fadi von Schöneberg MdL


    gegen


    Thüringer Landesregierung,

    gesetzlich vertreten durch Herrn Ministerpräsidenten Oscar Pilarow,


    - Bevollmächtigter: Prof. Dr. Joachim Holler,

    Fouquestraße 5, 81241 München,


    wegen: behaupteter Verletzung gegen Artikel 75 III ThürVerf,


    hat der Dritte Senat der Ersten Kammer des Obersten Gerichts


    unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter



    Präsidentin Dr. Christ-Mazur,



    Vizepräsident Neuheimer,



    Dr. Thälmann,



    Prof. Dr. Siebert



    am 30. Juni 2022 einstimmig beschlossen:


    Der Antrag wird verworfen.



    Gründe:


    A.


    1. Der Antragsteller rügt einen Verstoß des am 15. Juni 2022 zurückgetretenen Ministerpräsidenten Oscar Pilarow gegen Artikel 75 III ThürVerf. Die gesetzgebende Gewalt sei nicht mehr in der Lage, ihre Rechte auszuüben, da hierfür die Position des Ministerpräsidenten besetzt sein müsse. Dies träfe unter anderem auf die Ausfertigung von Gesetzen zu.


    2. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag des Antragstellers zu verwerfen. Er habe unzureichend dargelegt, in den eigenen Rechten durch das Agieren der Antragsgegnerin beschnitten zu sein. Ferner hätte der Antrag nicht gegen die Landesregierung als solche, sondern gegen den Ministerpräsidenten gerichtet werden müssen, da richtige Antragsgegnerin im Organstreitverfahren immer diejenige sei, von der die Maßnahme oder Unterlassung ausgegangen ist beziehungsweise. die die Maßnahme oder Unterlassung verursacht und rechtlich zu verantworten hat. Im Übrigen sei der Antrag unstatthaft, da grundsätzlich kein Raum dafür gegeben sei, die Antragsgegnerin über die Feststellung einer Rechteverletzung hinausgehend zu verpflichten.


    3. Für nähere Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.


    B.


    Der Antrag ist unzulässig und wird nach § 14 IV Satz 1 OGG verworfen.


    1. a) Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das Gericht im Organstreit die Kompetenz besitzt, die Antragsschrift auszulegen. Dabei ist vielmehr der Sinn des mit dem Antrag verfolgten prozessualen Begehrens herauszustellen (vgl. BVerfGE 68, 1, 68; 129, 356, 364; BVerfG, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - 2 BvE 1/18, Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom 02. Juli 2019 - 2 BvE 4/19 analog - stRspr.), was sich aus der Antragsbegründung zu ergeben vermag (vgl. BVerfGE 68, 1, 64; 136, 277, 301 f. Rn. 66; BVerfG, Beschluss vom 11. Dezember 2018 – 2 BvE 1/18, Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom 02. Juli 2019 - 2 BvE 4/19 analog - stRspr.). Jedoch ist grundsätzlich - unabhängig von der Verfahrensart der Antrag dermaßen zu präzisieren, dass das Gericht in die Lage versetzt wird, Spruch- wie Entscheidungsreife herzustellen (vgl. OGE 2, 150 <153>; 3, 11 <15>); der Streitgegenstand und insbesondere das prozessuale Begehren müssen sich aus den Anträgen oder der ihrer Begründung zumindest angedeutet (vgl. OGE 3, 11 <15> m. w. N.) ergeben.


    b) Das Organstreitverfahren ist eine kontradiktorische Parteistreitigkeit, in der sich Antragsteller und Antragsgegnerin gegenüberstehen (vgl. BVerfGE 126, 55 <67>; 138, 256 <258 f. Rn. 4>; 150, 194 <200 Rn. 18>; 151, 58 <64 Rn. 14> analog - m. w. N..); er dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht hingegen der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns (vgl. BVerfGE 104, 151 <193 f.>; 118, 244 <257>; 126, 55 <67 f.>; 140, 1 <21 Rn. 58>; 150, 194 <200 Rn. 18>; 151, 58 <64 Rn. 14> analog - m. w. N.). Gemäß § 34 OGG in Verbindung mit § 41 ThürVerfGHG kann das Oberste Gericht im (vorliegenden) Organstreitverfahren lediglich feststellen, ob eine beanstandete Maßnahme oder Unterlassung gegen Bestimmung der Thüringer Landesverfassung verstößt. Es obliegt sodann dem jeweiligen Staatsorgan selbst, einen festgestellten verfassungswidrigen Zustand zu beenden (vgl. BVerfGE 85, 264 <326>; 151, 58 <64 Rn. 14>; 155, 357 <374 Rn. 39> analog - m. w. N..). Kassatorische oder rechtsgestaltende Wirkung kommt der Entscheidung im Organstreit nicht zu (vgl. BVerfGE 136, 277 <301 Rn. 64>; 138, 125 <131 Rn. 19>; 151, 58 <64 f. Rn. 14>; 155, 357 <374 f. Rn. 39> analog - m. w. N..). Für eine über die Feststellung einer Verletzung der Rechte des Antragstellers hinausgehende Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten ist im Organstreit grundsätzlich kein Raum (vgl. BVerfGE 124, 161 <188>; 136, 277 <301 Rn. 64>; 151, 58 <65 Rn. 14>; 155, 357 <375 Rn. 39>; OGE 1, 32 <34> analog - m. w. N.). Demgemäß sind Anträge im Organstreitverfahren, die nicht auf eine Feststellung von Rechtsverletzungen im Zuge eines notwendigen umschließenden Rechteverhältnisses (vgl. BVerfGE 68, 1 <73>; 73, 1 <30>; 80, 188 <212>; 104, 151 <193f.>; 118, 277 ; OGE 2, 188 <193>; OG - Beschluss vom 30. Mai 2022 - 3 BvE 1/21 analog - m. w. N.) zwischen Antragsteller und Antragsgegnerin abzielen, ex ante unstatthaft und somit unzulässig.


    2. Diesen Voraussetzungen wird der Antrag nicht gerecht. Aus dem Antrag des Antragstellers vermag das Gericht in jedem Falle keinerlei im Organstreit zulässiges prozessuales Begehren herauszufiltern.


    a) Schriftsätzlich reichte der Antragsteller am 16. Juni 2022 einen Antrag im Zuge eines Organstreitverfahrens ein, in dem er das nachfolgende Begehren formulierte: "Daher fordere ich, dass Herr Pilarow seiner Pflicht als gewählter Ministerpräsident nachzukommen und sein Amt geschäftsführend auszuüben."


    b) Aus dem Antrag kann kein hinreichend präzisiertes prozessuales Begehren entnommen werden. Dem Gericht ist es auch im Wege der Auslegung (1. a)) nicht möglich, das prozessuale Begehren des Antragstellers herauszufiltern. Ursächlich hierfür ist der Umstand, dass die Formulierung beider Schriftsätze (a) und e)) dermaßen unkonkret ist, sodass sich ein konkretes prozessuales Begehren auch nicht andeutungsweise aus dem Text ergibt.


    c) In jedem Falle vermag das Gericht kein prozessuales Begehren, das auf die Herstellung einer Rechtsverletzung abzielt, herauszufiltern. Sowohl aus der Formulierung des Schriftsatzes vom 16. Juni 2022 (a)) als auch aus der Formulierung des Schriftsatzes vom 21. Juni 2022 (e)) wird mit keinem Wort angedeutet, dass die Feststellung von Rechtsverletzungen im Zuge eines notwendigen umschließenden Rechteverhältnisses (vgl. BVerfGE 68, 1 <73>; 73, 1 <30>; 80, 188 <212>; 104, 151 <193f.>; 118, 277 ; OGE 2, 188 <193>; OG - Beschluss vom 30. Mai 2022 - 3 BvE 1/21 analog - m. w. N.) begehrt wird.


    d) Aufgrund dessen (b) und c)) erließ das Gericht bereits am 17. Juni 2022 einen Hinweisbeschluss (vgl. OG - Hinweisbeschluss vom 17. Juni 2022 - 3 BvT 1/22), in dem es den Antragsteller auf seine Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit hingewiesen hat.


    e) Auch aus der mit Schriftsatz vom 21. Juni 2022 neu formulierten Antragsschrift ist dem Gericht nicht ersichtlich geworden, welches prozessuale Begehren der Antragsteller geruht, zu verfolgen. Ein zulässiges prozessuales Begehren wurde erst recht nicht formuliert.


    3. Nach alledem ist der Antrag als unzulässig, da offenkundig unstatthaft, zu verwerfen.



    C.


    1. Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass über den Sachverhalt in inhaltlicher Hinsicht vorliegend nicht entschieden wurde.


    2. Die Entscheidung erging einstimmig und ist unanfechtbar.



    Dr. Christ-Mazur | Neuheimer | Dr. Thälmann | Prof. Dr. Siebert