3 BvD 1/21; 3 BvD 2/21 / eA - Bundespräsidentinnenanklage: Deutscher Bundestag, Bundesrat ./. Bundespräsidentin Isabelle Yersin

  • OBERSTES GERICHT

    – 3 BvD 1/21; 3 BvD 2/21 –



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    IM NAMEN DES VOLKES


    In den einstweiligen Anordnungsverfahren


    des Deutschen Bundestages,

    Platz der Republik 1, 11011 Berlin

    gesetzlich vertreten durch

    den Präsidenten des Deutschen Bundestages,

    Herr Marko Kassab MdB, Platz der Republik 1, 11011 Berlin


    - Verfahrensbevollmächtigter:

    Prof. Dr. Joachim Holler, Fouquestraße 5, 81242 München,

    c/o Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin



    g e g e n



    die Bundespräsidentin,

    Frau Isabelle Yersin, Bundespräsidialamt, Spreeweg 1, 10557 Berlin

    - Verfahrensbevollmächtigter:

    Dr. Konrad Wolff



    u n d



    des Bundesrates,

    Leipziger Straße 3 - 4, 11017 Berlin,

    gesetzlich vertreten durch

    den Präsidenten des Bundesrates,

    Herr Sebastian Fürst MdBR, Leipziger Straße 3 - 4, 11017 Berlin,


    - Verfahrensbevollmächtigter:

    Prof. Dr. Joachim Holler, Fouquestraße 5, 81242 München,

    c/o Bundesrat, Leipziger Straße 3 - 4, 11017 Berlin



    g e g e n



    die Bundespräsidentin,

    Frau Isabelle Yersin, Bundespräsidialamt, Spreeweg 1, 10557 Berlin


    - Verfahrensbevollmächtigter:

    Dr. Konrad Wolff



    über den Antrag,



    im Wege der einstweiligen Anordnung zu verfügen, dass die Antragsgegnerin an der Ausübung ihres Amtes verhindert ist,



    hat das Oberste Gericht am 22. Mai 2022 unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter



    Christ-Mazur,



    Neuheimer



    beschlossen:


    Tenor


    1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

    2. Der Antrag, im Zuge der einstweiligen Anordnung zu verfügen, dass die Antragsgegnerin an der Ausübung ihres Amtes verhindert ist, wird abgelehnt.



    G r ü n d e:


    I.


    Die Verfahren 3 BvD 1/21 und 3 BvD 2/21 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Sowohl Bundesrat als auch Bundesrat als Antragstellerinnen in den beiden Verfahren verfolgen nahezu identische Begehren gegenüber dieselbe Antragsgegnerin, sodass es für das Gericht sinnvoll erscheint, beide Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.


    II.


    Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist unzulässig.


    a) Das Oberste Gericht ist gemäß § 20 I S 1 vDGB, Artikel 61 GG, § 6 I N 4 OGG und § 18 I OGG für den Antrag zuständig.


    b) Antragstellerinnen und Antragsgegnerin sind partei- und prozessfähig.


    c) Das Oberste Gericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (§ 18 I OGG).


    d) Die Antragstellerinnen sind nach Artikel 61 I S 1 und Artikel 61 II S 2 GG antragsberechtigt.


    e) Die Antragstellerinnen sind antragsbefugt. Sie haben zumindest im Hinblick auf die Nichternennung von Tom Schneider zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland plausibel dargelegt, dass eine vorsätzliche Verletzung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Raum steht.


    f) Form- und Fristerfordernisse wurden gewahrt.


    g) Der grundsätzlichen Fortführung des Verfahrens steht nach Auffassung des Gerichts nicht entgegen, dass das Amtsverhältnis der Antragsgegnerin als Bundespräsidentin bereits seine Beendigung gefunden hat (vgl. analog § 51 BVerfGG a. F.).


    ga) Der Analogieschluss ist zulässig, soweit keine abgeschlossene Regelung vorliegt beziehungsweise soweit sie nicht vom Grundgedanken des Gesetzes her von vorneherein ausgeschlossen ist, die Regelungslücke planwidrig aufgetreten ist und die Interessenlage vergleichbar ist.


    gaa) Das Oberste-Gericht-Gesetz schließt eine solche Auslegung im Sinne der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung bei Vorliegen von Gesetzeslücken nicht aus. Ein Analogie-Verbot, das sich aus dieser oder einer anderen Norm ergibt, liegt nicht vor.


    gab) Möglicher Anlass für einen solchen Analogieschluss ist planwidrige Unvollständigkeit (vgl. BVerfGE 115, 51, Rn. 56; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 194 ff.; Canaris, Festschrift für Bydlinski, 2002, S. 47, 82 ff.). Eine solche planwidrige Unvollständigkeit liegt vor, sofern ein bestimmter, tatsächlich eingetretener Tatbestand nicht durch den Gesetzgeber geregelt wurde, weil er nicht bedacht wurde, aber geregelt worden wäre, sofern der Gesetzgeber die Möglichkeit eines solchen Tatbestands bedacht hätte.


    gabα) Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Entscheidung im Sinne der Gewaltenteilung (vgl. Artikel 20 II S 2 GG) respektieren und den Willen des Gesetzgebers auch unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Dabei ist den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen (vgl. BVerfGE 84, 212 <226>; 96, 375 <395>). Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BVerfGE 118, 212 <243>).


    gabβ) Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz wurde mit Gesetz vom 01. Oktober 2020 (BGBl. I S. 01) und das Oberste-Gericht-Gesetz wurde mit Gesetz vom 23. Januar 2021 (BGBl. I S. 08) neugefasst. Beide Neufassungen hatten zum Zwecke, die Vorschriften über die Verbindlichkeiten der Judikative, des Obersten Gerichts insgesamt, an die Realität im Rahmen der Simulation "vBundesrepublik" insgesamt anzupassen. Es ergibt sich aus Sicht des Gerichts nicht, dass die Regelungen des § 51 BVerfGG a. F. durch den Gesetzgeber willentlich abgeschafft wurde. Vielmehr ergibt sich aus Sicht des Gerichts, dass die Übernahme des § 51 BVerfGG a. F. bei beiden Neuregelungen nicht bedacht wurde. Das Gericht wird in dieser Ansicht dadurch bestärkt, dass sich in § 25 OGG oder einer anderen Norm keine Regelung für das Verfahren bei Beendigung des Amtsverhältnisses außerhalb einer Amtsenthebung finden lässt.


    gac) Vergleichbarkeit der Interessenlage ist vorneherein anzunehmen, da der Tatbestand des § 51 BVerfGG a. F. sich auf die gleiche Verfahrensart bezogen hat.


    gad) Nach diesen Maßstäben ist der Analogieschluss zulässig.


    gb) Ansonsten fehlen schon normative Grundlagen zur Beendigung der Rechtshängigkeit aufgrund des Umstands, dass das Amtsverhältnis der Antragsgegnerin als Bundespräsidentin seine Erledigung gefunden hat.


    gc) Nach diesen Maßstäben erledigen sich die Anträge nicht durch den Umstand, dass das Amtsverhältnis der Antragsgegnerin seine Beendigung gefunden hat. Die Verfahren unter den Aktenzeichen 3 BvD 1/21 und 3 BvD 2/21 sind nach wie vor rechtshängig.


    h) Das Oberste Gericht kann im Wege der einstweiligen Anordnung feststellen, dass die Bundespräsidentin an der Ausübung ihres Amtes verhindert ist (vgl. Artikel 61 II S 2 GG), wie es auch von der Antragstellerin begehrt wird.


    i) Mit Wirkung des 08. April 2021 fand das Amtsverhältnis der Antragsgegnerin seine Beendigung. Damit kann das Gericht logischerweise nicht verfügen, dass die Antragsgegnerin an der Ausführung ihres Amtes verhindert ist. Dementsprechend ist der Antrag auf einstweilige Anordnung als unzulässig abzulehnen.



    III.


    Da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig ist, kommt es auf weitere Gründe für diese Entscheidung nicht an.


    IV.


    Auf Antrag der Antragstellerin und nach § 18 II S 1 OGG wird auf mündliche Verhandlung verzichtet.



    V.


    Die Entscheidung erging einstimmig.


    Vizepräsident von Gierke war auf Grund von Befangenheit nicht an der Entscheidungsfindung beteiligt.




    Christ-Mazur | Neuheimer

    Präsidentin des Obersten Gerichtes