4 BvT 2/22 - Abgewiesene strafrechtliche Klage wegen behauptetem Wahlbetrug

  • L e i t s ä t z e


    zum Beschluss des 4. Senats vom 8. April 2022


    – 4 BvT 2/22 –


    (Wahlbetrug)



    1. Ein temporärer Entzug des Wahlrechts ist als Sim-Off-Sanktion einzustufen und kann durch das Oberste Gericht nicht aufgrund § 108c StGB in Verbindung mit § 13 BWahlG ausgesprochen werden. Dies fällt insoweit in den Zuständigkeitsbereich der Moderation oder Administration.


    2. Dem Obersten Gericht kommt bei Wahlbetrug oder wahlbetrugsähnlichen Delikten lediglich eine feststellende, jedoch keine sanktionierende Funktion zu.




    OBERSTES GERICHT

    – 4 BvT 2/22 –


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    IM NAMEN DES VOLKES



    In der Strafsache



    g e g e n


    Herrn F. (...)



    w e g e n


    Wahlbetrug



    hat das Oberste Gericht – Vierter Senat –

    unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter


    Präsident Geissler,


    Vizepräsident von Gierke,


    Neuheimer



    am 8. April 2022 einstimmig beschlossen:



    1. Die Anträge werden abgelehnt.


    2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten.




    G r ü n d e :



    I.


    1. Am 16. Januar 2022 hat die Bundeswahlleitung in einer öffentlichen Bekanntmachung unter Berufung auf § 10 Abs. 9 vDeutsches Gesetzbuch (vDGB) darüber informiert, dass der Angeschuldigte bei der 10. Bundestagswahl seine Zweitstimme ungültig abgegeben hätte und dessen Stimme als ungültig gewertet würde.




    2. Am 17. Januar 2022 erhob die Bundeswahlleitung beim Obersten Gericht Anklage gegen den Angeschuldigten.



    a) Mit dem Schriftsatz vom 17. Januar begehrt die Bundeswahlleitung

    1. den Angeschuldigten aufgrund von § 107a StGB zu verurteilen,

    2. dem Angeschuldigten per Richterspruch im Sinne des § 13 BWahlG die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aufgrund von § 107a StGB in Verbindung mit § 45 StGB und § 108c StGB temporär zu entziehen,

    3. dem Angeschuldigten per Richterspruch im Sinne des § 13 BWahlG die Fähigkeit, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen beziehungsweise abzustimmen, aufgrund von § 107a StGB in Verbindung mit § 45 StGB und § 108c StGB temporär zu entziehen, und
    4. den Angeschuldigten dazu zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens zu tragen.



    b) Zu den Gründen führt die Bundeswahlleitung im Wesentlichen aus:


    aa) Eine Eintragung in das Wahlregister zur Bundestagswahl habe gem. § 12 Abs. 8 Satz 2 vDGB zwei Wochen vor Beginn der Bundestagswahl zu erfolgen. Der Angeschuldigte habe sich innerhalb dieses Zeitraumes vor der 10. Bundestagswahl nicht ordnungsgemäß in das Wahlregister eingetragen, sondern erst nachdem die Frist zum Eintragen in das Wahlregister schon abgelaufen sei. Der Angeschuldigte habe sich - in vollem Bewusstsein - nach Ende der Frist in das Wahlregister eingetragen, sodass ihm die Stimmabgabe bei der Bundestagswahl technisch ermöglicht wurde. Diese Möglichkeit habe er auch genutzt. Dem Angeschuldigten sei die Unrechtmäßigkeit der Stimmabgabe aufgrund der Umgehung der Regelung bezüglich des Wahlregisters dazu auch bekannt gewesen.


    bb) Der Angeschuldigte sei dementsprechend aufgrund von § 107a StGB zu verurteilen. Weiter sei ihm per richterliche Entscheidung das aktive und passive Wahlrecht temporär zu entziehen. Diese Möglichkeit eröffne schon § 13 BWahlG. Der Wahlrechtsentzug sei auch geboten, da Wiederholungsgefahr bestünde und eine Nichtsanktionierung aufgrund der Schwere des Deliktes, das grundsätzlich geeignet sei, die Gewährleistung demokratischer Prinzipien und den Erhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu gefährden.


    Die Eröffnung eines Sanktionierungsverfahrens nach § 42 OGG sei nicht in Erwägung zu ziehen, da der Angeschuldigte administrative Rechte innerhalb der Simulation innehabe und eine Sanktionierung somit umgangen werden könnte. Der Wahlrechtsentzug sei entsprechend vorliegend eine geeignete Möglichkeit zur Sanktionierung der widerrechtlichen Stimmabgabe.


    cc) Die Bundeswahlleitung begehre ausdrücklich eine Verurteilung des Angeschuldigten nach den Vorschriften des Strafrechts. § 35 Abs. 1 Satz 3 OGG sei vorliegend nicht anzuwenden, da § 10 Abs. 9 vDGB die Bundeswahlleitung zur Einlegung einer "Beschwerde" am Obersten Gericht verpflichte. Es ermangle an einer Konkretisierung des Verfahrensablaufes dieser "Beschwerde", weshalb die Erhebung einer Strafanklage im Falle des Wahlbetruges durch die Bundeswahlleitung als zulässig zu erachten sei, um den Vorschriften aus dem vDeutschen Gesetzbuch gerecht werden zu können. Die Vorschriften der Strafprozessordnung würden insofern durch das vDeutsche Gesetzbuch verdrängt.




    3. Der Angeschuldigte äußerte sich nicht zum Sachverhalt und dem ihm zugestellten Schriftsatz.




    II.


    Die Anträge sind unzulässig.



    1. Es fehlt dem Obersten Gericht schon an der Zuständigkeit für die Sanktionierung von Wahlbetrug oder wahlbetrugsähnlichen Vergehen.


    a) Nach § 20 Abs. 1 vDGB übernimmt das Oberste Gericht die Aufgaben der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Dies schließt die Strafgerichtsbarkeit unstrittig ein. § 35 Abs. 1 Satz 3 OGG konkretisiert dies dahingehend, dass die Zuständigkeit des Obersten Gerichts auf Privatklagen nach dem Strafgesetzbuch beschränkt wird. Dies ist aus praktischen Erwägungen nicht zu beanstanden; mangels simulatorischer Ausprägung einer Staatsanwaltschaft könnten Delikte, die nicht im Wege der Privatklage verfolgt werden können, grundsätzlich ohnehin nicht Teil eines Verfahrens nach dem Strafgesetzbuch am Obersten Gericht werden. § 20 Abs. 1 und 2 vDGB sprechen dem Obersten Gericht gleichwohl einen umfassenden Rechtsprechungsauftrag zu, weshalb es grundsätzlich auch möglich erscheint, dass sich in besonderen Einzelfallkonstellationen auch strafrechtliche Anträge abseits einer Privatklage als zulässig herausstellen können, um diesem umfassenden Rechtsprechungsauftrag Rechnung zu tragen.



    b) § 10 Abs. 9 Satz 1 vDGB sieht im Falle eines Wahlbetruges oder ähnlicher Vergehen vor, dass die Bundeswahlleitung, nebst einer öffentlichen Information, auch eine Beschwerde zum Obersten Gericht erhebt. Es ermangelt dieser Vorschrift jedoch an einer geeigneten Konkretisierung durch das vDeutsche Gesetzbuch selbst oder durch das Gesetz über das Oberste Gericht. Entsprechend ist diese Norm auslegungsbedürftig. Im Ergebnis dieser Auslegung kommt dem Obersten Gericht lediglich eine feststellende (bb), nicht jedoch eine sanktionierende Funktion (aa) zu.


    aa) Für wahlbetrugsähnliche Delikte besteht eine konkurrierende Zuständigkeit zwischen Moderation/Administration und Oberstem Gericht. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 1 ModAdminG fällt die Sim-Off-Sanktionierung von Wahlbetrug in den Zuständigkeitsbereich der Administration. Mithin ist eine Doppelzuständigkeit für sanktionierende Verfahren ausgeschlossen. Dies ergibt sich schon aus § 20 Abs. 2 OGG sowie dem allgemeinen Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG), welches auch auf simulationsinterne Sanktionen entsprechend anzuwenden ist. Das Oberste Gericht fungiert demnach als Auffanginstanz für sanktionierende Sim-Off-Verfahren, soweit es der Moderation oder Administration an der Zuständigkeit hierfür ermangelt. Die Zuständigkeit für Wahlbetrug und wahlbetrugsähnliche Vergehen ist hierfür jedoch abschließend geregelt. Entsprechend kann dem Obersten Gericht in Fällen des Wahlbetruges keine sanktionierende Funktion zukommen.


    bb) Demnach bleibt dem Obersten Gericht für Wahlbetrug oder wahlbetrugsähnliche Vergehen lediglich eine feststellende Funktion, etwa infolge einer Regelbeschwerde nach § 20 Abs. 2 vDGB, § 38 Nr. 1, §§ 39 ff. OGG. § 10 Abs. 9 Satz 1 vDGB ermöglicht es der Bundeswahlleitung zwar eine Beschwerde beim Obersten Gericht einzulegen. Diese Beschwerde kann sich gleichwohl nur auf die Feststellung einer Regelverletzung beschränken. Eine Sanktionierung muss nicht zwingend Gegenstand einer solchen Beschwerde sein; mithin kann sie dies vorliegend aus den vorstehenden Gründen gar nicht. Die Kompetenz des Obersten Gerichts beschränkt sich in Fällen des Wahlbetruges entsprechend lediglich auf die Möglichkeit der Feststellung, ob ein regelwidriges Verhalten vorgelegen hat.



    2. Weiter fehlt es auch an einer geeigneten Rechtsgrundlage für den beantragten Wahlrechtsentzug.


    § 108c StGB eröffnet grundsätzlich die Möglichkeit der Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts unter bestimmten, besonderen Voraussetzungen. Die sich aus den einfachrechtlichen Normen ergebenden Rechtsfolgen sind vom Obersten Gericht jedoch auch stets am vDeutschen Gesetzbuch und dem Gesetz über die Moderation und Administration zu messen. Die Versagung des Wahlrechts greift schließlich in die Rechte der Mitspieler aus § 2 Abs. 1 vDGB ein. Dieser spricht es jeder natürlichen Person zu, einen wahlberechtigten Account zu besitzen. Dieses Recht wird vorbehaltlos gewährt. Die sich aus § 108c StGB ergebende Rechtsfolge berührt entsprechend die Rechte der Mitspieler aus dem vDeutschen Gesetzbuch. Nach dem Grundsatz des Vorranges des vDeutschen Gesetzbuches vor den einfachrechtlichen Gesetzen (§ 1 Abs. 3 vDGB) muss eine sich aus einem gerichtlichem Urteil ergebende Rechtsfolge jedenfalls mit dem vDeutschen Gesetzbuch in Einklang stehen. Der Eingriff in ein im vDeutschen Gesetzbuch verbürgtes Recht darf ergo nur erfolgen, wenn dieses (oder das ModAdminG) das Gericht dazu ermächtigt. Dies ist im Falle eines Wahlrechtsentzuges aufgrund von § 108c StGB nicht der Fall. Die Wahlberechtigung wird durch das vDeutsche Gesetzbuch abschließend geregelt. Die einfachrechtliche Gesetzeslage hat diesbezüglich, zumindest in grundsätzlichen Fragen, unberücksichtigt zu bleiben.




    3. Nach diesen Maßgaben waren die Anträge als unzulässig abzuweisen.


    a) Das Oberste Gericht ist für ein Verfahren, das auf die Sim-Off-Sanktionierung eines Mitspielers aufgrund von Wahlbetrug gerichtet ist, nicht zuständig. Die Zuständigkeit für ein solches Verfahren regelt § 8 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 1 ModAdminG abschließend. Dass der Angeschuldigte selbst Teil des Organs ist, das für die Sanktionierung von Wahlbetrugsvergehen zuständig ist, ändert daran nichts. Weiter kann auch eine mögliche Zuständigkeit der Moderation nicht ausgeschlossen werden, der der Angeschuldigte jedenfalls nicht angehört. Die vorliegend beantragten Rechtsfolge - ein temporärer Entzug des Wahlrechts - ist mithin zweifelsohne als Sim-Off-Sanktionierung einzustufen (siehe 2.).


    Nach alledem ist auch festzustellen, dass die Bundeswahlleitung in einem Verfahren nach § 107c StGB nicht ausnahmsweise anstelle der Staatsanwaltschaft Anklage erheben kann, da es an einem geeigneten Rechtfertigungsgrund für eine solche Ausnahme fehlt.



    b) Schließlich kann das Oberste Gericht auch die beantragte Rechtsfolge, namentlich einen temporären Wahlrechtsentzug, zumindest nicht aufgrund § 108c StGB, § 13 BWahlG aussprechen, da dies nicht in Einklang mit dem in § 2 Abs. 1 vDGB verbürgten und vorbehaltlos gewährtem Wahlrecht zu bringen wäre.


    4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.



    Die Entscheidung ist unanfechtbar.




    Geissler | von Gierke | Neuheimer


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    Prof. Dr. Robert Geissler

    - Vizepräsident des Obersten Gerichts -