Antrittsrede von Bundespräsident Ando Hov

  • Sehr geehrte Damen und Herrn,

    Liebe Bürgerinnen und Bürger,

    Geschätzte Anwesende,


    wieder einmal ist die Welt Zeuge eines furchtbaren Ereignisses geworden. Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich vor zwei Wochen dazu entschlossen, einen brutalen, einen völkerrechtswidrigen und schrecklichen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu initiieren. In inakzeptabler Art und Weise streut Putin Falschinformationen, schürt Putin gegenseitigen Hass, bringt Putin Leid und Elend über die Menschen in der Ukraine, aber auch über sein eigenes Volk. Dieser Krieg, werte Damen und Herren, kennt nur Verlierer. Katastrophale wirtschaftliche Folgen für Russland, aber auch für Europa, eine massive Flüchtlingswelle aus der Ukraine in Richtung EU-Staaten, zerstörte Infrastruktur in der Ukraine und allen voran viele verletzte und getötete Soldatinnen, Soldaten und Zivilistinnen und Zivilisten – all das sind die Folgen und die Auswirkungen dieses Krieges. Und wir alle fragen uns: Warum musste es so weit kommen?


    Eine Antwort auf diese Frage zu finden, scheint schwierig bis unmöglich. Am ehesten lässt sich die russische Aggression mit den sich immer weiter von der Realität entfernenden Vorstellungen und Behauptungen Putins erklären. Der russische Präsident hat sich in den letzten Wochen immer und immer weiter von der Realität entfernt. Er hat immer und immer mehr wahnwitzige Falschbehauptungen verbreitet, die jeglicher Logik und jeglicher Rationalität entbehren und immer mehr gegenseitigen Hass und gegenseitige Verachtung gestreut. Und er hat diesen Krieg allen voran mit diesen absurden Vorstellungen begründet. Doch all das ist eine Farce, meine Damen und Herren. Dieser Krieg ist ein persönlicher Feldzug Putins gegen den Westen. Es ist eine absichtliche Konfrontation. Warum diese Konfrontation gerade jetzt initiiert wurde, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht soll es ein Ablenkungsmanöver sein, um von den großen Problemen in Russland selbst abzulenken. Vielleicht sieht Putin aber auch jetzt, in einer Zeit, in der die Länder durch die Corona-Pandemie ohnehin schon geschwächt sind, den richtigen Moment, sein Ziel – die Erschaffung eines Staates, in dem alle russischsprachigen Menschen vereinigt sind – zu erreichen.


    Jedenfalls aber bringt dieser Krieg enormes Leid über die Ukraine. Und dieser Krieg birgt enorme, neue und unbekannte Herausforderungen für Europa. Die massive Flüchtlingswelle, die auf uns zukommt, die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges, die Auseinandersetzung des Westens mit der Frage, wie man im Falle der Fälle reagieren soll, wenn Putin es tatsächlich wagen würde, ein NATO-Mitglied oder ein EU-Mitglied anzugreifen oder wenn er gar den ultimativen Schritt gehen und zu den Atomwaffen greifen würde. Es sind viele, es sind essentielle Fragen, die dieser Krieg aufwirft und für die wir eine Lösung finden müssen. Und wir müssen mit vereinten Kräften diese Lösungen erarbeiten.


    Was immer im Vordergrund dieser Lösungsfindung stehen muss, ist das Wohlergehen der Menschen. Dass Putin sich dazu entschlossen hat, seine persönlichen Konflikte auf dem Rücken hunderttausender Unschuldiger auszutragen, ist skandalös und verachtenswert. Doch umso wichtiger ist es, dass wir als Deutschland, als Europäische Union, als Weltgemeinschaft in diesen Zeiten zusammenstehen und uns darauf konzentrieren, wie wir den Menschen helfen können, die Folgen dieses Krieges abzufedern. Die Politik kann keine Toten wiederauferstehen lassen, sie kann keine toten Freunde, Freundinnen, Ehemänner, Ehefrauen, Väter, Mütter, Töchter, Söhne zurück in das Leben holen. Doch die Politik kann dabei helfen, Menschen, die vor dem Krieg fliehen, zu unterstützen. Sie kann diesen Menschen helfen temporären Schutz und humanitäre Versorgung zu finden. Sie kann die Geflüchteten aber auch dabei unterstützen, sich in Europa ein neues Leben aufzubauen. Wir müssen uns immer die Frage stellen: Was wollen die Menschen? Was brauchen die Menschen? Was können wir diesen Menschen geben? Wie können wir diese Menschen unterstützen? Es liegt an uns, die Antworten auf diese Fragen herauszufinden und entsprechend zu reagieren.


    Doch auch die Politik ist bei der Umsetzung ihrer Maßnahmen vor allem auf eines angewiesen: Die Unterstützung, den Rückhalt und die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger. Und so sehr dieses Vertrauen zwischen Politik und Gesellschaft in den letzten Jahren zum Teil auch gelitten hat, so sehr verspüre ich in diesen Tagen einen unfassbaren Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft, aber auch zwischen Gesellschaft und Politik. Wir alle stehen in diesen Tagen zusammen und wollen nur eines: Frieden. Putin hat uns durch seine Aggression in der Ukraine klar gemacht, dass der Krieg unser aller gemeinsamer Feind ist. Egal wie groß die Divergenzen zwischen politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Ansichten auch sind – all das rückt in den Hintergrund, wenn plötzlich unsere Existenz als Mensch, unsere Existenz als Gesellschaft infrage gestellt wird. Wenn ein russischer Präsident offen damit droht, im Zweifelsfall Atomwaffen einsetzen zu wollen, dann ist eine gewisse Grenze klar überschritten – eine gewisse Grenze, an der plötzlich wir alle Angst davor haben, was passieren könnte, wenn der Fall der Fälle eintreten sollte. Ich glaube man muss kein Prophet sein, um zu sagen, dass ein Atomkrieg wohl den Großteil des Lebens auf unserer Welt langfristig vernichten würde. Und so vereint uns in diesen Tagen auch die Angst vor einem Konflikt, der sich unter unwahrscheinlich unglücklichen Umständen weit über die Grenzen der Ukraine ausbreiten könnte. In wirtschaftlicher Hinsicht hat er dies bereits. Doch in kriegerischer Hinsicht sind wir noch nicht so weit – und werden wir hoffentlich nie so weit sein. Aber wir wissen, gerade eine gemeinsame Angst nährt den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Und dieser Zusammenhalt Europas, des Westens, der Weltgemeinschaft und der Menschen wird Russland am Ende das Genick brechen, davon bin ich überzeugt. Putin hat in diesem Krieg wohl mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer derartigen Welle der Solidarität, des Zusammenhaltes, der Hilfsbereitschaft und des Kampfgeistes der Ukrainerinnen und Ukrainer, Europas und der Welt. Mit dem Angriff auf die Ukraine hat Putin viel mehr attackiert als bloß das ukrainische Staatsgebiet. Putin hat unsere Friedensordnung attackiert, er hat unser gemeinsames Verständnis von Menschenrechten, Menschenwürde und des Menschseins attackiert. Und diesen Kampf kann Putin nicht gewinnen. Der Wille in einer friedlichen Welt zu leben ist stärker als jede Aggression, die Putin jemals anzetteln könnte.



    Geschätze Damen und Herren,


    dem Bundespräsidenten kommt in unserem Gefüge der Staatsorgane eine ganz besondere Rolle zu. Es ist die Rolle des Vermittlers, die Rolle des Integrators. Dieser Rolle möchte ich in den nächsten Wochen und Monaten gerecht werden. Wir alle wollen aus den heutigen Krisen und den Krisen der letzten Jahre gestärkt hervorgehen. Wir alle sehnen uns nach einer Zeit mit weniger Konflikten, mit weniger Problemen – und nicht wenige werden die Hoffnung hierauf schon aufgegeben haben. Ich möchte diese Hoffnung in unser Land, an die Bürgerinnen und Bürger tragen – diese Hoffnung für eine friedliche Welt, eine gesunde, eine freie Welt. Ich möchte unsere Gesellschaft weiter einen und ihnen aufzeigen, wo unseren gemeinsamen Ziele liegen und dass wir diese vor allem zusammen erreichen können. Gerade als diese Aufgabe verstehe ich meine neue Rolle als Bundespräsident. Ich möchte die Menschen zusammenbringen, ihnen ihre Gemeinsamkeiten klarmachen und nicht ihre Gegensätze. Der Grad des Zusammenhaltes in unserer Gesellschaft bemisst sich an der Schnittmenge der Gemeinsamkeiten und nicht umgekehrt. Und gerade die letzten Wochen haben ganz massiv gezeigt, dass diese Schnittmenge – wenn es hart auf hart kommt – viel größer ist als so manch einer geglaubt hätte.


    Liebe Bürgerinnen und Bürger,


    lassen Sie uns auch in turbulenten Zeiten wie diesen den Mut nicht verlieren, die Hoffnung nicht aufgeben. Lassen Sie uns gemeinsam kämpfen für eine friedliche Zukunft für unser Land, unseren Kontinenten und unsere Welt. Lassen Sie uns gemeinsam diejenigen unterstützen, die unsere Unterstützung dringen benötigen, weil sie darauf angewiesen sind. Lassen Sie uns jenen, die an der Demokratie zweifeln zeigen, dass sie sich auf einem Irrweg befinden. Lassen Sie uns jenen, die den Weg des Krieges wählen, zeigen, dass sie falsch abgebogen sind. Lassen Sie uns jenen, die das Menschsein verlernt haben, zeigen, dass nur die Menschlichkeit unsere Welt am Leben erhält.


    Herzlichen Dank!