4 BvT 1/22 - Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Internationalen Linken gegen F. Augstein


  • OBERSTES GERICHT

    – 4 BvT 1/22 –


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    IM NAMEN DES VOLKES



    In dem einstweiligen Verfügungsverfahren



    der Internationalen Linken,
    vertreten durch den Parteivorsitzenden Ernesto B. Dutschke


    - Prozessbevollmächtigte: Dr. Viktoria Christ-Mazur und Dr. Nadine Schlupp



    g e g e n



    Herrn Friedrich Augstein



    1. es dem Verfügungsbeklagten aufzugeben, es bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen,

    - zu behaupten, die Verfügungsklägerin verfolge verfassungsfeindliche Bestrebungen,

    - zu behaupten, die Verfügungsklägerin wolle Ermittlungen durch Löschung von Beweismitteln politisch beeinflussen;


    2. es dem Verfügungsbeklagten aufzugeben, alle öffentlichen Beiträgen des Verfügungsklägers in denen behauptet wird,

    - die Verfügungsklägerin verfolge verfassungsfeindliche Bestrebungen,

    - die Verfügungsklägerin wolle Ermittlungen durch Löschung von Beweismitteln politisch beeinflussen

    entsprechend zu löschen;


    3. dem Verfügungsbeklagten bei Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 Euro anzudrohen;


    4. dem Verfügungsbeklagten die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens aufzuerlegen;



    hat das Oberste Gericht – Vierter Senat –

    unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter


    Präsident Geissler,


    Vizepräsident von Gierke,


    Neuheimer



    am 21. Januar 2021 einstimmig beschlossen:



    1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.


    2. Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens.




    G r ü n d e :



    I.


    1. Die Verfügungsklägerin nimmt den Verfügungsbeklagten auf Unterlassung und Beseitigung diverser Äußerungen in Anspruch. Anlässlich einer auf eine Pressekonferenz des damaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Fürst äußerte sich der Verfügungsbeklagte wie folgt über die Verfügungsklägerin:

    "Eine Partei, die Unternehmen einer Ideologie willen enteignen will und damit das Eigentumsgrundrecht fundamental infrage stellt oder Ermittlungen politisch beeinflussen will, indem er Beweismittel löschen lässt, steht nicht auf dem Boden der Verfassung, in jedem Fall aber am linken Rand des politischen Spektrums."


    2. Am 16. Januar 2021 erhob die Verfügungsklägerin Klage und beantragte, den Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, vorgenannte Äußerungen zu unterlassen und bereits getätigte Äußerungen zu beseitigen. Sie macht geltend, vorgenannte Äußerungen seien unwahre, ehrverletzende Tatsachenbehauptungen und sieht in einer Persönlichkeitsrechtsverletzung den Verfügungsanspruch. Besondere Dringlichkeit und Eilbedürftigkeit sei gegeben, da davon auszugehen sei, dass der Verfügungsbeklagte die beanstandeten Äußerungen wiederholen werde. Weiter sei der Verfügungsklägerin mutmaßlich schon ein Schaden entstanden. Die Aussagen seien geeignet, dem Ansehen Verfügungsklägerin zu schaden, insbesondere da die Aussage durch einen bundesweit bekannten Spitzenpolitiker getätigt worden sei. Es sei ihr aufgrund des mutmaßlich bereits entstandenen Schadens nicht zuzumuten, auf das Urteil in der Hauptsache zu warten. Die Unterzeichnung einer strafbewährten Unterlassungserklärung sei durch den Verfügungsbeklagten im Vorfeld der Klageerhebung abgelehnt worden. Insgesamt sei daher der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch zu bejahren.


    3. Mit Schriftsatz vom 18. Januar 2021 ist der Verfügungsbeklagte diesem Vortrag entgegengetreten. Er behauptet, bei den streitbefangenen Äußerungen handele es sich um Werturteile, die keinen Unterlassungsanspruch begründen. Seine Aussagen hinsichtlich der behaupteten Verfassungswidrigkeit könnten durch ein gerichtliches Beweisverfahren nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden. Gleiches gelte für den Vorwurf der "politischen Einflussnahme", welche sich nicht objektiv feststellen lasse. Es fehle dem Antrag daher an einem Verfügungsanspruch.




    II.


    Der zulässige Antrag ist unbegründet.


    Gem. §§ 935, 940 ZPO kann das Gericht einen Zustand vorläufig durch einstweilige Verfügung regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, insbesondere der Vereitelung des in der Hauptsache geltend zu machenden Rechts, geboten erscheint. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Verfügungsklägerin hat weder Verfügungsgrund, noch Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht.



    1. Soweit die Verfügungsklägerin im Antrag zu 2. die Beseitigung der streitgegenständlichen Äußerungen begehrt, würde eine hierauf gerichtete Beseitigungsverfügung die Hauptsache vorwegnehmen. Sinn und Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens ist jedoch alleine die einstweilige Sicherung eines Anspruches. Daher ist ein Antrag im einstweiligen Verfügungsverfahren, der die Hauptsache vorwegnehmen würde, regelmäßig unzulässig und ein Verfügungsgrund in diesem Falle nur ausnahmsweise, beispielsweise in Not- oder Zwangslagen, bei drohender Existenzgefährdung oder beim Drohen eines sonstigen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens, anzunehmen. Dies wurde von der Verfügungsklägerin nicht dargetan.




    2. Soweit die Verfügungsklägerin im Antrag zu 1. die einstweilige Verpflichtung zur Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerungen begehrt, ist dieses Begehren als Sicherungsverfügung einzuordnen (a). Jedoch legt die Verfügungsklägerin weder die besondere Eilbedürftigkeit (b) hinreichend dar, noch zeigt sie schlüssig auf, dass ihr erheblicher Schaden entstanden ist oder entstehen würde, wenn ihr einstweiliger Rechtsschutz versagt werden würde (c).


    a) Die Hauptsache wird durch den Antrag zu 2. nicht vorweggenommen. Bei unterstelltem Bestehen des Unterlassungsanspruchs wäre der Verfügungsbeklagte verpflichtet, die streitgegenständliche Äußerung zu unterlassen. Dieser zukunftsbezogener Anspruch trägt den Charakter einer absoluten Fixschuld, weil ein Unterlassen per se nicht nachgeholt werden kann. Somit droht bei der Wiederholung der beanstandeten Äußerungen der Anspruch zeitanteilig unmöglich im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB zu werden. Damit geht es vorliegend um die Sicherung eines Anspruchs und nicht dessen vorläufige Erfüllung.



    b) aa) Gleichwohl kann die Begehungsgefahr, die Voraussetzung jedes Unterlassungsanspruchs ist, nicht mit dem Verfügungsgrund gleichgesetzt werden. Andernfalls wäre jeder Unterlassungsanspruch im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzbar. Wie sich aus § 12 Abs. 1 UWG folgern lässt, müssen an den Verfügungsgrund höhere Anforderungen gestellt werden, als an die Wiederholungsgefahr, die freilich auch bei erstmaliger Begehung indiziert wird. Andernfalls hätte § 12 Abs. 1 UWG keinerlei Funktion.


    bb) Eine besondere Eilbedürftigkeit ist daher nicht schon deshalb gegeben, weil die Gefahr besteht, dass die zu unterlassen beantragte Handlung wiederholt werden könnte. Ein Verfügungsgrund ist nur dann festzustellen, wenn das Begehren des Verfügungsklägers dringlich ist und es ihm nicht zugemutet werden kann, den Weg des Hauptsacheverfahrens einzuschlagen und in diesem auf den Erlass eines Vollstreckungstitels zu warten. Es kann weiter an einem Verfügungsgrund fehlen, wenn die Verfügungsklägerin ihre Rechte einstweilen selbst gewahrt hat oder hätte wahren können. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn ihr eine Gegenäußerung möglich ist oder war und sie somit ihr schutzwürdiges Interesse durch eine Gegenäußerung geltend machen kann oder hätte machen können.


    cc) Nach diesen Maßgaben legt die Verfügungsbeklagte die für die Stattgabe des Antrages zu 2. notwendige besondere Dringlichkeit nicht hinreichend dar. Sie zeigt nicht schlüssig auf, warum diese Eilbedürftigkeit - abseits der Tatsache der womöglich bestehenden Wiederholungsgefahr - gegeben sein soll. Dazu war es ihr durch eine Gegenäußerung grundsätzlich möglich und zumutbar, ihre Rechte in hinreichendem Umfang vorerst selbst zu wahren.



    c) Soweit die Verfügungsbeklagte ausführt, dass ihr dadurch erheblicher Schaden entstehe, dass die steitgegenständlichen Äußerungen durch einen bekannten Politiker getätigt worden seien, vermag auch dies nicht zu überzeugen. Gerade im politischen Geschäft sind überspitzte Formulierungen bezüglich anderer Parteien gängig und ein im Regelfall zulässiges Mittel zum Werben für die eigene Partei. Politische Tätigkeiten und Aussagen zeichnen sich gerade durch das Tätigen von Meinungsäußerungen - auch über Inhalte und Vorhaben anderer Parteien - aus.


    Vor diesem Hintergrund ist es der Verfügungsbeklagten vorliegend grundsätzlich möglich und zumutbar, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Mithin hat die Verfügungsbeklagte nicht hinreichend dargelegt, warum ihr dies nicht zuzumuten sei.




    3. Dazu fehlt es dem Antrag zu 1. auch an dem Verfügungsanspruch. Nach vorläufiger Prüfung der Sachlage steht der Verfügungsklägerin kein Anspruch aus §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB, §§ 186 f. StGB zu.


    a) Die Behauptungen, dass eine Partei nicht auf dem Boden der Verfassung stehe oder Ermittlungen politisch beeinflussen wolle, sind objektiv nur schwer überprüfbar. Ausgangspunkt für eine behauptete Verfassungswidrigkeit ist regelmäßig das eigene Verständnis über den konkreten Aussagegehalt grundgesetzlicher Normen, welche in vieler Hinsicht uneindeutig sind. Soweit sich die Verfügungsklägerin auf das Grundgesetz als Beweisinstanz beruft, ist festzuhalten, dass auch die Normen des Grundgesetzes einer subjektiven Interpretation bedürfen und daher als objektive Prüfung zum Feststellen des Wahrheitsgehaltes einer Aussage, zumindest im hier ersichtlichen Kontext, untauglich sind.


    b) Auch die abstrakte Bezeichnung der "politischen Einflussnahme" lässt sich anhand objektiver Parameter nur schwer messen. Wo die Grenzen der politischen Einflussnahme sind, lässt sich nicht allgemeingültig feststellen. Die Verfügungsklägerin führt in ihrem Antrag zwar aus, dass sie in ihrem Programm nur fordere, personenbezogene Daten zu löschen, die ganz ausdrücklich nicht für ein Strafverfahren relevant sind oder waren. Sie verhält sich jedoch nicht dazu, warum diese Forderung nicht auch schon als politische Einflussnahme gewertet werden könnte. Vielmehr zeigt dies, dass der Äußerung des Verfügungsbeklagten ein (zutreffender) Tatsachenkern zugrunde lag. Alleine die aus Sicht der Verfügungsklägerin unzutreffende Bewertung und das Ziehen unerwünschter Schlussfolgerungen, begründet keinen Unterlassungsanspruch.


    c) Das Gericht hat in die vorläufige Bewertung der Sachlage auch eingestellt, dass mehrdeutige, also interpretationsfähige Äußerungen im Zweifel so zu deuten sind, dass der Meinungsfreiheit bestmögliche Geltung verschafft wird. Dies gilt auch für die Frage, ob eine Meinung oder eine Tatsachenbehauptung vorliegt, zumal sich beide Äußerungsformen vielfach überschneiden und nicht sinnvoll voneinander getrennt werden können. Der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Geltung dieses Zweifelssatzes von der jeweiligen Prozesssituation abhängig ist (vgl. für Schadensersatz, Widerruf, Berichtigung BVerfG NJW 2006, 3769, 3773; 2008, 1654, 1655 nicht hingegen für Unterlassung und Beseitigung) folgt das Gericht nicht. Die Anwendung des Zweifelssatzes trägt der schlechterdings unverzichtbaren Bedeutung der Meinungsfreiheit Rechnung. Die Bedeutung von Rede und Gegenrede für das demokratische Prinzip hängt nicht davon ab, welches Anspruchsziel erreicht werden soll. Ebenso wenig differenzieren die von den Gerichten gem. Art. 1 Abs. 3 GG wahrzunehmenden Schutzpflichten, die alleine die Anwendung des Privatrechts im Lichte der Grundrechte zu rechtfertigen vermag, wohingegen es eine auch nur mittelbare Drittwirkung nicht gibt, nach den in Details geringfügig differierenden Anspruchszielen. Die Meinungsfreiheit ist in allen Konstellationen relevant. Ein Prinzip, das dessen elementare Bedeutung schützen soll, beansprucht folglich ebenso in allen Fallgestaltungen Geltung, soweit gesetzlich nichts anderes geregelt ist.


    d) Insgesamt handelt es sich - soweit im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens überprüfbar - bei den streitgegenständlichen Aussagen um Meinungsäußerungen. Jedenfalls aber legt die Verfügungsklägerin nicht schlüssig dar, inwieweit ihr schon ein Schaden entstanden ist oder ihr weiterer Schaden bei Versagen der einstweiligen Verfügung entstehen würde.


    Nach alledem waren die Anträge allesamt zurückzuweisen.


    4. Die Kostenentscheidung (Antrag zu 4.) beruht auf § 91 ZPO.


    5. Auf Antrag des Antragstellers und aufgrund der besonderen Dringlichkeit wird gem. § 937 Abs. 2 ZPO auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.




    Geissler | von Gierke | Neuheimer


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    Prof. Dr. Robert Geissler

    - Vizepräsident des Obersten Gerichts -