Antrittsbesuch von Bundespräsident Brandstätter in der Freien und Hansestadt Hamburg
Als erste Station seiner Antrittsreise durch die Bundesländer besuchte Bundespräsident Brandstätter in dieser Woche die Freie und Hansestadt Hamburg. Noch am Tag seiner Ankunft, am gestrigen 2. Oktober, begab sich der Bundespräsident zur Gedenkstätte KZ Neuengamme und hielt dort vor einigen geladenen Gästen und Vertreter*innen der Presse eine Rede. Folgend einige Auszüge aus dieser:
Zitat von Bundespräsident Brandstätter vor dem KZ Neuengamme:Alles anzeigenWerte Gäste,
Geschätzte Vertreterinnen und Vertreter der Presse,
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Konzentrationslager Neuengamme war von 1938 bis 1945 das größte Konzentrationslager im Nordwesten Deutschlands. Mehr als 100.000 Europäerinnen und Europäer waren hier und in umliegenden Außenlagern inhaftiert - über 40.000 von ihnen starben. Es sind nicht nur diese erschreckenden Zahlen, die einen hier an diesem Ort innehalten lassen. Es ist vor allem die Atmosphäre dieses Ortes, das Wissen über das, was hier während der Herrschaft Hitlers und der Nazis passiert ist. Es ist ein Gefühl der Bedrückung, der Trauer, aber auch der Schuld, die man hier verspürt. Deutschland war im zweiten Weltkrieg verantwortlich für eine der größten Tragödien der Geschichte. [...] Und doch ist dieses Schuldgefühl, das man hier verspürt, eigentlich unbegründet. Es waren nicht wir, die dieses Unrecht verursacht haben. Es waren nicht wir, die Juden sowie andere Minderheiten verfolgt, misshandelt und in Massen getötet haben. Es waren Hitler und die Nazis, die diese Verbrechen begangen haben - nicht das deutsche Volk. Schuldig fühlen müssen sich jene, die diese Schreckenstaten mitzuverantworten hatten. [...] Wir müssen uns nicht schuldig fühlen, für die Taten der Nazis, nur weil wir Deutsche sind. Wir waren zu Hitlers Zeiten noch gar nicht auf der Welt. Wir hatten keine Möglichkeit, diese Taten zu verhindern. Jeder der Behauptet, wir seien Schuld an dieser Tragödie gewesen, dem können wir bedenkenlos antworten: "Nein, es waren unsere Vorfahren, die zum Teil verantwortlich waren. Wir aber können nichts dafür, als Deutsche geboren zu sein. Wir können nichts für das, was unsere Vorfahren verbrochen haben".
[...]
Es geht nicht mehr um die Frage der Schuld - diese Frage ist längst geklärt. Was vergangen ist, lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Wir können und sollten dieses Schuldgefühl in uns ablegen und es substituieren durch ein Gefühl der Verantwortung. Es liegt nämlich in unserer Verantwortung, dass es in unserem Land nie wieder etwas Vergleichbares wie den Holocaust gibt. Es liegt in unserer Verantwortung die Werte der freien Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen. Das, geschätzte Damen und Herren, sind wir all den Opfern des Holocaust schuldig. Wir sind es ihnen schuldig, mit aller Kraft und mit allem was dazu nötig ist zu verhindern, dass solch schreckliche Taten wieder passieren. Das allein ist unsere Aufgabe - und wenn wir diese Aufgabe ernst nehmen, dann gibt es für uns keinen Grund, uns schuldig zu fühlen.
[...]
Nichtsdestotrotz ist es geboten, an einem Ort wie diesen innezuhalten; sich zu besinnen, wie es um unsere Gesellschaft steht; darüber nachzudenken, ob Gedankengut der Nazis auch heute noch in einigen unserer Köpfe vorhanden ist und öffentlich propagiert wird. Es war nicht nur der Hass und die Gewalt gegen die Juden, welcher die Nazis ausgemacht hat. Es war der blinde Hass gegen all jene, die nicht in das "Schema" des Deutschen passten. Es war aber auch der Terror und die Angst, die verbreitet wurde, durch die Nazis. Wer nicht gehorsam war, war ein Feind der Nazis und ein Feind des Staates. Wer sich kritisch gegenüber dem NS-Regime äußerte, der wurde verfolgt und terrorisiert. Das Sagen über Deutschland hatten die Nazis, nicht das Volk. Es sind gerade diese Merkmale des Nationalsozialismus, die in massiver Konkurrenz zu den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen. [...] Doch noch immer gibt es auch in unserem Land Menschen, die diese Werte unserer Demokratie missachten, die diese Werte bekämpfen wollen. Natürlich sind diese Menschen in der klaren Unterzahl - aber es gibt sie und man darf sie nicht ignorieren. Sie sind es, die den gesellschaftlichen Frieden in unserem Land am meisten gefährden. Sie sind es, gegen die sich unsere Demokratie, gegen die wir uns wehren müssen.
[...]
Und wenn Menschen aus den Reihen der Querdenker oder anderer fragwürdiger Organisationen meinen, sie müssten propagieren, dass wir in einer Diktatur leben, dann erschreckt mich das Demokratieverständnis dieser Menschen zutiefst. Demokratie heißt nicht, dass immer alles so läuft, wie es einem gefällt und passt. Demokratie heißt, den Willen der Mehrheit zu akzeptieren, aber weiter für die eigenen Ideale zu kämpfen. Wer ein Land, in dem jede und jeder frei seine Meinung äußern kann und in dem jede und jeder das Recht, ja sogar den Auftrag hat, wählen zu gehen und das politische Geschehen mitzubestimmen, als Diktatur bezeichnet, der ist schlicht grob desinformiert. Ich finde es gefährlich, solche Behauptungen überhaupt aufzustellen, denn sie verharmlosen ganz offensichtlich die Zustände, die in wirklichen Diktaturen herrschen. Es gibt Menschen, die in Diktaturen leben und die alles dafür geben würden nach Deutschland ziehen zu können, in ein freies Land, wo man ohne Angst vor Terror und ständiger Überwachung leben und sich frei entfalten kann; ein Land, wo man sich gegen staatliche Maßnahmen wehren kann, seine Meinung frei und unbeschwert verbreiten darf. [...] Nein, eine Diktatur ist Deutschland freilich nicht - und das ist auch gut so.
[...]
Ich möchte mich abschließend bei Ihnen allen, geschätzte Damen und Herren, bedanken, dass Sie sich die Zeit genommen haben und der Einladung zu dieser Veranstaltung gefolgt sind. Abschließend möchte ich Sie bitten, sich zu erheben und gemeinsam mit mir eine Schweigeminute abzuhalten, für alle Opfer des Holocaust, die in diesem Konzentrationslager und überhaupt während der Herrschaft Hitlers unschuldig sterben mussten. Vielen Dank!
Weitere Termine des Bundespräsidenten mit dem Bürgerschaftspräsidium und den Hamburgischen Bürgermeistern stehen am heutigen Sonntag und morgigen Montag an.