6 BvT 3/21 – Erfolgreicher Einspruch gegen Entscheidung der Moderation in Sachen Fuhrmann ./. Moderation

  • L e i t s ä t z e



    zum Beschluss des 6. Senats vom 16. Juni 2021



    – 6 BvT 3/21 –



    1. Die Moderation ist in einem Einspruchsverfahren in der Frage, ob eine Anhörung durchgeführt worden ist, beweispflichtig. Kommt sie dieser Beweispflicht nicht nach, wird es dem Obersten Gericht unmöglich gemacht, den Sachverhalt zweifelsfrei zu ermitteln und nachzuvollziehen. Demnach sind in einem solchen Fall die vorgebrachten Tatsachen und Behauptungen, soweit sie einer Überprüfung überhaupt zugänglich wären und entsprechend nicht widerlegt werden, zum Vorteil des Widerspruchsführers auszulegen.


    2. Stellt das Oberste Gericht Verfahrensmängel schon während der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit der angegriffenen Sanktionierung fest, so kann es die Entscheidung, soweit diese nicht offensichtlich auch materiell rechtswidrig ist, auch ohne nähere Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit aufheben und zurückverweisen. Einer möglichen Zurückverweisung der Sache an das zuständige Organ steht die umfassende Prüfungskompetenz des Obersten Gerichts nach § 19 ModAdminG, § 44 Abs. 2 OGG jedenfalls nicht entgegen.




    OBERSTES GERICHT

    – 6 BvT 3/21 –



    In dem Verfahren
    über

    den Widerspruch,



    des Herrn Paul Fuhrmann



    gegen den Beschluss der Moderation vom 2. Juni 2021


    und über die Anträge,


    1. Die Verwarnung wird aufgehoben;
    2. Die Widerspruchsbeklagte wird verpflichtet, die festgesetzten Strafpunkte zu löschen;
    3. Hilfsweise: Die Verwarnung wird aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an die Moderation zurückverwiesen.


    hat das Oberste Gericht durch die Richterinnen und Richter


    Präsident Müller,


    Vizepräsident Geissler,


    Thälmann,


    Siebert


    am 16. Juni 2021 beschlossen:

    1. Die Verwarnung gegen den Widerspruchsführer wird aufgehoben.
    2. Die Sache wird an die Moderation zurückverwiesen.


    G r ü n d e :


    I.


    1. Im Rahmen einer Diskussion anlässlich des Reichsgraf von Wildungen antwortete der Widerspruchsführer einer, möglicherweise sarkastisch angereicherten Anmerkung Frau Ricarda Fährmanns, der Widerspruchsführer verteile AfD-Malbücher von 2019 und werde vom Staatsschutz der Berliner Polizei verfolgt, die Aussage „Besser das AfD Malbuch als das von Genderwahnsinn, Transsexualität und anderen Abartigkeiten durchsetzten Biologiebuch der linksextremen Landesregierung.“


    2. Der Moderator Mijat Russ verwarnte den Widerspruchsführer daraufhin mit der Begründung „Transsexualität als Abartigkeit zu bezeichnen ist beleidigend und unangemessen gegenüber Personen, die sich als solches identifizieren.“




    II.


    1. Der Antrag sei zulässig und begründet. Die Sanktion sei formell (a) und materiell (b) rechtswidrig.



    a) Die Sanktion sei formell rechtswidrig, da der Moderator unzuständig gewesen sei (aa) und auf die erforderliche Anhörung verzichtet worden sei (bb).


    aa) Der Moderator Mijat Russ sei unzuständig. Es bedürfe in dieser Sache gemäß §§ 6 Abs. 1, 3 Abs. 3 ModAdminG eines Mehrheitsbeschlusses der Moderation. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass ein solcher vorliege.


    bb) Die Moderation habe auf die nach § 14 Abs. 1 ModAdminG erforderliche Anhörung verzichtet. Die angegriffene Sanktion sei formell rechtswidrig, da auf die Anhörung nicht hätte verzichtet werden dürfen. Selbst wenn auf die Anhörung zulässigerweise hätte verzichtet werden dürfen, so fehlte es dem Beschluss an der entsprechenden Begründung nach § 14 Abs. 3 ModAdminG. § 15 sei insoweit nicht einschlägig, da dieser insbesondere die Begründung der materiellen Voraussetzungen im Blick habe, nicht jedoch die Verfahrensvorschriften.



    b) Die Sanktion sei auch materiell rechtswidrig. Sie könne sich nicht auf §§ 8 Abs. 1 Nr. 4, 11 ModAdminG stützen (aa) und sei gekennzeichnet von Ermessensfehlern der Moderation (bb).


    aa) Nach §§ 8 Abs. 1 Nr. 4, 11 ModAdminG sei ein beleidigendes oder diskriminierendes Verhalten verboten. Unter Diskriminierung verstehe das Gesetz Aussagen, welche dazu geeignet sind, einer bestimmten Personengruppe zugehörigen Person, auch wenn diese nicht eigentlicher Adressat der Aussage sei, auf Grund dieser Zugehörigkeit abzuwerten.


    Diese Norm sei bereits vom Tatbestand her nicht einschlägig, da die streitgegenständliche Aussage des Widerspruchführers nicht als Abwertung im Sinne des Gesetzes verstanden werden können. Transsexualität sei gem. dem natürlichen Wortsinn des Wortes "Abartigkeit" tatsächlich eine Abnormität, da diese von der Norm (Heterosexualität) abweiche und jedenfalls nicht als "normal" bezeichnet werden könne. Zumindest stünde der Aussage eine solche Deutung offen, weshalb bei Betrachtung der Aussage im Lichte der Meinungsfreiheit keine Diskriminierung erkennbar sei, da im Zweifel diejenige Auslegung zu wählen sei, die rechtmäßig ist.



    bb) Auch folge eine Ermessensfehlerhaftigkeit daraus, dass der Kontext der streitgegenständlichen Äußerung außer Acht gelassen worden sei. Die Aussage habe sich erkennbar auf die Äußerung von Frau Fährmann bezogen und könne entsprechend einen klaren Bezug zur politischen Debatte aufweisen. Diesen Bezug zur Debatte hätte die Moderation erkennen müssen.


    Ein Ermessensfehler der Moderation drücke sich weiter dadurch aus, dass in der Begründung der Sanktion darauf verwiesen worden sei, dass die Ausdrucksweise der Widerspruchführers "unangemessen" gewesen sei. Es sei irrelevant, welche Ausdrucksweise angemessen sei oder nicht. Eine Herabsetzung müsse sich objektiv ausdrücken und könne nicht schon da anfangen, wo der Gebrauch eines bestimmten Wortes als unangemessen empfunden werde, da hierbei auch die Tragweite der Begriffe "Beleidigung" und "Diskriminierung" verkannt werde.


    Weiter müsse eine Diskriminierung grundsätzlich gegenüber einer Individualperson erfolgen. Kollektivbeleidigungen seien nur möglich, wenn die Gruppe hinreichend abgrenzbar sei. Dies sei bei Transsexuellen nicht der Fall, da diese durch ein psychologisches Internum geeint wären und dieses Merkmal nicht offen nach Außen träte. Transsexuelle bildeten somit kein hinreichend abgrenzbares Kollektiv.




    2. Die Widerspruchsbeklagte verzichtete auf Stellungnahme.




    3. Der Widerspruchsführer wurde am 7. Juni durch einen Hinweisbeschluss des Gerichts dazu aufgefordert, in geeigneter Weise zu belegen, dass die Sanktionierung mit entsprechendem Wortlaut tatsächlich ergangen ist und dies in geeigneter Weise belegen und dass die Frist aus § 17 Abs. 3 ModAdminG gewahrt ist. Der Aufforderung ist der Widerspruchsführer fristgerecht nachgekommen.




    III.


    Die Anträge sind zulässig.


    Dem Widerspruchsführer ist gemäß § 5 Abs. 1 ModAdminG gegen Entscheidungen der Moderation der Rechtsweg eröffnet. Die Vorschriften bezüglich Form und Frist gemäß § 43 Abs. 1 OGG, §§ 17 f. ModAdminG sind gewahrt.




    IV.


    Die Anträge sind begründet.



    1. a) Vor Verhängung einer Sanktion nach den Vorschriften des Gesetzes über die Moderation und Administration in der vBundesrepublik ist der zu sanktionierende Mitspieler gemäß § 14 Abs. 1 ModAdminG zunächst anzuhören. Das ist der Fall, um Missverständnisse zu vermeiden und die irrtümliche Sanktionierungen eines Mitspielers zu vermeiden und somit den Rechtsfrieden auf der Plattform vBundesrepublik sicherzustellen.


    Auf eine Anhörung kann zwar nach § 14 Abs. 1 Satz 2 ModAdminG, insbesondere im Falle des § 8 Abs. 1 Nr. 1 ModAdminG (Spamming) verzichtet werden, jedoch muss das Verzichten auf eine Anhörung gemäß
    § 14 Abs. 3 ModAdminG dann gesondert begründet werden. Diese Begründungspflicht gilt vorbehaltlos. Verzichtet werden kann gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 ModAdminG auf eine mündliche Verhandlung auch dann, wenn alle Verfahrensbeteiligten dem Verzicht zustimmen. Die Zustimmung hat schriftlich gegenüber der Moderation zu erfolgen.



    b) Auch ist die Moderation in einem Einspruchsverfahren in der Frage, ob eine Anhörung durchgeführt worden ist, beweispflichtig, denn das Oberste Gericht hat in der ihm in § 19 ModAdminG, § 44 Abs. 2 OGG zugewiesenen Rolle als Tatsacheninstanz in diesem Verfahren von Amts wegen Beweise zu erheben und auszuwerten. Die Moderation als sanktionierende Instanz ist dabei dazu angehalten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzustellen und sich gegebenenfalls zum Sachverhalt zu erklären. Unterlässt sie eine solche Handlung, wird es dem Obersten Gericht als Revisionsinstanz unmöglich gemacht, den Sachverhalt zweifelsfrei zu ermitteln und nachzuvollziehen und eine Entscheidung hierüber zu treffen. Demnach sind im Rahmen des strafrechtlich normierten Prinzips in dubio pro reo in einem solchen Fall die vorgebrachten Tatsachen und Behauptungen, soweit sie einer Überprüfung überhaupt zugänglich wären und entsprechend nicht widerlegt werden, zum Vorteil des Widerspruchsführers auszulegen.



    c) aa) Kommt das Oberste Gericht im Einspruchsverfahren zu der Entscheidung, dass das Verfahren, welches der angegriffenen Sanktionierung zugrunde lag, gegen Richtlinien des Gesetzes über die Moderation und Administration in der vBundesrepublik verstößt, so kann es nach § 20 Abs. 3 ModAdminG, § 44 Abs. 4 OGG die Sanktion aufheben und die Sache an das zuständige Organ zurückverweisen. Die formelle Rechtmäßigkeit ist insbesondere dann strittig, wenn die Zuständigkeit des Organs, das die Sanktionierung ausgesprochen hat, fraglich erscheint oder Verfahrensvorschriften aus dem ModAdminG, wie der Ausschluss Befangener von der Entscheidung oder unterlassene Begründungen oder Anhörungen, möglicherweise missachtet wurden (OGE 2, 141 <145>). Stellt das Gericht solche Verfahrensmängel schon während der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit der angegriffenen Sanktionierung fest, so kann es die Entscheidung, soweit diese nicht offensichtlich auch materiell rechtswidrig ist, auch ohne nähere Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit aufheben und zurückverweisen.


    bb) Zwar steht es dem Gericht nach § 19 ModAdminG, § 44 Abs. 2 OGG offen, eine vollumfängliche Prüfung im formellen wie materiellen Sinne durchzuführen, jedoch kann das Gericht auf eine solche Prüfung dann verzichten, wenn es zur Entscheidung kommt, dass es in der Sache zielführend ist, eine erneute und einem rechtmäßigen Verfahren zugrundliegende Bewertung und Entscheidung durch das zuständige Organ herbeizuführen. Einer möglichen Zurückverweisung der Sache an das zuständige Organ steht die umfassende Prüfungskompetenz des Obersten Gerichts jedenfalls nicht entgegen.


    Die materielle Beurteilung hat soweit möglich und soweit einem rechtmäßigen Verfahren zugrundliegend vordergründig durch die Moderation zu erfolgen, da das Oberste Gericht in als formell rechtswidrig erkannten Sanktionierungsverfahren im materiellen Sinne nicht als eine Art "Ersatz" für die demokratisch von der gesamten Spielerschaft legitimierten Moderation fungieren darf, da dies die Bedeutung des Organs Moderation insgesamt verkennen würde. Hätte schon bei der Rüge formeller Mängel immer auch eine Prüfung im materiellen Sinne zu erfolgen, wäre die Möglichkeit der Zurückverweisung an das zuständige Organ praktisch schlicht überflüssig, sodass dies erkennbar nicht Wille des Gesetzgebers beim späteren Einfügen der hierbei einschlägigen Normen (§ 20 Abs. 3 ModAdminG, § 44 Abs. 4 OGG) gewesen sein kann. Viel mehr muss es an der Moderation liegen, eine Entscheidung aufgrund eines formell rechtmäßigen Verfahrens zu treffen. Es ist schließlich nicht auszuschließen, dass die Moderation zu einer anderen als der angegriffenen Entscheidung im materiellen Sinne kommt, wenn bestimmte Verfahrensfehler beseitigt werden. Erst wenn eine solche finale und verfahrensmäßig nicht mehr zu beanstandende Entscheidung vorliegt, hat das Oberste Gericht abschließend die materielle Rechtmäßigkeit der angegriffenen Sanktionierung zu beurteilen.


    cc) Wurde eine von Gesetzes wegen erforderliche Begründung durch Moderation oder Administration unterlassen, so kann das Gericht gemäß § 44 Abs. 4 Satz 2 OGG auch lediglich anordnen, dass jene Begründung binnen einer bestimmten First nachzureichen ist. Eine solche Anordnung erfolgt nach entsprechendem Wortlaut jedoch nur auf Antrag und nicht von Amts wegen.




    2. Nach diesen Maßstäben ist die Sache an die Widerspruchsbeklage zurückzuverweisen.


    a) Die Moderation hat als gemäß §§ 6 Abs. 1, 8 Abs. 4 ModAdminG zuständiges Organ gegenüber dem Obersten Gericht nicht dargelegt, dass eine nach § 14 Abs. 1 ModAdminG erforderliche Anhörung des Beschuldigten durchgeführt worden ist. Viel mehr hat die Widerspruchsbeklagte überhaupt keine Stellung zum vorliegenden Antrag genommen. Demnach ist – wie oben dargelegt (Abschnitt 1.b)) – nach dem Prinzip in dubio pro reo davon auszugehen, dass eine nach § 14 Abs. 1 ModAdminG erforderliche Anhörung nicht stattgefunden hat. Ebenso wurde offensichtlich auf die Begründung verzichtet, weshalb im vorliegenden Verfahren keine solche Anhörung stattgefunden hat.


    b) Verzichtet die Moderation auf eine Anhörung des Beschuldigten vor der Sanktionierung, liegt ein schwerer Verfahrensmangel vor, welcher – besonders im Lichte des § 20 Abs. 3 Nr. 1, § 44 Abs. 4 Nr. 1 OGG – eine Zurückverweisung der Sache an die Moderation jedenfalls unerlässlich macht. Auf eine Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der Sanktion wurde nach o.g. Maßgaben (Abschnitt 1. c)) verzichtet.



    Die Entscheidung ist unanfechtbar.



    Müller | Geissler | Thälmann | Siebert

    Vizepräsident des Obersten Gerichts