Dialog(isch) - Was bewegt Deutschland? - Pflegekräftemangel


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    Dialog(isch) - Was bewegt Deutschland?

    Thema: Pflegekräftemangel




    Vielen Dank an Herrn Professor Dr. Großenberg, für diesen Themenvorschlag.


    Der Präsident des Deutschen Pflegerats, Franz Wagner, sieht in der Alten- und Krankenpflege mittelfristig einen Bedarf für je 50 000 zusätzliche Pflegekräfte, um die Misere in den Griff zu kriegen. Schon aktuell können über 30 000 Stellen im Bundesgebiet nicht besetzt werden. Und seit dem Beginn der Corona-Pandemie hat Deutschland noch zusätzlich tausende Pflegekräfte verloren. Betroffen davon sind Krankenhäuser, ebenso wie die Altenheime. Erst durch diese Pandemie wurden die Sinne für den Pflegeberuf geschärft. Dachte man vorher noch: "Wird schon irgendwie gehen!", so zeigt uns die Pandemie seit einem Jahr die Grenzen auf. Es wird eben nicht schon irgendwie gehen. Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegerinnen und Pfleger sind in diesen Zeiten besonders gefordert. Und die Wahrnehmung ist nun eine andere, als noch vor einem Jahr.                


    Es hilft halt eben nicht, sich abends um 18 Uhr an die Fenster zu stellen und für das Pflegepersonal eifrig zu klatschen. Es bedarf viel mehr. Nicht nur schöne Worte, sondern vielmehr eine systemische Überlegung. In unserem komplexen Gesundheitssystem wird durch Einsparungen im Gehaltsbereich und Personal das Notwendigste getan, um den Bogen zu überspannen. Am meisten leiden die Pflegekräfte darunter, die mehr und mehr durch Burnout den Arbeitsbereich wechseln. Dies führt wiederum zu gesperrten Intensivbetten und Aufnahmestopps in den Alten- und Pflegeheimen. Sicherlich ist auch die stetig wachsende Überalterung unserer Gesellschaft ein wesentlicher Faktor, der die eben beschriebene Situation zusätzlich befördert.


    Doch was tun? Ich habe schon von mehreren Kliniken gelesen, die verschiedene Modelle entwickelt haben, um dem Personalmangel entgegen zu wirken. Doch sollten wir dieses deutschlandweite Problem tatsächlich den Kliniken selbst überlassen? Ist nicht vielmehr die Politik in der Pflicht, mehr als nur unterstützend tätig zu werden? Da ich kein großer Gesundheitsexperte bin, freue ich mich auf eine rege Diskussion zu diesem Thema. Vielleicht bekommen wir ja hier Lösungsansätze zusammen.


    Herzlichen Dank!







  • Hierzu hätte ich an Sie, Herr Bundespräsident, ein paar Fragen, bevor ich auch selbst etwas dazu sagen möchte.

    Glauben Sie, dass Gewinne und Profite eine Leitmaxime sein können, um die Würde der zu Pflegenden zu steigern? Wäre es nicht das Beste für das Wohlergehen aller, wenn Pflegekräfte einen so entspannten Berufsalltag wie möglich hätten, damit sie auch für die menschen vor Ort da sein können, Zeit mit ihnen verbringen können? Könnten nicht gemeinschaftliche, soziale Gedanken mehr helfen, als das kapitalistische und gewinnorientierte Gesundheitssystem von Heute?


    Meiner Meinung nach müssen sich vor allem 2 Dinge grundsätzlich ändern. Zum ersten: Die Löhne. Nur wenn ein solcher Beruf auch gut bezahlt ist, werden sich in naher Zukunft mehr Menschen für diesen schwierigen und fordernden Beruf entscheiden. Doch können da der Bund und die Länder etwas tun? Aufgrund der Tarifautonomie ist das schwer. Zumal ja nicht alle Pflegekräfte im selbem Unternehmen bei der selben Gewerkschaft sind. Es müssten einheitliche Bedingungen für einen solchen Beruf geschaffen werden. Entweder müssen die Gesundheitskonzerne einen gewissen Mindestlohn für ALLE Beschäftigte zahlen oder es müssen staatliche/gewerkschaftliche/gemeinnützige Pflegezentren den heutigen Konkurenz machen, was diese dann auch dazu zwingen würde, die Löhne anzuheben.


    Zum zweiten: Eine andere gesellschaftliche Perspektive. Besonders junge Menschen haben Heute den Berufswunsch Influencer. Vielleicht auch Fußballer oder Rapper. Wir müssen es aber schaffen, dass der Beruf eines Pflegenden ein viel höheres Ansehen bekommt. Dazu gehört eineseits die bereits angesprochene, bessere Bezahlung. Aber wir müssen die Wichtigkeit dieses Berufes für unsere Gesellschaft hervorheben und das entsprechend würdigen. Beispielsweise könnte man der Ausbildung auch einen höheren akademischen Grad zuweisen. Klatschen ist absolut richtig, das kann die Zivilgesellschaft machen. Anerkennung für solche Leistungen. Mehr Anerkennung.


    Zuletzt möchte ich noch sagen, dass es kein unlösbares Problem ist. Ja, der demographische Wandel verändert unser Wirtschaftssystem. Doch ist das eigentlich kein Problem. Zum einen, weil die Maschinisierung dazu beiträgt, dass man in den Fabriken und bei körperlichen Arbeiten auf Technik sezten kann und dort Arbeitsplätze wegfallen. Zum anderen werden und das kann man nicht mehr verhindern, viele Menschen auf der Flucht sein. Der Klimawandel zieht da seine Folgen nach sich. Wenn man Menschen erfolgreich aufnimmt und ihnen Perspektiven aufzeigt, dann ist das eine große Chance und in der Pflege können engagierte, junge Menschen frischen Wind mitbringen.


    Ich freue mich auf die folgende Diskussion,


    Vielen Dank.

  • Zunächst freue ich mich, dass dieses wichtige Thema aufgegriffen wurde. In der Tat ist das Problem hier ziemlich komplex und vielschichtig. Im Grunde stimme ich Frau Erich zu und habe nur ein paar Dinge zu ergänzen:

    1. Die Löhne zu erhöhen ist sicher richtig, jedoch ist das bei vielen Fachkräften gar nicht das Hauptproblem, da die Bezahlung, gerade in Fachbereichen wie der Intensivpflege, durchaus gut ist. Ein Punkt, der vielen Pflegekräften am Herzen liegt, sind die Arbeitsbedingungen. Die meisten mögen ihren Beruf und haben Spaß dabei. Wenn man allerdings bspw. alleine (auf einer peripheren Normalstation) für bis zu 14 Patienten verantwortlich ist und sich um diese kümmern muss, hetzt man durch die Schicht und hat am Ende nie das geschafft, was man sich eigentlich vorgenommen hat und was dem persönlichen Qualitätsstandard entspricht. Dort benötigt man Entlastung, wie eine geringere Anzahl an zu pflegenden Patienten (in den skandivischen Ländern sind es teilweise nur 7 Patienten pro Pflegekraft), ausreichend Pflegehilfskräfte, die z.B. bei der Grundpflege unterstützen und med. Assistenzpersonal, welches in der Organisation mitwirkt. Da haben wir aber das nächste Problem: Dieses Personal muss irgendwo herkommen. Und dafür muss der Beruf auf einem anderen Weg attraktiver werden. Oder man verstärkt die Bemühungen im Ausland zu werben.


    2. Frau Erich hat den akademischen Grad angesprochen. Dieser ist in vielen europäischen Ländern der Standardweg für Pflegekräfte, welche dann teilweise auch viel weiterführende Aufgaben haben. In Deutschland kann man zwar ein Bachelorstudium Pflege mit dem Grad Bachelor of Science absolvieren, es hat jedoch fast keinen Effekt auf zu übernehmenden Aufgaben oder das Gehalt. Denkbar wäre hier ein neues System oder Modellprojekt, in dem die B. Sc. Pflegekräfte als Führungskräfte und Experten Abläufe planen und delegieren, welche dann von ausgebildeten Pflegern ausgeführt werden bzw. weiter an Pflegehilftskräfte delegiert werden. Dabei muss aufpassen, die derzeitigen Pflegefachkräfte nicht zu degradieren. Schließlich ist deren Ausbildung durchaus umfangreich und gerade erst reformiert worden. Sie merken, eine richtig gute Idee zur Lösung dieses Problems habe ich auch nicht..


    Vielleicht noch (für die weiterführende Diskussion) abschließend zur Nomenklatur:


  • Hierzu hätte ich an Sie, Herr Bundespräsident, ein paar Fragen, bevor ich auch selbst etwas dazu sagen möchte.

    Glauben Sie, dass Gewinne und Profite eine Leitmaxime sein können, um die Würde der zu Pflegenden zu steigern? Wäre es nicht das Beste für das Wohlergehen aller, wenn Pflegekräfte einen so entspannten Berufsalltag wie möglich hätten, damit sie auch für die menschen vor Ort da sein können, Zeit mit ihnen verbringen können? Könnten nicht gemeinschaftliche, soziale Gedanken mehr helfen, als das kapitalistische und gewinnorientierte Gesundheitssystem von Heute?

    Liebe Frau Erich,


    Danke für Ihre Meldung. Gewinne und Profite können im Sektor der Gesundheitsversorgung durchaus sinnvoll sein, wenn sie auch bei denen ankommen, die Tag für Tag in den Früh-, Spät-, Nacht- und Zwischenschichten alles geben, um die Kranken und zu Pflegenden zu versorgen. Dies passiert aber in den meisten Einrichtungen nicht. Ich möchte da ein ganz praktisches und aktuelles Beispiel geben: Die Geburtsstationen sind äußerst wichtig, verschlingen jedoch Unmengen an Geld. Daher werden in vielen Kleinstädten die Geburtsstationen geschlossen und auf umliegende (Groß-)Kliniken verteilt. Wirtschaftlich gesehen eine vernünftige Entscheidung, die aber zu Lasten der Patienten geht. So müssen hochschwangere Frauen einen Weg von bis zu 30 km auf sich nehmen, um ihr Kind zu entbinden. Was passiert mit den Hebammen? Viele machen sich selbständig und versorgen die Frauen quasi von zuhause aus.


    Sie sprachen an, dass die Attraktivität des Pflegeberufs gesteigert werden muss. Dem stimme ich voll und ganz zu, möchte jedoch noch ergänzen, dass dies nicht nur im Bereich der Pflege geschehen sollte. Denn auch in den handwerklichen Ausbildungsberufen fehlen jedes Jahr immer mehr Auszubildende. Ein Problem, was sich durch alle ausbildungstechnischen Berufe zieht.


    Dem kann ich mich vollumfänglich anschließen. Danke für die Erklärung und dieses Statement.