3 BvQ 1/21 – 8 MdBs ./. Bundespräsident

  • OBERSTES GERICHT


    – 3 BvQ 3/21 –



    IM NAMEN DES VOLKES



    In dem Verfahren
    über den Antrag,
    im Wege der einstweiligen Anordnung


    die durch die Antragsgegnerin angeordnete Auflösung des Bundestages bis zur Entscheidung in der Hauptsache für vorläufig unwirksam zu erklären.



    Antragsteller: 1. Tom Schneider, MdB

    2. Charly Roth, MdB

    3. Dr. Theresa Klinkert, MdB

    4. Mijat Russ, MdB

    5. Maria Cortez, MdB

    6. Sebastian Fürst, MdB

    7. Elias Jakob Lewerentz, MdB

    8. Emmelie Seidel MdB


    - Bevollmächtigter: Dr. Joachim Holler


    hat der 3. Senat des Obersten Gerichtes durch die Richter


    Vizepräsidentin Baumgärtner,


    Müller,


    Thälmann


    gemäß § 15 Abs. 1 OGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Oktober 2020

    am 12. März 2021 beschlossen:


    Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.


    G r ü n d e :


    I.


    1. a) Am 22. Februar 2021 scheiterte nach Vorschlag der Bundespräsidentin, gemäß Art. 63 Abs. 1 GG die Wahl des Nils Neuheimer zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Daraufhin stellte der stellte der Präsident des Deutschen Bundestages am 06. März 2021 nach einem weiteren erfolglosen Wahlgang fest, dass im dritten Wahlgang der Wahl des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland Tom Schneider mit 9 Stimmen zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde.


    b) Am 7. März 2021 veranlasste die Bundespräsidentin unter Verweis auf die ihr nach Art. 63 Abs. 4 GG zustehenden Rechte die die Auflösung des Deutschen Bundestages, da keine absolute Mehrheit der Stimmen auf Herrn Schneider entfallen sei.


    2. Die Antragsteller sehen sich in ihren Rechten zum Schutz der Länge der Legislaturperiode und ihrem Status als Abgeordnete und Volksvertreter aus Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt (a). Außerdem sei der Antrag besonders dringlich und eilbedürftig (b). Eine Abwägung der Folgen nach der Doppelhypothese falle zu Gunsten der Antragsteller aus (c).


    a) Der Bundespräsidentin mangele es an der Berechtigung, den Bundestag nach Art. 63 Abs. 4 Satz 3 GG aufzulösen, da Tom Schneider, wie öffentlich einsehbar ist, mit neun Stimmen die benötige Mehrheit erreicht habe. Dieses Ergebnis habe so lange Gültigkeit, bis eine mögliche Ungültigkeit des Wahlergebnisses festgestellt würde. Es mangele es der Bundespräsidentin an der Berechtigung, sich in die Angelegenheiten des Bundestages einzumischen, indem sie ein Fehlschlagen der Wahl feststellt, weshalb sie kompetenzwidrig gehandelt habe. Auch fehle es an einer Grundlage, die Auflösung des Bundestages durchzuführen, indem sie es unterlassen hat, die Bevölkerung über einen solchen Schritt in ausreichend zu informieren.


    b) Der Antrag sei auch besonders dringlich. Die Auflösung des Bundestage stelle sowohl für die Bundestagsabgeordneten, die ihr Mandat möglicherweise unzulässigerweise verlieren, als auch für die gesamte Bundesrepublik einen schwerwiegenden Nachteil dar, da es sich hierbei um einen schwerwiegenden Eingriff in demokratische und rechtsstaatliche Grundprinzipien handle. Zu befürchten seien auch gewaltsame Demonstrationen. Ferner sei der Antrag offensichtlich begründet.


    c) Soweit das Hauptsacheverfahren nicht offensichtlich begründet sei, so falle eine Beurteilung nach der Doppelhypothese zu Gunsten der Antragsteller aus:


    (1) Erginge die einstweilige Anordnung nicht und das Hauptsacheverfahren stelle sich im Nachhinein als zulässig heraus, so verlören alle Bundestagsabgeordneten, einschließlich der Antragsteller, ihr Mandat unzulässigerweise. Dazu wäre die anzuordnende Neuwahl hinfällig. Die Vorbereitung derselben koste jedoch Staat und politische Parteien jedoch wesentliche personelle Ressourcen und Geld. Weiter würde das Vertrauen der Bürger in die Demokratie und ebenjener Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland massiv gestört, was mit einer erheblichen Beeinträchtigung der demokratischen Verfasstheit der Bundesrepublik einhergehen würde, welche in der derzeitigen Pandemiesituation noch einmal schwerer wiegen würde.


    (2) Erginge die einstweilige Anordnung jedoch und stellte das Hauptsacheverfahren dann als unbegründet herausstelle, so entstünden für niemanden gravierenden Nachteile, am allerwenigsten für die Antragsgegnerin selbst. Dem Umstand geschuldet, dass eine Neuwahl des Bundestages bereits in drei Wochen erfolge, sei diese Verzögerung hinnehmbar. Ferner sei auch kein möglicher zeitweiser Verstoß gegen geltendes Recht zu befürchten, da eine Auflösung des Bundestages durch die Bundespräsidentin ohnehin nur fakultativer Natur und nicht der Verfassung wegen zwingend geboten ist. Dem Grundsatz der Doppelhypothese nach müsse die einstweilige Anordnung folglich zwingend ergehen.


    3. Es wurde der Bundespräsidentin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Antrag sei unzulässig und unbegründet. Er bezeichne nicht die Handlung, die gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstoße (a). Außerdem seien die Antragsteller weder antragsbefugt (b), noch hätten sie ein Rechtsschutzbedürfnis (c).


    a) Die Antragsteller haben es unterlassen, die nach § 26 Abs. 5 Satz 1 OGG zu nennende streitgegenständliche Bestimmung in ihrem Antrag zu nennen, wodurch der Streitgegenstand nicht klar bestimmbar sei. Bereits daraus folge, dass der Antrag unzulässig sei.


    b) Des Weiteren seien die Antragsteller auch nicht antragsbefugt. Da die Antragsteller auch nach Auflösung des Bundestages weiterhin Mitglieder des Bundestags bleiben, fehle es an einer rechtlichen Betroffenheit der Antragsteller; ihre Statusrechte als Abgeordnete seien dadurch nicht verletzt worden. Ferner mangele es an einer Geltendmachung verletzter Rechte.


    c) Auch mangele es den Antragstellern an einem Rechtsschutzbedürfnis. Mit dem Antrag auf einstweilige Anordnung könne keine Rechtsfolge erwirkt werden, welche in einem in der Hauptsache statthaften Verfahren nicht verfolgt werden kann. Sowohl sei der Antrag mangels Geltendmachung einer Verletzung ihrer Rechte als Abgeordneten unzulässig, als auch könne ein für ungültig erklären der Anordnung der Bundespräsidentin in einem Organstreitverfahren nicht erwirkt werden.



    II.


    Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird verworfen, weil er unzulässig ist. Die Antragstellerin hat weder substantiiert dargelegt, dass sie die angegriffene Auflösung des Bundestages ihren Rechten verletzen könnte, noch dargetan, dass deren Anordnung ausnahmsweise geboten ist, um die Vereitelung des geltend gemachten organschaftlichen Rechts zu verhindern.


    1. Nach § 15 Abs. 1 OGG kann das Oberste Gericht im Streitfall – auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache – einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren bedeutet einen erheblichen Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in Autonomie und originäre Zuständigkeit anderer Verfassungsorgane. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 OGG ist daher grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 104, 23 <27>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>; 132, 195 <232 Rn. 86>; 140, 211 <219 Rn. 13>; 140, 225 <226 f. Rn. 7>). Der Erlass kann allein der vorläufigen Sicherung des strittigen organschaftlichen Rechts der Antragsteller dienen, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache durch Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird (vgl. BVerfGE 89, 38 <44>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>). Bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 <43 f.>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; 140, 225 <226 Rn. 7>; stRspr). Zu den spezifischen Begründungsanforderungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gehört die Darlegung, dass der Antrag in der zugehörigen Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. November 2018 - 1 BvQ 81/18 -, Rn. 2; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Januar 2018 - 2 BvQ 4/18 -, Rn. 2). Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann daher lediglich Erfolg haben, wenn das Oberste Gericht auf der Grundlage der Antragsbegründung wenigstens summarisch verantwortbar beurteilen kann, ob ein noch zu beantragender Organstreit nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. März 2019 - 1 BvQ 90/18 -, Rn. 7). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn einerseits eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte, und andererseits die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 126, 158 <168>; 129, 284 <298>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; stRspr).


    2. Diesen Anforderungen genügt dieser Antrag nicht. Dem Sachvortrag der Antragstellerin kann nicht entnommen werden, dass aus durch Anordnung der Bundespräsidentin die Rechte der Antragsteller aus Art. 39 Abs. 1 Satz 1 und Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt werden und somit ein noch einzureichender Antrag auf Organstreit weder von unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist. Es wird lediglich dargelegt, dass die Auflösung des Bundestages durch die Anordnung der Bundespräsidentin nicht mit den Vorschriften des Art. 63 Abs. 4 Satz 3 GG vereinbar seien und die Bundespräsidentin somit in innere Angelegenheiten des Deutschen Bundestages eingreife, wodurch sie ultra vires gehandelt habe. Aus den Darlegungen der Antragsteller ergibt sich allerdings nicht, inwiefern dadurch die Statusrechte der Antragsteller als Abgeordnete eingeschränkt oder verletzt werden.


    3. Da die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits wegen der Begründungsmängel im Hinblick auf den noch zu beantragenden Organstreit erfolglos bleibt, kommt es auf weitere Gründe dafür nicht an.


    Baumgärtner | Müller | Thälmann




    Abweichende Meinung


    des Richter Thälmann


    zum Beschluss des Dritten Senats vom 12. März 2021


    - 3 BvQ 1/21 -


    Ich kann mich der Entscheidung, dass der Antrag zu abzulehnen ist, anschließen, jedoch nicht allen Teilen der Begründung; Der Antrag ist zulässig (I), aber unbegründet (II).


    I.


    1. Jeder einzelne Bundestagsabgeordnete kann die behauptete Verletzung jedes Rechts, welches mit seinem Status als Abgeordneter verfassungsrechtlich verbunden ist, im eigenen Namen geltend machen (vgl. BVerfGE 2, 143 (166); 4, 144 (151); 10, 4 (10 f.); 43, 142 (149); 60, 374 (379)). Dies gilt erst Recht, wenn es um den Status selbst geht (vgl. BVerfGE 6, 445 (448 f.)).


    2. An der Gewährleistung der in GG Art 39 Abs 1 S 1 festgelegten Dauer der Wahlperiode hat der Status des Abgeordneten Anteil. Die Antragsteller sind damit in ihrer Rechtsstellung als Abgeordnete unmittelbar betroffen; Der Antrag ist dementsprechend zulässig.



    II.


    Der Antrag ist dennoch zu verwerfen, da er unbegründet ist.


    1. Der Neuwahltermin des Bundestages wurde von der Bundespräsidentin auf den 25.03.2021 gelegt. Dieser Termin ist mit dem der ordentlichen Bundestagswahl deckungsgleich, wie auch vom Bundestagspräsidenten festgestellt wurde.


    2. Folglich würde durch die Neuwahl des Bundestages keine Verkürzung der Wahlperiode erfolgen; Damit erfolgt logischer Weise auch keine Verletzung der Abgeordnetenrechte nach Art 39 Abs 1 S 1 GG.



    Thälmann

    Vizepräsident des Obersten Gerichts