6 BvT 1/21 - Einstweilige Anordnung - V. Mechnachanov ./. die Moderation und Administration von vBundesrepublik


  • OBERSTES GERICHT

    – 6 BvT 1/21 –


    742-bverfgf-png


    IM NAMEN DES VOLKES



    In dem Verfahren
    über

    den Antrag,




    der Frau Victoria Mechnachanov


    - Bevollmächtigter: Dr. Joachim Holler


    die Enthebung der Antragstellerin aus dem Amt der Bundeswahlleiterin für vorläufig unwirksam zu erklären



    h i e r : Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung u n d Antrag auf Richterablehnung



    hat das Oberste Gericht – Sechser Senat –

    unter Mitwirkung der Richterin



    Vizepräsidentin Baumgärtner



    am 30. Januar 2021 einstimmig beschlossen:



    1. Dem Ablehnungsgesuch gegen den Richter Müller wird stattgegeben.


    2. Die Enthebung der Antragstellerin aus dem Amt der Bundeswahlleiterin ist vorläufig unwirksam.


    3. Die einstweilige Anordnung tritt, soweit sie nicht verlängert wird, gemäß § 18 Absatz 6 Satz 2 OGG am 6. Februar 2021 außer Kraft.



    G r ü n d e :



    I.


    1. a) Die Antragstellerin wendet sich mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ihre Enthebung aus dem Amt der Bundeswahlleiterin. Sie hält die Amtsenthebung für unzulässig. Es fehle an einer gültigen Rechtsgrundlage für die Sanktionierung. Dazu fehle es der Administration und der Moderation an der Befugnis zur Amtsenthebung.



    b) Die besondere Dringlichkeit und Eilbedürftigkeit sei gegeben. Es bestünde die Gefahr, dass die Antragstellerin durch die Wahl eines neuen Bundeswahlleiters oder einer Bundeswahlleiterin vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Sie könne auf keinem anderen Wege Rechtsschutz erlangen. Mithin sei der Hauptsacheantrag wahrscheinlich begründet.


    Eine Folgenabwägung hätte zu Gunsten der Antragstellerin auszufallen. Erginge die einstweilige Anordnung nicht und das Hauptsacheverfahren stelle sich im Nachhinein als zulässig heraus, so würde die Antragstellerin bereits vor irreversible Tatsachen gestellt worden sein, da der Posten des Bundeswahlleiters bereits nachbesetzt worden wäre. Dieser Vorgang sei jedenfalls nicht mehr Rückgängig zu machen, auch wenn sich herausstelle, dass die Amtsenthebung überhaupt nicht zulässig war.

    Wenn die einstweilige Anordnung jedoch erginge und sich das Hauptsacheverfahren dann als unbegründet herausstelle, so seien keine allgemeinen Nachteile zu erwarten. Es müsse lediglich der Kandidatur- oder Wahlprozess für das Amt des Bundeswahlleiters gestoppt werden. Dabei könnte jedenfalls die Administration nach § 10 Abs. 11 vDGB vorerst temporär weiter die Aufgaben der Antragstellerin in ihrer Funktion als Bundeswahlleiterin übernehmen. Es entstehe dadurch keinem ein signifikanter Nachteil.




    2. Weiter beantragt die Antragstellerin im Zuge eines Ablehnungsgesuches den Richter Müller für befangen zu erklären. Er sei Mitglied der Administration und somit direkt und von Amts wegen an der Sache beteiligt gewesen. Somit sei er vom Entscheidungsprozess auszuschließen.




    II.


    1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Der Hauptsacheantrag ist weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet.


    a) Das Oberste Gericht ist gem. § 5 ModAdminG, § 38 Nr. 3 OGG für das Einspruchsverfahren zuständig. Die Antragstellerin ist dazu auch antragsberechtigt.


    b) Auch erscheint die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren antragsbefugt. Eine nähere Prüfung hinsichtlich Antragsbefugnis und Rechtsschutzbedürfnis ist, da es sich um das bisher erste Verfahren dieser Verfahrensart handelt, jedenfalls im Zuge des Hauptsacheverfahrens vorzunehmen. Die Antragsbefugnis ist jedoch nicht offensichtlich zu verneinen.




    2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in der Sache Erfolg.


    a) Das Oberste Gericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (§ 15 Abs. 1 OGG). Im Eilrechtsschutzverfahren sind die erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu berücksichtigen, wenn absehbar ist, dass über eine Verfassungsbeschwerde nicht rechtzeitig entschieden werden kann. Ergibt die Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl (vgl. BVerfGE 111, 147 <153>).

    Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Oberste Gericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn einerseits eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte, und andererseits die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (Grundsatz der Doppelhypothese, vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 129, 284 <298>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; 140, 225 <226 f. Rn. 7>; stRspr).



    b) Nach diesen Maßgaben ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begründet. Der Hauptsacheantrag hat Aussicht auf Erfolg (aa). Eine Folgenabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus (bb).


    aa) Der Hauptsacheantrag ist nicht offensichtlich unbegründet. Er scheint mithin sogar wahrscheinlich begründet. Die Antragstellerin legt hinreichend substantiiert dar, warum die angegriffene Sanktionierung in ihren Augen unzulässig ist und begründet dies auch ausführlich. Die vorzunehmende erste Prüfung des Hauptsacheantrages im Eilrechtsschutzverfahren ergibt, dass der Hauptsacheantrag jedenfalls Aussicht auf Erfolg hat. Er ist jedoch nicht offensichtlich begründet. Eine nähere Prüfung hat, ob des Umfanges des Hauptsacheantrages und der allgemeinen Bedeutung des Verfahrens jedenfalls in einem Hauptsacheverfahren mit mündlicher Verhandlung zu erfolgen.


    bb) Die im Eilrechtsschutzverfahren vorzunehmende Folgenabwägung fällt dabei zu Gunsten der Antragstellerin aus.


    (1) Erginge die einstweilige Anordnung nicht und die Hauptsache stelle sich als begründet heraus, so wäre bereits ein Nachfolger in das Amt des Bundeswahlleiters gewählt worden. Die Antragstellerin hätte demnach keine Möglichkeit mehr, das von ihr begehrte und jedenfalls legitime Rechtsschutzziel zu erreichen. Sie hätte dann keine Möglichkeit mehr, das ihr eigentlich noch zustehende Amt weiter auszuüben, da der Nachfolger bereits gewählt und seine Arbeit aufgenommen hätte. Eine Enthebung des gewählten Nachfolgers aus dem Amt zur Wiedereinsetzung der Antragstellerin wäre jedenfalls nicht zumutbar und wahrscheinlich auch nicht zu rechtfertigen. Dazu müsste jedoch, soweit die einstweilige Anordnung erginge, die zurzeit laufende Wahl des Nachfolgers der Antragstellerin unterbrochen bzw. vorläufig suspendiert werden.

    (2) Im Gegenzug, wenn die einstweilige Anordnung zwar erginge, sich das Hauptsacheverfahren aber als unbegründet herausstellte, würde die Antragstellerin das Amt der Bundeswahlleiterin bis zur Entscheidung in der Hauptsache weiter bekleiden, auch wenn ihr dies überhaupt nicht mehr zustünde. Es besteht zwar in diesem Fall weiter die Befürchtung, die Antragstellerin könne die ihr aufgrund ihres Amtes zustehenden Rechte erneut in möglicherweise rechtswidriger Weise missbrauchen, jedoch können diese Bedenken, soweit es als notwendig erachtet wird, bis zur Entscheidung in der Hauptsache jedenfalls dadurch beseitigt werden, dass die Administration gem. § 10 Abs. 11 vDGB temporär weiter die Aufgaben der Bundeswahlleiterin übernimmt, wie sie es bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung ebenso getan hat. Es kann schließlich auch dann eine uneingeschränkte Amtsausübung, ob nun durch Antragstellerin oder Administration, erfolgen, wenn die einstweilige Anordnung ergeht.


    (3) Im Ergebnis fällt die Folgenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus. Dem Umstand geschuldet, dass der Hauptsacheantrag zweifelsohne Aussicht auf Erfolg hat und dass die Antragstellerin auf keinem anderen Wege Rechtsschutz erlangen kann, um ihre durchaus berechtigten Interessen durchzusetzen, überwiegen diese genannten Interessen der Antragstellerin. Eine Suspendierung der laufenden Wahl der Bundeswahlleiterin erscheint dabei jedenfalls ein geringerer und verhältnismäßigerer Eingriff als ein, wenn überhaupt zulässiges, nachträgliches Absetzen des Nachfolgers der Antragstellerin. Auch würde ein solches Vorgehen zu weiteren abwendbaren allgemeinen Irritationen führen. Dazu ist es der Administration auch zweifelsohne zuzumuten, sofern sie dies als notwendig erachtet, die Aufgaben der Bundeswahlleiterin bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen.




    III.


    1. Das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet, dass der Rechtssuchende stets vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteiisch ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Juni 1993 - 1 BvR 878/90 - BVerfGE 89, 28 <36> und 8. April 1997 - 1 PBvU 1/95 - BVerfGE 95, 322 <327>).


    Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen, nicht dagegen, dass der Richter tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Es genügt, wenn vom Standpunkt eines Beteiligten aus gesehen hinreichend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln (vgl. BVerfGE 43, 126 [127], st.Rspr.).



    2. Nach diesen Maßstäben ist das Ablehnungsgesuch begründet. Ob der Richter Müller tatsächlich hinsichtlich der angegriffenen Sanktionierung beteiligt gewesen war ist strittig. Jedenfalls stellen die Mitgliedschaft des Richters Müller in der Administration sowie die Tatsache, dass er die Rechtsgrundlage für die Sanktionierung selbst im Namen der Administration verkündet hat hinreichend belegte und objektive Gründe dar, um an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln. Auch ist die fehlende Neutralität und Distanz des Richters gegenüber der Antragstellerin zumindest zu besorgen.




    IV.


    An der Entscheidungsfindung beteiligt war gem. § 18 Abs. 6 S. 1 OGG lediglich Vizepräsidentin Baumgärtner. Die besondere Dringlichkeit, welche Voraussetzung für das Erlassen der einstweiligen Anordnung durch einen Richter allein ist, ist gegeben.


    Ebenso wurde gem. § 18 Abs. OGG aufgrund der besonderen Dringlichkeit auf eine mündliche Verhandlung verzichtet sowie davon abgesehen, den am Hauptsacheverfahren Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.




    Baumgärtner