4 BvQ 1/21 - Erfolgreicher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (F. Neuheimer ./. M. Russ)

  • OBERSTES GERICHT

    – 4 BvQ 1/21 –


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    IM NAMEN DES VOLKES



    Im einstweiligen Verfügungsverfahren



    des Herrn Felix Neuheimer


    g e g e n


    Herrn Mijat Russ



    über die Anträge


    1. den Antragsgegner zu verpflichten, mit sofortiger Wirkung den Beitrag auf der Plattform "vTwitter" zu löschen, in dem er den Antragsteller als "Nazi" bezeichnet;

    2. es dem Antragsgegner unter Androhung eines Ordnungsgeldes von 5.000,00 € vorläufig zu untersagen, den Antragsteller öffentlich als "Nazi" zu bezeichnen;

    3. dem Antragsgegner die Verfahrenskosten aufzuerlegen



    hat das Oberste Gericht – Vierter Senat –

    unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter


    Präsident Brandstätter,


    Vizepräsidentin Baumgärtner,


    Müller



    am 15. Januar 2021 einstimmig beschlossen:


    1. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, seinen Post vom 13. Januar 2021 auf der Internetplattform "vTwitter", in welchem er sich auf den Antragsteller bezieht und die Aussage "#Nazisraus" tätigt, vorläufig zu entfernen.


    2. Dem Antragsgegner wird es unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 5.000,00 € vorläufig untersagt, den Antragsteller künftig öffentlich als "Nazi" zu bezeichnen.


    3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.




    G r ü n d e :



    Gegenstand des isolierten Antrages auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung ist die Veröffentlichung eins Posts des Antragsgegners auf der Plattform "vTwitter", in dem er den Antragsteller kritisiert und den er am Ende mit der Aussage "#Nazisraus" versehen hat.



    I.


    1. Der Antragsgegner veröffentlicht am 13. Januar 2021 um 11:27 Uhr auf der Internetplattform "vTwitter" einen Beitrag mit folgendem Wortlaut:


    "Scheinbar steht @KWolff nicht wirklich zu seinem Wort, sonst wäre er wohl nicht einer Partei beigetreten. Ich bin auch vom ehemaligen liberalen und noch Bundestagspräsident Felix Neuheimer enttäuscht, dass er sein politisches Glück scheinbar bei Rechtsextremen sucht, welche die Demokratie verachten. Das ist eine schlechte Entwicklung die wir verfolgen müssen! #Nazisraus"



    2. a) Der Antragsteller sieht in der Veröffentlichung des fraglichen Posts eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung. Der Antragsgegner kritisiere den Antragsteller für die Mithilfe zur Gründung einer "rechtsextremen" Partei. Die Aussage "#Nazisraus" beziehe sich auf den Antragsteller persönlich und fordere diesen auf, zu "verschwinden".


    b) Der Antragsteller sieht sich durch diese Aussage in seinem Persönlichkeitsrecht und insbesondere in seiner persönlichen Ehre verletzt. Ferner verstoße die Aussage gegen Art. 2 Abs. 1 GG. Gem. § 823 Abs. 1 i.V.m. § 1004 Abs. 1 BGB beantragt der Antragsteller die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs.


    c) Die besondere Eilbedürftigkeit und Dringlichkeit der Anträge sei gegeben, da mit dem Zeitraum, in dem der Post öffentlich sei, eine Rufschädigung des Antragstellers einhergehe. Außerdem sei eine Wiederholung der angegriffenen Handlung zu besorgen.


    d) Der Antragsteller versichert gem. § 249 Abs. 1 ZPO die Richtigkeit aller Behauptungen und Angaben an Eides statt.



    3. Der Antragsgegner hält die Anträge für unbegründet.


    a) Die Aussage "#Nazisraus" beziehe sich nicht auf den Antragsteller persönlich. Sie sei eine grundlegende Stellungnahme des Antragsgegners zur Gründung einer rechtsextremistischen Partei. Der Gründer dieser Partei sei in der Vergangenheit mehrfach durch rechtsextreme Aussagen aufgefallen, weshalb die Aussage von der Meinungsfreiheit gedeckt sei.


    b) Auch werde die Aussage "#Nazisraus" missinterpretiert. So habe der Antragsgegner bereits klargestellt, dass die Aufforderung keine Forderung sei, dass sich die Angesprochenen aus bestimmten Ländern fernhalten sollen, sondern vielmehr eine geistige Überwindung der Ideologie (siehe hierzu Aussage auf Plakat der ehemaligen Partei "Die Linke": "Nazis Raus: aus den Köpfen!"). Ebendiese Erklärung habe der Antragsgegner auch bereits öffentlich gemacht. Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 GG und § 823 Abs. 1 BGB lägen daher nicht vor.




    II.


    1. Die Anträge sind zulässig.


    a) Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sind statthaft. Der Antragsteller macht Individualansprüche geltend, die nicht auf Geldzahlungen gerichtet sind.


    b) Das Oberste Gericht ist gem. § 20 Abs. 1 S. 1 vDGB, § 6 Abs. 2 OGG i.V.m. § 937 Abs. 1 ZPO für den Antrag zuständig.


    c) Es liegt ein behaupteter Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund vor. Ferner ist das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers gegeben. Er hat ein berechtigtes Interesse daran, dass das vorliegende streitige Rechtsverhältnis alsbald durch richterliche Entscheidung geregelt wird.




    2. Die Anträge sind auch begründet. Sowohl Verfügungsanspruch (a) als auch Verfügungsgrund (b) sind bezüglich der Anträge zu 1. und 2. gegeben.



    a) Der Verfügungsanspruch des Antragstellers bezüglich der Anträge zu 1. und 2. ist gegeben.


    aa) Der Antragsteller begehrt eine Sicherung seiner allgemeinen Persönlichkeitsrechte. Das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht ergänzt die im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen (vgl. BVerfGE 54, 148 <153>). Hierzu gehört der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken (vgl. BVerfGE 114, 339 <346> m.w.N.).


    bb) (1) Ob eine tatsächliche Verletzung der allgemeinen Persönlichkeitsrechte des Antragstellers vorliegt ist jedenfalls in einem Hauptsacheverfahren zu klären. Eine solche Verletzung lässt sich jedoch nicht im Voraus ausschließen. Es ist nicht abschließend zu klären, ob die angegriffene Aussage "#Nazisraus" sich tatsächlich auf den Antragsteller persönlich bezieht und ob diese Aussage von der allgemeinen Meinungsfreiheit gedeckt ist oder den Antragsteller in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Insoweit ist ein strittiges Rechtsverhältnis gegeben und das Ergebnis im Hauptsacheverfahren als offen anzusehen.


    (2) Sowohl der Antrag zu 1. (Beseitigungsanspruch), als auch der Antrag zu 2. (Unterlassungsanspruch) sind geeignet und statthaft, um die behauptet verletzten Rechte des Antragstellers vorläufig zu sichern. Insbesondere erfolgt durch die Anträge auch keine Schaffung von vollendeten Tatsachen, wofür eine einstweilige Verfügung ungeeignet ist. Auch wenn der angegriffene Post beseitigt werden müsste, so könnte dieser jederzeit, nach der Entscheidung im Hauptsacheverfahren, erneut gepostet und öffentlich verbreitet werden.



    b) Der Verfügungsgrund bezüglich der Anträge zu 1. und 2. ist ebenso gegeben. Die Folgenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus.


    aa) Einstweilige Verfügungen sind im Zivilprozess zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 940 ZPO).


    bb) Ein möglicherweise folgender Hauptsacheantrag wäre weder offensichtlich begründet noch offensichtlich unbegründet. Demgemäß ist auf Grundlage einer Folgenabwägung zu entscheiden.


    (1) Erginge die einstweilige Anordnung und der Hauptsacheantrag stelle sich als unbegründet heraus, so würde der Antragsgegner für diesen Zeitraum unzulässig in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG eingeschränkt werden.

    Erginge die einstweilige Anordnung nicht und stelle sich der Hauptsacheantrag als begründet heraus, so wäre der Antragsteller für diesen Zeitraum demnach in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, welches sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG herleitet.


    In der Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Antragstellers aus Art. 1, 2 GG und der Meinungsäußerungsfreiheit des Antragsgegners aus Art. 5 GG überwiegt im vorliegenden Fall hinsichtlich des einstweiligen Rechtsschutzes das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers. Eine irreversible Schädigung des Rufes des Antragstellers, welche mithin rechtswidrig sein könnte, ist zu besorgen. Dies wiegt im vorliegenden Fall schwerer als die gegebenenfalls unzulässige temporäre Einschränkung der Meinungsfreiheit des Antragsgegners. Mithin ist auch die besondere Eilbedürftigkeit gegeben. Dahingehend ist der Verfügungsgrund hinsichtlich des Antrages zu 1. zu bejahen.


    (2) Der Verfügungsgrund ist auch hinsichtlich des Unterlassungsanspruches zu bejahen. Da der Antragsgegner davon ausgeht und der Überzeugung ist, sein Post verletze die allgemeinen Persönlichkeitsrechte des Antragsstellers nicht, ist regelmäßig von einer Wiederholungsgefahr auszugehen, welche Voraussetzung für die Begründetheit des Unterlassungsanspruches ist. Die Höhe des Ordnungsgeldes ist indes nicht zu beanstanden.



    c) Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.



    3. Auf Antrag des Antragstellers und aufgrund der besonderen Dringlichkeit wird gem. § 937 Abs. 2 ZPO auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.




    Brandstätter | Baumgärtner | Müller

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    Administrator


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