3 BvQ 3/20 - Abgewiesener Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren: Fraktion der Sozialdemokratische Partei und Abgeordneter Jonathan Schmidt ./. Ministerpräsident des Freistaates Bayern

  • OBERSTES GERICHT


    – 3 BvQ 3/20 –


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    IM NAMEN DES VOLKES



    In dem Verfahren
    über die Anträge,

    im Wege der einstweiligen Anordnung




    1. es dem Ministerpräsidenten vorläufig zu untersagen, das Gesetz über den bayerischen Klimaschutzpreis auszufertigen,

    hilfsweise das Gesetz über den bayerischen Klimaschutzpreis vorläufig außer Vollzug zu setzen.


    2. festzustellen, dass der Präsident des bayerischen Landtags verpflichtet ist, die Debatte über die Drucksache IV/10 zu unterbrechen, bis der Antragsgegner im Plenum erscheint.



    Antragsteller:

    1. Fraktion der Sozialdemokratischen Partei,
    vertreten durch Jonathan Schmidt, MdL


    2. Jonathan Schmidt, MdL


    - Bevollmächtigter: Dr. Harald Kahrs



    Antragsgegner:

    Ministerpräsident des Freistaates Bayern, Walter Schaal



    hat das Oberste Gericht – Dritter Senat –

    unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter


    Präsident Brandstätter,


    Vizepräsidentin Baumgärtner,


    Marschall



    am 5. Januar 2021 gemäß § 12 Abs. 4 S. 1 OGG einstimmig beschlossen:



    Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgewiesen.




    G r ü n d e :


    Gegenstand des Organstreitverfahrens ist das Fernbleiben des Bayerischen Ministerpräsidenten (des Antragsgegners) von einer Debatte im Bayerischen Landtag, trotz Herbeizitierung durch ein Mitglied des Landtages (des Antragstellers zu 2.).



    A.



    I.


    1. Am 16. Dezember 2020 hat der Antragsteller zu 2. für die Antragstellerin zu 1. einen Gesetzentwurf mit dem Titel " Entwurf eines Gesetzes über den Bayerischen Klimaschutzpreis für mittelständische Unternehmen" im Bayerischen Landtag eingebracht. Er wurde am selben Tag zur Debatte gestellt und erhielt die Drucksachennummer IV/10.


    2. Der Antragsteller zu 2. beantragte am 20. Dezember 2020 die Herbeizitierung des Ministerpräsidenten Walter Schaal. Der amtierende Landtagspräsident zitierte den Ministerpräsidenten am 20. sowie am 24. Dezember 2020 herbei. Der Ministerpräsident kam der Herbeizitierung jedoch bis zum Eingang der Klage nicht nach.


    3. Am 29. Dezember 2020 erscheint Ministerpräsident Schaal im Plenum, äußert sich jedoch nicht zum Debattengegenstand.




    II.


    1. Die Anträge seien zulässig. Der Antragsteller sei antragsberechtigt. Aus dem Sinn und Zweck des Art. 26 Abs. 2 VfGHG ergebe sich, dass die im Hauptsacheverfahren Antragsberechtigten auch im einstweiligen Anordnungsverfahren antragsberechtigt seien. Angesichts dessen, dass der Antragsgegner im Hauptsacheverfahren antragsberechtigt sei, sei auch die Antragsberechtigung im einstweiligen Anordnungsverfahren gegeben.


    a) Antragsteller als auch Antragsgegner seien beteiligten- und parteifähig. Als Ministerpräsident und eine Landtagsfraktion als Teil des Landtags stellten beide Antragsteller jeweils ein Oberstes Staatsorgan im Sinne des Art. 49 Abs. 1 VfGHG dar.


    b) Ferner liege ein tauglicher Antragsgegenstand vor. Dadurch dass es sich bei dem Antrag um eine Verfassungsstreitigkeit über eine Unterlassung des Ministerpräsidenten handle, liege eine rechtserhebliche Unterlassung eines obersten Staatsorgans als Antragsgegenstand, die eine Streitigkeit über den Umfang von Art. 24 Abs. 1 BV zur Folge hat, vor.


    c) Auch sei der Antragsteller antragsbefugt. Die bayerische Verfassung gebe dem Landtag in Art. 24 Abs. 1 BV das Recht, das Verlangen des Ministerpräsidenten oder eines Ministers der Staatsregierung zu verlangen. Dieses Recht ermögliche es dem Landtag, die Staatsregierung zur Beantwortung offener Fragen zu zwingen und könne somit als dem parlamentarischen Fragerecht nahezu gleichstehendes Recht angesehen werden. Durch die Unterlassung des Antragsgegners vor dem Plenum zu erscheinen sei eine Verletzung der Rechte des bayerischen Landtages durch den Antragsgegner nicht von vorn hinein auszuschließen.


    d) Auch sei das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller gegeben. Dadurch dass der Antragsgegner das Recht des bayerischen Landtages auf Herbeizitierung aus Art. 24 Abs. 1 BV aktiv und trotz mehrerer Aufforderungen ignoriere, liege ein Zustand des Bruchs der Verfassung durch den Antragsgegner vor. Solange dieser Verfassungsbruch nicht festgestellt oder behoben werde, werde der bayerische Landtag und der Antragsteller als Teil des bayerischen Landtags folgenlos in seinen verfassungsgemäßen Rechten verletzt.



    2. Die Anträge seien auch begründet.


    a) aa) Dadurch dass es der Antragsgegner aktiv und ohne Rechtfertigung unterlasse, seinen Pflichten aus Art. 24 Abs. 1 BV nachzukommen, schaffe er einen Zustand des Verfassungsbruchs, der mit dem Rechtsstaatprinzip nicht zu vereinbaren sei. Der Antrag in der Hauptsache rüge diesen Verfassungsbruch ohne Rechtfertigung; er seit offensichtlich zulässig und begründet.


    bb) Da der Antrag in der Hauptsache offensichtlich zulässig und begründet sei, seien die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ebenso begründet.



    b) Soweit der Hauptsacheantrag nicht offensichtlich begründet sei, würden dem Antragsteller schwere Nachteile und irreversible Schäden entstehen, wenn die einstweilige Anordnung abgewiesen würde.


    aa) Der Antragsteller begehre die Ansichten der Staatsregierung bezüglich des Debattengegenstandes in der fraglichen Abstimmung zu erfahren. Bei Beendigung der Debatte würde diese Möglichkeit irreversibel entfallen.


    bb) Die Vorschrift zur Herbeizitierung eines Mitgliedes der Staatsregierung sei eine Konkretisierung des Statusrechts aus Art. 24 Abs. 1 BV. Eine Verletzung dieses Rechts durch den Antragsgegner würde zur Verfassungswidrigkeit des gesamten Gesetzes führen, weshalb eine Ausfertigung des Gesetzes bis zum Ende des Verfahrens schwere und irreversible Schäden nach sich ziehen würde.




    III.


    Der Antragsgegner gibt an, sein Fernbleiben von der Debatte sei auf private Geschehnisse zurückzuführen. Er verzichtet auf weitere Stellungnahme.




    B.


    I.


    Die Anträge sind zulässig. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dann zulässig, wenn das Hauptsacheverfahren nicht offensichtlich unzulässig ist. Dieser Anforderung werden die Anträge gerecht.



    1. Das Oberste Gericht ist für den Hauptsacheantrag und somit auch für die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zuständig. Es entscheidet gem. § 6 Abs. 1 Nr. 16 OGG über die den Landesverfassungsgerichten zugewiesenen Angelegenheiten. Es handelt sich dabei um ein Organstreitverfahren i.S.d. Art. 64 BV, Art. 2 Nr. 4, 49 Abs. 1 VfGHG. Es sind somit für die vorliegenden Anträge gem. § 29 S. 1 OGG die Verfahrensvorschriften des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof heranzuziehen.


    2. Die Antragsteller zu 1. und 2. sind gem. Art. 49 Abs. 2 S. 1 VfGHG antragsberechtigt. Die Antragsteller zu 1. und 2. sowie der Antragsgegner sind auch parteifähig. Der Antragsteller zu 2. als einzelner Abgeordneter des Landtages Beteiligter eines Organstreitverfahrens sein (vgl. VerfGH vom 17. Februar 1998 VerfGHE 51, 34 <39 f.>; vom 6. Juni 2011 VerfGH 64, 70 <77 f.>). Die Antragstellerin zu 1. kann als einer Fraktion und somit einem Zusammenschluss von Abgeordneten verfassungsmäßige Rechte wie den einzelnen Abgeordneten zustehen (vgl. VerfGH41, 124/132 f.; 42, 108/115; 51, 34/40 m.w.N.).


    3. Die Antragsteller zu 1. und 2. sind antragsbefugt. Weiter ist ein mögliches Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller nicht auszuschließen.


    a) Die Antragsteller zu 1. und 2. rügen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 24 Abs. 1 BV durch ein aktives Fernbleiben des Ministerpräsidenten von der fraglichen Debatte, trotz mehrfacher Herbeizitierung. Es besteht die grundsätzliche Möglichkeit einer Verletzung der den Antragstellern zu 1. und 2. verfassungsmäßig zugestandenen Rechte. Der Verfassungsstreit bezieht sich dabei auf Rechtspositionen, die sich unmittelbar aus der Bayerischen Verfassung ergeben (Art. 24 Abs. 1 BV).



    b) Insbesondere erfolgt durch die Anträge zu 1. und 2. keine Vorwegnahme der Hauptsache.


    aa) Der Antrag zu 1. hat das Ziel, dem Ministerpräsident das Ausfertigen des fraglichen Gesetzes zu untersagen bzw. hilfsweise, sofern das Gesetz bereits ausgefertigt wurde, es bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug zu setzen. Zugrunde liegt diesem Begehren die Befürchtung der Antragsteller, das fragliche Gesetz könne formell verfassungswidrig zustande gekommen sein, da der Antragsgegner die verfassungsmäßig zugestandenen Rechte der Antragsteller zu 1. und 2 . verletzt haben könnte. Folglich soll es bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache nicht ausgefertigt werden können bzw. wenn bereits ausgefertigt außer Vollzug gesetzt werden.


    bb) Der Antrag zu 2. zielt hingegen darauf ab festzustellen, dass die fragliche Debatte so lange zu unterbrechen ist, bis der Ministerpräsident der Herbeizitierung nachkommt und sich zum Debattengegenstand äußert. Dadurch sollen bis zur Entscheidung in der Hauptsache die verfassungsmäßigen Rechte der Antragsteller zu 1. und 2. gewahrt werden. Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller ist dabei im Vorfeld nicht schon dadurch entfallen, dass der Antragsgegner am 29. Dezember 2020 im Plenum erschienen ist, da aus der Klageschrift hervorgeht, dass die Antragsteller zu 1. und 2. entgegen der wörtlichen Formulierung des Antrages zu 2. insbesondere nicht nur ein Erscheinen des Antragsgegners begehen, sondern auch das Einholen einer Meinung der Staatsregierung vor Beginn der entsprechenden Abstimmung. Einer solchen Meinungsäußerung des Antragsgegners ermangelt es, folglich ist das Gegeben sein des Rechtsschutzbedürfnisses der Antragsteller nicht auszuschließen.



    II.


    1. a) Das Oberste Gericht kann eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist (vgl. Art. 26 Abs. 1 VfGHG). Diese Regelung bezieht sich auf alle Verfahrensarten im Sinn des Art. 2 VfGHG, also auch auf Verfassungsstreitigkeiten gemäß Art. 64 BV, Art. 49 VfGHG (VerfGH vom 4.2.1991 VerfGHE 44, 9/14; vom 3.8.1994 VerfGHE 47, 178/181; vom 14.9.2020 – Vf. 70-IVa-20 – juris Rn. 8; vom 9.11.2020 – Vf. 98-IVa-20 – juris Rn. 7). Wegen der weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in der Regel auslöst, ist an die Voraussetzungen, unter denen sie erlassen werden kann, ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt insbesondere im Organstreitverfahren, da der Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit einen Eingriff in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans bedeutet (vgl. BVerfG vom 30.10.2018 BVerfGE 150, 163 Rn. 10; vom 17.9.2019 BVerfGE 152, 55 Rn. 16). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Oberste Gericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn einerseits eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber Erfolg hätte, und andererseits die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (Grundsatz der Doppelhypothese, vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 129, 284 <298>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; 140, 225 <226 f. Rn. 7>; stRspr).


    b) Im Eilrechtsschutzverfahren sind die erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu berücksichtigen, wenn absehbar ist, dass über eine Verfassungsbeschwerde nicht rechtzeitig entschieden werden kann. Ergibt die Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl (vgl. BVerfGE 111, 147 <153>). Entsprechender Grundsatz gilt sinngemäß auch für das Organstreitverfahren. Der Erlass kann dabei allein der vorläufigen Sicherung des strittigen organschaftlichen Rechts der Antragsteller dienen, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache durch Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird (vgl. BVerfGE 89, 38 <44>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>).


    c) Ein Organstreitverfahren dient als kontradiktorische Parteistreitigkeit maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihrer Teile in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht hingegen der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns. Demgemäß stellt der Verfassungsgerichtshof im Organstreit lediglich fest, ob die beanstandete Maßnahme gegen verfassungsmäßige Rechte verstößt (Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 64 Rn. 13; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 64 Rn. 21). Es obliegt sodann dem jeweiligen Verfassungsorgan selbst, einen festgestellten verfassungswidrigen Zustand zu beenden. Für eine über die Feststellung einer Verletzung der Rechte der Antragstellerin hinausgehende Verpflichtung der Antragsgegnerin zu einem bestimmten Verhalten ist im Organstreit grundsätzlich kein Raum (vgl. BVerfG vom 22.7.2020 NVwZ 2020, 1422 Rn. 39 m. w. N.). Begehren die Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine solche Anordnung, deren Rechtsfolge im Organstreitverfahren grundsätzlich nicht erwirkt werden können, so müssen entsprechende besondere rechtfertigenden Gründe vorliegen, sodass das Erlassen einer solchen Anordnung ausnahmsweise geboten sein könnte.


    d) Voraussetzung der Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist ferner das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses im Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichts (BVerfGE 23, 33 <39 f.>; 23, 42 <48 f.>).




    2. Der Hauptsacheantrag ist entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht offensichtlich begründet. Art. 24 Abs. 1 BV besagt, dass der Bayerische Landtag und seine Ausschüsse das Erscheinen des Ministerpräsidenten verlangen können. § 48 Abs. 1 BayLTGeschO konkretisiert die besagte Norm, indem sie festschreibt, dass jedes Mitglied des Landtages das Erscheinen des Ministerpräsidenten beantragen kann. Inwieweit der Ministerpräsident verpflichtet ist, diesem Antrag nachzukommen, welche Gründe ein Fernbleiben grundsätzlich rechtfertigen können und ob und inwieweit durch das Fernbleiben des Ministerpräsidenten die Antragsteller in ihren Rechten aus Art. 24 Abs. 1 BV verletzt sind, muss aufgrund der Wesentlichkeit dieser Entscheidungen in einem Hauptsacheverfahren abschließend geklärt werden. Eine solche Rechtsverletzung erscheint mithin möglich und sogar wahrscheinlich, jedoch nicht offensichtlich.




    3. Nach den genannten Voraussetzungen haben die Anträge zu 1. (b) und 2. (a) keinen Erfolg. Es ermangelt den Antragstellern allen voran an dem benötigen Rechtsschutzbedürfnis.


    a) Der Antrag zu 2. hat mangels Rechtsschutzbedürfnis keinen Erfolg.


    aa) (1) Der Antrag zielt darauf ab, die Verpflichtung des Bayerischen Landtagspräsidenten festzustellen, die Debatte zum fraglichen Debattengegenstand so lange zu unterbrechen, bis der Antragsgegner im Plenum erscheint. Der Antragsbegründung lässt sich jedoch entnehmen, dass das Begehren der Antragsteller weitreichender ist, als das im Antrag formulierte Begehren. So begehren die Antragsteller nicht nur ein Erscheinen des Antragsgegners im Plenum, sondern auch eine Äußerung des Antragsgegners zum Debattengegenstand und somit die Darlegung der Meinung der Staatsregierung zum fraglichen Debattengegenstand. Auch wenn ein Organstreitverfahren seinem Wesen nach grundsätzlich nur der Feststellung dient, ob ein Handeln oder Unterlassen eines Obersten Staatsorgans gegen die Verfassung verstößt und für jede darüber hinausgehende Feststellung oder Verpflichtung eines Verfassungsorgans im Organstreitverfahren grundsätzlich kein Raum ist, so erscheint, sofern hierfür besondere rechtfertigende Gründe vorliegen, im Zuge der einstweiligen Anordnung auch die Feststellung möglich, dass ein Verfassungsorgan zu einem bestimmten Handeln verpflichtet ist.


    (2) Zweck der einstweiligen Anordnung im Zuge eines Organstreitverfahrens ist die vorläufige Sicherung des strittigen organschaftlichen Rechts der Antragsteller, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache durch Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird. Eine solche Überspielung der organschaftlichen Rechte und die Schaffung von vollendeten Tatsachen ist im vorliegenden Fall grundlegend zu befürchten und erscheint dabei möglich, sofern die Debatte beendet und die Abstimmung eingeleitet wird ohne dass sich der Antragsgegner zum Debattengegenstand äußert, da die Antragsteller begehren, die Meinung der Staatsregierung zum fraglichen Debattengegenstand zu erfahren. Das Erlassen der im Antrag zu 2. beantragten einstweiligen Anordnung könnte somit auch dann geboten sein, wenn dies mit der Feststellung einhergehen würde, dass der Präsident des Bayerischen Landtages zu einem gewissen Handeln verpflichtet ist.



    bb) (1) Die Antragsteller können diese Befürchtung der Schaffung von vollendeten Tatsachen und daraus resultierender Überspielung ihrer organschaftlichen Rechte jedoch möglicherweise und sogar wahrscheinlich durch eigenständiges Handeln beseitigen. Die Antragsteller könnten schließlich schlicht beim Landtagspräsidium darauf hinwirken, dass über den fraglichen Antrag solange nicht abgestimmt wird, bis der Antragsgegner der Herbeirufung nachgekommen ist und die Meinung der Staatsregierung kundgetan hat. Die Antragsteller verpassen es indes diesen Versuch zu unternehmen.


    (2) Weiter und sofern die oben genannten Ausführungen nicht schon zur Unbegründetheit des Antrages zu 2. führen, hätten die Antragsteller die Besorgnis eines Überspielens ihrer organschaftlichen Rechte im Zweifelsfall dadurch beseitigen können, dass sie von § 27 Abs. 1 BayLTGeschO Gebrauch machen und den fraglichen Antrag zurückziehen. Den Antragstellern stünde es dabei nach der Entscheidung in der Hauptsache frei, den Antrag erneut in den Landtag einzubringen (vgl. § 27 Abs. 1 S. 2 BayLTGeschO), sodass die Staatsregierung ihre Meinung zu dem Antrag äußern kann. Auch die Befürchtung der Antragsteller, das fragliche Gesetz würde formell verfassungswidrig zustande kommen hätte, zumindest bis der Streitgegenstand durch das Oberste Gericht abschließend geklärt ist, dadurch beseitigt werden können. Der zeitliche Aspekt ist dabei unkritisch, da für die Allgemeinheit durch eine Verzögerung einer eventuellen Verabschiedung des fraglichen Gesetzentwurfes kein Entstehen eines schweren Nachteils zu befürchten und auch sonst kein wichtiger Grund vorliegt, der das Erlassen einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen würde. Auch wenn sich durch ein Zurückziehen des Antrages die Problematik ergibt, dass die Antragsteller zumindest temporär, nämlich bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren auf ihre verfassungsrechtlich zustehenden Rechte verzichten müssten, so erscheint dies im vorliegenden Fall dennoch zweckdienlich und allenfalls einem Erlassen der beantragten einstweiligen Anordnung vorzuziehen, da letztere einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Parlamentsautonomie darstellen würde.


    (3) Nach dem Subsidiaritätsprinzip ist das Eingreifen in das autonome Handeln der Obersten Verfassungsorgane durch das Erlassen einer einstweiligen Anordnung eben nur dann gerechtfertigt, wenn die Antragsteller selbst alle anderen Möglichkeiten erschöpft haben, um die befürchtete Verletzung ihrer Rechte eigenständig oder auf anderem Wege zu beseitigen, auch wenn diese Beseitigung, ebenso wie eine einstweilige Anordnung, nur temporärer Natur ist. Nach diesem Maßstab und die obigen Ausführungen berücksichtigend ermangelt es den Antragstellern an dem benötigten Rechtsschutzbedürfnis. Der Antrag zu 2. hat somit keinen Erfolg.



    b) Der Antrag zu 1. hat mangels Rechtsschutzbedürfnis ebenso keinen Erfolg. Weiter dienen Antrag (aa) und Hilfsantrag (bb) dem vorläufigen Rechtsschutz, welcher grundsätzlich nicht Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein kann.


    aa) (1) Der Antrag zielt darauf ab, ein bestimmtes Verfassungsorgan zu einem gewissen Unterlassen zu verpflichten. Für eine solche Verpflichtung ist jedoch im Organstreitverfahren grundsätzlich kein Raum. Die Antragsteller zu 1. und 2. begehren somit das Erlassen einer einstweiligen Anordnung durch das Oberste Gericht, deren Rechtsfolge im Hauptsacheverfahren nicht bewirkt werden kann. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist regelmäßig unzulässig, wenn das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Rechtsfolge im Verfahren der Hauptsache nicht bewirken könnte (vgl. BVerfGE 7, 99 <105>; 14, 192 <193>; 16, 220 <226>; 151, 58 <64 Rn. 13>). Demgemäß kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Organstreit, welche die Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten zum Gegenstand hat, grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 151, 58 <64 Rn. 13>). Der Antrag zu 1. ist somit grundsätzlich unzulässig, der Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung kann jedoch ausnahmsweise geboten sein, wenn hierfür besondere rechtfertigende Gründe vorliegen.


    (2) Eine nähere Prüfung ob diese Gründe vorliegen kann jedoch entfallen, da der Antrag zu 1. schon alleine deshalb regelmäßig unzulässig sein könnte, da er darauf abzielt, es dem Antragsgegner zu untersagen, das fragliche Gesetz auszufertigen. Soweit das Begehren der Antragsteller bezüglich des Antrages zu 1. die Verpflichtung des Antragsgegners zur einer bestimmten Unterlassung zum Gegenstand hat, betrifft es eine mögliche Handlung des Antragsgegners in der Zukunft. Es ist damit auf die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtet, der grundsätzlich nicht Gegenstand eines Organstreitverfahrens und damit auch nicht eines entsprechenden Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sein kann (vgl. BVerfGE 150, 163 Rn. 16). Für vorbeugenden Rechtsschutz ist demgemäß im einstweiligen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich kein Raum (vgl. Barczak, in: ders. <Hrsg.>, BVerfGG, 2018, § 32 Rn. 12; Walter, in: ders./Grünewald, BeckOK, BVerfGG, Stand: 1. Juni 2018, § 32 Rn. 20). Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen allenfalls in Betracht, wenn dem Antragsteller ohne eine (vorläufige) vorbeugende Regelung effektiver Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte (vgl. BVerfGE 131, 47 <52>; 134, 366 <391 Rn. 34>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. März 1999 - 2 BvQ 4/99 -, Rn. 11 und vom 12. Oktober 2017 - 2 BvQ 66/17 -, Rn. 3).


    (3) Eine nähere Prüfung kann jedoch auch hier entfallen, da es den Antragstellern auch hinsichtlich des Antrages zu 1. insbesondere an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Nach den Ausführungen des Senats zum Antrag zu 2. scheint es möglich und sogar wahrscheinlich, dass die Antragsteller selbst darauf hinwirken können, ein womöglich formell verfassungswidriges Zustandekommen des fraglichen Gesetzes zu verhindern. Ein Eingriff in die Parlamentsautonomie durch eine einstweilige Anordnung durch das Oberste Gericht scheint hierfür eben nicht notwendig.



    bb) Der Hilfsantrag hat ebenso keinen Erfolg. Auch dieser dient in der Sache der Gewährung von vorbeugendem Rechtsschutz. Insbesondere fehlt es den Antragstellern auch hier am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.




    4. Gem. Art. 24 Abs. 2 S. 1 VfGHG wird auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.




    C.


    Der Richter Josef Marschall war an der Unterzeichnung des Beschlusses verhindert.




    Brandstätter | Baumgärtner

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