3 BvF 4/20 - Begründeter Normenkontrollantrag gegen die Bayerische Verordnung zum Verbot des Verkaufes pyrotechnischer Gegenstände im Jahreswechsel 2020/2021


  • OBERSTES GERICHT


    – 3 BvF 4/20 –


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    IM NAMEN DES VOLKES



    In dem Verfahren
    zur verfassungsrechtlichen Prüfung



    der Verordnung des Landesministers des Inneren und der Justiz zum Verbot des Verkaufs pyrotechnischer Gegenstände im Jahreswechsel 2020/2021 BY vom 16. Dezember 2020


    Antragsteller: Dr. Konrad Wolff



    hat das Oberste Gericht – Dritter Senat –

    unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter


    Präsident Brandstätter,


    Vizepräsidentin Baumgärtner


    Marschall



    am 1. Januar 2021 einstimmig beschlossen:



    Die Verordnung des Landesministers des Inneren und der Justiz zum Verbot des Verkaufs pyrotechnischer Gegenstände im Jahreswechsel 2020/2021 BY vom 16. Dezember 2020 ist mit Art. 80 Absatz 1 Satz 3 GG unvereinbar und nichtig.



    G r ü n d e :


    Gegenstand des Normenkontrollantrages ist die Bayerische Verordnung des Landesministers des Inneren und der Justiz zum Verbot des Verkaufs pyrotechnischer Gegenstände im Jahreswechsel 2020/2021.



    A.


    I.


    Der Bayerische Staatsminister des Innern und der Justiz veröffentlichte am 16. Dezember 2020 im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt die "Verordnung des Landesministers des Inneren und der Justiz zum Verbot des Verkaufs pyrotechnischer Gegenstände im Jahreswechsel 2020/2021". Der Wortlaut der Verordnung beläuft sich auf folgendes:



    "Verordnung zum Verbot des Verkaufes pyrotechnischer Gegenstände im Jahreswechsel 2020/2021

    vom 16. Dezember 2020



    § 1 Verbot

    Der Verkauf von pyroteschnichen Gegenständen an den letzten drei Werkstagen des Jahres 2021 wird den Händlern untersagt.



    § 2 Außnahmen

    Dies gilt nicht für pyroteschniche Gegenstände der Stufe Kat. F1 ("Kleinstfeuerwerk") gemäß der Ersten Verordnung zum Sprengstoffgesetz.



    § 3 Ordnungswiedrigkeiten

    Jeder Verstoß gegen die in der Verordnung genannten Verbote oder Gebote stellt eine Ordnungswiedrigkeit dar und hat entsprechend geahndet zu werden.



    § 4 Inkrafttreten, Außerkrafttreten

    Die Verordnung tritt am 17.12.2020 inkraft. Sie tritt am 2.01.2021 außerkraft."



    II.



    1. Der Antragsteller sei antragsberechtigt, was sich aus §§ 6 Abs. 1 Nr. 6, 7, 20 GOG ergebe. Nach diesen Vorschriften sei der Kreis der Antragsteller ausdrücklich nicht auf den Bundestag, die Bundesregierung oder eine Landesregierung beschränkt. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG sei insoweit lediglich als Mindestenumeration und nicht als abschließende Regelung zu verstehen. Die Anerkennung der Popularklage entspreche auch dem historischen Willen des Gesetzgebers. Dass die Regelung im Oberstes-Gericht-Gesetz nicht nur nur ein Redaktionsversehen sei, ergebe sich aus einer systematischen Zusammenschau der übrigen Verfahrensvoraussetzungen im Oberstes-Gericht-Gesetz.


    2. Art. 80 Abs. 1 GG ermögliche es dem Bundestag als Gesetzgebungsorgan, seine Gesetzgebungsbefugnisse auf die Exekutive zu delegieren. Soweit eine Verordnungsermächtigung ausgeübt wird, müsse die Verordnung indes gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG die Rechtsgrundlage benennen. Dieses Zitiergebot sei zwingend. Weiter verstoße der Antragsgegenstand offensichtlich gegen dieses.


    Hilfsweise weist der Antragsteller darauf hin, dass Adressat der Verordnungsermächtigung der §§ 28, 32 IfSG nur eine Landesregierung als Kollegialorgan sein könne. Die streitgegenständliche Verordnung würde, ohne die hierfür erforderliche Delegation durch Rechtsverordnung (§ 32 Satz 2 IfSG), durch einen einzelnen Minister erlassen worden sein.



    III.


    1. Die Staatsregierung vertritt die Auffassung die angegriffene Verordnung diene nicht dem Infektionsschutz sondern primär der Entlastung des Gesundheitswesens. Die Verordnung diene zwar der Pandemiebekämpfung, tangiere jedoch nicht die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes.



    2. Der Antragsteller und die Bayerische Staatsregierung verzichten auf eine mündliche Verhandlung.



    B.



    I.


    Der Antrag ist zulässig.



    1. Die Zuständigkeit des Obersten Gerichts für abstrakte Normkontrollverfahren ergibt sich aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 6 Abs. 1 Nr. 6 OGG. Der vorliegende Antrag kann auch als Popularklage gem. Art. 93 Abs. 3 GG, § 6 Abs. 1 Nr. 17 aufgefasst werden. Die erforderliche Antragsform gem. § 12 Abs. 1 OGG ist gewahrt. Es liegt auch ein statthafter Antragsgrund vor.



    2. Die Antragsbefugnis des Antragstellers ist gegeben. Er zweifelt die sachliche Vereinbarkeit der angegriffenen Rechtsverordnung mit dem Grundgesetz an. Weiter hält er die angegriffene Verordnung für nichtig. Dies indiziert das besondere objektive Klarstellungsinteresse des Antragstellers. Ein solches Interesse liegt schon dann vor, wenn der Antragsteller von der Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht überzeugt ist.



    3. Die Antragsberechtigung des Antragstellers ist gegeben.


    a) Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG sind bezüglich des abstrakten Normkontrollverfahrens nur die Bundesregierung, eine Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages antragsberechtigt. Dieses Verfahren wird im Gesetz über das Oberste Gericht in §§ 6 Abs. 1 Nr. 6, 20 konkretisiert. § 7 OGG spricht jedoch jedermann die Klageberechtigung zu, wenn ihm diese nicht durch eine Norm des Oberstes-Gericht-Gesetzes entzogen wird. Ein solcher Entzug der Klageberechtigung liegt, insbesondere durch den das abstrakte Normkontrollverfahren konkretisierende § 20 OGG jedoch nicht vor. Ob diese abschließende Regelung durch den Gesetzgeber den Kreis der Antragsteller tatsächlich verfassungskonform in einer derart großzügigen Weise erweitern kann, kann indes dahinstehen.


    b) Soweit der Antragsteller nicht schon gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 6 Abs. 1 Nr. 6, 7, 20 OGG antragsberechtigt ist, so ist er es jedenfalls gem. Art. 93 Abs. 3 GG, §§ 6 Abs. 1 Nr. 17, 7, 26 OGG. Der Gesetzgeber hat in § 6 Abs. 1 Nr. 17 OGG willentlich die Möglichkeit einer objektiven Beanstandungsklage für jedermann geschaffen und von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht, dem Obersten Gericht auch die Zuständigkeit für die Popularklage zuzumessen. Der Kreis der Antragsteller wird dabei im Oberstes-Gericht-Gesetz nicht beschränkt, sodass § 7 diesen abschließen regelt und zweifelsfrei Anwendung zu finden hat, woraus die Klageberechtigung für jedermann resultiert. Der Antragsteller ist bezüglich der Popularklage i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 6 Abs. 1 Nr. 6 OGG somit auch antragsberechtigt.



    II.


    Der Antrag ist auch begründet.



    1. a) Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG verpflichtet dazu, nicht nur das Gesetzeswerk anzugeben, in dem sich die Ermächtigungsgrundlage findet, sondern auch die einzelne Vorschrift des Gesetzes, in welcher die Ermächtigung enthalten ist. Außerdem muss eine Verordnung, die auf mehreren Ermächtigungsgrundlagen beruht, diese vollständig zitieren und bei inhaltlicher Überschneidung mehrerer Ermächtigungsgrundlagen diese gemeinsam angeben. Der Verordnunggeber ist nicht frei, von mehreren Ermächtigungsgrundlagen, auf denen die Verordnung beruht, nur eine zu benennen. Ohne Angabe der weiteren Ermächtigungsgrundlagen weist der Verordnunggeber seine Rechtsetzungsbefugnis nicht vollständig nach (vgl. BVerfGE 101, 1 <42, 44>; 136, 69 <113 Rn. 99> m.w.N.).


    b) Das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG fördert im gewaltenteilenden System des Grundgesetzes die vergewissernde Selbst- und die Fremdkontrolle des Verordnunggebers und hat rechtsschützende Funktion. Es zwingt den Verordnunggeber, festzulegen, von welcher Verordnungsermächtigung er Gebrauch macht. Der Verordnung kann nicht im Nachhinein eine weitere oder eine andere Verordnungsermächtigung unterlegt werden. Ihre Rechtmäßigkeit bemisst sich vielmehr an der vom Verordnunggeber selbst benannten Ermächtigung. Die Festlegung und die Angabe der Verordnungsermächtigung machen den gesetzlichen Ermächtigungsrahmen transparent und fördern so die interne und externe Überprüfung, ob sich die Verordnung im Rahmen der erteilten Ermächtigung hält: Der Verordnunggeber wird durch die Pflicht zur Angabe der Ermächtigungsgrundlage angehalten, sich selbst der Reichweite seiner Rechtsetzungsbefugnis zu vergewissern. Der Öffentlichkeit, den von der Verordnung Adressierten und den Gerichten wird die Prüfung erleichtert, ob die getroffenen Regelungen den gesetzlichen Ermächtigungsrahmen wahren (vgl. BVerfGE 101, 1 <42>; 136, 69 <113 Rn. 99> m.w.N.; stRspr).


    c) Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG ist in einer bundesrechtlichen Verordnung deren Rechtsgrundlage anzugeben. Das erfordert, dass nicht nur das ermächtigende Gesetz als solches, sondern die ermächtigende Einzelvorschrift aus diesem Gesetz in der Verordnung genannt wird. Will der Verordnunggeber nach seinem erkennbar geäußerten Willen von mehreren Ermächtigungsgrundlagen Gebrauch machen, so muss er diese vollständig in der Verordnung angeben. Eine Verordnung, die auf mehreren Ermächtigungsgrundlagen beruht, muss diese folglich vollständig zitieren. Eine Missachtung des Zitiergebots des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG führt dabei zur Nichtigkeit der Verordnung (vgl. Urteil BVerfG 2 BvF 3/90 vom 6. Juli 1999).


    d) Das Zitiergebot erfordert vor allem, dass die einzelne Vorschrift des Gesetzes genannt wird, in welcher die Ermächtigung enthalten ist. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Adressaten einer Verordnung deren Rechtsgrundlagen erkennen und ihre Einhaltung durch den Verordnunggeber nachprüfen können (vgl. BVerfGE 24, 184 <196>).


    e) Eine Missachtung des Zitiergebots verletzt ein "unerlässliches Element des demokratischen Rechtsstaates" (vgl. Bartlsperger, Zur Konkretisierung verfassungsrechtlicher Strukturprinzipien, VerwArch 58 <1967>, S. 249 ff. <270>). Ein solcher Mangel führt deshalb zur Nichtigkeit der Verordnung (vgl. Wilke in: v. Mangoldt/Klein, Bonner Grundgesetz, 2. Aufl. 1969, Art. 80 Anm. XI. 2 d; Nierhaus, a.a.O., Rn. 328 <"formelle Wirksamkeitsvoraussetzung">; Bauer in: Dreier <Hrsg.>, Grundgesetz, Kommentar, Bd. 2 1998, Art. 80 Rn. 43; Ossenbühl in: HStR III, § 64 Rn. 65).



    2. Nach diesen Maßstäben ist der Antrag begründet.


    Der angegriffenen Verordnung ermangelt es grundsätzlich an einer Zitierung einer Ermächtigungsgrundlage. Es mangelt dabei nicht nur an der fehlenden Zitierung der Einzelvorschrift aus dem entsprechenden förmlichen Gesetz, sondern gänzlich an der Erwähnung eines Gesetzes, welches dem Verordnungsgeber die Kompetenz zum Erlassen einer Rechtsverordnung zuspricht. Die Argumentation der Staatsregierung, die Verordnung tangiere das Infektionsschutzgesetz nicht und sei somit verfassungsmäßig zustande gekommen, schlägt indes fehl, da es für das vorliegende Verfahren unwesentlich ist, ob die Rechtsverordnung auf Grundlage einer Verordnungsermächtigung des Infektionsschutzgesetzes oder eines anderen förmlichen Gesetzes erlassen worden ist. Dem Erlassen einer Rechtsverordnung muss gem. Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG jedenfalls und grundsätzlich eine gesetzliche Norm zugrunde liegen. Von Bedeutung ist im vorliegenden Fall lediglich, dass der Verordnungsgeber es gänzlich verpasst hat, eine geeignete Ermächtigungsgrundlage in der Rechtsverordnung zu zitieren. Welches Gesetz bzw. welche Einzelnorm hierfür geeignet erscheint kann insoweit offenbleiben, da das gänzliche Fehlen einer Ermächtigungsgrundlage schon die Verfassungswidrigkeit der Rechtsverordnung besiegelt.


    Da dieses Zitiergebot für die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsverordnung zwingend ist, führt das Mangeln der Erwähnung der Rechtsnorm, auf dessen Grundlage die Verordnung erlassen worden ist, regelmäßig zur Nichtigkeit der entsprechenden Verordnung.




    C.


    Der Senat erwartet sich von einer mündlichen Verhandlung keine Förderung des Verfahrens. Die Verfahrensbeteiligten haben einem Verzicht auf eine mündliche Verhandlung zugestimmt. Entsprechend wurde gem. § 13 Abs. 1 S. 2 OGG auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.




    Brandstätter | Baumgärtner | Marschall

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    Administrator


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