3 BvT 1/24 - Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Außervollzugsetzung des Gesetzes zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie des Landes Nordrhein-Westfalen

  • OBERSTES GERICHT

    – 3 BvT 1/24 –


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    Im Namen des Volkes


    In dem Verfahren
    zu der verfassungsrechtlichen Prüfung,


    ob das Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie des Landes Nordrhein-Westfalen (GVI) in der seit dem 11. Oktober 2023 geltenden Fassung mit Art. 72 GG i. V. m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG sowie Art. 80 Abs. 1 und 4 GG unvereinbar und nichtig ist,


    Antragsteller:

    Herr Gerald Möller, Gelsenkirchen


    hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung


    hat das Oberste Gericht – Dritter Senat – unter Mitwirkung der Richterinnen


    Präsidentin Christ-Mazur


    und Langenfeld


    am 27. Januar 2024 einstimmig beschlossen:


    Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.



    Gründe:


    Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Popularklage des Antragstellers, wendet sich gegen das Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionspandemie des Landes Nordrhein-Westfalen (GVI). Der Antragsteller rügt dabei, die angegriffene Norm verstoße gegen Art. 72 GG i. V. m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG sowie Art. 80 Abs. 1 und 4 GG und sei damit formell verfassungswidrig und damit für nichtig zu erklären.


    Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller, im Wege der vorläufigen Regelung anzuordnen, dass der Antragsgegenstand vorläufig außer Vollzug gesetzt wird.


    I.


    1. Der Wortlaut der Norm, gegen die sich die Popularklage wendet, lautet wie folgt:


    "Gesetz zur besseren Verhütung einer saisonalen Infektionsepidemie

    vom 04.10.2023


    § 1

    Anwendungsbereich


    (1) Dieses Gesetz gilt für das Land Nordrhein-Westfalen (NRW).

    (2) Die Anwendung dieses Gesetzes kann von der zuständigen Gesundheitsbehörde außer Kraft gesetzt werden, wenn eine aktuelle erhöhte Gefahrenlage für die Bevölkerung durch Atemwegsinfekte nicht weiter nachweisbar ist.

    (3) Dieses Gesetz tritt am 01.04.2024 außer Kraft, sofern es vorher nicht ordnungsgemäß verlängert wird.


    §2

    Definitionen


    (1) Gesundheitsrelevante Personendichte: Eine gesundheitsrelevante Personendichte gilt als gegeben, wenn es aufgrund der Anzahl der Personen oder des verfügbaren tatsächlichen Platzangebotes in einer öffentlichen Einrichtung nach Abs. 2 den sich darin aufhaltenden Personen nicht möglich ist, mindestens 1,5 Meter Abstand zu anderen Personen einzuhalten.

    (2) Öffentliche Einrichtungen: Öffentliche Einrichtungen im Sinne dieses Gesetzes sind Supermärkte und Geschäfte, welche überwiegend Produkte des täglichen Bedarfs anbieten, öffentliche Verkehrsmittel, Krankenhäuser und Bürgerämter.

    (3) Ärztliches Attest: Ein ärztliches Attest im Sinne des §4 Abs. 2 dieses Gesetzes ist die schriftliche Bestätigung eines Facharztes für Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Dermatologie oder Pädiatrie, welches zwingend die Anschrift des attestierenden Arztes und eine Unterschrift zu enthalten hat.

    (4) Symptome einer Atemwegsinfektion: Als Symptome einer Atemwegsinfektion im Sinne des §3 Abs. 4 gelten Husten, Niesen, Rhinorrhoe, Halsschmerzen, Konjunktivitis und eine erhöhte Körpertemperatur.


    §3

    Maskenpflicht


    (1) Wenn ein durchgehendes Unterschreiten einer gesundheitsrelevanten Personendichte in öffentlichen Einrichtungen nicht anderweitig sichergestellt wird, so gilt für alle Personen innerhalb dieser Einrichtungen eine permanente Pflicht zum Tragen einer Schutzmaske.

    (2) Solange eine gesundheitsrelevante Personendichte in öffentlichen Einrichtungen anderweitig sichergestellt ist, so besteht keine generelle Maskenpflicht.

    (3) Betreibern öffentlicher Einrichtungen ist es freigestellt, auch bei Sicherstellung einer durchgehenden Unterschreitung einer gesundheitsrelevanten Personendichte eine Maskenpflicht einzuführen.

    (4) Unabhängig von Abs. 1-3 sind alle Personen, die eines oder mehrere Symptome einer aktiven Atemwegsinfektion oder einer wissentliche aktiven Atemwegserkrankung zum Tragen einer medizinischen Maske verpflichtet.

    (5) Die Nutzung einer FFP-2-Maske wird empfohlen, ein medizinischer Mund-Nasenschutz (sog. "OP-Maske") ist jedoch ausreichend.


    §4

    Ausnahmen


    (1) Die Maskenpflicht gemäß §3 gilt nicht für:

    a) Personen, die aus medizinischen Gründen keine Maske tragen können, sofern ein ärztliches Attest vorliegt,

    b) Personen, die permanent einen Mindestabstand von 3 Metern zu anderen Personen einhalten können.

    (2) Krankenhäuser können in Absprache mit den Gesundheitsbehörden zusätzliche Ausnahmen festlegen, um die medizinische Versorgung sicherzustellen.


    §5

    Bereitstellung von Händedesinfektionsmittel


    (1) Betreiber öffentlicher Einrichtungen sind dazu verpflichtet, ihren Besuchern ausreichend adäquate Möglichkeit zur hygienischen Händedesinfektion anzubieten.


    §6

    Umsetzung und Kontrolle


    (1) Die Einhaltung der Maskenpflicht wird von den Betreibern der öffentlichen Einrichtungen überwacht und durch das Ordnungsamt kontrolliert.

    (2) Verstöße gegen diese Verordnung können mit einem Bußgeld geahndet werden, wie es im jeweiligen Landesgesetz vorgesehen ist.

    (3) Die Gesundheitsbehörden können weitere Maßnahmen zur Umsetzung und Kontrolle dieses Gesetzes erlassen.


    § 7

    Inkrafttreten


    Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft."


    2. Der Antragsteller hält die Klage sowie den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit seinem Schriftsatz vom 22. Januar 2024 für zulässig und begründet.


    Das Land Nordrhein-Westfalen habe nicht die gesetzgeberische Kompetenz, den Antragsgegenstand zu erlassen. Der Bund habe den Infektionsschutz als betroffenes Themenfeld, der nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Var. 1 GG in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung fällt, mit dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) abschließend geregelt, womit dem Land Nordrhein-Westfalen nach Art. 72 GG die gesetzgeberische Kompetenz zum Erlass des Antragsgegenstandes fehle. Die Verordnungsermächtigung für die Länder aus § 32 IfSG greife hier nicht, da der Antragsgegenstand nicht unter den dort in Verbindung mit den §§ 28, 28a IfSG genannten Voraussetzungen erlassen wurde. Folglich sei der Antragsgegenstand auch unter Art. 80 Abs. 1 und 4 GG als formell verfassungswidrig einzuordnen. Der Antragsgegenstand sei vor dem Hintergrund dessen als offenkundig verfassungswidrig anzusehen, weswegen der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Außervollzugsetzung des Antragsgegenstandes begründet sei. Hilfsweise gehe die Abwägung nach der Doppelhypothese zu Gunsten der Auffassung des Antragstellers aus.


    II.


    Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt ohne Erfolg.


    1. a) Nach § 18 Abs. 1 OGG kann das Oberste Gericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der Hauptsacheantrag wäre von vornherein unzulässig, offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 7, 367 <371>; 68, 233 <235>; 71, 158 <161>; 79, 379 <383>; 91, 140 <144>; 103, 41 <42>; stRspr) oder offensichtlich begründet (vgl. BVerfGE 111, 147 <153>; OGE 2, 17 <20>). Ergibt die Prüfung im Eilverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl (vgl. ebenda).


    b) Anders, als der Antragsteller meint, ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen. Der von vornherein nicht unzulässige Hauptsacheantrag ist weder offenkundig unbegründet, noch offenkundig begründet. Im Rahmen einer vollständigen Kontrolle des Antragsgegenstandes wird unter anderem zu prüfen sein, ob der Antragsgegenstand den Voraussetzungen der §§ 28, 32 IfSG entsprechend erlassen wurde und damit nach Art. 80 Abs. 1 und 4 GG formell verfassungskonform ist und ob etwaige Grundrechtsverletzungen eine materielle Verfassungswidrigkeit begründen. Diese Fragen lassen sich nicht als offenkundig in beide Richtungen im Eilverfahren beantworten - dies wird im Hauptsacheverfahren zu prüfen sein.


    2. Kann - wie hier - nicht festgestellt werden, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt von vornherein unzulässig, offensichtlich unbegründet oder offensichtlich begründet ist, muss der Ausgang des Hauptsacheverfahrens also als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Hauptsache später aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 117, 126 <135>; stRspr).


    a) Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, ist bei der Folgenabwägung ein besonders strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 3, 41 <44>; 104, 51 <55>; 112, 284 <292>; stRspr). Das Oberste Gericht darf von seiner Befugnis, ein Gesetz außer Kraft zu setzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, ist doch der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Gesetz stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Ein Gesetz darf deshalb nur dann vorläufig außer Vollzug gesetzt werden, wenn die Nachteile, die mit seinem fortgesetzten Vollzug nach späterer Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit verbunden wären, in Ausmaß und Schwere die Nachteile deutlich überwiegen, die im Falle der vorläufigen Verhinderung eines sich als verfassungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten (vgl. BVerfGE 104, 23 <27>; 117, 126 <135>; stRspr). Bei dieser Folgenabwägung sind die Auswirkungen auf alle von dem Gesetz Betroffenen zu berücksichtigen, nicht nur Folgen, die sich für den Beschwerdeführer ergeben (vgl. BVerfGE 112, 284 <292>). Zudem rechtfertigen schwere Nachteile oder ein anderer wichtiger Grund für sich eine einstweilige Anordnung noch nicht. Ihr Erlass muss zur Abwehr der Nachteile auch unter Berücksichtigung der erforderlichen Zurückhaltung des Senats dringend geboten sein.


    b) Nach den Maßstäben der Doppelhypothese hinsichtlich der Außervollzugsetzung von Gesetzen ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.


    Erginge die Anordnung, erwiese sich die Hauptsache jedoch als erfolglos, so würde der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen in unrechtmäßig in seiner Gestaltungsfreiheit beschränkt. Das Land Nordrhein-Westfalen könnte legitime öffentliche Interessen nicht mehr wahrnehmen - die Erreichung des legitimen gesetzgeberischen Zieles würde für die Geltungsdauer der Anordnung vereitelt. Demgegenüber abzuwägen ist der Fall, in dem die Anordnung nicht ergeht, sich die Hauptsache aber als begründet herausstellt. In diesem Falle würde widerrechtlich in die Grundrechte der in § 2 Abs. 2 GVI genannten öffentlichen Einrichtungen, soweit Grundrechtsträger, und betroffenen Personen bußgeldbewehrt eingegriffen. Letztere Nachteile sind jedoch nicht als so schwer und weitreichend zu beurteilen, als dass der Erlass der Anordnung dringend geboten ist, um hinreichend schwere beziehungsweise irreparable Nachteile abzuwehren. Hierzu vermag sich der Antragsteller in seinen vagen Ausführungen zur Doppelhypothese auch nicht zu äußern. Nach alledem ist der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung abzulehnen.


    Christ-Mazur | Langenfeld

    Präsidentin des Obersten Gerichtes