Pressemitteilung Nr. 1/2022 vom 10. Juli 2022

Erste Bundespräsidentinnenanklage in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegen Bundespräsidentin a. D. Isabelle Yersin als unzulässig abgewiesen


Pressemitteilung Nr. 1/2022 vom 10. Juli 2022


zum Beschluss des Obersten Gerichtes vom 10. Juli 2022

3 BvD 1/21

3 BvD 2/21


Mit seinem Beschluss vom 10. Juli 2022 hat das Oberste Gericht die erste Anklage, die in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegen ein Staatsoberhaupt gemeinsam durch Bundestag und Bundesrat in zwei Verfahren erhoben worden war, als unzulässig abgewiesen.


Sachverhalt:


Die Antragstellerinnen beantragten festzustellen, dass die Antragsgegnerin, Bundespräsidentin a. D. Isabelle Yersin, durch die Nichternennung des Herrn Tom Schneider zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gegen Artikel 63 IV Satz 2 GG, durch die Auflösung des fünften Deutschen Bundestages gegen Artikel 63 IV Satz 3 in Verbindung mit Artikel 20 I GG und durch die Festsetzung eines Termines für eine Neuwahl des Deutschen Bundestages gegen Artikel 39 I Satz 3 GG verstoßen hat und dass diese alle Verstöße vorsätzlich begangen hat. Während die Antragstellerinnen die Anträge für zulässig und begründet halten, entgegnete der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin jedoch, Herr Tom Schneider habe die absolute Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des fünften Deutschen Bundestages im Rahmen des dritten Wahlganges, in dem es Unstimmigkeiten gegeben habe, nicht erreicht, womit die Nichternennung des Herrn Tom Schneider zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sowie die Auflösung des fünften Deutschen Bundestages und damit die Festsetzung eines Termins für eine Neuwahl des Bundestages nach Artikel 63 IV Satz 3 GG rechtens gewesen sei. Dementsprechend fehle es an der - für Erfolg der Anträge nach Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG notwendigen - Verletzung von Verfassungsrecht, womit die Anträge jedenfalls unbegründet seien.


Der Dritte Senat des Obersten Gerichtes entschied nun, dass die Anklage nach Verzicht der Beteiligten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unzulässig abzuweisen waren.


Wesentliche Erwägungen des Senates:


1. Den Antragstellerinnen mangelt es schon an der Antragsbefugnis, da die Vorsätzlichkeit der gerügten behaupteten Verfassungsverstößen nicht hinreichend substantiiert dargetan wurde. Der Bevollmächtigte hat das Willenselement, das – wie für die meisten Bürgerinnen und Bürger selbstverständlich – für die Begründung eines Vorsatzes auch der ständigen Rechtsprechung zufolge erforderlich ist, in seinem Sachvortrag als gegeben vorausgesetzt, ohne zu begründen, warum dergleichen vorliegen soll. Dies wäre jedoch in Anbetracht dessen, dass die Begründungs- und Beweislast im Bundespräsidentinnenanklageverfahren nach §§ 14 I Satz 2, 25 III Satz 1 OGG bei der Anklage liegt, von Nöten gewesen, um Antragsbefugnis begründen zu können. Schon mit Blick auf die Begründungsmängel sind alle Anträge als unzulässig abzuweisen gewesen.


2. Sofern die Begründungserfordernisse gewahrt worden wären, wären die Anträge der Antragstellerinnen, die Antragsgegnerin für ihres Amtes verlustig zu erklären, mithin zulässig gewesen. Jedoch haben sich diese Anträge mit Wirkung vom 08. April 2021, dem Tag, an dem das Amtsverhältnis der Antragsgegnerin als Bundespräsidentin der Bundesrepublik Deutschland seine Beendigung fand, erledigt, womit das Oberste Gericht die durch die Antragstellerinnen begehrte Rechtsfolge nicht mehr bewirken kann, da es logischerweise mit der Beendigung des Amtsverhältnisses nicht mehr verfügen kann, dass die Antragsgegnerin ihres Amtes verlustig ist (vgl. etwa OGE 3, 43 <48>), wurde das Erwirken der begehrten Rechtsfolge doch bereits durch anderweitige Umstände vorweg genommen.


3. Ferner hat das Oberste Gericht die Maßstäbe für die Begründetheit, die sich aus Artikel 61 II Satz 1 Halbsatz 1 GG, vor dem Hintergrund des Prinzips der organisatorischen und funktionellen Unterscheidung sowie die Trennung der rechtsprechenden, der ausführenden und der legislativen Gewalt (sogenannte „Gewaltenteilung“) als Verteilung von Kompetenzen zwischen Legislative, Exekutive und Judikative, durch den Grundgesetzgeber in Artikel 20 II GG normiert, in einem Obiter Dictum weiterentwickelt. Demgemäß ist ein Eingriff des Obersten Gerichtes in die Entscheidung der Bundesversammlung über die Besetzung des Staatsoberhauptes nur ausnahmsweise bei Vorliegen schwer wiegender Verstöße gegen Bundes- oder Verfassungsrecht zulässig.


Die gesamte Entscheidung im Volltext

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