Sehr geehrter Herr Präsident,
geschätzte Kollegen,
es mutet schon irritierend an, wenn der Herr Ministerpräsident davon spricht, die neue Corona-Schutzverordnung sei nicht Ausdruck von politischem Aktionismus. Aktionismus ist das Gegenteil von einem planvollem Vorgehen. Einen solchen Plan lässt der Ministerpräsident, ebenso aber auch alle anderen Verantwortlichen schmerzlich vermissen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie wenigstens den Mut gehabt hätten, offen zu gestehen, dass Sie keine Ahnung haben, wie es weiter gehen soll. Stattdessen inszenieren Sie sich hier als Macher, als starker Mann. Welche politische Stärke ist das, die den Bürgern, dem Souverän, faktisch keine Perspektive bietet. Wir müssen uns mit dem Gedanken anfreunden, zukünftig mit dem Virus zu leben. Jedenfalls ist es keine Option, bei jedem Anstieg der Infektionszahlen einen neuen Lockdown zu verhängen und so in einen Zustand der dauernden Schwebe mit scheinbefristeten Maßnahmen einzutreten. Auch die Impfung kristallisiert sich zunehmend nur als Scheinlösung heraus. Erstens haben wir die Problematik aktueller und künftiger Mutationen, was - das sei im Übrigen angemerkt - keinesfalls überraschend daherkommt. Zweitens nimmt die Verabreichung der erforderlichen Anzahl an Impfungen schlicht zu viel Zeit in Anspruch und selbst wenn genügend Personen geimpft seien, so lauten die aktuellen Vermutungen, könnten diese das Virus weitergeben. Meine Damen und Herren, machen Sie sich nichts vor, wir werden das nächste Jahr, wenn der aktuelle Kurs fortgesetzt werden sollte, weder wirtschaftlich, noch sozial oder gesundheitlich durchstehen.
Ich möchte dies auch kurz begründen. Ein allgemeines Gebot der Medizin lautet, dass eine Therapie nicht schlimmer sein darf, als die Krankheit. Die aktuell verordnete Zwangstherapie begegnet vor diesem Hintergrund erheblichen Bedenken. So kam etwa eine für Großbritannien von David Miles veröffentlichte Studie zu dem Ergebnis, dass die Kosten des Lockdowns, dessen prognostiziertem Nutzen selbst im Worst-Case-Szenario überwiegen. Noch weiter geht etwa der kanadische Professor Denis Rancourt, wenn er behauptet, der Lockdown sei nicht nur immens schädlich für die Gesundheit der von ihm betroffenen Menschen, sondern darüber hinaus auch maßgeblich verantwortlich für einen etwa in Frankreich zu verzeichnenden Corona-Peak. Meine Damen und Herren, gewiss stehen diese Ergebnisse der aktuell vorherrschenden Meinung diametral entgegen. Gerade deswegen wäre es aber eine Schande und Ausdruck von purer Unvernunft, wenn man solche Erwägungen nicht ausgiebig diskutiert und letztlich in die Abwägung einstellt. Dafür müsste der öffentliche und politische Diskurs aber auch erstmal für diese Art von Kritik geöffnet werden. Dies geschieht aktuell viel zu wenig; gut kann ich mich etwa noch an den Ausspruch von Herrn Wiehler erinnern, die Maßnahmen dürften nun nicht mehr hinterfragt werden. Gerade, wenn der Staat übergriffig wie nie zuvor in seiner Geschichte agiert, ist aber das selbstbewusste Bürgertum gefragt, Fragen zu stellen, zu hinterfragen und zu kritisieren, zumal mittlerweile eine Zeit vergangen ist, die es nicht mehr rechtfertigt, der Politik großzügige Prognose- und Beurteilungsspielräume einzuräumen. Genau jetzt, Herr Ministerpräsident, ist die Zeit, sich zu verantworten, ja sich zu erklären. Auch das haben Sie mit der zum Thema Corona dürftig abgegebenen und apodiktisch anmutenden Erklärung grob vernachlässigt.
Daneben ist die Würdigung konträrer Positionen aber auch ein rechtliches Gebot. Das Grundgesetz ist keine Schönwetterordnung und hat bewusst darauf verzichtet, ein allgemeines Notstandsrecht vorzusehen. Es möchte für die Staatsgewalt unangenehm und lästig sein. Nötig ist dies gerade dann, wenn es nicht rund läuft. Derzeit handeln die Verantwortlichen nach dem Credo: Not kennt kein Gebot. Bis heute fehlen relevante Aussagen darüber, welche durch den Lockdown entstandenen Schäden man, neben den wirtschaftlichen Schäden, in Kauf nehmen möchte. Gesundheitliche und soziale Auswirkungen werden allenfalls in Randbereichen beobachtet, ansonsten aber tot geschwiegen. Von einer echten Abwägungsentscheidung ist man aus diesseitiger Sicht weit entfernt, weil die gegensätzlichen Belange - grundrechtlich verbürgte Freiheiten, hochwertige Rechtsgüter wie Leben, Körper oder Familie - schlicht und ergreifend ausgeblendet werden. Nichts anderes findet statt, wenn uns die Corona-Politik als alternativlos verkauft wird und moralische Abwägungsverbote verhängt werden. Wer etwa meint, der Hinweis auf die massivsten Grundrechtsbeeinträchtigungen in der Geschichte der Bundesrepublik sei zynisch, der hat in meinen Augen seine Aufgabe als Volksvertreter nicht verstanden.
Ein weiterer Aspekt erscheint mir erwähnenswert. Nachdem wir Anfang des Jahres in der Annahme eines hochgefährlichen Virus drastische Maßnahmen getroffen haben, die an dieser Stelle nicht zum Gegenstand meiner Kritik gemacht werden sollen, denn in der Tat war die Faktenlage äußerst dünn, haben wir im Laufe des Jahres immer neue Erkenntnisse gewinnen können. Am bedeutsamsten ist in meinen Augen die Metastudie von Professor Ioanidis, demzufolge die Mediansterblichkeit 0,27% beträgt, wobei der weit überwiegende Anteil der Toten über 70 Jahre alt ist und an nicht nur unerheblichen Vorerkrankungen leidet. Corona ist kein Killervirus. Das müssen wir einfach festhalten. Im Streit stehen kann damit nur die Schlussfolgerungen, die daraus abzuleiten sind. Ich stimme zu, dass alte Personen nicht wegen ihres Alters oder ihrer Vorerkrankungen nicht schützenswert sind; eine solche Annahme steht im krassen Widerspruch zu Art. 1 Abs. 1 GG. Allerdings ist es, betrachtet man die äußerst geringe Sterblichkeit bei jüngeren Personen, überzogen, die restriktiven Maßnahmen auf die gesamte Bevölkerung auszudehnen. Ziel muss es sein, die Risikogruppen besonders zu schützen. Das hat nichts mit einer Zweiklassengesellschaft zu tun, sondern ist sogar ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. Schaut man sich die diesbezügliche Bilanz an, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die Maßnahmen gescheitert sind. Wir haben es nicht geschafft, Altenheime adäquat zu schützen. Hierauf muss in Zukunft unser Fokus liegen. Ich plädiere unter anderem für FFP2-Masken, Schnelltests für Personal und Besucher sowie für erhebliche Einschränkungen des Besuchs. Wer bewusst auf diesen Schutz verzichten möchte, was als autonome Entscheidung zu respektieren ist, für den ist eine Alten- und Pflegeeinrichtung der falsche Ort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland kann klügere Lösungen schaffen, als es die aktuelle Corona-Politik vermuten lässt. Neben diesem grundsätzlichen Wandel, gilt es indes auch, eine langfristige Strategie zu entwickeln. Ich sprach es bereits an: In der aktuellen Situation sehe ich keine Perspektive. Ein Rein und Raus aus bzw. in die scharfen Maßnahmen ist nicht durchzuhalten. In dieses Bild passt schließlich auch die schleichende Verschiebung der Maßstäbe, an denen das Infektionsgeschehen festgemacht werden soll. Zunächst war es die Verdopplungszeit. Anschließend der R-Wert. Sodann kam die Politik mit Inzidenzen um die Ecke, welche keine epedemiologische Indikation besitzen, sondern Ergebnis eines politischen Kompromiss und somit für die Zwecke der Gefahrenabwehr untauglich sind. Aktuell werden die Inzidenzen noch stärker in den Blick genommen, nunmehr aber mit der Begründung, dass eine Kontaktnachverfolgung nicht möglich sei. Diese Orientierungslosigkeit ist schadhaft für Land, Volk und das in die Volksvertreter gesetzte Vertrauen.
Zum Vertrauen gehört endlich, insoweit stimme ich dem Ministerpräsidenten zu, auch klare Entschädigungsregeln zu formulieren. Der Erhalt von Innenstädten kann mit bloßen Lippenbekenntnisse ohne Rechtsanspruch nicht gelingen. Jeder zweite Einzelhändler fühlt sich aktuell in seiner Existenz bedroht. Noch schlimmer sieht es nur in der Kulturbranche aus. Diese konnte auch im Sommer kaum öffnen und jedenfalls nicht so arbeiten, dass die Darsteller und Künstler davon leben können. Soweit Sie ehrlich daran interessiert sind, diese Existenzen zu erhalten, Herr Ministerpräsident, kann ich Sie nur dazu aufrufen, sich für eine Änderung von § 56 IfSG einzusetzen. Diese Entschädigungsregel ist unvollständig und muss, da sich die Gerichte hierzu außerstande sehen, was angesichts der fiskalischen Bedeutung einer solchen Entscheidung nachvollziehbar ist, vom Gesetzgeber korrigiert werden. Gerne können Sie hierzu meine Hilfe beanspruchen.
Ich komme zum Schluss. Die Corona-Verordnung, die in Teilen nach meinem Dafürhalten rechts- und verfassungswidrig ist, ist Ausdruck eine falsch ausgerichteten Infektionsschutzpolitik. Wir müssen uns ernsthaft Gedanken machen, wie die Zukunft aussehen soll. Dazu kann es nicht genügen, die Bürger künftig in ihrem zu Hause einzusperren.
Vielen Dank!