Aufgrund der aktuellen gesundheitlichen Situation, findet die Rede als Livestream-Übertragung statt. Die Zuschauer haben die Möglichkeit, der Kandidatin per Chat-Funktion Fragen zu stellen.
Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,
sehr geehrte Damen und Herren,
das Jahr 2020 nähert sich dem Ende. Es war ein Jahr, das sich viele von uns sicherlich ganz anders vorgestellt haben und es war ein Jahr, das uns so noch sehr lange in Erinnerung bleiben wird. Anfang diesen Jahres erschütterte die Welt eine Nachricht: "Ein Virus sei ausgebrochen, erste Menschen seien erkrankt." Wer hätte ahnen können, dass ein nicht sichtbarer Gegner die fortschrittlichsten Nationen dieser Erde zum Stillstand bringen könne? Eine Lähmung trat ein, die Ernsthaftigkeit der Lage wurde verkannt, die Gefahr verleugnet, die Politik war überfordert - ein Kampf. Ein Kampf mit sich selbst, ein Kampf ums Überleben, ein Kampf mit dem Gewissen. Wie weit kann man als Gesetzgeber gehen, um die Bevölkerung aktiv vor einer akuten Gefahrenlage zu schützen? Die wohl prägendste Frage für die Politik in diesem Jahr. Eine Frage, die wir zum Glück nicht selbst beantworten müssen. Der Rechtsstaat zeigt uns hier klare Grenzen auf und bildet somit den Schutzwall um die freiheitlich demokratische Grundordnung. Dennoch ist es absolut verständlich als Gesetzgeber den Drang zu verspüren, aktiv in einer Situation, die aussichtslos zu scheinen mag, handeln zu wollen. Auch hier ein schmaler Grad zwischen Aktionismus und rational begründeter Handlungen. Wir waren gezwungen das Leben wie wir es kennen herunterzufahren und auf "Pause" zu drücken. Ein Vorgang, der uns im internationalen Vergleich über einen längeren Zeitraum in unserem Handeln bestätigt hat.
Doch die Medaille hat zwei Seiten. Neben den Erfolgen, die wir durch unser beherztes Handeln erzielen konnten, gibt es auch Verlierer. Menschen deren Existenzen bedroht oder bereits zerstört wurden, Träume die geplatzt sind. All das sind Herausforderungen, denen wir uns neben den zum Alltag gewordenen Hindernissen während der Pandemie in Zukunft stellen müssen. Neben all diesen negativen Faktoren, stellt diese Ausnahmesituation aber auch eine Chance dar. Die Pandemie hat eine längst vergessene Eigenschaft in dieser schnelllebigen und von Egoismus geprägten Welt in uns reaktiviert: Die Solidarität. Sie zwang uns das eigene Wohl dem Wohle der Gemeinschaft unterzuordnen. Sie hat uns die Scheuklappen heruntergerissen und den Blick für das Wesentliche im Leben geschärft. Es liegt an uns, dieses so unfassbar wichtige soziale Bewusstsein beizubehalten.
Gleichwohl wir wegen der Corona-Pandemie das öffentliche Leben heruntergefahren haben, drehte sich die Welt weiter. Probleme die vorher existierten, sind nicht verschwunden. Im Gegenteil! Sie werden wohl in den nächsten Jahren so präsent sein wie noch nie. Altersarmut, Arbeitslosigkeit, Rassismus und Intoleranz beherrschen Abseits der aktuellen Blase das Leben von Millionen Bundesbürger:innen.
Letztendlich können wir alle nur "Lebe wohl 2020" sagen und zuversichtlich in das neue Jahr gehen. Auch wenn das Ende der Pandemie für den Moment noch sehr weit entfernt scheint, wir können das Ziel nun schon sehen. Ein Ziel, welches wir nur zusammen erreichen können. Jeder Einzelne muss seine eigenen Bedürfnisse noch einmal für die Gemeinschaft zurückstellen, nur dann werden wir dieses Ziel erreichen. Wir müssen diese Krise gemeinsam im Verbund meistern. Jedes Leben zählt und muss unter allen Umständen geschützt werden. Der Impfstoff ist der Startschuss, doch ohne Ihr Engagement und Ihre Bereitschaft weiter aktiv gegen dieses Virus zu kämpfen, wertlos. Deshalb ist es wichtig, auf der Zielgeraden nicht leichtsinnig zu werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
an dieser Stelle möchte ich meine Kandidatur als Bundespräsidentin noch einmal offiziell machen. Eine Demokratie lebt Abseits von Diskurs auch von Diversität. Es ist also im wahrsten Sinne des Wortes bemerkenswert, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch keine Bundespräsidentin gab. Mit meiner Kandidatur möchte ich diesen Umstand ändern und einen leuchtenden Stern für all die Frauen darstellen, die sich aufgrund ihres Geschlechts täglich auf ein Neues beweisen müssen. Abseits meiner Ambitionen möchte ich jedoch darauf hinweisen, dass die Chance auf ein weibliches Staatsoberhaupt so greifbar wie noch nie zu sein scheint. Durch die Kandidatur der von mir sehr geschätzten Kollegin der Sozialdemokratischen Partei, kann es bei dieser Bundesversammlung keine Verlierer geben. Völlig unabhängig des Wahlausganges, werden wir einen Meilenstein in der Geschichte der Bundesrepublik erreichen - und das stimmt mich äußerst glücklich. Diese Wahl ist ein erster - zugegebenermaßen, längst überfälliger - Schritt in Richtung eines modernen, weltoffenen und toleranten Deutschland. Trotz dieses historischen Ereignisses, möchte ich nun auf meine - so Sie denn wollen - erste Amtszeit eingehen.
Mir ist es wichtig eine Bundespräsidentin zu sein, die sich aktiv in den gesellschaftlichen und auch politischen Diskurs einbringt. Ich möchte kein typischer "Grüßaugust" sein, wie viele vor mir. Die repräsentativen Aufgaben des Bundespräsidenten interpretiere ich offen gestanden anders. Das Amt des Bundespräsidenten stellt in gewissermaßen das Gewissen der Bundesrepublik dar. Das Gewissen wird im Allgemeinen als eine besondere Instanz im menschlichen Bewusstsein angesehen, die bestimmt, wie man urteilen soll und die anzeigt, ob eine Handlungsweise mit demjenigen übereinstimmt bzw. nicht übereinstimmt. Es drängt, aus ethischen, moralischen und intuitiven Gründen, bestimmte Handlungen auszuführen oder zu unterlassen. Wendet man dies auf das Amt des Bundespräsidenten an, bedeutet das eine nie dagewesene Offenheit und Transparenz in der von Worthülsen geprägten Diplomatie dar. Ich werde mich nicht scheuen Fehler klar aufzuzeigen und auch anzusprechen, ich werde nichts beschönigen oder wortlos akzeptieren. Ich verspreche Ihnen bedingungslose Aufrichtigkeit. Geben Sie mir die Chance, Ihr Gewissen zu sein.
Vielen Dank.