"SOZIALDEMOKRATISCHES JAHRZEHNT" [Mijat Russ in Bremen]

  • Freund und Feind - Die Grünen und die Allianz


    "Greift der Titel - mag der kritische Leser/die kritische Leserin nun fragen - nicht etwas (sehr) zu kurz. Nun, das ist beabsichtigt. Dennoch steckt viel Wahrheit in der zugegebenermaßen überspitzten Überschrift. Denn was ich in meinen vergangenen politischen Jahren und insbesondere in den vergangenen Monaten in der vdeutschen Politik des Jahres 2022 erlebte, bewegte mich dazu, dieses Kapitel zu verfassen.


    Greifen wir den zu Beginn des Werkes benannten Ursprung unseres politischen Handelns (mit besonderem Hinblick auf die sozialdemokratischen Ziele) auf, so erkennen wir die abgrenzenden Elemente zu den alternativen Politikansätzen wie dem Liberalismus, dem Konservatismus oder dem Nationalsozialismus. Letzteres ist (genauso wie dessen Brüder in Methoden und Geist) selbstverständlich vom demokratischen Diskurs auszuschließen. Diese abgrenzenden Elemente sind das, was dafür sorgt, dass wir nicht in einer Partei, in einer politischen Strömung kämpfen, sondern in unterschiedlichen. Die Sozialdemokratie hat unvereinbar andere Werte und Gedanken, als es der Liberalismus hat (usw.) Natürlicherweise und unvermeidbar, gibt es gleichermaßen Überschneidungen in (teilweise auch vielen) Ansichten. Der Hintergrund, dass im Grundsätzlichen dennoch die verschiedenen Grundsätze (hihi, sehr oft "Grund" gesagt") stehen, der wird leider zunehmend vernachlässigt. Im grauen Einheitsbrei der konstruktiven Demokraten verschwimmen die Grenzen der früheren Kontrahenten und Gegensätze. Plötzlich erscheint die Kooperation mit diesem Gegner nicht nur möglich, sondern mehr und mehr erforderlich für einen guten politischen Stil.


    Doch gerade das ist es, was mich, seit jeher, an dem politischen Diskurs unserer Neuzeit massiv stört. Die Große Koalition aus SPD und CDU politisierte mich persönlich sehr. Nicht zum Vorteil der früheren Sozialdemokratie, muss ich sagen. Denn die inhaltsleeren Übereinkünfte dieser politischen Nullnummer, wie man sich im Nachhinein auf fast allen Seiten einig ist, tat weder der politischen Landschaft, noch den Menschen die mit ihr zu händeln hatten gut. Jegliche sozialdemokratische Ansätze verschwammen, wurden aufgeweicht, bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Auch die so genannten Christdemokraten behaupteten das aus ihrer Sicht für ihre Ideologie, das mag ich anders bewerten, deutet aber gleichermaßen darauf hin, dass an dieser These etwas dran ist. Worauf ich hinaus möchte: Kooperieren zwei verschiedene Politikansätze miteinander, so verwaschen auf lange Sicht mindestens ein Ansatz, meistens beide Politikansätze und stehen damit sich selbst im Weg. Die Schlussfolgerung, die sich daraus ergibt: Eine Kooperation mit einem anderen Politikansatz sollte nur so umfangreich wie nötig und so wenig wie möglich geschehen, will man seine eigenen Ziele, aus unserer Sicht die der Sozialdemokratie, erreichen. Mein eigenes Gefühl sagt mir, dass viele in ihren eigenen Grundsätzen schon so verwaschen sind, dass dieser Ansatz eigentlich nicht mehr der eigentliche Antrieb ist, dennoch (bzw. genau deswegen) bleibe ich aber zunächst theoretisch. Wir gehen also davon aus, dass ein SDP-Mitglied auch gleichzeitig Sozialdemokrat ist oder sein will. In diesem Fall ist eine Kooperation mit Parteien des liberalen oder konservativen Spektrums also nur dann richtig, wenn sie tatsächlich notwendig sind. Denn solange es die Möglichkeit gibt, innerhalb der eigenen ideologischen Sparte (nenne ich es mal so flapsig) zu agieren, gibt es keinen rationalen politischen Grund, diesen Vorteil ungenutzt zu lassen.


    Entscheidend bei der Analyse von Daten ist allerdings eben nicht nur die Theorie. Viel wichtiger ist die Praxis. Und in dieser lässt sich erstaunlich oft feststellen, dass die Kooperation von dem einen mit dem anderen Grundsatz äußerst häufig zu finden ist. Damit sind ausdrücklich Koalitionen und Bündnisse gemeint, wie das Aufführen der Beteiligten Personen in der Öffentlichkeit. Ich kann es für meinen Teil nur als gruselig bezeichnen, wie eng so manche Politikerin und so mancher Politiker sich aufführt und bewusst präsentiert und jegliche Distanz (auch im politischen Sinne) verschwindet. Hier kommen wir zur Pointe. Wenn die Grenze zwischen Allianz und SDP, zwischen Marktradikalismus und Sozialdemokratie, nicht mehr erkennbar ist, dann läuft etwas falsch. Dann muss etwas falsch sein. Leider habe ich hier abermals das Gefühl, nicht zugunsten der Sozialdemokratie, nicht zugunsten unseres Anspruchs. Wobei auch das sicherlich ab und zu vorkommen mag, das ist jedoch mehr als zeitweiliger Sieg oder als Problem der Gegenseite anzusehen.

    Genauso wie es politische Gegner gibt, gibt es auch natürliche Verbündete. Ich möchte das so klar feststellen, das sind nunmal die linken Parteien, aktuell die Grünen und Internationale Linke. Mit ihnen teilen wir uns eine Ideologie, wenn wir unsere eigene ernst meinen. Die Grünen sind in Ihrer Geschichte ohnehin nur der Ausdruck der Unzufriedenheit mit der SPD gewesen. Die I:L ist schlicht eine radikale Ausdrucksform der Sozialdemokratie. Diese Partner sind uns am nächsten und daher zu präferieren. Denn wenn wir uns ehrlich machen, so sind wir diesen Parteien im Zweifel immer (politisch) näher, als den anderen. Aber, aber, leider entschied zuletzt immer wieder die persönliche Ebene statt der politischen. Das muss sich ändern, wollen wir das SOZIALDEMOKRATISCHE JAHRZEHNT wirklich erreichen.


    Um bereits vor dem medialen Shitstorm der hektischen Kritik den Wind aus dem dünnen Segelchen zu nehmen: Eine unideologische Politik gibt es nicht. Es gibt keine vernunftgeleitete Politik. Unser gesamtes Handeln stützt sich auf Grundlagen unserer Persönlichkeit, unseres Umfelds. Der Mensch im Grunde ist ein politisches Wesen und lässt sich nicht frei von Moral (und damit zusammenhängend auch Meinung) denken. Zu behaupten, man selbst würde frei von klassischen politischen Systemen denken, mag daher durchaus möglich sein, doch auch hinter dieser Argumentation steckt ebenso eine wie auch immer geartete Ideologie. Und im klassischen Parteienwesen unserer Zeit haben wir nun wirklich keine relevanten Kräfte, die sich außerhalb klassischer politischer Systeme bewegen würden.

    Jetzt sehe ich schon jemanden das Ersatz-Segel holen und möchte daher noch anfügen. Natürlich (!) kann es auch zwischen verschiedenen Grundsätzen, wie Sozialdemokratie und Liberalismus Überschneidungen geben. In einer parlamentarischen Demokratie ist es auch nahezu unvermeidlich, in diesen inhaltlichen Fragen gemeinsam zu arbeiten, das will ich auch niemals in Abrede stellen. Es ist aber etwas anderes, ein gemeinsames Gesetz zu schreiben oder eine Koalition zu schließen. Im übrigen auch sich persönlich zu verstehen und sich politisch zu verstehen. Da sollte man sich ebenfalls nicht täuschen lassen. Nicht zuletzt liegen die symphatischen Menschen gerne mal falsch, ich weiß also wovon ich rede. [...]"