[Grüne] Macht sonst keiner. | Wahlkampfauftritt von Matthias Linner in Augsburg

  • Liebe Bürgerinnen und Bürger,

    Liebe Freundinnen und Freunde,


    was sind wir alle müde von dieser Pandemie. Wir sind erschöpft und wollen eigentlich alle nur noch, dass es aufhört. Die Pandemie hat uns unsere eigene Verletzlichkeit vor Augen geführt. Sie hat uns aber auch die Verletzlichkeit unseres Systems, insbesondere unseres Gesundheitssystems vor Augen geführt. Und die Pandemie hat bedauerlicherweise auch gezeigt, wie sich Menschen von unserem System, von unserer Gesellschaft abkapseln und sich aus ihr verabschieden. Es gibt die wildesten Geschichten über Leute, die ihren eigenen Staat erschaffen wollten, über Menschen die glauben, dass ihnen bei der Impfung ein Chip eingesetzt worden sei oder über Menschen, die ein tiefes Misstrauen in alle staatliche Institutionen gezeigt oder erst entwickelt haben. Es ist wirklich bedauerlich, dass diese Pandemie eine solche Entwicklung erfahren musste - nicht nur im Bereich des Gesundheitswesens, sondern vor allem auch im gesellschaftlichen Bereich. Die Politik kann sich hieraus freilich nicht aus der Verantwortung stehlen. Das verkorkste Pandemiemanagement in Deutschland war in großen Teilen selbstverschuldet, durch misslungene Kommunikation, durch voreilige Versprechungen, durch einen wirren Flickenteppich an verschiedenen Maßnahmen und durch die schlichte Unnachvollziehbarkeit diverser Restriktionen. All das sind gute Gründe, einen gewissen Skeptizismus gegenüber den politischen Entscheidungsträgern entwickelt zu haben, sofern dieser noch nicht oder noch nicht in diesem Maße bestand. Der Staat hat sich in Zeiten der Corona-Pandemie Grundrechtseingriffe in nie dagewesenem Ausmaß erlaubt. Schulschließungen, Ausgangsbeschränkungen oder Ähnliches - all das wäre vor dieser Pandemie wohl undenkbar gewesen. Den Spagat zu finden, zwischen einem gesunden Zurückhalten des Staates im Bereich der Grundrechtseingriffe und dem Erlassen von effektiven, wirksamen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus - das ist wahrlich keine leichte Aufgabe. Während Gesundheitsexperten und Virologen stetig warnen und zur Vorsicht drängen, sitzt die Wirtschaft einem im Nacken, die wieder zu ihrem normalen Betrieb zurückkehren will. Allen Recht machen kann man es in so einer Situation sowieso nicht. Schlimmer noch: Man kann es gar keinem Recht machen. Der Grund hierfür ist ganz einfach, dass es am Ende immer einen Kompromiss geben wird und muss, aus dem, was die Gesundheitsexperten fordern und aus dem, was die Wirtschaft aber in Teilen auch die Gesellschaft zurecht fordert. Im Kern der Diskussion steht immer die Abwägung, welche Grundrechtseingriffe noch verhältnismäßig sind, um dem staatlichen Schutzauftrag zum Schutz des Lebens und der Gesundheit noch gerecht werden zu können. Diese Fragen sind schwierig, äußerst schwierig zu beantworten, schließlich wurde auch die Politik durch diese Pandemie mit einer Aufgabe konfrontiert, bei der sie keine Erfahrungswerte hatte - die es so noch nicht gegeben hat.


    Und so stehen wir nun, gut zwei Jahre nach Beginn der Pandemie, immer noch hier und diskutieren über die Verhältnismäßigkeit von staatlichen Grundrechtseingriffen. Diese Diskussion ist mittlerweile wieder aktueller denn je, denn immer mehr Experten und auch Politikerinnen und Politiker fordern die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Die Menschen in Deutschland stehen mit dieser Forderung bei weitem nicht alleine da. In Frankreich gibt es schon eine Impfpflicht für medizinisches Personal, in Italien wurde kürzlich eine Impfpflicht für Personen über 50 Jahre beschlossen, in Österreich tritt zum Februar eine allgemeine Impfpflicht in Kraft. Uns alle eint das Ziel, diese Pandemie zu einem Ende zu führen, Omikron zurückzudrängen und unser Gesundheitssystem vor weiterer Überlastung zu schützen. Wenn ich lese, dass es seriöse Prognosen gibt, dass im schlimmsten Fall schon in wenigen Wochen die Hälfte der europäischen Bevölkerung mit der Omikron-Variante des Virus infiziert sein könnte, dann bereitet das Sorgen. Gleichwohl gibt es leichte Entwarnung: Omikron ist wohl weniger gefährlich als Delta und führt zu weniger schweren Verläufen und weniger benötigten intensivmedizinischen Therapien. Dennoch ist die enorm hohe Ansteckbarkeit der Variante erschreckend und beängstigend. Und doch scheint Omikron ein erster Schritt zur sog. Endemie zu sein - und das gibt Hoffnung. Nichtsdestotrotz dürfen wir uns nichts vormachen. Selbst wenn eine sogenannte "Durchseuchung" der Bevölkerung erfolgen sollte und nicht aufzuhalten wäre, müssen wir diese in geregelte Bahnen lenken. Wir müssen verhindern, dass sich zu viele Menschen gleichzeitig anstecken. Wir müssen schauen, dass so wenige Leute wie möglich ins Krankenhaus kommen, dass die Menschen schnell wieder fit werden - auch um unserer Versorgungssicherheit willen. Die Lösung ist prinzipiell einfach: Impfen, impfen, impfen und dazu Einhalten der allgemeinen Hygienebestimmungen.



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    Nichtsdestotrotz sind wie noch gar nicht erst an diesem Punkt. Die Neuinfektionen steigen wieder, erst gestern haben wir mit über 80.000 Neuinfizierten einen neuen Höchststand erreicht. Die Zahlen aus Großbritannien, Frankreich oder Italien sind sowieso beängstigend. Und die Faktenlage ist und bleibt eindeutig: Die einzige Möglichkeit uns vor Omikron zu schützen ist, nebst Kontaktereduzierung, die Impfung. Deutschlang hat hier, das ist ganz klar, noch großen Nachholbedarf. Wir haben immer noch zu viele Ungeimpfte in Deutschland, die sich nicht nur anstecken, sondern oftmals auch intensivmedizinisch Behandelt werden müssen und so intensivmedizinische Kapazitäten in Anspruch nehmen - obwohl dies verhinderbar gewesen wäre. Noch immer unterrichten in Deutschland ungeimpfte Lehrerinnen und Lehrer, noch immer arbeiten ungeimpfte Ärztinnen und Ärzte und ungeimpfte Pflegerinnen und Pfleger - und das obwohl gerade sie doch eine ganz besondere Verantwortung haben, für ihre Schülerinnen und Schüler bzw. vor allem für die Patientinnen und Patienten. Gerade in den Gesundheitsberufen, deren Dienstleistungen ohnehin schon gefährdete, kranke und schwache Gruppen in Anspruch nehmen, kann es nicht sein, dass die Patientinnen und Patienten hier dem unnötigen Risiko ausgesetzt werden, mit ungeimpftem und möglicherweise infiziertem Personal in Kontakt zu kommen. Das ist in meinen Augen ein untragbarer Zustand und den wollen wir Grüne durch eine entsprechende Impfpflicht in diesen Berufen ändern.


    Ganz besonders wichtig ist es natürlich auch, von staatlicher Seite weiter für die Impfung zu werben. Wir wissen: Die Impfung schützt vor Ansteckungen und vor allem vor schweren Verläufen. Wir wissen: Die Impfung ist sicher und geht in den allermeisten Fällen nur mit leichten, unproblematischen Nebenwirkungen einher. Märchen von Mikrochips, Langzeitfolgen oder gar massenhaften Toten sind Hirngespenste und völlig aus der Luft gegriffen, Abseits jeglicher Faktenlage und medizinischen Erkenntnisse. Dennoch sind viele von diesen kruden Ideen überzeugt. Diese Leute wird man aber nicht mehr überzeugen können - diese Leute haben wir verloren und diese Leute sind abgehängt von unserer Gesellschaft. Das Leben dieser Menschen beruht nämlich einzig und alleine auf der Idee und der Selbstverständlichkeit, Recht zu haben. Diese Menschen sind keinen Argumenten zugänglich und streiten jegliche Fakten ab. Es ist so, als wollte man mit einem Ball gegen eine Wand werfen, mit dem Ziel, den Ball auf die andere Seite der Wand zu befördern. So wie der Ball von der Wand abprallt, so prallen die Argumente bei Corona-Leugnern und Impfgegnern ab. Es hat schlicht keinen Zweck, diese Menschen noch zu überzeugen zu versuchen.


    Die Leute, die wir noch erreichen müssen sind jene, die immer noch unsicher sind, jene die Angst haben vor Nebenwirkungen der Impfung. Diesen Leute müssen wir die Angst nehmen, sie überzeugen von der Sicherheit und der Wirksamkeit der Impfung. Unsere Impfkampagne muss noch einmal ins Rollen geraten - und wir dürfen uns nicht selbst dabei im Weg stehen, wir schon so oft zuvor. Ewige Warteschlangen vor den Impfzentren, zu wenig Impfstoff, missverständliche Kommunikation, zu viel Bürokratie, nicht fälschungssichere Impfausweise - all das ist und war auch und vor allem Verschulden der Politik. Man hat es einfach versäumt, geeignete Vorkehrungen zu treffen und geeignete Strukturen zu schaffen. Hier müssen wir nachbessern - denn sonst macht es keiner.


    Wir fordern in unserem Programm auch eine allgemein Impfpflicht. Das ist ein hochemotionales Thema, ohne Frage. Das ist vor allem auch ein verfassungsrechtlich höchst sensibles Thema. Die Verpflichtung, sich impfen lassen zu müssen, ist ein gewichtiger Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und entsprechend genau muss hier die Verhältnismäßigkeit geprüft und evaluiert werden. Eine Impfpflicht ist auch ein ethisch schwieriges Thema. Jahrelang war eine Impfpflicht in Deutschland teils undenkbar - mittlerweile fordern immer mehr Leute eine solche Impfpflicht. Ich glaube, wir sind nun an einem Punkt angekommen, wo wir es den Bürgerinnen und Bürgern schuldig sind, dass der Deutsche Bundestag über eine solche Impfpflicht diskutiert. Das Parlament soll sich diesem Thema annehmen, es prüfen, es diskutieren, es debattieren. Und der Deutsche Bundestag soll schließlich - jede und jeder Abgeordnete in seiner freien Entscheidung - darüber abstimmen, ob eine solche allgemeine Impfpflicht eingeführt werden soll. Ich will an dieser Stelle gar nicht für oder gegen eine solche Impfpflicht werben. Ich will dafür werben, dass sich der Deutsche Bundestag diesem Thema, das im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs gerade offensichtlich viel Raum einnimmt, annimmt und darüber beratet. Das ist in meinen Augen in dieser Situation die Aufgabe der Volksvertretung und gerade deshalb wollen wir Grüne diese Debatte im Bundestag anstoßen - denn das macht sonst keiner.


    Am Ende dieser Veranstaltung bleibt mir nun nichts mehr anderes, als Ihnen allen viel Gesundheit zu wünschen für die nächsten Tage, Wochen und Monate. Und vor allem: Gehen Sie wählen am Sonntag! Am besten mit Erst- und Zweitstimme grün!


    Vielen Dank!


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