Berliner. | Deutschland, was denkst Du? Sonntagsfragen der Berliner Allgemeine vom 29. Oktober 2021 und 13. November 2021

  • 2936-png-bild-png

    Deutschland, was denkst Du?

    Sonntagsfragen der Berliner Allgemeine vom 29. Oktober 2021 und 13. November 2021



    Berlin. In den vergangenen Tagen haben sich große Umbrüche ereignet: der geschäftsführende Bundeskanzler Alex Regenborn (SDP) hat seinen Rücktritt von allen Parteiämtern in der letzten Woche eingereicht - nun zieht sich der gebürtige Ostwestfale gänzlich aus der Politik zurück - aus "privaten Gründen", wie er selbst erklärt. Doch vor allem in der Zwischenphase seines Rückzuges - wenn man es denn so bezeichnen möchte -, in der Regenborns Rücktritt vom Parteivorsitz, jedoch nicht der von der Kanzlerkandidatur, bekannt war, kursierten viele Gerüchte um Regenborns Motive, war er doch noch der SDP-Kanzlerkandidat vor einigen Wochen. Vieles schien darauf hinauszulaufen, dass Alex Regenborn als erster deutscher Bundeskanzler nach der massiven Umstrukturierung des Parteiensystems wiedergewählt werden würde, hatte man doch mit beinahe 36 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl Ende Oktober diesen Jahres ein sehr gutes Ergebnis, das teilweise deutlich über den Prognosen für das endgültige SDP-Wahlergebnis lag, geholt und eigentlich eine sehr vorteilhafte Position gegenüber Ryan Davis (Allianz), dessen Kanzlerambitionen nicht zu verkennen sind. Warum nun also dieser plötzliche Rückzug, der viele überrascht hat? Die Gerüchteküche brodelte innerhalb der letzten Tage heiß her - vor allem die Bildung zweier Flügel, dem Düsseldorfer Kreis um Herbert Müller, der als Kanzlerkandidat zwar noch bestätigt werden muss, jedoch als wahrscheinlichster Nachfolger Regenborns als Kanzlerkandidat gilt, Egon Schumacher, Lando Miller und natürlich Sylvie Jachère-Wessler sowie der Sozialistischen Plattform um Ricarda Fährmann, dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden Mijat Russ sowie den beiden nunmehr Ex-Politiker*innen Caroline

    Kaiser und Alex Regenborn soll parteiintern für massive Spannungen gesorgt haben. Die Bekanntmachung dessen nach außen hin hat zusätzlich dazu beigetragen, dass die Sozialdemokratische Partei in den letzten Tagen wiederholt als gespaltene Partei aufgefasst wurde - vor allem von den Grünen, die besonders kritisch reagierten und die sicherlich zusätzlich nochmals dadurch angetrieben wurden, eine Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der SDP und den Piraten abzulehnen. Insgesamt sind die Ereignisse der vergangenen Tage als Zäsur aufzufassen, wurde hiermit die Ära Regenborn unerwartet beendet. Eine relevante Frage, die nun zu stellen ist, ist, lautet: Wie haben die Ereignisse der vergangenen Tage auf das Wahlvolk abgefärbt? Dies haben wir über unsere Sonntagsfrage unter Berücksichtigung der wahrscheinlichen Kanzlerkandidatur Herbert Müllers, der nun die schwierige Aufgabe vor sich hat, eine Einigung mit der liberal-konservativen Allianz herbeizuführen, abgefragt:


    CD723032-E21B-41A3-AEE2-F9203C8C9201.jpeg


    Die Sozialdemokratische Partei käme auf 34,5 Prozent (Oktober: 35,7 Prozent) - die Allianz mit deutlichen Verlusten von 6,1 Prozentpunkten auf 23,5 Prozent. Die Grünen könnten - wohl vor allem aufgrund des enormen Mitgliederzuwaches innerhalb der letzten Tage - mit 17,0 Prozent (Oktober: 11,0 Prozent) rechnen. Profitieren können jeweils die CDSU mit 4,0 Prozent (Oktober: 2,8 Prozent) sowie die Internationale Linke, die aus dem Stande 2,5 Prozentpunkte erreichen könnte. Keinerlei Veränderungen gäbe es bei den Piraten (Oktober: 6,9 Prozent) sowie dem liberalen Forum (Oktober: 2,8 Prozent). Das in Teilen rechtsextreme, bereits durch Gewalt gegenüber staatliche Institutionen aufgefallene, Freiheitliche Forum Deutschlands unter Führung von Christian von Wildungen sowie Harald Rache müsste moderate Verluste von 3,5 Prozentpunkten hinnehmen. In eine Sitzverteilung übersetzt sähe dies wie folgt aus:


    7672A455-D3E1-430F-A5A2-BFDC69B37F62.jpeg

    Die Sozialdemokraten könnten demnach ihre Mandatsanzahl auf sechs Sitze ausbauen, während die Allianz bei vier Mandaten verbleiben müsste. Die Grünen erhielten drei Mandate - eines mehr als nach der Bundestagswahl im Oktober. Die Piraten währen nach wie vor mit einem Abgeordneten im Deutschen Bundestag vertreten - das FFD ebenfalls mit einem Abgeordneten, nachdem es vermutlich ein Mandat verlieren würde. Aus einem derartigen Ergebnis ließe sich eine Große Koalition aus Sozialdemokraten und Allianz, Rot-Grün oder eine Koalition aus Allianz, Grünen und Piraten ableiten - die letzteren beiden wären mit größeren inhaltlichen Differenzen verbunden. Letzten Endes ist immer noch die Frage zu beantworten, wie diese Umfragen sowie der Effekt der mit der SDP verbundenen Ereignisse der letzten Tage zu bewerten sind. Hierzu sind andere Umfragewerte, die unter anderen Voraussetzungen erhoben worden sind, heranzuziehen:


    Umfrage (Angaben jeweils in Prozent)SDPAllianzGrüneFFDPiratenCDSUFORUMLüdI:L
    25.10.2021 - 29.10.2021 (SDP mit Kanzlerkandidat
    Regenborn)


    35,5316114,5361,51,5
    07.11.2021 - 12.11.2021 (SDP mit
    Kanzlerkandidat Regenborn) - Rücktritt Regenborns
    von Parteivorsitz war bekannt
    34,025,5149,57421,51,5
    08.11.2021 - 12.11.2021 (SDP mit
    Kanzlerkandidat Müller) - kompletter Rückzug Regenborns
    war bekannt
    34,523,5177,5742,512


    Es fällt auf, dass die Sozialdemokratische Partei insbesondere, als von "Flügelkämpfen" die Rede war - die Ostwestfälische Allgemeine Zeitung berichtete hierüber am 05. November - unter Führung Regenborns um gut 1,5 Prozentpunkte Federn lassen müssen. Dies deckt sich mit weiteren Umfrageresultaten; wir hatten beispielsweise gefragt, ob Regenborn weiterhin - auch angesichts der Situation vor einigen Tagen - an der Kanzlerkandidatur festhalten sollte: Lediglich 27,6 Prozent bejahten dies. Knapp zwei Drittel der Befragten sprachen sich gegen eine weitere Aufrechterhaltung der Kanzlerkandidatur Alex Regenborns aus. Dazu kommen weitere brisante Umfrageergebnisse: Direkt nach der Bundestagswahl hätte Bundeskanzler Regenborn noch mit der Stimme jedes zweiten (49,2 Prozent für Regenborn zu 33,8 Prozent für Ryan Davis) Bundesbürgers bei einer Direktwahl des Bundeskanzlers rechnen können - kurz vor Regenborns gänzlichem Rückzug aus der Bundespolitik hätten nur noch 41,4 Prozent Alex Regenborn ihre Stimme gegeben, während auf Ryan Davis (Allianz) 37,9 Prozent entfallen wären. Regenborns Rückhalt bei hypothetischer Direktwahl war also innerhalb von zwei Wochen von 15,4 Prozent auf einen Vorsprung von gerade einmal 3,5 Prozentpunkten zusammengeschmolzen - für einen Amtsinhaber, der Interesse daran hat, im Amt zu bleiben, sind dies bittere Neuigkeiten, zumal es auch einige SDP-Anhänger gab, die sich im Zweifel für einen anderen Kanzlerkandidaten ausgesprochen hatten - schwerpunktmäßig wurden hier Sylvie Jachère-Wessler, Richard Düvelskirchen, Mijat Russ und Herbert Müller (sowohl von der SDP-Basis als auch von der Allgemeinheit) als mögliche Nachfolgerkanzlerkandidaten gehandelt, wobei sich keine eindeutig hervorstechenden, favorisierten Kandidaten mit entsprechend großer Führung hervorgetan haben. Es stand also in Regenborns letzten Wochen in der Politik nicht gut um die Unterstützung für den scheidenden Bundeskanzler, was sich auch daran zeigt, dass sich theoretisch weitere 14 Prozent der Wählerschaft vorstellen konnten, zu einem SDP-Kanzlerkandidaten, der nicht Alex Regenborn heißt, überzulaufen. Was diese Werte aber auch zeigen, ist eine stetige Veränderung des politischen Systems in der Bundesrepublik - die Parteienlandschaft und damit auch die Mehrheiten sind bei weitem nicht mehr so stabil, wie noch vor einigen Jahren, erkennbar daran, wie schnell sich einerseits die Stimmung gegen eine einzige Persönlichkeit des öffentlichen Lebens wenden kann. Andererseits wurden bislang alle Bundeskanzler seit der Umstrukturierung der Parteienlandschaft wieder abgewählt - Unzufriedenheit der Bevölkerung schlägt sich schnell auf Umfrage- und Wahlergebnisse nieder, was es Extremisten und Populisten, etwa dem FFD, ermöglicht, bestimmte Einzelsituationen für den eigenen Vorteil sinnstiftend auszuschlachten.


    Am Montag hatte der scheidende Bundeskanzler Regenborn den jetzigen Bundestagspräsidenten Herbert Müller (SDP) als künftigen Nachfolger vorgestellt. Er wird nun versuchen, die Sondierungen mit der Allianz zu einem Abschluss zu bringen und eine Große Koalition zwischen Sozialdemokraten und Allianz auf die Beine zu stellen. Damit würde er dem Willen der Bürgerinnen und Bürger entsprechen, eine Regierung auf die Beine zu stellen: 55 Prozent der Befragten sind der Ansicht, aus diesem Wahlergebnis heraus solle eine Regierung gebildet werden - nur 41 Prozent sprechen sich für Neuwahlen aus. Hintergrund dessen ist, dass sich die Grüne Partei gegen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit SDP und Piraten ausgesprochen hat, während die beiden anderen mehr oder weniger realistischen Möglichkeiten zur Bildung einer Bundesregierung mit Mehrheit im Deutschen Bundestag, nämlich eine Keniakoalition und eine Koalition aus Allianz, Grünen, Piraten und CDSU, ebenfalls als ausgeschlossen gelten, sodass nur eine Große Koalition, die fürwahr keine Liebeshochzeit wäre, rechnerisch machbar wäre. Eine solche Regierung aus SDP und Allianz wäre erst die zweite Kooperation im Bundesgebiet nach der Bildung der Großen Koalition unter Ministerpräsident Stefan Herzinger (SDP) in Nordrhein-Westfalen und könnte sicherlich Spannungen zwischen beiden Parteien abbauen. Darüber hinaus wäre dergleichen eine Art Kompromissmaschine, im Rahmen derer Herbert Müller die Einschätzungen der Befragten zur Führungsstärke beider Kanzlerkandidaten verbessern könnte: Hier trauen die Befragten Davis mehr zu, genauso wie in Fragen der inhaltlichen Kompetenz. Dagegen kann Herbert Müller bei Glaubwürdigkeit und Sympathien punkten: Hier liegt er jeweils vorne - gerade in puncto Sympathien kann Müller - wie schon sein Vorgänger - ordentlich punkten: Hier hat Herbert Müller einen Vorsprung von gut 30 Prozentpunkten - 50 Prozent der Befragten halten ihn für den sympathischeren Kandidaten, nur 20 Prozent dieser halten Davis, der damit auf sage und schreibe Platz 3 hinter "keine Meinung / weiß nicht" liegt, für sympathischer. Am Ende hält jeweils die Hälfte der Befragten jeweils einen der beiden Kandidaten für einen geeigneten Bundeskanzler - hier ergibt sich keine eindeutige Tendenz. Insgesamt wären Herbert Müllers Chancen bei einer hypothetischen Direktwahl des Bundeskanzlers deutlich besser als die von Alex Regenborn: 46,4 Prozent würden für Müller stimmen - nur 32,1 Prozent für Davis, womit Müllers Vorsprung ohne Amtsbonus bei 14,3 Prozentpunkten liegt.


    Letztendlich bleibt abzuwarten, ob es Herbert Müller gelingt, diese Große Koalition zu Stande zu bringen - so könnte er auf jeden Fall Creditpoints für eine reguläre Kandidatur bei den Bundestagswahlen im Januar nächsten Jahres sammeln. Darüber hinaus ist die Frage, ob es der neu gewählte Bundesvorstand um Richard Düvelskirchen hinkriegen wird, wieder Struktur und Ordnung in die Sozialdemokratische Partei zu bringen und das angeschlagene Verhältnis zu Grünen und Liberal-Konservativer Allianz zu verbessern. Rückenwind hätte dieser auf jeden Fall aus einigen Schichten der Bevölkerung: so fiel der Name Richard Düvelskirchen für die Besetzung des SDP-Vorsitzes relativ häufig - genauso wie Egon Schumacher, Mijat Russ, Sylvie Jachère-Wessler oder Herbert Müller - also dem Spitzenpersonal, der seit dieser Woche im SDP-Vorstand sitzt. Doch am Ende wird es an seiner Arbeit und den hieraus resultierenden Arbeitsergebnissen gemessen werden. Es bleibt also weiterhin abzuwarten, in welche Richtung sich die Situation hinentwickeln wird. Spannend!


    ( - Anm.: Die Politikerwertungen werde ich morgen unkommentiert als Tabelle separat reinposten - das muss heute nicht - )